In Deutschland wird im Kontext des Kriegs in Gaza immer wieder suggeriert, dass das Verhältnis von Juden und Palästinensern von Hass geprägt sei. In der Realität gibt es jedoch auch tausende Beispiele der jüdischen-palästinensischen Solidarität und des gemeinsamen Einstehens für Menschenrechte und Frieden. Dieser Text erzählt von zwei Beispielen aus Israel, die Mut machen sollen.
Am vergangenen Montag fand in Jerusalem der interreligiöse Marsch von jüdischen, muslimischen, christlichen und druzischen Organisationen statt, beteiligt waren Israelis und Palästinenser. Organisiert von den „Rabbis for human rights“ schloss sich ein breites Bündnis von religiösen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um in Jerusalem, der heiligen Stadt dreier Weltreligionen, ein Zeichen zu setzen gegen Krieg und Gewalt.
Die Protestierenden forderten ein Ende der Bombardierung Gazas und der Gewalt im Westjordanland, die Freilassung der Geiseln und eine friedliche Lösung für alle Menschen vor Ort. Ihr Protest, der sowohl durch palästinensische wie auch israelische Viertel führte, fand absichtlich zwei Tage vor dem sogenannten „Flaggenmarsch“ statt. Dabei handelt es sich um eine Demonstration der radikalen Rechten und der Siedlerbewegung, bei der die Einnahme Ostjerusalems gefeiert wird. Diese Demonstration ging auch in diesem Jahr mit Angriffen auf Palästinenser und Journalisten einher.
Die Botschaft des interreligiösen Marsches war dabei so einfach, wie klar und verdeutlichte den Unterschied zu den Siedlern und ihren Verbündeten in Israels Regierung: „Angesichts des Hasses reagieren wir mit Liebe. Angesichts der Gewalt reagieren wir mit Frieden. Angesichts der Macht reagieren wir mit Hoffnung.“
Rabbis for human rights
Die Initiatoren des Protests „Rabbis for human rights“ sind normalerweise im Westjordanland aktiv, wo sie insbesondere palästinensische Bäuerinnen und Bauern vor Angriffen von Siedlern schützen. Der Siedlergewalt, die von Jahr zu Jahr schlimmer wird und Palästinenser vertreibt, stellen sich die Rabbis gemeinsam mit palästinensischen Aktivistinnen und Aktivisten entgegen und riskieren dabei ein ums andere Mal, selbst verletzt zu werden. „Als Rabbiner für Menschenrechte verbinden wir unsere jüdischen Werte mit Menschenrechtsfragen. Unser Fokus liegt auf der israelischen Besatzung, und – so wie in diesem Fall – den Rechten der palästinensischen Bauern“ so Avi Dabush, der Direktor von „Rabbis for human rights“. Mit ihrem Einsatz haben sie sich insbesondere in der aktuellen israelischen Regierung viele Feinde gemacht. Trotzdem halten sie an ihrer Arbeit fest, denn sie wissen, dass sie anders als die angegriffenen Palästinenser vom israelischen Militär zumindest in Ruhe gelassen werden und auch die Siedler oft Schwierigkeiten haben Angriffe auf Rabbis zu rechtfertigen.
Standing together
Dann gibt es noch die Organisation „Standing together“ – Omdim Beyachad (hebräisch), Naqif Ma’an (arabisch). Die Organisation, die sich vor knapp 9 Jahren gründete, ist heute die wohl größte jüdisch-palästinensische Bewegung in Israel. In den vergangenen Jahren hat sie sich an verschiedenen Stellen für Solidarität und gegen die Ausgrenzung der palästinensischen Minderheit in Israel, sowie den Siedlungsbau und die Vertreibungspolitik im Westjordanland ausgesprochen. Doch seit den Angriffen der Hamas vom 07. Oktober und der darauffolgenden israelischen Bombardierungen Gazas hat die Gruppe ihren Schwerpunkt, noch stärker als zuvor auf das Schaffen von Räumen des Verständnisses für gegenseitiges Leid, dem Einsatz gegen den immens angewachsenen antipalästinensischen Rassismus in Israel und den Protest gegen den Krieg gelegt, die Organisatoren positionieren sich dabei klar gegen jede Form der Gewalt, gegen die Angriffe der Hamas, wie auch gegen die Bombardierungen Israels. Grundlage der Arbeit ist der Einsatz für Humanismus, Menschenrechte und Frieden und die Bedingung für die Beteiligung eines jeden ist die klare Ablehnung von antipalästinensischem Rassismus und Antisemitismus.
In den vergangenen Wochen, angetrieben von der Hungerkatastrophe in Gaza und den Blockaden von Lebensmitteltransporten nach Gaza durch israelische Siedler, organisierte Standing Together gemeinsam mit anderen Organisationen den Schutz von Lebensmittellieferungen bis zum Grenzübergang nach Gaza. Eigentlich ist das israelische Militär offiziell für den Schutz der Lieferungen vor Übergriffen zuständig. Doch es kommt seinem Auftrag oft nicht nach. Schlimmer noch, das Militär verriet die Routen der LKWs gewaltbereiten Siedlern. Der Schutz durch Standing Together und ihre Verbündeten verhinderten zwei Wochen lang Angriffe auf LKWs. Die Angreifer gaben irgendwann auf. Die rechtsradikalen Gruppen und die Siedler verkündeten frustriert, dass sie die LKWs nicht länger blockieren oder attackieren würden.
Vielfältige Solidarität
Die Geschichten der jüdisch-palästinensischen Solidarität sind vielfältig und jeden Tag kommen neue hinzu. Die Proteste in Deutschland und weltweit gegen den Gazakrieg sind Orte, an denen jene Geschichten weitergeschrieben werden, denn häufig sind es Jüdinnen und Juden, die ganz vorne stehen, wenn es um den Einsatz gegen die Bombardierungen Gazas geht. Dazu kommen die Taten von Menschen wie dem Palästinenser Ismail Khatib, dessen Sohn von israelischen Soldaten erschossen wurde, und der entschied, Herz, Lunge, Leber und Niere seines Sohnes jüdischen Kindern zu spenden, um deren Leben zu retten. Der Einsatz von Maoz und Magen Inon, deren Eltern am 07. Oktober von den Hamas Terroristen getötet wurden, und die heute jeden Tag aktiv sind, um sich gegen das Leid in Gaza zu stellen.
Die Geschichte jüdisch-palästinenser Solidarität ist vielseitig, sie ist geprägt vom Leid und Krieg und dem mutigen Einsatz dagegen, den Erfahrungen von Diskriminierung und dem gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Die Geschichten der Solidarität hören wir in Deutschland viel zu selten. Es wäre gut, wenn wir auch hier die Worte von Uri Weltmann, aus dem Vorstand von Standing Together, beherzigen würden: „Ein Großteil der öffentlichen Diskussion auf der ganzen Welt – auch in Deutschland – neigt dazu, eindimensional zu sein und alle Palästinenser in den besetzten Gebieten als Hamas und alle jüdischen Israelis als Netanjahu darzustellen. Aber unsere Gesellschaften sind nuancierter als das.“
Jules El Khatib ist deutscher und israelischer Staatsbürger, mit deutschen und palästinensischen Wurzeln, er arbeitet als Hochschuldozent und ist aktiv für Menschenrechte und Frieden. Der Artikel erschien zuerst in der Berliner Zeitung