Sophie Scheytt - Bild © Sarah Eick

Zukünftig sollen Asylsuchende und ihre Unterstützer härter bestraft werden – Im Gespräch Sophie Scheytt

Die Bundesregierung ist angetreten mit dem Ziel die Flüchtlingspolitik humaner zu gestalten, zwei Jahre später kann davon kaum noch die Rede sein. Im Gegenteil es finden auch verschiedenen Ebenen Verschärfungen der Flüchtlingspolitik statt, wir haben darüber mit Sophie Scheytt, Referentin für Asyl bei Amnesty International Deutschland, gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte ist in diesem Jahr deutlich gestiegen. Statt sich schützend vor Geflüchtete zu stellen, findet aktuell eher ein Diskurs statt, der Geflüchtete als Gefahr sieht. Wie kommt es dazu?

Sophie Scheytt: Amnesty International beobachtet mit großer Sorge, wie der politische Diskurs im Bereich Asyl zunehmend durch rassistische, menschenfeindliche und sachfremde Forderungen dominiert wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die Debatte um Sozialleistungen für Geflüchtete.

Aus menschenrechtlicher Sicht ist klar: Alle Menschen in Deutschland haben das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt: die derzeit gewährten Leistungen für Asylsuchende entsprechen nicht dem menschenrechtlichen Minimum. Anstatt endlich entsprechende gesetzliche Anpassungen vorzunehmen, diskutieren Entscheidungsträger*innen, wie die Leistungen weiter abgesenkt werden können. Die im Raum stehenden Forderungen reichen von einer generellen Umstellung von Geld- auf Sachleistungen über diskriminierende Bezahlkarten und eine Kürzung des Existenzminimums bis hin zur Forderung, dass kranken Menschen eine medizinische Grundversorgung vorenthalten werden soll.

Diese Debatte suggeriert, Geflüchtete seien die zentrale Ursache für vorhandene gesellschaftlichen Missstände wie fehlender Wohnraum oder fehlende Schul- und Kitaplätze. Hier warnt Amnesty International ganz klar: Wer Scheinlösungen präsentiert, verspielt Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit und stärkt menschenfeindliche Narrative.

Wir appellieren an alle Entscheidungsträger*innen auf Bundes- und Landesebene einen diskriminierungssensiblen Diskurs aufrecht zu erhalten. Denn klar ist: Sprache bereitet den Weg für Gewalt.

Rassistische Straftaten gegenüber Geflüchteten müssen konsequent aufgeklärt und geahndet werden. 

Die Freiheitsliebe: Im Koalitionsvertrag versprach die Ampel eine humanere Asylpolitik, wurde dieses Versprechen gehalten?

Sophie Scheytt: Im Koalitionsvertrag hat sich die deutsche Bundesregierung viele gute Ziele gesetzt und von einem „Neuanfang“ und einem „Paradigmenwechsel“ in der Migrationspolitik gesprochen. Auf europäischer Ebene wollte man sich für eine „faire Verantwortungsteilung“ und „bessere Standards“ in Asylverfahren einsetzen. Auf deutscher Ebene hat man sich zum Ziel gesetzt, endlich den Familiennachzug zu verbessern.

Aus Sicht von Amnesty International ist die Umsetzung des Koalitionsvertrages mangelhaft – viele der im Koalitionsvertrag genannten Ziele wurden nicht umgesetzt. Hinsichtlich der Reform des europäischen Asylsystems hat Amnesty International deutliche Kritik geübt und gesagt, die derzeitigen Reformvorschläge werden zu mehr Pushbacks, mehr Gewalt und mehr Leid an den europäischen Außengrenzen führen. Auf deutscher Ebene sehen wir, dass die Neuregelung des Familiennachzugs weiterhin aussteht. Das hat fatale Konsequenzen für viele Geflüchtete in Deutschland, die jahrelang von ihren Familien getrennt sind.

Die Freiheitsliebe: Also haben wir es aktuell eher mit einer gegenteiligen Entwicklung zu tun, welche Verschärfungen wurden denn von der Regierung umgesetzt und was wird aktuell diskutiert?

Sophie Scheytt: Vor Kurzem hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“ vorgelegt. Der Entwurf sieht erhebliche Verschärfungen im Bereich der Abschiebungen und den damit verbundenen Betretens-, Durchsuchungs- und Inhaftierungsmöglichkeiten vor. Und das, obwohl die Erfahrungen der letzten Jahre klar zeigen: rechtliche Verschärfungen in diesem Bereich führen zwar in der Praxis zu härteren, aber nicht zu mehr Abschiebungen.

Außerdem soll die Strafbarkeit für Asylsuchende erheblich verschärft werden. Unrichtige oder unvollständige Angaben im Asylverfahren sollen zukünftig zum Beispiel mit bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden können. Die Ausweitung der Strafbarkeit auf Angaben im Asylverfahren läuft dem Zweck und der Natur des Asylverfahrens zuwider. Die Umstände und emotionalen Folgen einer Flucht, das Ankommen in einem anderen Land ohne dessen Sprachkenntnisse, ggfs. auch Beeinflussungen Dritter können allesamt dazu führen, dass es im Asylverfahren zunächst zu Fehlern kommt. Eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für falsche Angaben verkennt den Sachverhalt des Fluchtgeschehens und ist absolut unverhältnismäßig.

Amnesty International kritisiert außerdem, dass der Entwurf keine der im Koalitionsvertrag anvisierten Verbesserungen für Schutzsuchende enthält, wie bspw. die Erleichterung des Familiennachzugs.

Um es kurz zu machen: Wir haben insgesamt erhebliche grundrechtliche, sowie europa- und völkerrechtliche Bedenken an den Neuregelungen und fordern deutliche Nachbesserungen.

Die Freiheitsliebe: Für Aufmerksamkeit sorgt ein Vorstoß aus dem Innenministerium der Seenotrettung kriminalisieren könnte, was plant die Regierung genau?

Sophie Scheytt: Genau, zukünftig sollen nicht nur Asylsuchende selbst, sondern auch ihre Unterstützer*innen härter bestraft werden. Bisher macht sich in Deutschland nur strafbar, wer Menschen gegen Geld in die EU bringt, also einen „Vorteil“ erhält. Zukünftig soll kein (finanzieller) Vorteil mehr notwendig sein, so dass auch eine unentgeltliche Unterstützung an den europäischen Außengrenzen, wie beispielsweise zivile Seenotrettung mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann. 

Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die Gesetzesänderungen nicht zu einer Strafbarkeit von Menschenrechtsverteidiger*innen im Bereich der zivilen Seenotrettung führen. Die Rettung von Menschen aus Seenot ist eine völkerrechtliche Pflicht und darf niemals tatbestandlich als Straftat eingeordnet werden.

Die Freiheitsliebe: Amnesty International kritisiert die aktuelle Entwicklung deutlich, welche konkreten Veränderungen würdet ihr euch in der Asylpolitik wünschen?

Sophie Scheytt: Wir fordern von der deutschen Bundesregierung, dass sie sich im Rahmen der nun stattfindenden Verhandlungen für erhebliche Verbesserungen bei der Reform des europäischen Asylsystems einsetzt. Für uns gilt auch: besser keine Reform als eine menschenrechtswidrige Reform.

Auf Bundesebene appellieren wir an die Bundesregierung, endlich die geplanten Erleichterungen im Bereich des Familiennachzuges umzusetzen, damit Familien nicht mehr jahrelang getrennt bleiben.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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