Von Clinton, Sanders und sozialer Gerechtigkeit

Bernie Sanders ist kein politischer Heilsbringer. Was er sein kann, ist eine Projektionsfläche für eine positive Diskussion zu Sozialismus und sozialer Gerechtigkeit.
In kaum einem Land werden Präsidentschaftswahlkämpfe so reißerisch und medienwirksam geführt wie in den USA. Die aktuellen Kampagnen sind keine Ausnahme. Während auf der republikanischen Seite Kandidaten darum wetteifern, wer seine Rivalen am besten niedermachen und dabei die ausländerfeindlichsten, widersprüchlichsten und neoliberalsten Slogans von sich geben kann, verlaufen die Dinge bei den Demokraten zwar unterschwelliger, jedoch ebenso hitzig.

Nach den jüngsten demokratischen Vorwahlen in Nevada ist Sanders trotz knapper Niederlage um rund fünf Punkte guter Dinge: er sei stolz darauf, dass seine Kampagne, die bis vor wenigen Monaten noch eine „Randkampagne“ mit 3% in den Umfragen gewesen sei, so dicht auf Clinton habe aufholen können. Möglich wurde dieser Erfolg durch massive Unterstützung aus der Bevölkerung. Die Kampagne Sanders finanziert sich fast ausschließlich durch Kleinstspenden von Einzelpersonen, die in PACs diverser Gewerkschaften organisiert sind, sowie deren Familien und Umfeld. Eine große Rolle spielen allerdings auch eine Reihe kluger Entscheidungen der Kampagne – und die gleichzeitigen Fehlgriffe der Kampagne Clinton.

Während sich Clinton auf den „Feminismus“ verlässt, den sie als weibliche Kandidatin quasi automatisch für sich beansprucht, verlässt gerade die junge, weibliche Basis aktuell ihre Kampagne. Der Grund? Clinton umgibt sich mit altfeministischen Ikonen wie Gloria Steinem und Madeleine Albright, die im Jahr 2016 mehr durch etabliert-konservative Äußerungen von sich reden machen als durch radikal feministische Positionen. Besonders Albright hatte sich vor einigen Wochen mit der Anwendung ihres altbekannten Zitats „Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen“ auf die Kampagne Clinton in eine mediale Zwickmühle manövriert. Denn Clinton, selbst Frau, fällt Zeit ihrer politischen Karriere eher durch Entscheidungen und Abstimmungsverhalten auf, die eher dem kapitalistischen Establishment helfen als anderen Frauen. So äußert sie sich zwar seit Beginn ihrer Kampagne immer wieder positiv für Planned Parenthood, eine Organisation die kostenlos Gesundheitsleistungen für Frauen erbringt – wozu in manchen Staaten auch Abtreibungen gehören – weswegen die Organisation immer wieder unter Beschuss und drohende Schließung gerät. Noch im vergangenen September aber hatte Clinton in einem Interview angegeben, sie würde es begrüßen, wenn ihr eine kundige Person einen Vorschlag machte, wie es verfassungsrechtlich möglich wäre, späte Abtreibungen ohne Schaden „für Leben und Gesundheit der Mutter“ einzuschränken. Während eine solche Aussage durchaus der Haltung des amerikanischen Mainstream zum Recht auf reproduktive Selbstbestimmung entspricht, ist sie auf keinen Fall als feministisch zu werten und bringt Clinton einmal mehr in Verlegenheit, was die Identität ihrer Kampagne betrifft.

Ganz anders Sanders. Nachdem in den sozialen Medien das Phänomen der „Bernie Bros“ (hauptsächlich weiße, männliche Sanders-Anhänger, die für sich beanspruchen, Frauen und nicht-weißen WählerInnen erklären zu können, warum Sanders der beste und einzig fähige Kandidat ist und dabei besonders sexistisch, beleidigend gegen Clinton und stellenweise rassistisch auftreten) immer lauter diskutiert wurde, distanzierte sich Sanders in einem CNN-Interview ganz klar von dieser Unterstützergruppe: „Ich habe davon gehört. Es ist ekelhaft. Ganz ehrlich – wir wollen diesen Scheiß nicht. Wir werden tun, was wir können – und ich meine, wir haben das auch schon versucht. Also wenn ihr Leute kennt, die mich unterstützen und diese sexistischen Dinge tun – wir wollen sie nicht. Ich will das nicht. Das ist nicht das, worum es bei dieser Kampagne geht.“

In derselben Woche veröffentlichte seine Kampagne einen bewegenden Wahlspot mit Erica Garner, der Tochter von Eric Garner – dem Mann der im vergangenen Jahr in New York von einem Polizisten grundlos auf offener Straße stranguliert wurde und daraufhin verstorben war. In dem Spot geht es um soziale Gerechtigkeit, #BlackLivesMatter und Polizeigewalt. Die Aktivistin Garner schrieb dazu auf ihrer eigenen Website: „Senator Sanders hat mir zugehört, mir nicht gesagt dass er alles am besten weiß und ich nicht praktisch sei – und das ist dabei herausgekommen. Der Senator hat mich nicht plötzlich kontaktiert, weil er Hilfe mit den Schwarzen braucht. Er hat keine Pressekonferenz abgehalten, um unsere Zusammenarbeit anzukündigen. Er hat mich nicht gezwungen, meine Unterstützung für ihn in ein Thema zu pressen, dem sich Interessengruppen anschließen können. Sie haben gesagt, dass sie froh über meine Unterstützung sind und wie ich mich einbringen möchte.“ In dieser Botschaft steckt, vielmehr als Clintons Rückgriff auf verstaubte Ikonen und Phrasen, der wahre Feminismus einer Generation. Einer Generation, die erkannt hat, dass es um Selbstbestimmung und Gerechtigkeit geht, und nicht darum, dass eine Gruppe der anderen vorschreibt, wie politisches Handeln funktioniert und wer einen Platz in der Hölle verdient hat.

Einen weiteren entscheidenden Image-Sieg konnte die Sanders-Kampagne erringen, als die Diskussion angestoßen wurde, wie sehr Sanders wirklich in die Civil Rights-Bewegungen seiner Jugend involviert gewesen sei. Einige Stimmen hatten behauptet, er sei nur namentlich und medienwirksam aufgetreten – ein typischer Opportunist – doch relativ schnell machten daraufhin Bilder aus dem Jahr 1963 die Runde, auf denen Sanders im Zuge einer Protestaktion von Polizisten abgeführt wird. Tatsächlich wurde der 21-jährige Sanders an jenem Tag im bei Protesten gegen die offenkundige Rassentrennung an einer Schule in Englewood festgenommen, wegen Widerstandes gegen die Festnahme angeklagt und schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt.

Dieses Motiv zieht sich durch die gesamte demokratische Vorwahlphase: Clinton biedert sich an, stilisiert sich als progressiv und wird von ihren eigenen Aussagen eingeholt – Sanders wird verleumdet und beweist seine Progressivität durch klug platzierte und dennoch glaubwürdige Statements. Kein Wunder also, dass Clinton derzeit vor allem von einer weißen, alternden Oberschicht und im Konservatismus angekommenen Altfeministinnen unterstützt wird, die ihre revolutionären Wurzeln längst vergessen haben – während im „Camp Sanders“ NiedriglohnarbeiterInnen, junge Frauen und progressiv orientierte Studenten zu finden sind.

Wenn Obama das Weiße Haus im kommenden Winter verlässt, scheidet damit ein historisches „First“ aus dem Amt – der erste afroamerikanische Präsident der Vereinigten Staaten. Auf ihn könnte mit Clinton zwar auf dem Papier ein weiteres „First“ folgen, nämlich die erste Präsidentin – sofern sie sich gegen Sanders sowie Trump oder Cruz durchsetzen kann – doch in Sachen Politik würde sich auch unter ihr wenig zum Positiven, Antikapitalistischen hin ändern. Wenn Clinton progressive Ideen vertritt, widerspricht es ihrer gesamten politischen Ausrichtung und ihrem Wall Street-Umfeld. Wenn Sanders grundlegenden, sozialen Wandel verspricht, passt es zumindest zu seiner selbst benannten Ausrichtung als „socialist“ – auch wenn für die globale Linke klar sein muss, dass er eher als Sozialdemokrat denn als Sozialist zu werten ist. Dennoch: Ein Kandidat, der sich offen zu einer politischen Identität bekennt, die bis vor Kurzem für den amerikanischen Mainstream noch ein Schimpfwort war, kann für Linke, Sozialisten und revolutionäre Kräfte nur eine willkommene Abwechslung sein. Denn auch wenn sich, ähnlich wie bei Obama, der tatsächliche „change we can believe in“ unter Sanders in sehr engen, kapitalistischen Grenzen bewegen müsste – es bleibt Raum für eine positive Auseinandersetzung mit Sozialismus, Sozialdemokratie, sozialer Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Wesentlich mehr, als es unter all seinen Rivalen möglich wäre – die „Feministin“ eingeschlossen.

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