Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus im deutschsprachigen Raum ist heute besonders wichtig, nicht zuletzt, weil v.a. der Antiziganismus, Antijudaismus/Antisemitismus sowie der antimuslimische und antischwarze Rassismus Hochkonjunktur haben.
Das Ausmaß des Letzteren wurde jüngst u.a. in dem Bericht „Being Black in the EU“ (2023) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ermittelt. Der Bericht hält fest, dass der Rassismus gegenüber Schwarzen in den letzten fünf Jahren unverkennbar zugenommen hat. Die Erhebungen ergaben darüber hinaus, dass antischwarzer Rassismus – innerhalb der insgesamt 13 untersuchten EU-Länder – in Deutschland am stärksten verbreitet ist. Auch die Mehrheit der in Deutschland befragten Schwarzen erklärten im 2020 erhobenen Afrozensus, dass sie antischwarzen Rassismus erleben, davon 42,9 Prozent sogar „oft“. Welche Bedeutung aber spielt Sprache oder ihr Gebrauch bei der Produktion und Reproduktion von rassistischer Diskriminierung? Eine Frage, die in diesem Zusammenhang immer häufiger aufgeworfen wird, lautet, ob man/frau „dieses oder jenes“ überhaupt noch sagen könne, ohne als Rassist:in bezeichnet zu werden. Ebenso scheint Ungewissheit darüber zu herrschen, was genau rassistisch ist und wer darüber entscheidet.
Die Problematik des (Un-)Sagbaren ist in gewisser Weise ein Spiegel der in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Sensibilisierung gegenüber als diskriminierend empfundenen Ausdrücken. Sie kann auch als Anzeichen des gegenwärtigen, besonders von rechts verschrienen „woken“ Zeitgeistes betrachtet werden. Die in den letzten drei Dekaden anwachsende Sensibilisierung gegenüber diskriminierenden Sprachhandlungen scheint einerseits zu einer begrüßenswerten Abnahme offen rassistischer Sprechakte sowie zu einem zunehmend inklusiver werdenden Sprachgebrauch geführt zu haben. Zugleich hat diese Entwicklung dazu geführt, dass insbesondere in linken und liberalen Milieus eine stetig wachsende Einigkeit darüber zu herrschen scheint, was gesagt werden „darf“ und was nicht. Exemplarisch veranschaulicht wird diese erhöhte Sensibilität u.a. durch die 2021 erfolgte Aufnahme des Neologismus „N-Wort“ in den Online-Duden.[1] Während die Verwendung des ausgeschriebenen Ausdrucks N.1 in Deutschland seit den späten 1960er Jahren in diversen Publikationen verstärkt abgenommen hat und sich in den frühen 2000er Jahren auf dem Tiefpunkt der letzten 250 Jahre befand, hat sich seit 2016 die schriftliche Verwendung der Bezeichnung „N-Wort“ in Zeitungen schlagartig erhöht und erfuhr 2023 ihren bisherigen Höhepunkt. Dies weckt zumindest den Eindruck, dass der Ausdruck „N-Wort“ in den letzten Jahren verstärkt eine Ersatzfunktion erfüllt hat.
Besonders als Folge medial vermittelter Sensibilisierungsprozesse erhitzen sich regelmäßig die Gemüter über Menschen, die als diskriminierend geltende Ausdrucksweisen reproduzieren oder einst verwendet haben. Darüber wird die Absicht sowie der geschichtliche, räumliche und inhaltliche Kontext, in dem bestimmte Wörter gebraucht wurden und werden, gegenüber den individuellen oder vermeintlich kollektiven Befindlichkeiten der Betroffenen oft als zweitrangig eingestuft oder vernachlässigt. Auch die implizit zugrunde liegende sprachtheoretische Perspektive auf Funktionsweise und Wirkmacht von Wörtern und Sprachhandlungen spielt eine zentrale Rolle für die jeweilige Betrachtungsweise und Positionierung. Hinzu kommen das Ringen um Deutungshoheit und der Dissens um die Grenzen der Rede- und Ausdrucksfreiheit.
Warum wollen wir aber ausgerechnet jetzt in der Debatte über das (Nicht-)Sagbare intervenieren? Jetzt, wo sich ein nicht unerheblicher Teil des linken/liberalen akademischen, literarischen und v.a. aktivistischen und journalistischen Mainstreams weitestgehend einig zu sein scheint, dass bestimmte Wörter und Begriffe unter keinen Umständen reproduziert werden sollten? Anstoß für eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Thema war, dass uns im Vorfeld einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema Rassismus und Aufklärung in Deutschland eine E-Mail der Veranstalter:innen erreichte. Darin äußerten sie das Anliegen, dass im Rahmen der Konferenz die Vortragenden, zu denen wir auch zählten, auf die Reproduktion „rassistischer Sprache“, wie die Wörter N.1/? und M. möglichst verzichten sollten, z.B. beim Zitieren historischer Texte. Zur Begründung hieß es u.a., dass Wörter ihre Geschichte wie Sedimente weiter mit sich trügen und jeder neue Gebrauch sie wieder aktualisiere. Im Zuge dessen sind einige der folgenden Überlegungen als Vorbemerkung für unseren Vortrag entstanden. Wir möchten damit zu einer kritischen Auseinandersetzung und zum Diskutieren einladen.
Um gleich am Anfang eventuelle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, möchten wir an dieser Stelle betonen, dass wir Wert auf möglichst rassismus- und diskriminierungsfreie sowie geschlechtergerechte Ausdrucksformen legen, einschließlich der Rücksichtnahme auf die von Betroffenen gewählten Selbstbezeichnungen. Wir verstehen eine solche Rücksichtnahme als Teil des Emanzipationsprozesses von Betroffenen. Wir entschieden uns im Rahmen jener Tagung dennoch bewusst dazu, die in den historischen Quellen vorkommenden – und aus heutiger Sicht als rassistisch geltenden – Fremdbezeichnungen für Schwarze beizubehalten. Die Gründe hierfür werden im Folgenden erläutert. Damit wir zumindest den Versuch unternehmen, auch diejenigen Leser:innen zu erreichen, die die ungebrochene Wiedergabe von Wörtern wie N.? oder M. nicht hinnehmen, verzichten wir hier weitestgehend darauf, diese Wörter außerhalb von Zitaten und Eigenbezeichnungen auszuschreiben. Doch bevor wir zu unserer Begründung kommen, vorher noch einige Worte über die Aktualität, Relevanz und Brisanz dieses Themas.
Gesellschaftspolitische Bedeutung des „N-Wort“-Diskurses
Erinnern wir uns zunächst einmal an die afrodeutsche Lehrerin Jasmin Blunt, die Anfang 2023 für mediale Aufmerksamkeit sorgte. Grund war, dass sich eine Kontroverse entzündete, nachdem das Bundesland Baden-Württemberg entschieden hatte, ab 2024 den Roman Tauben im Gras (1951) von Wolfgang Koeppen für die Abiturprüfung an beruflichen Gymnasien als Teil des Pflichtlektürekanons einzuführen. Dieses Werk enthält für die damalige Zeit gängige, heute aber eindeutig als rassistisch bewertete Fremdbezeichnungen für Schwarze. Eine Petition mit über 12.000 Unterzeichner:innen bewegte das Kultusministerium Baden-Württemberg, sich um einen Kompromissvorschlag zu bemühen. Demnach sollen Lehrkräfte ab 2025/26 nun selbst entscheiden können, ob sie das Buch behandeln wollen. Oder rufen wir uns den Bundestagswahlkampf 2021 ins Gedächtnis, als die damalige Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, für das Aussprechen des Wortes N.1 von vielen Seiten scharfe Kritik erntete, wenngleich sie es verwendete, um ihrer Entrüstung über ein schulisches Arbeitsblatt Ausdruck zu verleihen. Daraufhin entschuldigte sie sich öffentlich, den Ausdruck N.1 ausgesprochen zu haben: „Denn ich weiß ja um den rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die Schwarze Menschen unter anderem durch ihn [sic] erfahren.“
2019 startete die Afrodeutsche Charlotte Nzimiro, als Antwort auf die Einstufung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommerns, dass die Verwendung des Ausdrucks N.1 durch den AfD-Landtagsfraktionschef Nikolaus Kramer im Schweriner Landtag rechtens gewesen sei, die Petition „Rechtliche Anerkennung, dass der Begriff „Neger“ rassistisch ist!“. Diese haben mittlerweile fast 200.000 Menschen unterschrieben. Auch die 2019 von politisch aktiven Schwarzen und Kommunalpolitiker:innen in Köln und Umgebung gegründete Initiative „N-Wort Stoppen“ setzt sich mit zunehmendem Erfolg auf lokaler sowie bundesweiter Ebene für die Ächtung des Wortes N.1/? ein. Die Proteste infolge der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis 2020 gaben der Black-Lives-Matter-Bewegung eine bisher noch nicht dagewesene globale Popularität, die auch den deutschen Diskurs über antischwarzen Rassismus mitprägte. Seit 2020 stuften bereits mehrere deutsche Städte das Wort N.1 als rassistisch ein.[2]
Die Debatte in den USA ist viel stärker aufgeheizt als in Deutschland und wird sowohl von Konservativen als auch von den sog. Progressiven befeuert. Seit 2020 forcieren konservative Abgeordnete (besonders Christopher Rufo) in republikanisch regierten US-Bundesstaaten mit zunehmendem Erfolg das Unterrichtsverbot von Critical Race Theory oder Gender Studies, besonders an Schulen, aber auch an einigen Hochschulen. Dort stellt dies momentan die größte Gefahr für die akademische Freiheit dar. Die AfD verfolgt eine ähnliche Agenda für Deutschland. Andererseits wurden in den USA in den letzten Jahren mehrere Menschen gerügt, unter Beobachtung gestellt oder entweder ganz oder vorübergehend suspendiert, nachdem sie den Ausdruck N.2 reproduziert hatten – darunter Lehrkräfte, Dozierende, Professor:innen sowie Journalist:innen, die teilweise lediglich Zitate wiedergaben.[3] Die Lage an US-Bildungseinrichtungen ist zwar anders als an deutschen Hochschulen. Dennoch: Auch an deutschen Universitäten vermeiden es mittlerweile einige – besonders weiße Professor:innen und Dozierende – mit Texten zu arbeiten, in denen „N-Wörter“ vorkommen.[4] Denn wenn sie im Unterricht vorgelesen werden, kommt es immer häufiger zu lautstarken Beschwerden von Studierenden – selbst wenn Beiträge von antikolonialen Autor:innen und Antirassist:innen zitiert werden (z.B. Frantz Fanon und Malcolm X).[5] Diese Entwicklung scheint während des letzten Jahrzehnts ein zunehmender Trend geworden zu sein. Vor diesem Hintergrund kommen wir nun zu den Gründen, warum wir eine kritische und reflektierte Wiedergabe von „N-Wörtern“ für unproblematisch und in gewissen Zusammenhängen sogar für notwendig und sinnvoll erachten.
Historische Genauigkeit, akademische Freiheit und geschichtliche Aufklärung
Uns geht es in unserer wissenschaftlichen Arbeit u.a. darum, die historischen Äußerungen so akkurat wie möglich in ihrem spezifischen Kontext wiederzugeben.[6] Dies ist u.E. eine notwendige Voraussetzung gewissenhaften wissenschaftlichen Forschens. Warum aber finden wir es vertretbar, als diskriminierend empfundene und bei Betroffenen starke Emotionen auslösende Ausdrücke und Äußerungen wiederzugeben? Macht es einen Unterschied, wer sie reproduziert und in welchem Kontext es geschieht? Und ist die Reproduktion und das Zitieren von Wörtern wirklich vergleichbar mit der Verwendung einer rassistisch intendierten Fremdbezeichnung für Schwarze? Um diese und weitere Fragen wird es im Folgenden gehen.
Dies führt uns unmittelbar zum Thema der akademischen Freiheit. Wir sind der Meinung, dass besonders in einem wissenschaftlichen Kontext die verfassungs- und menschenrechtlich verbriefte akademische Freiheit sowie die Möglichkeit zur Reflexion und Kritik ein hohes Gut darstellt. Dazu zählen auch die Rede- und Ausdrucksfreiheit, einschließlich der Reproduktion von „N-Wörtern“. Sie sollte nur in Ausnahmen wie beim Straftatbestand der Volksverhetzung oder Beleidigung aufgehoben werden können.[7] Was ein Verzicht oder gar Verbot, wie es z.B. die Petition von Nzimiro fordert, einzuschränken droht, sind neben der Verengung der akademischen Freiheit insbesondere die historische Aufarbeitung, differenzierte Darstellung und Demaskierung unterschiedlicher Rassismen.
Die Problematisierung der akademischen Freiheit kann grundsätzlich geboten sein, z.B. im Hinblick auf bestimmte Formen der Eugenik und eindeutig rassistisch motivierter „Rassenlehre“. (Selbst-)Zensur jedoch, in diesem konkreten Fall vornehmlich mit Rücksicht auf individuelle Empfindungen und in Anpassung an bestimmte sprachtheoretische Haltungen, trägt besonders innerhalb einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung i.d.R. nicht dazu bei, die Merkmale, Entwicklungslinien und Ursachen unterschiedlicher Rassismen zu beleuchten und zu verstehen. Der Verzicht auf „N-Wörter“ erschwert historische Aufklärungsprozesse und eine differenzierte Analyse. Denn die Verwendungsweise bestimmter Wörter und Begriffe zu analysieren, kann dazu beitragen, die Nuancierungen möglicher Diskriminierung und räumlich-zeitliche Eigentümlichkeiten der jeweiligen Wort- und Begriffsverwendung verständlicher zu machen sowie besser einordnen zu können. Für ein möglichst akkurates Geschichtsverständnis ist auch eine wortwörtliche Wiedergabe relevant. Denn es bleibt uneindeutig, um welchen Ausdruck es sich handelt, wenn z.B. „N-Wörter“ – von denen auch in Deutschland zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert etwa ein Dutzend unterschiedlicher Varianten benutzt wurden[8] – ersetzt oder dermaßen abgekürzt werden, dass sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Dies kann bei der Rezeption zu Missverständnissen führen, eine differenzierte Analyse behindern oder schlicht verunmöglichen. Bei sog. X-Wörtern wie dem „I-“, „K-“, „N-“ „M-“ oder „Z-Wort“ kommt noch hinzu, dass viele nicht wissen, was diese Ausdrücke bedeuten, da sprachpolitische Kodes und Gebote ein bestimmtes Vorwissen erfordern, welches vorwiegend in akademischen und aktivistischen Kreisen verbreitet ist.
Die Vermengung verschiedener historischer Bedeutungsebenen
Durch die Tabuisierung von Vokabeln wird entweder das heutige Verständnis ihres Sinngehalts anachronistisch in die Vergangenheit projiziert oder die gegenwärtige Bedeutungszuschreibung als Anlass genommen, ihre Wiedergabe in historischen oder anderen Kontexten zu verwerfen. In beiden Fällen wird also die bloße Erwähnung als beleidigend und rücksichtslos empfunden und deshalb geächtet. So wird die Möglichkeit, Wörter und Begriffe in ihrem jeweiligen Kontext und ihrer spezifischen Zeitlichkeit einzuordnen, entweder erschwert oder ganz verhindert. Der rassismuskritische deutsche Kanon ist zum Teil intensiv mit der ahistorischen Essentialisierung von Begriffen beschäftigt – ganz so, als ob Wörter und Begriffe immer eine stabile oder inhärente Bedeutung hätten. Um nur ein Gegenbeispiel zu nennen: Der englische Begriff „queer“ wandelte sich von einem pejorativen Adjektiv hin zu einer empowernden Selbstbezeichnung nicht-heterosexueller sowie nicht-binärer Personen im späten 20. und 21. Jahrhundert. Hätten Wörter und Begriffe immerzu eine gleichbleibende, ihnen innewohnende Bedeutung, wie ließe sich dann ein solcher Bedeutungswandel erklären? Viele Schwarze, größtenteils in den USA und v.a. Aktivist:innen, Autor:innen, Künstler:innen, Musiker:innen und Personen des öffentlichen Lebens wiedersetzten sich ohnehin besonders seit den 1960er Jahren der Zementierung von negativ fixierten Wort- und Begriffsbedeutungen, wenn sie Ausdrücke wie „Black“ („Schwarz“) oder auch „N-Wörter“ positiv besetzten bzw. innerhalb der eigenen Communitys umdeuteten. Vor den 1960er Jahren waren die Ausdrücke „Black“, „Schwarz“ und „Schwarze/r“ ähnlich ambivalent konnotiert wie einige „N-Wörter“ und wurden nicht selten abwertend gebraucht.
Die folgenden Zitate führen beispielhaft vor Augen, wie einerseits aus gegenwärtiger Perspektive unproblematische Gruppenbezeichnungen rassistische Inhalte transportieren können, während aus heutiger Sicht rassistische Fremdbezeichnungen durchaus nicht-diskriminierende oder emanzipatorische Absichten zum Ausdruck bringen können:Zu Beginn des 18. Jahrhunderts schrieb der Universalgelehrte Gottfried WilhelmLeibniz: „Ein Neger hat eine vernünftige Seele. Wer eine vernünftige Seele hat, ist ein Mensch. Folglich ist der Neger ein Mensch.“Dabei istzu bedenken, dass er dies zu einer Zeit schrieb, in der europäische Gelehrte bald schon zunehmend behaupteten, dass Schwarze den Affen ähnlicher seien als den Europäer:innen. Vor diesem Hintergrund ist seine Aussage also als weit weniger trivial zu bewerten als aus heutiger Perspektive. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärte der Philosoph Immanuel Kant u.a.: „[A]llein kurz um, dieser Kerl war vom Kopf bis auf die Füße ganz schwarz, ein deutlicher Beweiß, daß das was er sagte, dumm war“, was eine eindeutig rassistische Aussage darstellt, auch wenn der Ausdruck N.1 hier nicht fällt. Im 19. Jahrhundert wiederum kritisierte der Philosoph und politische Ökonom Karl Marx, dass „der gewöhnliche englische Arbeiter“ zum „Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten“ avanciere, da er sich zum „irischen Arbeiter“ ungefähr so verhalte wie die armen Weißen zu den „niggers“ in den ehemaligen Sklavenstaaten der USA. Mit anderen Worten: Englische Arbeiter:innen ließen sich von den irischen Arbeiter:innen abspalten, anstatt gemeinsam gegen die Eliten vorzugehen, ähnlich wie arme, weiße US-Amerikaner:innen gegenüber den Versklavten in den USA. Um mit dem häufig vertretenen Missverständnis seiner Zeit aufzuräumen, dass Schwarze automatisch Versklavte seien, erklärte Marx außerdem: „Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven.“
Weder Leibniz noch Marx sind von Rassismusvorwürfen frei geblieben. Doch unabhängig davon, was diese Autoren an anderer Stelle geschrieben haben, zeigen diese Beispiele, dass heute als politisch korrekt geltende Bezeichnungen sowohl historisch als auch gegenwärtig durchaus für rassistische Zwecke gebraucht wurden und werden sowie umgekehrt. Aber ungeachtet dessen, welche Ausdrücke verwendet wurden, lebten diese Gelehrten in Zeiten, in denen sich der antischwarze Rassismus immer stärker Bahn brach. Spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts können wir für das Alte (deutsche) Reich von immer virulenter werdenden rassistischen Strukturen ausgehen, welche die Gesellschaft und Institutionen zunehmend durchdrangen. Der starre Fokus auf sprachliche Ausdrücke wie z.B. „N-Wörter“ kann also auch verschleiernd wirken, da er unter Umständen von den wesentlichen Zusammenhängen ablenken kann, die den Rassismus reproduzieren.
Es erscheint uns hier angebracht zu bekräftigen, dass wir zwei entgegengesetzten, aber verbreiteten Auffassungen widersprechen: Sowohl der Behauptung der Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt (eine der einflussreichsten Rassismusforscherinnen Deutschlands), die Wörter N.1 und M. seien für alle Epochen als eindeutig rassistisch zu bewerten als auch jener der Historiker Götz Aly und Ulrich van der Heyden, das Wort M. sei immer neutral (wertfrei) gewesen und sei es auch heute noch. Die Bezeichnung M. hatte im deutschsprachigen Raum im 13. Jahrhundert zunächst zwar noch keine überwiegend negativen Konnotationen (siehe z.B. Wolfram von Eschenbachs Parzival oder die Darstellung des heiligen Mauritius im Dom St. Mauritius, Magdeburg). Allerdings nahm die Ambivalenz im Gebrauch des Wortes M. im 17. Jahrhundert deutlich zu. Kurz gesagt, der Gebrauch veränderte sich je nach Zeitraum, Ort und Zusammenhang. Halten wir also fest: Die Ambiguitäten, die sowohl den Ausdrücken N.1 als auch M. teilweise anhafteten, waren nicht immer rassistischer Natur. Nicht selten wurden diese Wörter auch in neutraler oder gar emanzipatorischer Absicht gebraucht, wie die obigen Sätze von Leibniz und Marx illustrieren. Dennoch ist davon auszugehen, dass ihr Gebrauch seit dem 16. Jahrhundert in zunehmend diskriminierenden Kontexten stattfand, was eine fortschreitend rassistischer strukturierte Welt reflektierte.
Für eine differenzierte Auseinandersetzung ist es daher entscheidend, sich zu vergegenwärtigen, dass Wörter wegen ihrer Verwendungsweise, aufgrund sozio-ökonomischer, rechtlicher und politischer Diskriminierung und Kategorisierung sowie infolge gesellschaftlicher Verhandlungs- und Konsensbildungsprozesse zu rassistisch aufgeladenen Begriffen werden. Anhand des in Westafrika geborenen und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Alten (deutschen) Reich sozialisierten afrodeutschen Aufklärungsphilosophen Anton Wilhelm Amo lässt sich exemplarisch eine gewisse Ambiguität des damals gängigen Wortes M. veranschaulichen. Während er von seinen Lehrern und Kollegen aufgrund seiner Leistungen gepriesen und zugleich mit dem Wort M. bezeichnet wurde, entschied er sich in seinen überlieferten Schriften gegen den Ausdruck M. als Selbstbezeichnung. Stattdessen nutzte er die Herkunftsbezeichnungen aus „Axim“, „Guinea“, „Aethiops“ oder „(natione) Afer“.[9] Er unterstrich dadurch dezidiert seine westafrikanische Herkunft. Warum er sich gegen die Verwendung des Wortes M. als Selbstbezeichnung entschied, bleibt vorerst noch eine offene Frage. Empfand er diesen Begriff als zu pauschalisierend, da er auf die unterschiedlichsten Gruppen Nichtweißer angewendet wurde oder fand er den Ausdruck M. aus anderen Gründen unangemessen? Um voreilige Schlüsse zu vermeiden, bedarf es jedenfalls ergebnisoffener, durchaus auch quantitativer Studien zur Begriffsgeschichte und historischen Semantik der unterschiedlichen und heute als rassistisch empfundenen Wörter und performativen Äußerungen. Nur so lassen sich die mehr oder weniger starken Ambivalenzen und möglichen Widersprüchlichkeiten herausarbeiten.
Wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein es formulierte: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Diesem Verständnis folgend, sind es also die Sprecher:innen, die durch ihre in spezifische Kontexte eingebetteten Sprechakte diskriminieren und nicht die Sprache als solche. Mit anderen Worten: Die Bedeutung hängt davon ab, wer, wann, was, warum, wo, wie sagt. Daher stehen wir auch der Annahme skeptisch gegenüber, dass die bloße Wiedergabe und Aussprache bestimmter Wörter bereits rassistisch ist. Dennoch möchten wir hier nochmals betonen, dass wir einen klaren Unterschied machen zwischen der Reproduktion von Wörtern auf der einen und der aktuellen Verwendung einer Fremdbezeichnung, die von den Betroffenen abgelehnt wird auf der anderen Seite.[10]
Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) sowie die Mehrheit afrodeutscher Personen des öffentlichen Lebens, vielleicht mit Ausnahme des nicht gerade für seine Rassismussensibilität bekannten Journalisten und Autors Ijoma Mangold, vertreten hingegen die Ansicht, dass die Wiedergabe des Ausdrucks N.1/? grundsätzlich rassistisch sei oder zumindest Rassismus reproduziere. Um sich sprachlich nicht des Rassismus schuldig zu machen, heißt es, sollten „N-Wörter“ unter keinen Umständen wiedergegeben oder wenigstens weitestgehend vermieden werden. Allerdings ist oft nicht klar, wie weit das geforderte Sprachgebot eigentlich reicht. Ist nur die mündliche Reproduktion oder sind auch historische Texte damit gemeint? Geht es hier um Kinderbücher oder um alle möglichen literarischen Genres?[11] Ähnlich wird es auch zunehmend in Bezug auf den Ausdruck M. gesehen.
Das Wort N.1/? wird von vielen als Ausdruck epistemischer Gewalt verstanden, hinter dem – wie Daniel Gyamerah, der zum Vorstand des Each One Teach One (EOTO) e.V. in Berlin gehört, es formuliert – 400 Jahre Versklavung und die globale Dehumanisierung von Schwarzen stehe. Obwohl wir grundsätzlich das Anliegen diskriminierungskritischer afrodeutscher Communitys teilen, den Rassismus schwächen und bekämpfen zu wollen, spricht vieles dafür, auf semantischer Ebene stärker zu differenzieren, um u.a. die Komplexitäten, Mehrdeutigkeiten und den historischen Sinneswandel unterschiedlicher „N-Wörter“ im Verlauf der Geschichte besser verstehen und analysieren zu können. Nicht selten wird in diesem Zusammenhang auch eine Identitätspolitik geradezu befeuernde Äußerung gemacht, dass nämlich ein Aussprechen dieser Wörter – ob im Zitat oder nicht – nur akzeptabel sei, wenn es durch Schwarze geschehe. Es verwundert nicht, dass nichtweiße Menschen, die ohnehin strukturell benachteiligt sind, zumindest die Diskurshoheit darüber erlangen möchten, zu bestimmen, wer welche sie designierenden Bezeichnungen ausschreiben oder aussprechen darf, da sie dies als Teil ihrer Selbstermächtigung betrachten. Eine Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstbezeichnung ist u.E. in gewissen Kontexten unproblematisch, z.B. wenn Schwarze sich untereinander mit „N-Wörtern“ ansprechen, aber diese Bezeichnungen von Nichtschwarzen ablehnen. Diese Tatsache ändert allerdings nichts an der potentiell geschichtsverschleiernden, de-kontextualisierenden und inkonsequenten Stoßrichtung, bei der Wiedergabe von „N-Wörtern“ – ganz grundsätzlich und vollkommen unabhängig vom Kontext – mit zweierlei Maß zu messen.
Ein Beitrag von
Kaveh Yazdani ist Sozial- und Wirtschaftshistoriker sowie Assistant Professor am Geschichtsinstitut der University of Connecticut. Zu seinen Publikationen zählen u.a. die Mitherausgeberschaft der beiden Sammelbände Capitalisms of the “Global South”,Historia Crítica 89 (2023) und Capitalisms: Towards a Global History, Oxford University Press: Delhi 2020 sowie die Monographie India, Modernity, and the Great Divergence: Mysore and Gujarat (17th to 19th Century), Leiden/Boston: Brill 2017.
Sina Delfs ist eine afrodeutsche Aktivistin. Seit mehreren Jahren forscht und arbeitet sie sowohl zur Geschichte Afrodeutscher als auch zu Schwarzen in der deutschsprachigen Literatur zwischen dem 17. und frühen 20. Jahrhundert.
Da die Debatte um das „N-Wort“ sehr kontrovers diskutiert wird und unser Text unterschiedliche wissenschaftliche Gebiete umfasst, haben wir während des Entstehungs- und Bearbeitungsprozesses einen interdisziplinären Austausch gesucht. Zahlreiche Kolleg:innen – darunter Afrikanist:innen, Black Studies Expert:innen, Historiker:innen, Sprachwissenschaftler:innen, Literaturwissenschaftler:innen, Pädagog:innen, Philosoph:innen, Psycholog:innen, Rassismusforscher:innen, Rechtswissenschaftler:innen und Soziolog:innen – haben sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, erste Versionen des Essays kritisch zu kommentieren oder Fragen zu beantworten und uns dadurch wichtige Impulse gegeben. Folgenden Personen sind wir zu Dank verpflichtet: Carlos Agudelo, Paulina L. Alberto, George Reid Andrews, Eduard Arriaga-Arango, Wolfgang Benz, Manuela Boatcă, Denise Bergold-Caldwell, Helmut Bley, Hubert Devonish, Toyin Falola, João Figueiredo, Julia Fischer-Ortmann, Alejandro de la Fuente, Frigga Haug, Wolfgang Fritz Haug, Wulf-Dietmar Hund, Isabelle Ihring, Jennifer Jones, Franklin W. Knight, Andrea Kramper, Achim Landwehr, Ulrike Lindner, John M. Lipski, Stefanie Michels-Schneider, Susan Neiman, Jürgen Overhoff, Nora Räthzel, Bernd Reiter, Petra Rivera-Rideau, Walter Sauer, Peter Schlobinski, Falko Schmieder, Pirmin Stekeler-Weithofe, Jana Tereick, Helmut Weiß, Anna-Esther Younes und Aram Ziai. Ganz besonders möchten wir uns bei folgenden Personen für ihre hilfreichen und wertvollen Kommentare, Kritiken und Verbesserungsvorschläge bedanken: Robbie Aitken, Aleida Assmann, Cengiz Barskanmaz, Claudia Brunner, Naika Foroutan, Christian Geulen, Hans-Jürgen Heringer, Daniel James, Florian Kappeler, Serhat Karakayali, Jörg Kilian, Reinhart Kößler, Christoph Marx, Ulrike Marz, Paul Mecheril, Katrin Meyer, Ernst Müller, Thomas Niehr, Peter Oestmann, Gerald Posselt, Joachim Scharloth, Willibald Steinmetz, Michael Schubert, Ulrich Wagner, Klaus Weber, Frieder Otto Wolf und Martin Wengeler. Es sei hier angemerkt, dass die oben genannten Personen nicht unbedingt unsere Analysen und Standpunkte teilen.
[1] Im Deutschen steht der Ausdruck „N-Wort“ hauptsächlich für „Neger” (im Folgenden als N.1 gekennzeichnet), aber nicht selten auch für das englischsprachige „Nigger“ (N.2) und das französischsprachige „nègre“ (N.3). Zunehmend wird die Bezeichnung „N-Wort“ aber auch für das englische Wort „Negro“ (N.4) und das spanisch-portugiesische „negro/a“ (N.5) verwendet. Dies führt im deutschen Kontext dazu, dass es nicht immer klar ist, welche Wörter (neben N.1) mit der Abkürzung „N-Wort“ eigentlich gemeint sind. Der Ausdruck „N-Wort” entstammt der seit den späten 1980er Jahren vermehrt verwendeten US-amerikanischen Bezeichnung „N-Word“. Ursprünglich wurde Letztere als Neologismus und Umschreibung für das Wort N.2 eingeführt, um so die von einigen Betroffenen empfundene Trigger-Wirkung durch das ausgeschriebene/ausgesprochene Wort zu vermeiden. Der englische Ausdruck N.2 gilt seit Jahrzehnten als einer der am stärksten tabuisierten und beleidigenden Schimpfwörter der englischen Sprache. Ihren Ursprung haben alle diese Wörter im Lateinischen „nigrum“, „nigra“ oder „niger“ („schwarz“). Der Ausdruck „Mohr”, zunehmend auch als „M-Wort“ bezeichnet (im Folgenden als M. gekennzeichnet) stammt ursprünglich vom Lateinischen „maurus“ („Einwohner Mauretaniens“) oder griechischen „mauros“ („schwarz” oder „dunkel“).
[2] 2020 stuften z.B. die Stadträte in Köln, Bocholt, Heidelberg und 2021 in Kassel, Jena und Wuppertal das Wort N.1 als rassistisch ein. 2022 schlossen sich u.a. München, Wilhelmshaven und Witten, 2023 Aachen, Augsburg und Lohfelden und 2024 Nürnberg der Ächtung des Ausdrucks N.1 an.
[3] Um diese Praxis anhand konkreter Fälle aufzuzeigen, seien die folgenden Beispiele aus dem US-amerikanischen Kontext angeführt, wo auch Dozierende besonders prekären Arbeitsverhältnissen ausgesetzt sind, da über 70 Prozent von ihnen keine Festanstellung haben und ohne weiteres kündbar sind: 2018 wurde Eric Triffin, ein außerordentlicher Professor für Public Health (Öffentliche Gesundheit) an der Southern Connecticut State University, dauerhaft suspendiert, nachdem sich Studierende beschwert hatten, dass er den Ausdruck N.2 in einem im Unterricht gespielten Lied mitsang. Der Geschichtsprofessor Phillip Adamo von der Augsburg University in Minnesota wurde 2019 vorübergehend suspendiert, nachdem er in der Diskussion über einen Roman von James Baldwin den Ausdruck N.2 zitierte. Jason Kilborn, ein Juraprofessor an der Universität von Illinois in Chicago, wurde 2020 für einige Wochen beurlaubt, obwohl auch er den Ausdruck N.2 lediglich als Zitat wiedergab und es sogar als „profane Beleidigung“ betitelte. Aufgrund der Beschwerden von Studierenden musste er interkulturelle Kompetenztrainings durchlaufen und sein Kurs wurde vier Semester lang überwacht. Im selben Jahr wurde Professor Greg Patton von der University of Southern California von einem Kurs suspendiert, da er dreimal hintereinander ein chinesisches Füllwort aussprach, welches sich auf Englisch wie der Ausdruck N.2 anhört. Ebenfalls 2020 wurde der Professor Gary Shank entlassen, nachdem er in einem Pädagogik-Seminar das Wort N.2 thematisiert hatteund es im Zuge dessen aussprach. 2021 gab es zudem einen Aufschrei, als der renommierte New York Times Journalist Donald McNeil Jr. auf einer Studienreise vor weißen Schüler:innen den Ausdruck N.2 reproduziert hatte. Nach lautstarker Empörung seitens seiner Kolleg:innen und Druck von oben kündigte er schließlich. Wir halten also fest: Die hier aufgezählten Fälle sind Beispiele, in denen die bloße, in einem Fall sogar nur vermeintliche Wiedergabe des Ausdrucks N.2 in überwiegend nicht-diskriminierender Absicht existenzielle, soziale oder materielle Konsequenzen hatte.
[4] Dies wissen wir v.a. aus privaten Gesprächen mit Kolleg:innen.
[5] Der bewusste Gebrauch der Ausdrücke N.3/4 trifft auch auf viele weitere Schwarze, v.a. Aktivist:innen und Intellektuelle zu, darunter wichtige Denker:innen und Autor:innen des 20. Jahrhunderts wie W.E.B. Du Bois, Marcus Garvey, Lamine Senghor, Paulette und Jeanne Nardal, C.L.R. James, Eric Williams, Léopold Sédar Senghor, Aimé Césaire, Martin Luther King, Walter Rodney, Maya Angelou, Toni Morrison und Stuart Hall.
[6] Dies ist allerdings auch für das Zitieren im Gerichtssaal und in Gerichtsurteilen relevant. Denn Gerichte haben die Aufgabe, im Rahmen der Beweisführung das Gesagte so genau wie möglich zu erfassen, um so in einem zweiten Schritt den Sachverhalt subsumieren zu können.
[7] Strafgesetzbuch – § 130 (Volksverhetzung) oder § 185 (Beleidigung).
[8] Dazu zählen „Nigritis“, „Negro“, „Neger“, „Negre“, „Nigger“, „Negrillo“, „Negride“, „Negroide“, „Negritos“.
[9] Dass Amo 1729 die Disputation De iure Maurorum in Europa an der Universität Halle verteidigte, ist kein Indiz dafür, dass er den Ausdruck als Selbstbezeichnung annahm. Es spricht einiges dafür, dass er nicht selber der Verfasser der Disputation gewesen ist. In der Tat war es zu seiner Zeit keineswegs unüblich, die Disputation anderer Verfasser zu verteidigen.
[10] Wir weisen daher entschieden die rechtsradikalen und konservativen Positionen à la Nikolaus Kramer (AfD), Joachim Herrmann (CSU) und Boris Palmer (parteilos, zuvor Bündnis 90/Die Grünen) zurück, um nur einige zu nennen, die den Ausdruck N.1 in mehr oder weniger eindeutig rassistischer Manier als Fremdbezeichnung auf Schwarze anwenden. Wir grenzen uns auch von links-nationalistischen Einstellungen ab, die z.B. von Politiker:innen wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine verbreitet werden. Obwohl sie bisher nicht öffentlich mit der Benutzung des Wortes N.1 auffielen, ist ihnen weder eine rassismussensible Wortwahl noch antirassistische Politik ein wesentliches Anliegen, weshalb sie die Wiedergabe von als diskriminierend empfundenen Äußerungen erklärtermaßen für unproblematisch halten. Bekanntlich ist der Kampf gegen rassismus- und sexismuskritische Sprechakte derzeit einer der zentralen politischen Schlachtfelder der globalen Rechten (von Putin über Trump zur AfD) und trägt Züge eines „Kulturkampfes“. Sich hier an die Rechte anzubiedern, kann Wagenknecht also durchaus auch Stimmen rechter Wähler:innen einbringen. Die Benutzung des Wortes N.1 als Bezeichnung für Schwarze, wie es im September 2023 der Politiker Gregor Gysi bei Markus Lanz zum Ausdruck brachte, zeugt zwar von einer gewissen Ignoranz und mangelnder Rassismussensibilität. Dennoch greift es i.d.R. zu kurz, wenn der Kontext und die Gebrauchsabsichten ausgeblendet werden, wie es nicht wenige rassismuskritische Personen oft tun.
[11] Nicht alle afrodeutschen Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen und öffentlichen Personen vertreten den Standpunkt, dass eine Reproduktion in Zitatform unangemessen ist. So zitieren u.a. Afrob, René Aguigah, Joshua Kwesi Aikins, Mo Asumang, Aminata Belli, Kevin-Prince Boateng, Samy Deluxe, Anna Dushime, Aurel Mertz, Fatima El-Tayeb, Alice Hasters, Daniel James, Tupoka Ogette, Katharina Oguntoye, Julia Okpara-Hofmann, Peggy Piesche, Noah Sow und Hadnet Tesfai in einigen ihrer Texte und Interviews vereinzelt den ausgeschriebenen Ausdruck N.1 und in wenigen Fällen auch das Wort N.2. Was das Aussprechen von „N-Wörtern“ angeht, konnten wir bei den meisten oben genannten Personen allerdings keine eindeutigen Aussagen finden. Generell werden die medienwirksamen Aussagen, die zu „N-Wörtern“ getroffen werden, oft sehr allgemein gehalten. Autor:innen der tonangebenden ISD schreiben z.B., dass aufgrund der „despektierlichen Natur des N-Wortes (…) durchgängig auf die Reproduktion verzichtet“ wird. In der Praxis wird dies allerdings nicht immer von all denjenigen konsequent eingehalten, die es einfordern. Der pauschalisierende Grundtenor des ISD-Textes sowie ähnlicher Beiträge und Aussagen hat wiederum Auswirkungen auf die (Nicht-)Akzeptanz ihrer Reproduktion, einschließlich akademischer Kontexte, wenn z.B. „N-Wörter“ von Studierenden sogar in Geschichtsbüchern und historischen Texten oder nach dem Rezitieren von Zitaten skandalisiert werden. Die Wiedergabe von „N-Wörtern“ wird also von nicht wenigen rassismuskritischen Aktivist:innen, Akademiker:innen, Entertainer:innen und Studierenden grundsätzlich abgelehnt, auch wenn dies vielleicht nicht unbedingt die ursprüngliche Intention einflussreicher afrodeutscher Organisationen und Personen war oder ist. Zu denjenigen einflussreichen Afrodeutschen, die sich in jüngster Zeit mehr oder weniger eindeutig gegen die Verwendung des Wortes N.1/? ausgesprochen haben, ohne jedoch kontextuell zu differenzieren, gehören u.a. Manuellsen, Nura (Habib Omer), Aminata Belli, Tupoka Ogette, Aurel Mertz, Aminata Touré, Gerald Asamoah, Jasmina Kuhnke, Joy Denalane, Natasha Kelly, Anna Dushime, Yared Dibaba, Hadija Haruna-Oelker, Malcolm Ohanwe und Karamba Diaby. Auch auf die Sprecher:innenposition wird von manchen explizit Bezug genommen. Ogette z.B. schreibt: „Nicht-Schwarze Menschen müssen sich bewusst sein, dass die Reproduktion des ausgesprochenen N-Wortes immer auch bedeutet, Rassismus zu reproduzieren und zu zementieren“. Auch Nahim Sky, Nura oder Ohanwe erklären, dass das Aussprechen der Wörter N.1/2 nur bei Schwarzen gerechtfertigt sei. Die kategorische Forderung auf den Ausdruck N.1/? (als Nichtschwarze:r) zu verzichten, wurde in letzter Zeit auch von einflussreichen weißen Deutschen, wie z.B. dem Influencer Rezo und der bekannten deutsch-iranischen Komikerin Enissa Amani verbreitet.
Eine Antwort
Mir fehlt der Bezug zu Realität. Im deutschen wird das Wort Neger selten verwendet und auch ältere Menschen verwenden es kaum. Darüber hinaus fällt es auch meist nicht im Kontext der beleidigend sein soll. Im gegensatz zu dem englischen Ausdruck, der ja eine Beleidigung an sich darstellt, aber komischerweise den nicht englisch sprachigen Menschen vor allem von schwarzen Musikern präsentiert wird. Daraus so einen gewaltigen Aufwasch zu konstruieren erscheint den meisten Nichtakademikern seltsam.
Und dann ist dieser Hintergedanke, das Sprache gesteuert werden muss, zumindest für die, die sich mit dystopischen Systemen auseinandersetzen, aus einer anderen Welt. Sprache entwickelt sich, aber nicht durch Deklaration der Oberschicht, dann würden wir hier heute französisch reden.
Und noch ein dritter Punkt: Diese Worte Neger, Zigeuner oder Mohr sind ein Teil unserer Kulturgeschichte und haben natürlich ihre historische Bedeutung. Das beseitigen der Wörter kann daher auch zur Folge haben das wir diesen Teil nicht mehr wahrnehmen. Dadurch das es keine Zigeunersoße mehr gibt, verschwindet auch diese Kultur aus unserer.
Was ich eigentlich schon immer seltsam fand, dass es Teile in linken Bewegungen gibt, die die amerikanische Kultur 1:1 auf unsere übertragen wollen, auch wenn sie sich nicht auf unsere Übertragen lässt, da es dort völlig andere soziale, als auch kulturelle Hintergründe existieren. Dieses übertragen betrifft aktuell extrem den akademischen Bereich der sich darauf kapriziert hat, alles was in den USA in der Soziologie vorgedacht wird 1:1 zu übernehmen. Was zur Folge hat, das immer mehr Menschen sich nicht mehr „mitgemeint“ fühlen. Vor allem die älteren, die seit den 70/80er sowohl was Toleranz als auch Umweltschutz angeht Vorreiter waren und bedeutet weiter waren, als ingrossen Teilen der USA und sich darüber freuten welche Veränderungen bei uns stattgefunden haben, sind erstaunt darüber, wenn ständig versucht wird diese Entwicklungen schlecht zu reden. Während gleichzeitig negative Entwicklungen weder vernünftig analysiert noch über entsprechende Maßnahmen nachgedacht wird. Sondern ständig nur erzählt und gezählt wird, was bringt uns das wissen, ob xyz% der Menschen so oder so denken, wenn sich daraus keinerlei Konsequenzen ergeben?
Dabei waren das die wichtigen Themen der Linken (Sozis) in den 70/80er, soziale Arbeit und Förderung. Davon sieht man heute wenig in den Kreisen, was wird für den Wohlstand „der Arbeiter“ getan? Für die Bildung der „Unterschicht“? Für die Teilnahme der Besitzlosen? Wo sind die linken Themen, die auch Menschen ansprechen die nicht studieren?