EP-Cover - Download-Link: https://lea-won.bandcamp.com/album/ausb-rgerungsanthrax-2006-2019

Ausbürgerungsantrag – im Gespräch mit Lea-Won

Vor kurzer Zeit wurde der Fall eines bayrischen Lehrers bekannt, der wegen eines Songs aus dem Schuldienst gedrängt wurde. Wir haben mit Lea-Won über seine Erfahrungen gesprochen, warum es Widerstand braucht und was er aus dem Fall gelernt und wie er es in seiner neuen EP aufgearbeitet hat.

Die Freiheitsliebe: Du wolltest in Bayern als Lehrer arbeiten, nun soll dir dies untersagt werden, wieso?

Lea-Won: Es soll mir indirekt untersagt werden, indem Vorgesetzte (eine bis drei HierarchieEbenen über mir) meinten, ich müsse ein konkretes Lied löschen (lassen), was im Internet noch verfügbar war (und 13 Jahre zuvor entstanden war), und ich solle selbstständig „unverzüglich“ jegliche Inhalte (aus dem Internet bzw. der Öffentlichkeit) löschen (und demnach auch solche nicht mehr veröffentlichen), „die in irgendeiner Weise staatskritische Haltungen zum Ausdruck bringen“, wenn ich weiterhin an staatlichen Schulen als „Lehramtsanwärter“ (und damit als bayrischer Beamter) unterrichten wollen würde

Die Freiheitsliebe: Was genau soll an dem Song „Ausbürgerungsantrag“ verfassungsfeindlich sein?

Lea-Won: Das muss man diejenigen fragen, die das Lied und den dazugehörigen Text dementsprechend interpretiert / ausgelegt / verstanden haben. Ich weiß es nicht, ich kann nur mutmaßen. Die Aussagen meines direkten Vorgesetzten dazu klangen so, als läge das auf der Hand, dass das entweder so ist, was die mir unterstellte Gesinnung/Haltung angeht, oder dass das dementsprechend zu Problemen führen könnte, wenn Menschen weiterhin über Umwege auf dieses Lied stoßen können. Laut Schreiben der Regierung wären da eben „einzelne Textpassagen aus verfassungs- und beamtenrechtlicher Sicht äußerst fragwürdig“. Dass ich nicht nur im Jahre 2006 kritisch und links unterwegs war und die letzten 20 Jahren sicher eine Menge gerappt habe, war mir selbst klar. Jedoch ist eben die Frage, in welchem Kontext welche meiner Inhalte so gesehen werden, dass sie dieser Interpretation nach eine „Feindschaft“ gegenüber der bayrischen und/oder deutschen Verfassung darstellen würden – so wie es auch mein direkter Vorgesetzter mir gegenüber äußerte, dass das so gesehen werden könnte und deshalb so ein Text, selbst wenn das irgendwie vielleicht etwas mit Kunst und Kontext zu tun hätte, nicht klargehen würde – egal wie lange die Entstehung von Text und Lied her sei. Sowas müsse aus der Öffentlichkeit verschwinden, und selbstverständlich stünde ich wegen solcher Äußerungen auch unter verschärfter Beobachtung und müsse – mehr als andere – beweisen, inwieweit mir im Staatsdienst zu vertrauen wäre. Aus der Sichtweise eines Politikwissenschaftlers ist mir auch klar, dass die Frage („Was ist schon verfassungsfeindlich? Was ist zu verfassungsfeindlich?“) das Ergebnis eines diskursiven Aushandlungsprozesses ist. Mal ganz unabhängig davon, was sich auch bei mir im Zeitraum von 13 Jahren inhaltlich vielleicht getan oder ausdifferenziert hat an Blickwinkeln, meine ich damit: Sprache ist abhängig von Zeit, Raum, Kontext und nicht zuletzt der Interpretation der Person, die mit der sprachlichen Äußerung einer anderen Person konfrontiert wird. Das, was in der einen gesellschaftlichen Situation als verfassungsfeindlich ausgelegt wird, ist es in der nächsten Situation, je nach sonstiger gegenwärtiger gesellschaftlicher Stimmung oder danach, wer wie darüber empfindet, eben nicht. Und auch das Grundgesetz, mitsamt der Verfassung, steht nicht in Stein gemeißelt, sondern ist ja ebenfalls nach gängigen und geltenden demokratischen Prozessen (eben über Parlamente, und damit indirekt durch den Willen der Wahlberechtigten Bevölkerung) veränderbar. Mal abgesehen davon, dass das Grundgesetz und Gesetzesauslegungen allgemein immer und ständig Material der Auseinandersetzung sind, und Gerichte (im Rahmen der Gewaltenteilung) darüber entscheiden, wie dann in Streitfällen zu urteilen ist.

Zuletzt weiß ich auch nicht, ob sie diejenigen, die das so sehen, dahingehend nur auf den Text von „Ausbürgerungsantrag“ beziehen, oder diejenigen eben diesen Text als das Beispiel benutzt haben, weil er in ihren Augen die drastischsten Einzel-Zitate beinhaltet. Diese Einzel-Zitate können dann recht einfach benutzt werden, um – vom Kontext losgelöst – mal recht simpel so interpretiert zu werden, wie es manchen Mächtigen dann eben in ihren Umgang mit kritischer Kunst und Meinungsäußerung passt oder wie sie es befürchten, dass diese Zitate gemeint sein können oder was diese Zitate bei anderen hervorrufen könnten.

Die Freiheitsliebe: Dir wurde angeboten den Song zu löschen, damit du arbeiten kannst, warum bist du dem nicht nachgekommen?

Lea-Won: Zuerst hab ich nachgedacht, mir das alte Lied nochmal selbst angehört, dazu eine Textinterpretation recorded (diese aber nicht veröffentlicht). Dann habe ich mich mit Anwältin/Anwalt telefonisch beraten, und dann wurde klar, dass ich wohl nicht viel Chancen hätte, da dagegen vorzugehen, bzw. das wohl zu Folgeproblemen führen würde. Deshalb habe ich dann diejenigen, die das Lied noch bei YouTube geuploaded hatten, per Kommentar unter den „Videos“ darum gebeten, das zu löschen („weil es bei mir im beruflichen Umfeld zu Missverständnissen und Misstrauen mir gegenüber sorgt“). Die YouTube-Links waren dann gelöscht. Später stapelten sich einige Ereignisse, in Kontakt und Auseinandersetzung mit meinen Vorgesetzten auf eine Art und Weise hoch, die mich in meinen Zweifeln bestätigten, ob ich das, was im staatlichen Dienstverhältnis von mir erwartet wurde, weiterhin mitmachen wollen würde. Das betraf mich nicht nur bezüglich meiner Rap-Kunst und sonstigen zivilgesellschaftlichen Engagements (also öffentliche Äußerungen, seien es im Radio oder im Internet, via Social Media), sondern auch das, was von mir und uns als Lehrkräften allgemein erwartet wird, auch hinsichtlich Unterricht und pädagogisch als sinnvoll betrachteten Vorstellungen und Abläufen, die so an bayrischen Regelschulen existieren (und eben von Vorgesetzten und denjenigen, die schon länger im Dienst sind, mehr Macht und mehr das Sagen haben, erwartet werden; vor allem gegenüber jüngeren Kolleg*innen oder denen, die – wie ich – noch halb in der Ausbildung, eben im Vorbereitungsdienst auf die Beamtenlaufbahn, stehen).

Die Freiheitsliebe: Der Song selbst behandelt die Ungleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten, hat sich seit der Aufnahme etwas verändert an der Situation?

Lea-Won: Seit ich den polemischen „Ausbürgerungsantrag“ geschrieben hatte, ist viel passiert. So richtig etwas verbessert, in dem Sinne, dass ich denken würde, dass das Lied heute überhaupt nicht mehr nötig wäre und die darin enthaltene Kritik am Rechtspopulismus überholt wäre, hat sich eigentlich nicht. Das ist seit 2006 im Zuge von Sarrazin, Seehofer, Trump und weiteren ja eigentlich noch schwerwiegender geworden. Einzelne Politiker/innen der CDU/CSU versuchen es immer noch und immer wieder, die Abfrage einer „Leitkultur“ oder sogar den Schwur, sich an solch eine zu halten, mit hineinzubauen in die gesetzlichen Bestimmungen, mit denen Menschen konfrontiert bis drangsaliert werden, die hier heimisch werden wollen oder auch einfach die gleichen Privilegien genießen wollen, die die Alt-Eingesessenen, PassBesitzenden hier schon haben (von den materiellen Möglichkeiten, die so etwas für Menschen bedeutet bis hin zu demokratischer Teilhabe, die erst mit deutscher Staatsangehörigkeit so richtig garantiert ist, usw.).

Erst im Dezember 2019, vor wenigen Wochen, wurde da ein weiterer Vorstoß aus Teilen der Politik von einem Gericht zurückgedrängt und gestoppt. Dadurch wird dann auch deutlich: Selbst die etablierten Instanzen und Autoritäten sind sich uneins darüber, was da an Erwartungen und Forderungen zulässig ist und was da am Taktieren um Stimmen von Wählenden zulässig ist, indem Politiker/innen sich eben mit so einem medial verbreiteten Generalverdacht gegenüber Ausländern und Ausländerinnen populistisch selbst inszenieren und es den ignoranten, rückschrittlichen bis rassistischen Teilen der deutschen Bevölkerung recht bis rechts machen wollen. Damit meine ich: Das bin ja nicht nur ich, dem da etwas aus einem kritischen Blickwinkel aufgefallen ist, sondern das ist auch in Gesellschaft und Politik allgemein umstritten und sollte in einer pluralistischen Demokratie, als die sich Deutschland sieht und beschreibt, auch das Mindeste sein. Deswegen, und weil mich die Obrigkeiten quasi mit ihrem Löschauftrag und Maulkorbverteilung dazu provozierten, hab ich den alten Text auch noch einmal erneut aufgenommen.

Da erschien Ende Januar eine Remix-EP, die verschiedene Versionen auf verschiedene Beats enthält, wobei mich solidarische Produzenten mit ihren Beats unterstützten. Zusätzlich dazu gibt es dann ein neues Lied, den „Entlassungsantrag“, der sozusagen ein Update vom „Ausbürgerungsantrag“ darstellt, bzw. genau diese Auseinandersetzungen künstlerisch aufarbeitet, die das (seit September konkreter, davor undurchsichtiger und subtiler) für mich mit sich brachte. Die EP wird Ende Januar über meine Social Media Kanäle (z.B. Leawon1984) in Umlauf gebracht werden und auch über Streaming-Plattformen (wie Bandcamp, aber auch Spoti und co.) erscheinen.

Die Freiheitsliebe: Nun sollte man meinen angesichts der sich häufenden rassistischen Übergriffe gibt es für die Regierung wichtigeres als einen kritischen Song, warum akzeptiert sie diese Kritik nicht?

Lea-Won: Es ist in solchen hierarchischen, bürokratischen Organisationsstrukturen, wie es eben auch die „Regierung Oberbayern“ ist, schwierig, genau den Überblick zu erlangen, welcher Mensch an welcher Stelle etwas entschieden hat, oder wie es zu einzelnen Anordnungen (wie eben gegenüber mir, die Löschung des Liedes zu veranlassen und es zu unterlassen, weiterhin irgendwelche „Inhalte“ zu veröffentlichen, „die in irgendeiner Weise staatskritische Haltungen zum Ausdruck bringen“) kommt. Ich kann mir da unterschiedliche Faktoren und Motivationslagen vorstellen, die sich zdann wohl in Behörden, Ämtern und Ministerien zusammenfügen, teils überschneiden, und bei dem einen oder der anderen derjenigen, die so eine Anordnung mit gegenüber dann veranlassen und für nötig erachten, eine Rolle spielen. Am liebsten würde ich mich da natürlich, am besten öffentlich im Sinne einer demokratisch-transparenten und auf Dialog und den offenen Diskurs setzenden Debatte mit denen hinsitzen, die das so für nötig erachteten. Ich weiß auch, dass das kaum passieren wird. Das ist so, wie wenn eine Untergrund-Rapperin einen berühmten Star kritisiert, frontet und bloßzustellen versucht.

Der Star (in meinem Fall die Regierung Oberbayern und diejenigen dahinter, die das so entscheiden wollten) sitzt am längeren Hebel der Macht, hat Reichweite, aber deshalb – im Sitz der Macht – auch keine Notwendigkeit, sich auf die Kritik eines Machtloseren einzulassen, oder dieser Kritik öffentlich (für andere sichtbar) zu entgegnen. Darin besteht ja gerade auch Macht und Autorität, diese Position auszuspielen und an dieser Macht festzuhalten. Würde sich da jemand auf eine öffentliche Debatte (über den speziellen Text, oder allgemeiner den Umgang mit Kritik, Kunst und Lehraufträgen) einlassen, würde genau diese Obrigkeit, die hergestellte Macht, die auch im ideologischen Sinne immer wieder auf Reproduktion der Inszenierung ihrer selbst angewiesen ist, schon an Macht verlieren. Nach dieser Logik ist es für die Obrigkeit am sinnvollsten, gar nicht mehr darauf einzugehen, und ihr Vorgehen überhaupt nicht mehr inhaltlich zu begründen; denn das sähe wie eine Rechtfertigung aus und wie ein erneutes Anerkennen der Macht, oder sogar der gefühlten „Gefahr“, die anscheinend von diesem Rap-Text meinerseits ausging. Danke für das anhand der Fragen deutlich gewordene Interesse und für die Unterstützung in Hinsicht des gemeinsamen Aufwerfens unbequemer und kritischer Fragestellungen in Richtung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.


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