Schwarzfahren entkriminalisieren und kostenlosen Nahverkehr einführen – Diese zwei „News“ geben Anlass, in diesem Jahr mehr linke Power in die Überwindung der Autokrise zu stecken. Eine Krise, die nicht nur die Dieselabgase betrifft, sondern die Verkehrsverhältnisse insgesamt. Die treiben den Klimawandel, schaden Gesundheit und Lebensqualität (vor allem die der Armen) und befeuern erbarmungslose globale Konkurrenz um Absatzmärkte und Ressourcen. Auswege aus der Autogesellschaft sind möglich. Im Zentrum stehen dabei die „Öffis“. Mit Bus und Bahn (und Fuß und Fahrrad) lässt sich Mobilität für alle mit deutlich weniger Verkehr bewerkstelligen.
Allerdings hat die herrschende Politik bis dato kaum eine Gelegenheit ausgelassen, die zerstörerischen Verkehrsverhältnisse zu zementieren. Was unter anderem zu einem nach wie vor steigenden CO2-Ausstoß im Verkehrssektor führt; und zu einigen höchst absurden Entwicklungen: ein davon ist die, dass die Neuzulassungen bei den besonders fetten Autos (SUV) auch im vergangenen Jahr wieder gestiegen ist (die meisten davon sind Dienstwagen).
„Schwarzfahren“: alle oder keiner
Wer ein solch schädliches Fahrzeug widerrechtlich im öffentlichen Raum abstellt (ohne Parkberechtigung), zahlt ein so kleines Bußgeld, dass das Parkhaus teurer käme. Auch bei Wiederholung und Gefährdung Dritter bleibt das eine Ordnungswidrigkeit. Wer dagegen „widerrechtlich“ (ohne Fahrschein) einen Platz in der U-Bahn einnimmt, muss ein saftiges „erhöhtes Beförderungsentgeld“ berappen und bei Wiederholung wird das Schwarzfahren zur Straftat – auch wenn die U-Bahn halb leer war und niemand einen Nachteil hatte. Alleine die Berliner Justiz hat mit 40 000 Schwarzfahrern pro Jahr zu tun, was zu einer unsinnigen Überlastung führt. In Hessen saßen im Jahr 2016 388 Menschen wegen Schwarzfahrens im Gefängnis. Denn wenn eine Geldstrafe nicht bezahlt wird (meist wegen Zahlungsunfähigkeit), wandelt sie die Justiz in eine Ersatzfreiheitsstrafe um. Sprich: Der Verurteilte muss seine Schuld absitzen. In der Regel bis zu 40 Tage. Dabei kostet ein Haftplatz richtig Geld – in Hessen zwischen 108 und 128 Euro am Tag.
Nun hat im Januar der Deutsche Richterbund die Politik aufgefordert, zu prüfen, ob Schwarzfahren nach wie vor als Straftat zu behandeln sei. Ja. Das geltende Recht ist nicht nur teuer, sondern auch zutiefst ungerecht: das Fahren ohne Ticket wird härter bestraft, als etwa Raserei auf der Autobahn, die Menschenleben gefährdet. Betroffen von dieser Kriminalisierung sind vor allem Leute mit (zu) wenig Geld, viele Wohnungslose und auch Geflüchtete. Für diese kann eine solche Vorstrafe gravierende Auswirkungen auf die Lebenschancen haben. Für die Linksfraktion ist längst klar: Schwarzfahren muss raus aus dem Strafgesetzbuch! Bis zur Abschaffung von Fahrkarten muss der Tatbestand aber zumindest zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden.
Die Linke will den Nulltarif für öffentlichen Nahverkehr – Fahren ohne Fahrschein für alle – als Offensive für eine sozialökologische Verkehrswende und für solidarische Mobilität. Dafür wurden wir belächelt oder beschimpf.
Nun aber überrascht die Bundesregierung am13.02.8 mit dem Vorschlag den Nulltarif in konkret benannten Städten einzuführen; dieser wird in einem Brief an die EU-Kommission u.a. unterbreitet, um eine drohende EU-Klage wegen der Nichteinhaltung der Stickoxid-Grenzwerte abzuwenden.
Eine populäre Perspektive mit links
Aber dann war es doch nichterst gemeint. Kein Anschluss unter dieser Nummer; kein Konzept, kein Plan, kein wirklicher Wille. Was bei dieser Regierung wiederum nicht überrascht. Dass aber auch die Grünen abwinken (und anscheinend voll auf Elektroautos abfahren, wenn sie nicht – wie Kretschmer auf Daimler und Diesel setzen), ist bemerkenswert, wie auch die Tatsache, dass sich in Hessen ausgerechnet der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir gegen die Einführung des Nulltarifs wehrt.
Ökologische (Verkehrs-)Politik geht nur mit links: wir begrüßen den Vorschlag der geschäftsführenden Regierung Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) einführen zu wollen, ohne wenn und aber….. Allerdings: diese Auswahl der Städte? Mannheim, Reutlingen, Herrenberg, Essen, Bonn – dreimal Baden-Württemberg und zweimal Nordrhein-Westfalen. Allein dies zeigt, dass hier mit heißer Nadel gestrickt wurde. Warum nicht beginnen mit der Hauptstadt Berlin? Das ist die Visitenkarte für unser Land. Und während in Reutlingen und Mannheim und Essen nur jeder dritte Haushalt kein Auto hat, gilt das in Berlin für die Hälfte aller Haushalte. Außerdem hat die Rot-Rot-Grüne Landesregierung dort verabredet, die ÖPNV-Tarife zu senken und alternative Finanzierungsmodelle zu testen. Was das vergleichsweise arme Estland schafft, muss das reiche Deutschland auch gestemmt kriegen. In der estnischen Hauptstadt Tallinn gibt es seit 2013 einen Nulltarif.
In Deutschland wollen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung einen kostenfreien ÖPNV. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage von infratest-dimap gaben 71 Prozent der Befragten an, dass sie den Nulltarif eher gut bis sehr gut finden.
Die Linke hat konkrete Vorschläge erarbeitet, wie diese gute Sache gemacht werden kann. . Unsere Broschüre „Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr – Eine offensive für sozialökologische Mobilität und Lebensqualität“ ist in der 2. Auflage kostenlos bei der Fraktion DIE LINKE im Bundestag erhältlich oder hier.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat Recht: Kommunen und deren ÖPNV-Verbünde, die mit einem solchen Nulltarif starten, müssen erhebliche Unterstützung bekommen. Ein Hauruck-Start kann scheitern, bzw. zu Chaos führen. Das würde dann als „Beweis“ dafür dienen, dass es nicht geht. Sicher ist mit Fahrgast-Zuwächsen von 25 bis 40% zu rechnen. Dafür muss kurzfristig Vorsorge getroffen werden. Außerdem müsse auch die Bedingungen für Fuß und Fahrrad spürbar verbessert werden, was den Ansturm auf den ÖPNV mildert.
Es geht um Verteilungsfragen
Aufmerksamkeit und Personal, Geld und Investitionen, Infrastruktur und Straßenraum müssen und können umverteilt werden – zum Nutzen der Allgemeinheit. Geld genug ist da. Allein die Subventionen des Diesels belaufen sich pro Jahr auf fast 8 Milliarden Euro. Die Steuervorteile für Dienstwagen liegen in der Summe bei über 4 Milliarden Euro jährlich und kommen in der Regel Gutverdienenden zu Gute. Dazu kommen die völlig ungerechtfertigten neuen Subventionen für Elektro-Pkws, die Autokonzerne zufließen, die in ihren Profiten fast ertränkt werden. Diese Gelder müssen umgelenkt werden – zu den Nulltarif-Städten.
Perspektivisch sollen das alle sein. Und auch das ist finanzierbar: Der Kasseler Verkehrswissenschaftler Carsten Sommer hat jüngst eine Studie veröffentlicht, die aufklärt.
Der Autoverkehr ist für die Kommunen dreimal so teuer wie Bus und Bahn! Da gilt es also zu sparen – und zwar sofort: keine Mittel und Planungen für weitere Autostraßen, Parkplätze, Parkhäuser. Nulltarif und umweltgerechte Fortbewegungsmittel müssen das Auto verdrängen!
Ran an die Buletten in allen Städten
Anlässe und Gründe genug, überall in den Parlamenten Anträge zu stellen, Diskussionen zu erzwingen und die herrschende Verkehrspolitik in Frage zu stellen. Genauso wichtig sind jetzt Ratschläge, Infoveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit, damit sich aus dem mehrheitlichen Wollen politischer Druck entfaltet. Für Nulltarif und Verkehrswende sollte es in den nächsten Monaten vielfältige Aktionen geben. Vielleicht auch Aktionsschwarzfahren, bei dem Menschen mit Hinweisschild und Flugblättern fahrscheinlos in Bussen und Bahnen unterwegs sind, um für den Nulltarif zu werben. Ein tolles Beispiel und einiges mehr von der Aktionswerkstatt Saaßen ist hier zu finden.
Am Samstag, 2. Juni ist in Kassel ein Bundesweiter Ratschlag „Die Zeit ist reif – für kostenlosen Nahverkehr“ geplant. Hier wollen sich verschiedene Initiativen aus der Bundesrepublik austauschen und vernetzen, um der aktuellen Debatte zu einem tatsächlichen Durchbruch zu verhelfen. Glück auf!