Eine der größten Dummheiten deutscher Linker in den vergangenen Jahren war es, das Buch von Christopher Clark über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit dem Titel „Die Schlafwandler“ zu verschreien. Die Analogie zur Gegenwart war von Anfang an klar. „Unsere“ heutigen Verantwortlichen schlafwandeln weiter dem Weltkrieg entgegen.
Das beginnt mit dem Wettrüsten. Das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI hat gerade die Aufrüstungszahlen für 2017 mitgeteilt. Danach betrugen die weltweiten Rüstungsausgaben 1739 Milliarden US-Dollar. Das sind wieder mehr als im Vorjahr, der Anstieg lag bei 1,1 Prozent, und deutlich mehr als am Ende des Kalten Krieges: Damals wurden weltweit etwa 1400 Milliarden US-Dollar für die Rüstung ausgegeben (1989 waren es 1425 Milliarden, 1990 1367 Milliarden). An der „Spitze des Rudels“, wie Donald Trump das einmal nannte, wieder die USA mit 610 Milliarden Dollar – in den Zahlen für 2017 ist die bereits beschlossene Erhöhung des Rüstungsbudgets der USA für das Folgejahr auf etwa 700 Milliarden Dollar noch nicht enthalten. Auf Platz zwei liegt China mit 228 Milliarden US-Dollar, gefolgt vom kriegführenden Saudi-Arabien mit einer Steigerung um 9,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 69,4 Milliarden Dollar. Russland hat ein Fünftel weniger als im Vorjahr ausgegeben und liegt mit 66,3 Milliarden Dollar auf dem vierten Platz. Die 29 NATO-Staaten haben zusammen 881 Milliarden Dollar für das Militär ausgegeben – mehr als das Dreizehnfache der Ausgaben Russlands, das von den NATO-Strichmännchen immer wieder als große Gefahr an die Wand gemalt wird.
Deutschland rangiert in der SIPRI-Liste mit 44,3 Milliarden Dollar (36,7 Milliarden Euro) auf Platz 9. Das soll aber nicht so bleiben. Finanzminister Olaf Scholz plant derzeit eine Steigerung um 5,5 Milliarden Euro, Militärministerin Ursula von der Leyen will 12 Milliarden Euro mehr bis 2021. Wenn die deutsche Regierung die den USA gegenüber eingegangene Zusage einlöste, das Rüstungsbudget auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzuheben, bedeutete dies eine Steigerung auf etwa 80 Milliarden Euro. Praktisch also eine Verdopplung der deutschen Rüstungsausgaben. Aus der Geschichte wissen wir, dass Aufrüstungsphasen stets in Kriege mündeten, nicht in die Verschrottung der Waffen. In gewissem Sinne war es nur nach dem Ende des Ost-West-Konflikts anders. Aber auch der Kalte Krieg war bei Lichte besehen ein Krieg. Heute wandelt Deutschland im Rudel mit und neuen Kriegen entgegen.
Das zweite Moment des Wandelns zum Großen Krieg sind die „kleinen Kriege“ und Konflikte. In Libyen, Afghanistan und Irak ist das vom Westen mit seinen Kriegen angerichtete Chaos nicht beendet. Offene Kriege toben weiter in Syrien und Jemen. Dort ist Deutschland nicht direkt beteiligt, liefert jedoch Waffen und unterstützt in Syrien die Assad-feindlichen Kräfte und in Jemen Saudi-Arabien. Die antirussische Kampagne hält an. Deutsche Truppen sind im NATO-Verbund nahe der russischen Grenze eingesetzt. Ideologisch ist man gern auf der Seite des Krieges. So lieferte die Behauptung, syrische Truppen hätten im April in der Stadt Duma Chlorgas eingesetzt, den Vorwand für den völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz Frankreichs, Großbritanniens und der USA gegen Syrien. Als der Leiter des ZDF-Studios in Kairo, Hans-Ulrich Gack, im Fernsehen Augenzeugen präsentiert hatte, die mitteilten, dies sei eine Provokation von IS-Milizionären gewesen, um die Westmächte gegen Assad in Stellung zu bringen, wurde er sofort als Verschwörungstheoretiker denunziert. Nichts sollte die westliche Kriegslüge erschüttern.
Weitere Kriegsherde entstehen. Israels Ministerpräsident Netanjahu versucht zusätzliche Munition zu liefern, um USA-Präsident Trump zur Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran zu bringen. Wer oder was aber gibt uns die Sicherheit, dass aus den begrenzten Konflikten kein größerer Krieg wird? Einzig die Entspannung auf der koreanischen Halbinsel und Trumps Entscheidung, sich mit Kim Jong-un zu treffen und einen „Deal“ mit ihm zu machen, an dessen Ende die Denuklearisierung der Halbinsel stehen könnte, gibt etwas Hoffnung. Auch hier jedoch sind die Mainstream-Medien in Deutschland auf dem Kriegspfad und kritisieren Trump wegen seiner Entscheidung.
Bleiben wir auf dem Feld der Ideologie und der Fehlperzeptionen. Anlässlich seines 200. Geburtstags versuchen sich auch die bürgerlichen Medien in Deutschland mit einem entspannten Verhältnis zu Karl Marx. Nicht jedoch Hubertus Knabe. Der berufsmäßige Antikommunist und Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin meinte, die Stadt Trier hätte das Geschenk einer Karl-Marx-Statue aus China ablehnen sollen. In China diene Marx als Instrument der Unterdrückung und erlebe gerade eine Renaissance. Chinas Staatschef Xi Jinping betreibe eine bewusste Rückkehr zum Marxismus, um pluralistische Tendenzen in seinem Land zu unterdrücken. Abgesehen davon, wie das so mit dem Erbe ist – war Jesus Christus für die Kreuzzüge verantwortlich, oder dafür, dass deutsche Bischöfe im Ersten Weltkrieg deutsche Kanonen segneten? Wichtiger ist, wie sich das offizielle Deutschland verhält.
Weltweit droht Handelskrieg. Angela Merkel hat bei Donald Trump in Sachen Strafzölle nichts Sichtbares erreicht. Die deutsche Exportwirtschaft hat einen vierwöchigen Aufschub erhalten. Nachdem Deutschland ohnehin absichtlich die Beziehungen zu Russland verschlechtert hat, ergibt sich die Frage des Verhältnisses zu China. In Sachen Handelskrieg wäre China als Exportnation der „natürliche Verbündete“ Deutschlands gegenüber den Angriffen Trumps. Der deutsche Spießbürger möchte aber gern seine „Werte“ auch in China eingeführt sehen. Das Land rangiert in deutschen Strategiepapieren als „autoritäre Herausforderung“, mit Russland auf einer Stufe. Und man wünscht sich die Zeiten zurück, da man im Kielwasser von Präsidenten wie Barack Obama oder Bill Clinton fahren konnte und meinte, auf der Seite „des Guten“ zu sein, während die USA neue Kriege führten. Tatsächlich droht der Konflikt mit den USA, und wenn man gleichzeitig die Beziehungen auch zu China verschlechtert, folgt wieder einmal ein Zweifrontenkrieg. Die Zweifrontenkriege des 20. Jahrhunderts hatte Deutschland folgerichtig verloren.
Jetzt wäre eine weise deutsche Außenpolitik vonnöten. Aber es sieht nicht danach aus. In den vergangenen Jahren hatte Deutschland Außenminister, die zuweilen etwas Klügeres im Sinn hatten als die Kanzlerin, „Richtlinienkompetenz“ hin oder her. Jetzt haben wir einen, der nur das spricht, was er soll. Schlafwandler? Deutschland hatte in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg seine schlechtesten Außenpolitiker seit dem Abgang Bismarcks 1890. Holt heute jemand die Somnambulen rechtzeitig vom Dach?
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus der soeben erschienenen neuesten Ausgabe von „Das Blättchen – Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“. Die komplette Ausgabe kann auf der Website www.das-blaettchen.de kostenfrei eingesehen werden. Allerdings haben auch nicht-kommerzielle Projekte Kosten. Daher helfen Soli-Abos zum Bezug als PDF (hier klicken) oder in einem eBook-Format (hier klicken) dem Redaktionsteam bei der Lösung dieser Frage. Ein Beitrag von Erhard Crome.