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Schweiz: Antiterrorgesetz – Ein Angriff auf den Rechtsstaat

Die Schweizer Bundesversammlung hat Ende September 2020 ein neues Gesetz verabschiedet: Das revidierte Bundesgesetz über polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT). Dieses erlaubt weitreichende Einschränkungen der Grund- und Menschenrechte, welche unter anderem von der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention garantiert werden. Damit würde die Schweiz ein gefährliches Zeichen für autoritäre Staaten setzen.

Bereits Minderjährige ab 12 Jahren sind davon betroffen

Das Bundesgesetz über polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung gegen Terrorismus (PMT) sieht vor, die Kompetenzen der Polizei durch präventive Maßnahmen zu erweitern.

Künftig kann das Fedpol (Bundesamt für Polizei) sogenannten ‚terroristischen Gefährder*innen‘ ab 12 Jahren Kontaktverbote erteilen, ihnen verbieten, ein bestimmtes Gebiet zu verlassen oder zu betreten, oder ein Ausreiseverbot verhängen. Weiter können Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten oder elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierungen angeordnet werden.

Für Jugendliche ab 15 Jahren kann zusätzlich das Verbot verhängt werden, eine bestimmte von der antragstellenden Behörde bezeichnete Liegenschaft oder Einrichtung zu verlassen, und zwar bis zu neun Monate. Hausarrest sozusagen. Man kann nun, ohne gegen das Strafrecht verstoßen zu haben, mit Freiheitsentzug bestraft werden. Diese Maßnahmen werden auf bloßen Verdacht von der Polizei verordnet und nicht von einem Gericht.

Schwammige Definitionen öffnen Tür und Tor für Willkür

Neben den Maßnahmen sind auch die Begriffe im Gesetz problematisch. So ist beispielsweise unklar, wer genau als terroristische Gefährder oder Gefährderin gilt. Ebenfalls wird die Terrordefinition schwammig dargelegt: Als terroristische Aktivitäten gelten neu ‚Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung‘, welche neben der Androhung oder Begehung von schweren Straftaten mit der ‚Verbreitung von Furcht und Schrecken‘ verwirklicht oder begünstigt werden. Was als Verbreitung von Furcht und Schrecken zählt, wird nicht weiter bestimmt.

So könnte eine Klimaaktivistin gemeint sein, die in ihren Instagram-Posts auf den Klimawandel aufmerksam macht und zum Beispiel darauf, dass unsere Regierung zu wenig unternimmt, die Wirtschaftslobby zu mächtig und einflussreich ist und sich deshalb grundlegende Strukturen und Machtverhältnisse ändern müssten. So würden dann Slogans wie #systemchangenotclimatchange oder bei Black-Lives-Matter-Protesten #nojustice-nopeace je nach Auslegung in diese Kategorie fallen. Die Unschuldsvermutung gilt nicht mehr, sondern alle könnten sich fortan mit politischen, aktivistischen, oder journalistischen Tätigkeiten und Aussagen in eine entsprechende Richtung verdächtig machen.

Es ist zu befürchten, dass durch das PMT gerade Menschen der muslimischen Glaubensgemeinschaft als auch Menschen mit Migrationsgeschichte mehr darunter leiden werden als die schweizerische Mehrheitsgesellschaft. Wie schon durch Racial Profiling sind besonders diese Gruppen von Kriminalisierung betroffen und stehen schon jetzt unter subtilem Generalverdacht.

Aus sozialarbeiterischer Sicht ist dieses Gesetz wenig sinnvoll und wirkt eher kontraproduktiv. Wenn Menschen auf bloßen Verdacht hin mit solch repressiven Maßnahmen belegt werden können, zieht das oft Problematisches nach sich. Die Gefahr kann darin bestehen, dass dadurch eine Radikalisierung eher begünstigt als ihr entgegengewirkt wird.

Ein Frontalangriff auf den Rechtsstaat – Kritik und Warnungen blieben ungehört

Im Inland haben sich unter anderem über 60 Rechtsexpertinnen und -experten, mit einem offenen Brief an die Regierung gewandt. Patrick Walder von Amnesty International kommentierte treffend, dass die Schweiz international immer wieder auf den Schutz der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus pochte, jedoch bei Kritik aus dem Ausland in derselben Sache auf taub und blind schalte. Weiter hat die UNO mehrere Stellungnahmen an die Regierung adressiert, wobei keine ihrer Empfehlungen im neuen Gesetz implementiert worden sind.

Auch Gülcan Akkaya, eine renommierte Menschenrechtsexpertin äußert Bedenken:

„Die neuen Bestimmungen zum Bundesgesetz über polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus verletzen die Grund- und Menschenrechte. Mit diesem Gesetz soll die Möglichkeit neu geschaffen werden, allein auf Verdacht der Polizei hin Maßnahmen wie Hausarrest, Ausreisevorbot, eine Meldepflicht oder Fußfesseln anzuordnen. Diese Gesetzesvorlage verwendet unpräzise Definitionen der Begriffe «Terrorismus» und «Gefährder», was zusammen mit der unzureichenden richterlichen Kontrolle der Willkür Tür und Tor öffnet. Die Vorlage ist eines Rechtstaats nicht würdig: Selbst der Kampf gegen den Terrorismus darf nicht dazu führen, dass rechtstaatliche Prinzipien ausgehöhlt werden. Unrecht darf nicht mit Unrecht bekämpft werden. Und nicht zuletzt werden sich autoritäre Staaten bestätigt fühlen, wenn ein Land wie die Schweiz einer solchen Gesetzesvorlage zustimmt.“

Das Gesetz kommt zur Abstimmung

Es ist erschreckend, dass die Mehrheit im Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, welches Grund- und Menschenrechte missachtet. Dass aus diesen Gründen von mehreren Jungparteien zeitnah das Referendum ergriffen wurde, war nicht erstaunlich. Doch gestaunt haben Mitte Januar viele, als trotz erschwerter Sammlung und Mobilisierung mit über 140.000 fast drei Mal so viele Unterschriften wie benötigt zusammenkamen. Somit kommt das Gesetz in absehbarer Zeit zur Abstimmung vor das Schweizer Stimmvolk. Es bleibt zu hoffen, dass es dieses freiheits- und grundrechtsgefährdende Gesetz ablehnen wird.

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