Solidarität mit Asylsuchenden, das war die Devise.

Es braucht ein Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan – Im Gespräch mit Günter Burkhardt

Die Situation der Geflüchteten an den Außengrenzen Europas ist katastrophal, wie der Brand des Flüchtlingslagers Moria verdeutlichte. Wir haben mit Günter Burkhardt, dem Geschäftsführer von Pro Asyl, über die aktuelle Situation, die mangelnde Hilfe Deutschlands und ein Abschiebeverbot gesprochen.

Die Freiheitsliebe: In den letzten Wochen haben wir vermehrt Berichte aus Griechenland und dem Balkan über die Situation der Geflüchteten gesehen, die dort ohne Schutz vor Kälte und Wind leben müssen. Aktuell häufen sich die Berichte. Ist die Situation schlimmer als in den vergangenen Jahren?

Günter Burkhardt: Die Situation an Europas Grenze, in Griechenland, oder vor den Toren Europas, in Bosnien, ist katastrophal, menschenunwürdig und erschütternd. Es sind aus meiner Sicht sehr wenige Berichte, die hier das Bewusstsein der Öffentlichkeit erreichen. Die Regierungen in Griechenland, Kroatien, Ungarn und Bulgarien setzen auf massive Abschreckungen. Man muss den Vorwurf äußern, dass mit allen Mitteln versucht wird, Asylsuchenden das Recht auf Asyl zu verweigern, auch mit dem illegalen Mittel der Push-Backs. Das betrifft aktuell insbesondere Kroatien, was mehrfach Flüchtende, die schon in Kroatien waren, zurückgeprügelt hat.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Coronapandemie die öffentliche Aufmerksamkeit bindet. Deutschland kümmert sich um sich selbst. Griechenland und Kroatien wissen, dass die Öffentlichkeit mit der Pandemie beschäftigt ist, und man glaubt, dass man sich daher alles erlauben kann.

Die Freiheitsliebe: Vor wenigen Monaten hat das Flüchtlingslager Moria gebrannt. Danach gab es von verschiedensten Regierungen der Europäischen Union aber auch der EU selbst die Ankündigung, dass mehr getan werden muss. Ist das geschehen?

Günter Burkhardt: Nach einer kurzen Welle der Empörung setzte eine Gleichgültigkeit ein, auch in Deutschland. Deutschland war eines der wenigen Länder, wo die Zivilgesellschaft hörbar war und die Regierung zugesagt hat, einige Tausende aufzunehmen, was noch lange nicht ausreichend ist. In ganz Europa breitet sich ein Mantel des Schweigens aus und auch in Deutschland hat der Druck nachgelassen, Menschen aufzunehmen, zu evakuieren und aus dieser menschenunwürdigen Situation zu befreien.

Die Freiheitsliebe: Griechenland und Italien haben immer wieder die Beschwerde erhoben, dass sie mit der Situation allein gelassen worden sind. Sollen diese Beschwerden vom eigenen Versagen ablenken oder haben sie einen realen Kern?

Günter Burkhardt: Der reale Kern ist, dass die EU die Verantwortung auf die Ersteinreisestaaten abwälzt. Es gibt keine wirkliche Bereitschaft, diesen Staaten zu helfen. Ein Land nach dem anderen hat die Grenzen geschlossen, kaum ein Land ist bereit, Menschen einreisen zu lassen. Dies gilt für die Geflüchteten in Griechenland wie auch bei den aus Seenotgeretteten, die häufig in Italien landen, bei denen haarsträubende Verhandlungen stattfinden, wer wie viele aufnimmt.

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten hat die deutsche Politik, um den Ländern zu helfen, und wo sind für die Zivilgesellschaft die Ansatzpunkte, um zu agieren?

Günter Burkhardt: Die Bundesregierung kann der Ausreise aus Griechenland und der Einreise nach Deutschland in weitaus höherem Maße zustimmen, als dies aktuell der Fall ist. Das betrifft insbesondere Fälle, bei denen Familien getrennt sind. Und von denen gibt es tausende. Es gibt in zahlreichen Städten Initiativen wie „sicherer Hafen“, die oft politische Willensbekundungen sind. Diese Städte haben die Möglichkeit zu sagen, dass sie in ihrer Stadt alles tun, um Familien, die getrennt sind, zusammen zu führen. Das Recht, als Familie zusammenzuleben, ist ein Grundrecht. Die gesetzliche Verhinderung des Familiennachzugs muss zurückgenommen werden. Das man Familie nicht trennen kann, sollte unbestritten sein.

Wir stellen fest, dass der Abschiebe- und Ausreisedruck enorm zunimmt. Es wird versucht, koste es was es wolle, abzuschieben. Selbst nach Afghanistan, ein Land, das zerfallen ist, in dem die Taliban wieder auf dem Weg zur Macht sind und rigoros gegen Kritiker vorgehen. Hinzu kommt, dass insbesondere in ärmeren, vom Krieg gekennzeichneten Staaten sich Corona noch stärker ausbreitet und die Menschen dem schutzlos ausgeliefert sind. Pro Asyl und viele weitere Organisationen fordern daher das während Corona gar keine Abschiebungen stattfinden dürfen in solche Gebiete.

Die Freiheitsliebe: Afghanistan ist eines der gefährlichsten Gebiete der Welt, wie auch das Verteidigungs- oder Außenministerium bestätigten und verschiedene Gerichte in Deutschland haben geurteilt, dass es aktuell keine Verpflichtung gibt, dorthin abzuschieben. Warum wollen die Regierungen es trotzdem tun?

Günter Burkhardt: Es gibt darauf keine vernünftige Antwort. Diese Frage muss man den Landesregierungen und der Bundesregierung stellen.  Wir fordern einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan, denn sie gefährden Leben, sie sind unanständig und müssen aufhören.

Die Freiheitsliebe: Abschließend noch, welche Möglichkeiten gäbe es, die Situation derjenigen zu verbessern, die es nach Deutschland geschafft haben und hier in Flüchtlingsunterkünften leben?

Günter Burkhardt: Wir erleben, dass eine Unterkunft nach der nächsten in Quarantäne geschickt wird. Pro Asyl hat bereits im März letzten Jahres eindringlich appelliert, die Großunterkünfte aufzulösen und die Menschen in Wohnungen unterzubringen. Es gibt Möglichkeiten dafür. Dahinter steckt vor allem das Ziel, einfacher abschieben zu können. Dafür nimmt man billigend in Kauf, dass Asylsuchende an Leib und Leben gefährdet werden.

Die Freiheitsliebe: Danke für das Gespräch.

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