Bild: https://www.no-polizeigesetz-nrw.de

Notstandsgesetzgebung 1968 und Verschärfung der Polizeigesetze 2018

50 Jahre nach dem Protest der 68er Bewegung gegen die Notstandsgesetze kommt in einigen Bundesländern erneut die Debatte um neue Polizeiaufgabengesetze (kurz PAG) auf. Über Gemeinsamkeiten und Gefahren zunehmender Autoritarisierung.

Beschäftigt man sich mit ‘68, gibt es an den sogenannten Notstandsgesetzen kein Vorbei. Heute treiben neben dem Sterben auf dem Mittelmeer und Naziaufmärschen insbesondere die Verschärfungen derPolizeigesetze der Länder die Menschen auf die Straße. Alleine in München gingen am 10.Mai 2018 40.000 Menschen gegen die Verabschiedung der Neufassung des PAG auf die Straße. Wir wollen uns die Gemeinsamkeiten der Proteste gegen Notstandsgesetze und PAG & Co. anschauen.

Strafverfolgung und Prävention

Diese Gesetze waren seit den 50er Jahren ausgearbeitete Änderungen des Grundgesetzes, welche die Nachkriegsverfassung um Regelungen für den inneren und äußeren „Notstand“ ergänzen sollten. Beim Verfassen des Grundgesetzes war, nach den Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung,deren Art. 48 ein wichtiger Baustein für die formaljuristische Machtübernahme der Nazis war, auf eine solche Regelung verzichtet worden. Die Notstandsgesetze schufen Sondervollmachten für die Exekutive und ermöglichten die Gesetzgebung durch einen gemeinsamen Ausschuss von Bundestag und Bundesrat sowie Einschränkungen von Grundrechten.

Bei PAG & Co. geht es um eine Erweiterung der Befugnisse der (Länder-) Polizeien im Vorfeld von Straftaten. Die Polizei hat zwei Aufgaben: Strafverfolgung und Prävention. Während Strafverfolgung Materie des Bundesrechts ist, fällt die Strafprävention in den Verantwortungsbereich der Länder – daher unterschiedliche Gesetze von Land zu Land. Auffälligste Neuerungen sind das Vorverschieben der Eingriffsschwelle für polizeiliches Handeln; eine „drohende Gefahr“ als Eingriffsvoraussetzung anstatt der klassischen „konkreten Gefahr“, die Ausweitung von Präventivhaft sowie massive Eingriffsmöglichkeiten in die Telekommunikation.

Beide Gesetzesinitiativen wurden mit fadenscheinigen Behauptungen begründet. Aus CDU/CSU-Kreisen, die die Notstandsgesetze auf den Weg gebracht hatten, wurde die Ablösung des alliierten Notstandsrechts angeführt. Würde die BRD keine Regelungen einführen, die den effektiven Schutz der Besatzungstruppen garantierten, so die Argumentation, würden die Besatzungsmächte im Falle einer Gefahr für ihre Truppen von bestehenden Befugnissen zu deren Schutze Gebrauch machen und die deutsche Exekutive einbeziehen. Deren Handlungen wären dann, da sie auf Anweisung der Besatzungsmächte handelten, hinterher nicht den deutschen Volksvertreterinnen und -vertreter zur Kontrolle zugänglich. Die von den verschiedenen Regierungen eingebrachten Notstandsgesetze gingen jedoch viel weiter, als nur den Schutz der Besatzungstruppen zu ermöglichen. Heute führen die Regierungen der Bundesländer unter anderem Vorgaben aus Brüssel an; wegen neuer Datenschutzregeln müssten die Polizeigesetze angepasst werden – ironisch nur, dass die EU-Vorgaben auf Datenschutzebene ein Mehr an Rechten für die Bürgerinnen und Bürger zum Inhalt haben, während PAG & Co. im Bereich der Vertraulichkeit persönlicher Daten massive Einschränkungen wie das Ausspähen von Messengerdiensten bedeuten.

Große Proteste

Sowohl gegen Notstandsgesetze als auch PAG & Co. gingen und gehen Zehntausende auf die Straße. Die Demonstrantinnen und Demonstranten wurden und werden von den Herrschenden verteufelt. Bezeichneten die hohen Herrschaften sie in den 60er Jahren wahlweise als Kommunistinnen und Kommunisten oder Anarchistinnen und Anarchisten, so wird heute – allen voran von der CSU –wegen vermeintlich „extremistischer“ Mitinititatorinnen versucht, sie zu diskreditieren.

Unterschiede ergeben sich bei der Betrachtung des juristischen Diskurses über Notstandsgesetze und PAG & Co. Während die Notstandsgesetze, bevor sie der breiten Öffentlichkeit ein Begriff wurden, fast ausschließlich von Staats- & Verfassungsrechtlern diskutiert wurden, findet ein solcher Diskurs über die Implikationen von PAG & Co. in der juristischen Fachliteratur kaum statt, obwohl Zehntausende auf die Straßen gehen.

Ein großer Streitpunkt vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze waren potentielle Einschränkungen des Streikrechts und die Einstufung von massiven Streiks als „Notstand“ vor dem Hintergrund der Streiks der 50er Jahre. Auch PAG & Co. fallen in eine Zeit, in der es insbesondere in der Krankenpflege eine Streikwelle gibt, gegen die bereits mit dem Tarifeinheitsgesetz vorgegangen wird. Die Notstandsgesetze wurden während des„deutschen Wirtschaftswunders“ verabschiedet. Heute prophezeien Wirtschaftsweise wieder Wachstum nach der „Euro-Krise“. Auf die Notstandsgesetze folgte einige Jahre später die „erste Ölkrise“ und auch im Jahr 2018 mehren sich die Anzeichen für den nächsten Finanzcrash.

Die Notstandsgesetze bereiteten also vor allem den Weg für spätere, noch autoritärere Gesetze der Herrschenden. Ein letzter Unterschied zwischen diesen Gesetzen und PAG & Co. wird sich jedoch hoffentlich ergeben: Schaffen wir gemeinsam, was die 68er und der historische SDS nicht geschafft haben! Bauen wir genug Druck auf der Straße, in den Betrieben und den Universitäten auf und stoppen wir die Gesetzesvorhaben!

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