Eine kursorische Begriffsgeschichte von „N-Wörtern“ aus interkontinentaler Perspektive

Ein nicht unwesentlicher Teil der historischen Forschungsliteratur legt nahe, dass das portugiesisch-spanische Wort N.5, aus dem sich auch die französischen und englischen Wörter N.2/3/4 ableiten, zunächst allesamt deskriptiver Natur waren und auf eine dunkle Hautfarbe verwiesen. Sie konnten z.B. auch indigene Amerikaner:innen oder Süd- und Ostasiat:innen mit einschließen.[1] (der erste Teil des Beitrags von Kaveh Yazdani und Sina Delfs findet sich hier)

Dennoch herrscht darüber in der Forschungsliteratur bisher keine Einigkeit, da eine systematische Untersuchung dazu noch aussteht. Obwohl die Klassifizierung unterschiedlicher Menschengruppen anhand phänotypischer Merkmale essentialisierende Tendenzen aufweist und der Binarität von Schwarz und Weiß Vorschub leistet, blieb der Gebrauch der „N-Wörter“ in den genannten Sprachen für längere Zeit ambivalent.

Erst im Zuge des 17. und besonders des 18. und 19. Jahrhunderts wurden die „N-Wörter“ parallel zum Aufstieg des transatlantischen Sklavenhandels immer mehr vereindeutigt und deutlich abwertender. Dieser Handel mit Versklavten erreichte erst zwischen der Mitte des 18. und dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Entsprechend erreichte auch die Zwangsarbeit von versklavten Schwarzen auf den karibischen und amerikanischen Plantagenwirtschaften erst im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – infolge der steigenden Nachfrage nach Kolonialwaren und den epochalen Industrialisierungsprozessen jener Zeit – ihren absoluten Gipfelpunkt. Dies hat die Betroffenen allerdings nicht davon abgehalten, ambivalente oder negativ konnotierte Fremd- in neutral oder positiv assoziierte Selbstbezeichnungen umzuwandeln. Die lange Zeit fortbestehende Mehrdeutigkeit von „N-Wörtern“ ist vielleicht nicht allzu überraschend, wenn wir uns zudem vor Augen führen, dass das subsaharische Afrika (mit Ausnahme Südafrikas) erst in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kolonialisiert wurde. Die Europäer:innen waren vorher genötigt, auf Augenhöhe mit afrikanischen Zwischenhändler:innen und Machthaber:innen zu verhandeln. Dies gilt auch für den Kauf von etwa 12.5 Millionen Versklavten, was ohne afrikanische Anbieter:innen in diesem Ausmaß kaum möglich gewesen wäre. Denn die europäischen Mächte und Händler waren vor dem 19. Jahrhundert weder gewillt noch dazu in der Lage, großflächige afrikanische Regionen zu unterwerfen. Sie waren auf afrikanische Eliten, Handelstreibende und Mittelsleute angewiesen, die sich ebenso an den Versklavungspraktiken bereicherten.

Auch der wissenschaftlich begründete Rassismus und die damit einhergehende geistige, moralische und (proto-)biologistische Herabsetzung von Schwarzen nahm erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts merklich zu, bis der Rassismus dann im 19. Jahrhundert erstmals zu einer nahezu allgegenwärtigen und hegemonialen Ideologie des Westens wurde. Dennoch wurden „N-Wörter“ bereits frühzeitig, v.a. aber seit dem späten 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts von politisch aktiven Schwarzen angenommen. Dies spiegelt z.B. die 1911 von organisierten Schwarzen in Lissabon gegründete Vereinigung afrodiasporischer Studierender (Associação dos Estudantes Negros) wider, welche die Zeitschrift O Negro: Órgão dos Estudantes Africanos de Lisboa publizierte.[2]

In den USA sind der antischwarze Rassismus und die abwertenden Konnotationen und Assoziationen, welche der Ausdruck N.2 hervorruft, viel gravierender als bei dem im deutschsprachigen Raum verwendeten Wort N.1 , da die meisten Afroamerikaner:innen direkte Nachfahren von Versklavten und daher von (Re-)Traumatisierungserfahrungen betroffen sein können. Dennoch gibt es unter afroamerikanischen Schwarzen – im Gegensatz zu ihren afrodeutschen Pendants – eine größere Diversität im Umgang und Gebrauch mit den hier behandelten Wörtern und Begriffen. Die häufig behauptete Einigkeit, dass alle Schwarzen die Wiedergabe von „N-Wörtern“ grundsätzlich ablehnen würden, ist falsch und essentialisierend – auch wenn Teile der rassismussensiblen Positionierungen das immer wieder nahelegen. Sie homogenisiert dadurch eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Ansichten. Einer der führenden afroamerikanischen Intellektuellen, der linke Professor, Philosoph, langjährige politische Aktivist und Präsidentschaftskandidat bei den US-Wahlen 2024 Cornel West, verwendet beispielsweise Ausdrücke, die heute in manchen Kreisen per se als rassistisch charakterisiert werden (z.B. „niggerized“). Dennoch spielt West eine bedeutende Rolle in der antirassistischen Bewegung. Auch die immer wieder kontrovers diskutierte Position des liberalen afroamerikanischen Juristen und Professors an der Harvard Law School, Randall Kennedy, der für ein uneingeschränktes Aussprechen der betreffenden Wörter ist, verdeutlicht, dass es auch bei den zu dieser Thematik Forschenden keinen Konsens darüber gibt. Ein weiterer einflussreicher Autor, der kamerunische Intellektuelle und Professor, Achille Mbembe gebraucht bewusst das französische Wort N.3, um den Rassismus unverblümt darzustellen und zu dekonstruieren. 

Ein kursorischer Überblick über einige soziale Bewegungen und Organisationen in den Amerikas und Teilen Afrikas ist besonders aufschlussreich. In manchen karibischen und lateinamerikanischen Ländern war der Ausdruck N.5 zu gewissen Zeiten anscheinend negativ assoziiert und infolgedessen verbreiteten sich andere Selbstbezeichnungen (z.B. „persona de color“ und „sociedad de color“ im späten 19. Jahrhundert). Auch in Haiti wurde nach der ersten und einzigen erfolgreichen Revolution von Versklavten in einer europäischen Kolonie in der Verfassung von 1805 festgelegt, dass fortan alle Staatsangehörigen der neuen Republik als Schwarze/r („noir“) bezeichnet werden sollten. Dies legt nah, dass sich die haitianischen Revolutionäre bewusst gegen den Gebrauch des Ausdrucks N.3 in der Verfassung entschieden.[3] Gleichzeitig ist das französisch-basierte kreolische Wort „nèg/négès“ (Apokope für N.3) in Haiti (wie auch in St. Lucia, Dominica oder Louisiana) bis heute ein generischer Ausdruck für eine haitianische Person gleich welcher Hautfarbe.

In den 1920er und 1930er Jahren eigneten sich politisch aktive Afrolatinos/Afrolatinas das Wort N.5 wieder verstärkt an und es entstanden Organisationen und Parteien wie Frente Negra Brasileira (1931) und Teatro Experimental do Negro (1944) in Brasilien oder die Partido Autóctono Negro in Uruguay (1936–1944). In den meisten lateinamerikanischen Ländern, wie u.a. Brasilien und Kuba, ist der Ausdruck N.5 heute noch gängig. In Brasilien startete die größte Black-Power-Bewegung Moviemento Negro Unificado, 1978 gegründet, in den 1980er und 1990er Jahren Kampagnen, die an die Bevölkerung appellierten, sich bei der Volkszählung als N.5 zu bezeichnen (anstatt „moreno/a”, „mulato/a” usw.).[4] Während in Kuba das Wort N.5 noch immer dominant ist und in letzter Zeit auch von etlichen afro-lateinamerikanischen Aktivist:innen, z.B. in Argentinien, positiv umgedeutet wurde, wird in Brasilien, besonders in nichtakademischen Milieus auch der Ausdruck „preto/a” („schwarz“) als Selbstbezeichnung bevorzugt. In anderen Regionen Lateinamerikas, wie z.B. in Kolumbien, benutzen Medien, Akademiker:innen und Aktivist:innen zunehmend das Präfix „afro“ (z.B. „afrocolombiano/a“ oder „afrolatino/a“), gelegentlich auch „moreno/a“ („dunkelhäutig“) und gebrauchen auch vermehrt die Selbstbezeichnungen „afrodescendiente“.[5]

In den USA wiederum war die Bewegung New Negro Movement (heute als Harlem Renaissance bekannt) eine einflussreiche intellektuelle, kulturelle und sozio-politische Bewegung der 1920er und 1930er Jahre.[6] Darüber hinaus ist noch heute der 1944 gegründete United Negro College Fund (UNCF) eine aktive gemeinnützige Organisation, die Stipendien für afroamerikanische Studierende und allgemeine Stipendien für Hunderte von Colleges und Hochschulen, darunter 37 Historisch Schwarze Colleges und Hochschulen (HBCU) finanziert. 2008 wurde das Logo ausgetauscht und seitdem sind nur noch die Initialen zu sehen, um teilweise der neuen Sensibilitäten auch gegenüber dem Ausdruck N.4 entgegenzukommen. Trotzdem hat der UNCF seinen Namen bis dato nicht geändert.

Auch in vielen afrikanischen Staaten haftet den Wörtern N.3/4/5 i.d.R. keine pejorative Bedeutung an, obwohl einige Akademiker:innen und Aktivist:innen (z.B. in Nigeria) in den letzten Jahren durch afrodiasporische Communitys zunehmend dafür sensibilisiert worden sind. Noch 2010 wurde in Dakar, Senegal, das dritte weltweite Kunstfestival unter dem Titel Festival Mondial des Arts Nègres veranstaltet. Interessanterweise beschränkt Artikel 27 (b) der Verfassung Liberias von 1986 die Staatsbürger:innenschaft ihrer Einwohner:innen auf Schwarze (im Original als „negro or of a negro descent“ bezeichnet). 

Die Entwicklung und Problematisierung des Wortes N.1 in Deutschland

Für den deutschen Kontext scheint es bis Mitte des 20. Jahrhunderts keine öffentliche Kritik an den in Deutschland verwendeten Fremdbezeichnungen für Schwarze gegeben zu haben. Angesichts der starken Diskriminierung und eines immer unverhohleneren Rassismus gegenüber Schwarzen wurde 1929 ein Verein unter dem Namen Liga zur Verteidigung der Negerrasse e.V. (LzVN) in Berlin gegründet. Das Negerbüro in Hamburg wurde zur zentralen Anlaufstelle für die Begegnung und Aktivitäten von Schwarzen in Deutschland. 1930 wurde dort von der Kommunistischen Internationale (Komintern) die erste Internationale Konferenz der Negerarbeiter illegal abgehalten. Sie stellt zusammen mit dem hierbei ins Leben gerufenen Internationalen Gewerkschaftskomitee der Negerarbeiter und der bis 1933 herausgegebenen Zeitschrift The Negro Worker den Höhepunkt der gemeinschaftlichen Aktivitäten Schwarzer in Deutschland dar. Warum benutzten also sowohl politisch linksradikal organisierte als auch eher konservative Schwarze in den 1920er und frühen 1930er Jahren den Ausdruck N.1 als Selbstbezeichnung, obwohl auch damals schon die (Selbst)Bezeichnung „Schwarze/r“ in Deutschland verwendet wurde?[7] Dies scheint eine weitere noch offene Forschungsfrage zu sein. Allerdings ist es naheliegend, dass dies auch mit dem damals blühenden Internationalismus von afrodiasporischen Aktivist:innen und der vorherrschenden Nomenklatur der Komintern zusammenhing.[8] Bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert wurden in den USA liberale, schwarz-nationalistische, pan-afrikanische oder kommunistische Organisationen gegründet.[9] Kurz darauf wurden in Paris das Comité de défense de la race nègre (1926) und die Ligue de Défense de la Race Nègre (1927) ins Leben gerufen, die als Vorbilder für die deutsche Sektion dienten.[10] Auch in London wurde die Negro Welfare Association (1931) geschaffen, die u.a. von Schwarzen aus der Karibik und Westafrika mit aufgebaut wurde. Die Wörter N.3/4 waren also damals im Englischen und Französischen eine allgemein übliche Selbstbezeichnung organisierter Schwarzer. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Schwarze in Deutschland einen verwandten Ausdruck wählten.

An dieser Stelle sei ein Zitat aus einem semi-autobiographischen Buch von Dualla Misipo angeführt, der 1913 aus der damaligen deutschen Kolonie Kamerun nach Deutschland immigrierte, eine Familie gründete und 1937 vor der NS-Diktatur nach Frankreich floh: „Ich habe festgestellt, dass ‚Neger‘ in Europa eine Formel, aber kein menschliches Wesen darstellt.“ Da wir nicht wissen, wann Misipo diese Aussage verfasste – sein Manuskript ist zwischen den 1920er und 1960er Jahren entstanden und erstmals 1973 publiziert worden – ist eine zeitliche Einordnung derzeit nicht möglich. Wir verstehen seine Ausführungen weniger als Problematisierung des Wortes N.1, sondern vielmehr als Veranschaulichung des Rassismus, den Schwarze in Deutschland, Frankreich und anderen Teilen Europas jener Zeit erlebten. Gleichzeitig scheint er sich von der Bezeichnung N.1 bewusst distanziert zu haben, da er ihn konsequent in Anführungszeichen setzte. Damit nahm er zum Teil die Kritik am Wort N.1 vorweg. Im breiteren deutschen Kontext fand die Problematisierung des Ausdrucks N.1 ab den späten 1960er und besonders im Zuge der 1970er Jahre statt. Dies war die Folge von Entwicklungen, die bereits vorher in Teilen der englischsprachigen und frankophonen Welt begonnen hatten. Seit den 1980er und 1990er Jahren setzte sich in den Wörterbuchredaktionen zunehmend die Auffassung durch, dass der Ausdruck N.1 als Fremdbezeichnung zu vermeiden sei. Parallel dazu setzte sich unter dem Einfluss der Afroamerikanerin Audre Lorde bei vielen Schwarzen jener Zeit die Selbstbezeichnung „Afrodeutsche/r“ durch.[11] Jedenfalls dauerte es Jahrzehnte, bis sich die Bewertung des Wortes N.1 von einer „damit oft verbundenen abwertenden Bed.“ (Duden-Lexikon 1984) über „gilt inzwischen als stark diskriminierend“ (Duden: Deutsches Universalwörterbuch 2006) zu „stark diskriminierende Bezeichnung“ (Universalwörterbuch und Duden: Onlineausgabe 2019) wandelte. 

Diese Beispiele zeigen, dass eine diachrone Perspektive, welche die zeitlichen Veränderungen der Sprache analysiert, einen tieferen Erkenntnisgewinn hervorbringt als der Glaube an vermeintlich wesensimmanente Bedeutungen, Konnotationen und Assoziationen von Wörtern. Sie illustrieren darüber hinaus die synchrone Koexistenz unterschiedlicher Bedeutungsebenen bzw. die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit verwandter einzelsprachlicher Wörter, die je nach Zeit, Raum und Kontext zu geachteten oder vermiedenen oder geächteten übereinzelsprachlichen Begriffen wurden und werden. Beispiele dafür finden sich z.B. in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Wörter N.1/3/4/5 zu den weltweit dominanten Selbstbezeichnungen von politisch organisierten Schwarzen avancierten. Oder auch der Ausdruck „Schwarze/r“ („Black“ oder „Noir“), der zunehmend zur führenden globalen Selbstbezeichnung vieler afrodiasporischer Communitys der letzten 50 Jahre geworden ist. Diese Prozesse veranschaulichen die dynamischen Transformationen, denen Selbstbezeichnungen als Bestandteile kultureller Identitäten unterliegen, und sie deuten an, dass sie auch künftig in Bewegung bleiben werden.

Die Betroffenenperspektive

Wir möchten erneut betonen, dass wir es für notwendig erachten, Wörter und Begriffe vor dem Hintergrund ihres zeitlich und räumlich bedingten Bedeutungswandels zu historisieren und zu kontextualisieren. Sie verlieren u.a. durch die veränderte Empfindung und Verwendungsweise der Mehrheit der Betroffenen ihre Ambivalenz. Wenn z.B. Schwarze selbst bestimmte Ausdrücke als (Selbst-)Bezeichnung ablehnen, verlieren diese auch ihre Akzeptabilität als Fremdbezeichnung. Ambivalenzverlust bzw. Vereindeutigung tritt auch ein, wenn allgemeingesellschaftliche Einigkeit darüber entsteht, dass z.B. gewisse Ausdrücke wie die „N-Wörter“ rassistisch anmuten. Ihre Benutzung als Fremdbezeichnungen wird also gerade dann inakzeptabel, wenn sich ein gesellschaftlicher Konsens herausbildet. Diese Überlegung erhellt auch, wieso der an einer heute als rassistisch bewerteten Vokabel festgemachte Vorwurf des Rassismus sich nicht ohne weiteres auf die Vergangenheit zurückprojizieren lässt, in der ein solches allgemeingesellschaftliches sprachliches Bewusstsein nicht gegeben war.

Inakzeptabel wird der heutige Gebrauch von „N-Wörtern“ unserer Meinung nach besonders dann, wenn sie nicht nur reproduziert werden, sondern abwertend benutzt oder als Fremdbezeichnung auf Schwarze angewendet werden. Wenn jemand solche Wörter nicht in diesem Sinne gebraucht und dennoch ausgeschlossen, „gecancelt“ oder marginalisiert wird, mag dies auf die Zustimmung einiger von diesen Sprachhandlungen betroffener Personen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen stoßen. Es schafft aber zugleich auch ein bevormundendes, unfreies und polarisierendes Klima, ohne dabei die immer noch vorherrschenden rassistischen Diskurse, Ressentiments und Strukturen anzuvisieren, erst recht nicht sie an ihrer Wurzel anzupacken. Ganz im Gegenteil finden wir: Eine solche Praxis, die „politisch unkorrekt“ gebrandmarkte Personen ausschließt, spaltet und schwächt eine auf Emanzipation ausgerichtete antirassistische Bewegung. Potentielle Verbündete werden dadurch geradezu geächtet, was wiederum zu einer Stärkung der politischen Rechten beitragen kann. Dass in den letzten beiden Jahrzehnten trotz zunehmender Rassismussensibilität sowohl der Rechtsextremismus als auch eine immer stärker zutage tretende rassistische Stimmung und Politik im Aufwind waren, spricht nicht gerade dafür, dass sprachliche Sensibilisierungsprozesse allein dem Rassismus den Wind aus den Segeln nehmen. Im Gegenteil, nicht wenige Menschen nehmen sie keineswegs als Sensibilisierungsprozesse wahr, sondern als Gängelung und aufgezwungene Tabuisierung – und das nutzen Rechte nicht selten für ihre Propaganda.

Ein Beitrag von

Kaveh Yazdani ist Sozial- und Wirtschaftshistoriker sowie Assistant Professor am Geschichtsinstitut der University of Connecticut. Zu seinen Publikationen zählen u.a. die Mitherausgeberschaft der beiden Sammelbände Capitalisms of the “Global South”,Historia Crítica 89 (2023) und Capitalisms: Towards a Global History, Oxford University Press: Delhi 2020 sowie die Monographie India, Modernity, and the Great Divergence: Mysore and Gujarat (17th to 19th Century), Leiden/Boston: Brill 2017.

Sina Delfs ist eine afrodeutsche Aktivistin. Seit mehreren Jahren forscht und arbeitet sie sowohl zur Geschichte Afrodeutscher als auch zu Schwarzen in der deutschsprachigen Literatur zwischen dem 17. und frühen 20. Jahrhundert.


[1] Eine detaillierte Begriffsgeschichte des deutschen Wortes N.1 liegt bisher noch nicht vor.

[2] In ihrer ersten Ausgabe heißt es: „Wir wollen nicht mehr betrogen sein, sind es leid, weiter zu zahlen, sind die Bevormundung, Retter und Herren leid, und was wir anstreben, ist, unsere eigenen Ideen zu entwickeln und uns aus jeder Form von Tyrannei und Ausbeutung zu befreien, die uns versklavt und uns jeder Kraft der Gedanken und aller Äußerungen des gesellschaftlichen Lebens beraubt haben.“ (O Negro, Nr. 1. Lissabon, 09.03.1911, S. 1).

[3] Während Weißen nach der Haitianischen Revolution das Recht entzogen wurde, in Haiti Land zu erwerben, gestand die Verfassung Deutschen und Pol:innen dieses Recht zu, nachdem sich Hunderte der dort stationierten deutschen und polnischen Soldaten den haitianischen Revolutionären angeschlossen hatten. Insofern galten auch diese Staatsbürger:innen von nun an als „Schwarze“. Dies war wohl das erste Mal, dass ein Staat, der von Schwarzen regiert wurde, den Ausdruck „Schwarze/r“ nicht als eine exklusive phänotypische, ethnische oder „rassische“, sondern als eine inklusive sozio-politische Kategorie definierte und einführte.

[4] Sie druckten T-Shirts mit der Aufschrift „100% Negro”. Seit den 1970ern waren auch andere afrobrasilianische Gruppen und Organisationen aktiv wie Instituto de Pesquisa de Cultura Negra (1975), Agentes do Pastoral Negro (1983), União de Negros pela Igualdade (1988), Coordenação Nacional de Entidades Negras (1991), Grupo de Trabalho Interministerial para a Valorização da População Negra (1995) und Coletivo de Entidades Negras (2003). Bis vor kurzem war in Brasilien also der Ausdruck N.5 auch die führende politische Kategorie, um das politische Bewusstsein diskriminierter nichtweißer Gruppen zu unterstreichen.

[5] U.a. war dies sowohl dem Einfluss der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung als auch der 3. Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban (2001) geschuldet, im Zuge dessen diese Ausdrücke vermehrt popularisiert wurden.

[6] Bereits 1911 wurde die Negro Society for Historical Research gegründet. The National Negro Congress (NNC) setzte sich zwischen 1936 bis ca. 1946 für die Rechte von Afroamerikaner:innen ein. Die Zeitschrift Negro Digest (1942) wurde im Jahre 1970 und die Association for the Study of Negro Life and History (1915) erst 1973 umbenannt. Auch das 1916 gegründete Journal of Negro History erschien bis 2001 während das 1932 gegründete Journal of Negro Education bis heute herausgegeben wird. Die Profibaseballligen der Negro leagues, die zwischen 1920 und den frühen 1960ern u.a. auch afroamerikanische Eigentümer mit einschlossen, sind weitere Beispiele für die damalige Konjunktur des Wortes N.4.

[7] So bezeichnete sich Louis Brody (geb. M‘bebe Mpessa) in einem Artikel der Berliner Zeitung vom 24.5.1921 als „Schwarzer“ und nicht als N.1. Diesen schrieb er als Kommentar auf die Rheinlandbesetzung durch Frankreich, u.a. durch französische Kolonialsoldaten, nach der Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg. Dies führte in Deutschland zu der propagandistischen und antischwarzen Kampagne der sogenannten Schwarzen Schmach. Brody war ein in Deutschland lebender Schauspieler, Musiker und Ringer, der in der deutschen Kolonie Kamerun geboren wurde. In einem Schreiben an den deutschen Reichsaussenminister von 1929 wiederum, verwendete Wilhelm Munumé – er gehörte dem Verein LzVN an und war 1926 einer von zwei Kamerunern, die an einer antikolonialen Versammlung in einer Berliner Kneipe teilnahmen – fortlaufend die Bezeichnung N.1 für Schwarze (Bundesarchiv R1001 4457g S. 161–3). Wir bedanken uns bei Robbie Aitken für die Bereitstellung dieser Dokumente.

[8] Sowohl durch die Rezeption damaliger Publikationen von Afroamerikaner:innen als auch durch Anstellungen in der Unterhaltungsindustrie kam es besonders in den 1920ern und frühen 1930ern zum Austausch zwischen Schwarzen in Deutschland und den USA sowie zur Kenntnisnahme afroamerikanischer Aktivitäten und sozialer Bewegungen von Schwarzen in Deutschland.

[9] Wie National Negro Business League (1900), Universal Negro Improvement Association (1914), Negro World (1918), Negro Factories Corporation (1919), Declaration of the Rights of the Negro Peoples of the World (1920) und American Negro Labor Congress (1925), also die Vorgängerorganisation der League of Struggle for Negro Rights (1930). Seit 1923 wurde ferner die Zeitschrift Opportunity: A Journal of Negro Life publiziert.

[10] Sie gaben die Presseorgane La Voix des Nègres (1927), La Race Nègre (1927) und Le Cri des Nègres (1931) heraus.

[11] Letztendlich geht dies v.a. auf Malcolm X zurück, der mit der Gründung der Organization of Afro-American Unity (1964) den Ausdruck „Afro-American“ nachhaltig popularisierte (der mittlerweile wiederum durch den Ausdruck African-American ersetzt worden ist).

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