Michel Brandt

Bundesregierung sieht zu wie Menschen ertrinken – Im Gespräch mit Michel Brandt

In den letzten Wochen war die Verschärfung des Asylrechts und die harte Gangart gegen Flüchtlingshelfer immer wieder in den Medien. Wir haben mit Michel Brandt, Bundestagsabgeordneter der Linken, über seine Teilnahme an einer Fahrt der Lifeline und die Angriffe auf das Asylrecht gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Michel du warst vor wenigen Tagen auf der Lifeline, wie kam es dazu?

Michel Brandt: Wir arbeiten bereits seit einiger Zeit mit verschiedenen zivilen Seenotrettungsorganisationen zusammen und pflegen einen guten Kontakt. Nachdem sich die Lage auf dem Rettungsschiff von Mission Lifeline verschärfte, wurde ich Samstagnachmittag (24. Juni) von den Seenotretterinnen und Seenotrettern angerufen. Diese berichteten von der prekären Situation auf der Lifeline und fragten mich um Unterstützung vor Ort. Daraufhin haben wir uns direkt um die Buchung der Flüge gekümmert und sind am nächsten Morgen nach Malta abgereist. Nach unserer Ankunft am Sonntag (25. Juni), trafen wir uns mit den Seenotretterinnen und Seenotrettern und charterten ein Boot, welches uns in der gleichen Nacht auf die Lifeline brachte.

Die Freiheitsliebe: Was hast du in diesen Tagen erlebt?

Michel Brandt: Ich war in der Nacht von Sonntag, den 24. Juni, auf Montag, den 25. Juni, für etwa vier Stunden auf der „Lifeline“. Die Lage an Bord war menschenunwürdig. Die Leute lagen dicht an dicht an Deck – darunter Kinder und Verletzte. Viele an Bord haben eine mehr als zweijährige Flucht hinter sich, einige wurden in libyschen Internierungslagern gefoltert und misshandelt, hatten davon Verletzungen. Der Kapitän erzählte mir, dass ein Schutzsuchender unter Tränen zu ihm gesagt hat, dass er lieber von Bord springen würde, anstatt sich von der sogenannten libyschen Küstenwache aufgreifen zu lassen. Diese Menschen hätten schon Stunden nach der Rettung an Land sein müssen, um eine angemessene Versorgung sicherzustellen. Malta und Italien haben gezielt Menschenleben aufs Spiel gesetzt, um die Abschottung Europas voranzutreiben. Um Aufmerksamkeit für die Seenotretterinnen, Seenotrettern und die Geflüchteten zu schaffen und dadurch Druck auf die europäischen und deutschen Verantwortlichen auszuüben, habe ich nach meiner Rückkehr an Land versucht, meine Erlebnisse mit dem Parlament, den Medien und der Bevölkerung zu teilen.

Die Freiheitsliebe: Im Bundestag hast du die Regierung scharf angegriffen für ihre Haltung zu Flucht und das Sterben im Mittelmeer angegriffen. Welche Verantwortung trägt die deutsche Regierung?

Michel Brandt: Die Bundesregierung schweigt und sieht zu, man könnte auch sagen sie organisiert, wie Menschen ertrinken und zivile Seenotretterinnen und Seenotretter kriminalisiert werden. Im Fall der „Lifeline“ hätte Seehofer das Leid der Menschen an Bord sofort beenden können, indem er der Aufnahme der hilfesuchenden Menschen veranlasst hätte. Mehrere Bundesländer hatten sich bereit erklärt, die Geflüchteten aufzunehmen. Bundesaußenminister Heiko Maas hat nicht eingegriffen als die Schiffe deutscher NGO’s festgesetzt wurden. Während die „Lifeline“ vor Malta festsaß und die „Iuventa“ der Kieler NGO „Jugend Rettet“ immer noch in Italien beschlagnahmt ist, sind bereits viele hundert Menschen ertrunken. Das hätte die Bundesregierung verhindern können.

Die Freiheitsliebe: Was bedeutet der neue Kompromiss der Union für die Geflüchteten?

Michel Brandt: Der sogenannte Kompromiss der CDU/CSU ist eine Schande. Seehofer hatte offen erklärt, gegen Asylrecht verstoßen zu wollen, um seine rechtspopulistischen Interessen durchzusetzen. Genau das tut jetzt die Bundesregierung mit dem Kompromiss. Es ist schlicht illegal, Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise zu hindern. Das hat das Deutsche Institut für Menschenrechte bestätigt. Auch die Einrichtung von Elendslagern und die faktische Verwehrung eines fairen Asylverfahrens sind mit dem Asylrecht und Menschenrechten nicht in Einklang zu bringen. Die politische Linie der Großen Koalition auf deutscher und europäischer Ebene führt dazu, dass das Asylrecht ausgehöhlt wird – auf Kosten der Geflüchteten. Denn Fakt ist: höhere Zäune, tiefere Gräben und mehr Überwachung wird Geflüchtete nicht davon abhalten, zu fliehen. Abschottung bringt gar nichts,denn Grenzen haben überhaupt keinen Einfluss darauf, ob Leute sich auf den Weg machen oder nicht. Der Unterschied ist allerdings, ob sie lebend ankommen oder auf ihrem Weg sterben.

Die Freiheitsliebe: Welche Gegenmaßnahmen gibt es gegen diese Entwicklung?

Michel Brandt: Es tut sich gerade viel. Die gerade mal drei Wochen alte Initiative „Seebrücke“ hat es bereits geschafft, 35.000 Menschen in verschiedenen Städten zu mobilisieren. Auch in den nächsten Tagen sind unzählige Demos und Kundgebungen geplant, in denen die Menschen deutlich machen werden, dass das fremdenfeindliche und unmenschliche Vorgehen gegen Geflüchtete nicht akzeptabel ist. Ich hoffe, dass sich diese Bewegung weiter ausbreitet und sich entschieden gegen die Festung Europa stellt.
Darüber hinaus werden wir alle parlamentarischen Mittel einsetzen, um die Kriminalisierung der Seenotretter zu beenden. Wir verlangen die Einsetzung einer zivilen staatlichen Seenotrettung. Bis dahin muss die Bundesregierung die NGO’s bei ihrer Arbeit aktiv unterstützen. Wir brauchen legale und sichere Fluchtwege nach Europa – und wir müssen zum Prinzip der Menschlichkeit zurückkehren.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Michels Rede im Bundestag zur Lifeline und der Abschottung Europas:

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3 Antworten

  1. „[…]wurde ich Samstagnachmittag (24. Juni) von den Seenotretterinnen und Seenotrettern angerufen. “
    „Ich war […] für etwa vier Stunden auf der „Lifeline“.“

    Purer Katastrophentourismus für billigen Linkspopulismus.

    Die zivilen Seenotretter machen sich zu Helfershelfern von Schleuserbanden und locken mehr Menschen in Gefahr und Tod als es ein konsequentes Vorgehen gegen Schlepper tun würde.

  2. Ich möchte an dieser Stelle dem MdB Michel Brandt mein größten Respekt und Dank für seinen schwierigen und unermüdlichen Einsatz für die von der Politik und der Globalisierung Vergessenen und Entrechteten aussprechen. Gewiss keine sehr dankbare Aufgabe. Mach weiter so, Michel. Wir brauchen mehr junge und engagierte Menschen wie dich in der Politik.

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