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Katalonien, Klasse und Unabhängigkeit

Die brutale Antwort des spanischen Staates auf das katalanische Unabhängigkeitsreferendum letzten Monat war schockierend, schreibt Hector Sierra, aber jetzt ist es Zeit für die Linke, die Führung zu übernehmen.

Die Ereignisse in Katalonien haben die Grenzen liberaler Demokratien erneut aufgezeigt. Friedrich Engels schrieb, dass der kapitalistische Staat unter anderem „aus bewaffneten Menschen“ zusammengesetzt ist. Selten war das in der jüngeren Geschichte so offensichtlich wie am Sonntag, den 1. Oktober, als die spanische Regierungspartei, die von Mariano Rajoy angeführte konservative Volkspartei (Partido Popular, kurz PP), auf das katalanische Unabhängigkeitsreferendum mit der Stationierung von 10,000 Polizistinnen und Polizisten und paramilitärischen Agenten reagierte, um Wählerinnen und Wähler physisch an der Stimmabgabe zu hindern. Dieser Polizeiapparat schloss Wahllokale, konfiszierte Stimmzettel und verursachte mehr als 800 Verletzte.

So brutal das harte Vorgehen auch war, so inspirierend war der Widerstand dagegen. Im Vorfeld zum Referendum antwortete die katalanische Bevölkerung auf die eskalative Anhäufung repressiver Maßnahmen seitens der PP mit neuen Mobilisierungswellen. Trotz des Risikos der Verfolgung meldeten sich Tausende freiwillig als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer und Komitees zur Verteidigung des Referendums schossen in Städten und Vierteln aus dem Boden. Zwei Tage vor dem Referendum besetzten Leute Wahlbüros, um die Polizei daran zu hindern, sie zu schließen. Am Tag des Referendums selbst boten geschätzt 3 Millionen Wählerinnen und Wähler dem staatlichen Verbot und der Polizei die Stirn und gingen raus, um an der Abstimmung teilzunehmen. Wegen der Konfiszierung der Wahlzettel und der Schließung der Stimmlokale ist die tatsächliche Wahlbeteiligung ungewiss, aber 2,3 Millionen Stimmen – was 43 Prozent der Wahlberechtigten entspricht – wurden ausgezählt und lieferten ein eindeutiges Ergebnis von 90 Prozent für die Unabhängigkeit.

Carles Puigdemont, der katalanische Präsident, hatte geschworen, nach einem positiven Abstimmungsergebnis die Unabhängigkeit zu erklären. Am Dienstag, den 10. Oktober, versammelten sich Menschen vor dem katalanischen Parlament und anderswo, um in fester Erwartung einer Unabhängigkeitserklärung seiner Rede zu lauschen. Zu ihrer Überraschung verkündete er die Unabhängigkeit, nur um im gleichen Atemzug ihre Inkraftsetzung aufzuschieben und die spanische Regierung um „Dialog“ zu bitten.

Nur einen Tag zuvor hatte Pablo Casado, der Sprecher der PP, eine ominöse Warnung an Puigdemont gesandt: „Lass uns hoffen, dass morgen nicht [die Unabhängigkeit] erklärt wird, weil derjenige, der sie verkündet, so enden könnte wie der Letzte vor 83 Jahren.“ Das war eine Anspielung auf Lluís Companys, den katalanischen Präsidenten zu Zeiten der spanischen Republik in den 1930ern, der inhaftiert und infolge des Militärputsches unter Francisco Franco von der faschistischen Armee hingerichtet wurde.

Die fortgeführte Unterdrückung beweist den Widerwillen der spanischen Regierung, überhaupt irgendetwas anderes als die Kapitulationsbedingungen der Unabhängigkeitsbewegung zu besprechen. Die Führungspersonen der beiden bedeutendsten Unabhängigkeitskampagnen, Jordi Cuixart (Òminum Cultural) und Jordi Sánchez (Katalanische Nationalversammlung), wurden ohne Anklage in Verwaltungshaft genommen und erwarten, mit dem Vorwurf der Aufwiegelung verurteilt zu werden.

Entstehung

Am Samstag, den 21. Oktober, setzte Rajoy Artikel 155 der spanischen Verfassung in Kraft, wodurch Puigdemont sowie die gewählte Regionalregierung des Amtes enthoben und die katalanische Finanzwirtschaft, Polizei sowie die öffentlichen Fernsehstationen unter Kontrolle der Regierung in Madrid gebracht wurden, womit die katalanische Autonomie bis zum Ausruf von Neuwahlen quasi aufgelöst ist.

Die Estelada Groga Kataloniens, Bild: Daniel Kerekeš.

Manche zogen aus den schockierenden Bildern des Referendums und der nachfolgenden Ereignisse den Schluss, der spanische Staat sei nicht wirklich eine Demokratie, da ein echter Bruch mit der faschistischen Diktatur, die 40 Jahre lang (1939-1978) das Land beherrschte, nie stattgefunden habe.

Allerdings sollten wir derartige Versuche, die Ereignisse als spanisches Abweichen von europäischer Norm zu verklären, ablehnen. Die französische Regierung ließ verkünden, dass sie eine Unabhängigkeit Kataloniens unter keinen Umständen anerkennen würde und die Europäische Union erachtete das Referendum als „eine interne Angelegenheit“ des spanischen Staates und setzte ihr Vertrauen in Rajoys Führungskraft, mit der die Krise „im Einklang mit der spanischen Verfassung und Menschenrechten“ gelöst werden solle.

Dieselbe Missachtung des Wahlwunsches der einfachen Bevölkerung konnte schon vor zwei Jahren in Griechenland beobachtet werden, als eine Mehrheit die Austeritätspolitik in einem Referendum ablehnte und die Institutionen der Europäischen Union die Syriza-Regierung trotzdem zu einer Erhöhung und Intensivierung der Einschränkungen zwangen.

Andererseits bedarf es einer Klärung der Frage danach, wie es sein kann, dass zwei konservative Regierungen im modernen Europa – eine von David Cameron geführte in England, eine andere im spanischen Staat unter Rajoy – auf scheinbar ähnliche Krisen, die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland und Katalonien, derart unterschiedlich reagierten. Cameron begegnete dem Referendum von 2014 aus einer zuversichtlichen Position heraus – für ihn war es eine Art Risikospiel, um das Thema ein für allemal zu beenden. Rajoy auf der anderen Seite agierte die ganze Zeit aufgrund von Schwäche.

Der spanische Staat rang das letzte Jahrzehnt über am unteren Ende der neoliberalen Weltordnung darum, nicht unterzugehen. Es bestanden brutale Austeritätsmaßnahmen – genauso wie Widerstand gegen sie. Die PP hat sechs Jahre inmitten tiefreichender wirtschaftlicher und politischer Krisen sowie zahlreicher Korruptionsskandale regiert. Seit 2016 sitzt Rajoy einer Minderheitsregierung vor, die auf die Mitte-links-Partei Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) angewiesen ist. Von Anfang an verzichtete die PP auf jegliche Verhandlungen mit der katalanischen Regionalregierung, die eine Unabhängigkeit befürwortet, und griff in der Hoffnung, die Bewegung durch Repression in die Knie zwingen zu können, meist auf Drohungen und Angriffe zurück.

Nichtsdestotrotz stellt das Erbe des Franco-Regimes einen Faktor dar. Die Diktatur strebte Uniformität in Sachen Sprache und nationaler Identität an, die den Interessen der Kapitalistenklasse entsprach und sie unterdrückte sowohl Gruppen wie die Katalanen und die Basken als auch die Arbeiterbewegung jahrzehntelang erbarmungslos.

Die 1970er waren von der Organisation der Arbeiterklasse und dem Kampf für nationale Rechte geprägt, was wesentliche Erfolge mit sich brachte, aber letztlich handelten jene Teile des Franco-Regimes, die die Notwendigkeit für Reformen erkannten, einen Deal mit den Führern der PSOE und der Kommunistischen Partei Spaniens aus, der viele franquistische Strukturen unangetastet ließ und die Armee mit der Verteidigung der nationalen Integrität betraute. Juan Carlos I, der von Franco als spanischer König eingesetzt worden war, enthüllte, dass der Diktator ihm vor seinem Tod eine einzige Aufgabe anvertraute: „Eure Hoheit, die einzige Sache, um die ich Euch bitte, ist die Bewahrung der spanischen Einheit.“

Die PP ist von sieben Ministern Francos mit dem Vorhaben eines Kräfterückgewinns der Rechten gegründet worden. Sie hat nie vollständig mit der eigenen Vergangenheit gebrochen und besteht aus den reaktionärsten Teilen der Gesellschaft. Deswegen ist die PP dem Druck von Rechtsradikalen und ihrer Peripherie in besonderem Maße ausgeliefert. Diese werden keinerlei Kompromisse akzeptieren und sie wollen von Rajoy, dass er ein Exempel am katalanischen Volk statuiert.

Verfolgung

Protest in Katalonien – Bild von Krystyna Schreiber

Auf der einen Seite kann die PP auf Basis von Verhandlungen keine Lösung der Krise erwirken, ohne wichtige Teile ihrer Wählerschaft und wirtschaftliche Unterstützerinnen und Unterstützer zu erzürnen; auf der anderen Seite offenbart ihre verzweifelte Flucht in die Repression ihre Schwäche sowohl im Inland als auch im Rest Europas.

Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist die größte Herausforderung, mit der sich das post-diktatorische System Spaniens bislang konfrontiert sah. Trotzdem wurde das Gros der Linken im spanischen Staat dieser Herausforderung nicht gerecht. Im Mai endete ein Aufbegehren auf Graswurzelebene in der Wahl von Pedro Sánchez als Vorstand der PSOE. Sánchez ist von seinem Parteiapparat im Vorfeld aus der Führung entfernt worden, weil er glaubte, dass die Partei (die von 42,6 Prozent der Stimmen im Jahr 2008 auf 22,6 Prozent im Jahr 2016 abgestürzt ist) sich statt der konservativen PP der Anti-Austeritäts-Partei Podemos annähern sollte. Allerdings stellte die Krise in Katalonien seine radikale Forderung rasch auf den Prüfstand und bewies deren Kurzlebigkeit. Sánchez unterstützte die Methoden Rajoys zur Zerschlagung der Unabhängigkeitsbewegung bedingungslos und seine in Verruf gebrachte Partei dient der PP-Regierung als Stütze.

Überraschender ist, dass Podemos, die radikale linke Partei – die in Spanien Millionen begeisterte und „die Beendigung des 78er-Regimes“ (benannt nach der Verfassung von 1978) zu ihrer historischen Aufgabe machte – keinen grundlegend anderen Standpunkt eingenommen hat. Die Vereinigte Linke (IU) unter Führung von Podemos und der Kommunistischen Partei lehnte das Referendum mit der Begründung ab, dass es keine Sicherheiten bringe – was bedeutet, dass es nicht von der Regierungspartei abgesegnet ist. Während die Situation weiter eskalierte, beharrten Podemos und die IU auf ihrer Forderung nach einem legalen Referendum. Am 1. Oktober verurteilten sie die Angriffe und forderten den Rücktritt Rajoys, aber kurz darauf verkündeten sie, dass sie eine Unabhängigkeitserklärung nicht unterstützen würden. Pablo Iglesias von Podemos betonte den Unterschied zwischen ihnen und der PP mit den Worten: „Wir wollen Unabhängigkeitsbefürworter besiegen, aber nicht durch Anwendung von Gewalt.“

Wie Syriza in Griechenland ist Podemos eine Partei, die auf die Reformation des spanischen Staates setzt, nicht auf seine Abschaffung. Sie erkennen den kapitalistischen Staat nicht als Werkzeug in den Händen der herrschenden Klasse an, sondern als umkämpftes Territorium, dass die Linke erobern kann, um Reformen umzusetzen, die das Leben der Menschen verbessern. Demzufolge sehen sie ihre Bestimmung zu Zeiten, in denen der Staat sich am Rande des Zusammenbruchs befindet, in dessen Rettung. Daher stützen sie die Regierung unter Rajoy auch in der Praxis in einem Moment großer Schwäche.

Die spanische Linke zu kritisieren bedeutet nicht, die Annahme von einigen katalanischen und baskischen Linken zu teilen, dass Spanien von Natur aus ein reaktionäres Land ist. Als Internationalistinnen und Internationalisten bewerten wir Unabhängigkeit nicht nur als ein Mittel, die Interessen der katalanischen Arbeiterklasse zu verwirklichen, sondern als den Funken für einen revolutionären Prozess in ganz Spanien und darüber hinaus. In Situationen sich ausbreitender sozialer Unruhen wie der jetzigen können sich die Ansichten von Menschen schnell ändern. Während die Führung der Linken wegen ihrer Zugeständnisse an den spanischen Kapitalismus gelähmt ist, weisen Aktivisten aus der Graswurzelbewegung sowie Unterstützer von Podemos das Narrativ der nationalen Einheit zurück und organisieren im ganzen Land Kundgebungen und Demonstrationen in Solidarität mit der katalanischen Bevölkerung.

Ermutigung

Aber sie sind nicht die einzige treibende Kraft. Ermutigt von den Angriffen der PP auf Katalonien versucht der rechte Rand, seine Riegen zu mobilisieren und findet in manchen Fällen mit bedenklichem Erfolg Gehör für seine Ansichten. Wenn die Unabhängigkeitsbewegung besiegt werden sollte, werden diese Leute es als ihren Sieg verbuchen. Sie werden an diesem Punkt nicht aufhören. Sie werden energischer denn je Angriffe auf die starten, die sie als ihre Feinde ansehen – beispielsweise auf Anhängern von Podemos oder Aktivistinnen und Aktivisten für LGBT+-Rechte oder das Recht auf Abtreibung. Sollte im Gegenzug die Unabhängigkeitsbewegung siegreich hervorgehen, wäre die Lehre für Millionen von Menschen, die die Austeritätspolitik und den steigenden Autoritarismus leid sind, dass die PP und ihre Bosse zu schlagen sind, wenn sich einfache Leute organisieren.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen erfahren seit 2010 Zulauf, nachdem in Spanien und Katalonien als Reaktion auf den steigenden Unmut der Katalanen Reformversuche der PSOE-Regierung durch die PP und das spanische Verfassungsgericht torpediert wurden. Die Ablehnung der Austeritätspolitik, die nicht nur von der PP, sondern ebenso von der rechtsnationalen katalanischen Regierung eingesetzt wurde. radikalisierte die Unabhängigkeitsbewegung fortwährend.

Im Jahr 2015 wurde eine die Unabhängigkeit befürwortende Mehrheit ins katalanische Parlament gewählt, die sich aus drei Parteien zusammensetzt: der neoliberalen Katalanischen Europäischen Demokratischen Partei (PdeCAT), der sozialdemokratischen Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP), die sich dagegen entschied, der Regierung beizutreten, aber ihr bedingt Unterstützung zusagte.

Wie in Schottland hat die Unabhängigkeit für die verschiedenen Klassen, die um sie kämpfen, unterschiedliche Bedeutungen. Für das Bürgertum, das durch eine Krise, die dessen Lebensstandard gesenkt hat, radikalisiert worden ist, bietet ein neuer katalanischer Staat primär eine Verbesserung der Wirtschaftslage. Für die Arbeiterklasse geht die Unabhängigkeit mit einer Reihe progressiver Forderungen einher, beispielsweise mit der Ablehnung von Kürzungen, der Aufnahme von mehr Geflüchteten, der Gegnerschaft zu Fracking und besonders der Möglichkeit, eine demokratischere und egalitärere Gesellschaft aufzubauen.

Im Kern war die Folge der Unnachgiebigkeit der spanischen Regierung – die Tatsache, dass Unabhängigkeit ohne Verstoß gegen die verfassungsgemäße Rechtsordnung unmöglich gemacht wurde – dass, jedes Mal, wenn die Bewegung vor Hindernissen stand, die Rechte ins Wanken kam und es in der Hand der Massen und der Linken lag, den Prozess voranzutreiben. Daraus ergab sich auf Kosten der PDeCAT ein Erstarken der ERC. Die CUP, die die Illusionen der Menschen in die katalanische Polizei oder die Europäische Union als Verbündete der Bewegung infrage stellt, ist zunehmend einflussreicher geworden.

Das Referendum am 1. Oktober wurde nicht mithilfe von klugen Manövern der katalanischen Regierung möglich gemacht, sondern durch den zivilen Ungehorsam, den Einsatz und die Selbstaufopferung von Millionen von einfachen Leuten. Die Rolle der organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter wurde immer wichtiger: von der Weigerung der Hafenarbeiter, in Schiffen zu arbeiten, die spanische Polizeiagenten beförderten bis hin zum Schutz von Wählerinnen und Wähler vor der Polizei durch Feuerwehrleute am Tag des Referendums. Die kraftvollste Reaktion auf die Polizeigewalt formierte sich zwei Tage nach dem Referendum, als sich 80 Prozent der katalanischen Arbeiterinnen einem Generalstreik anschlossen, der die Region lahmlegte. Die Komitees zur Verteidigung des Referendums überlebten ihre eigentliche Funktion und sind mittlerweile, nachdem sie wesentlich an der Organisation des Generalstreiks beteiligt waren, eine landesweite Graswurzelbewegung, die der Errichtung einer katalanischen Republik verpflichtet ist.

Selbstbestimmung

Sozialistinnen und Sozialisten verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung für unterdrückte Völker. Bekanntermaßen war es Lenin, der die Frage stellte: „Kann ein Volk frei sein, das andre Völker unterdrückt?“ Seine Antwort war unmissverständlich: „Nein“, kann es nicht. Aber wir lehnen die Vorstellung ab, dass reiche Fabrikbesitzerinnen und arme Arbeite, die der selben Nation angehören, die gleichen Interessen verfolgen würden: die Gesellschaft ist entlang der Klassen gespalten, nicht entlang der Staatsgrenzen.

Die spanische Herrscherklasse strebt danach, diese Krise als einen nationalen Konflikt zwischen einfachen Spaniern und Katalanen darzustellen, um spanische Arbeiterinnen und Arbeiter hinter die von ihnen zutiefst verachtete PP-Regierung zu scharen. Gleichermaßen versucht die katalanische Rechte, standhafte Bewegungen der Linken mit dem Vorwurf zu diffamieren, sie würden die Unabhängigkeit aufs Spiel setzen, um diese so in eine Querfront der nationalen Einheit gegen die PP zu zwingen.

Manche behaupten, dass Puigdemonts Aufruf zum Dialog ein weiterer genialer Schachzug war, mit dem er die spanische Regierung ausgetrickst habe – der schwarze Peter läge jetzt in der Hand der PP, schließlich könne diese die Gespräche nicht einfach ablehnen und auf undemokratische Weise agieren, da so weltweit die Sympathie mit der Unabhängigkeit steigen würde. Allerdings besteht kein Zweifel daran, dass sein Manöver einem zweiten Zweck diente. Die Eigenständigkeit der Massen entwickelte sich zur treibenden Kraft hinter den Vorgängen und die katalanische Regierung versuchte die Führungsrolle weg von den Straßen und zurück in die von ihnen kontrollierten Institutionen zu leiten.

Puigdemont hat keinen „Verrat“ begangen; vielmehr hatte die Radikalisierung der Bewegung einen Punkt erreicht, an dem die Klassenfrage nicht mehr ignoriert werden konnte. Die führende Rolle der Massen entsprach neben der Parteinahme der EU für den spanischen Staat und der Gefahr, dass Großkonzerne Katalonien verlassen, nicht den Vorstellungen der katalanischen Rechten. Ihnen ist nach wie vor daran gelegen, Unabhängigkeit zu erlangen, doch wollen sie sicherstellen, dass diese ihren Bedingungen entspricht.

Jedoch war Puigdemonts Wagnis eine Kapitulation vor der spanischen Regierung und er lieferte damit linke Katalanen ohne jede Verteidigungsmöglichkeit an die vor Wut tobende PP aus. Überdies wurde damit eine Verschnaufpause für zögerliche Teile der PdeCAT geschaffen, die in der Unabhängigkeit eine Möglichkeit zur Verwirklichung ihres jahrzehntealten, sicheren Traumes von „Homerule inmitten Spaniens“ sahen – weit entfernt von Träumen der Befreiung also, nach denen sich Millionen sehnen.

Die CUP kritisiert Puigdemonts Strategie des Hinhaltens in Sachen Unabhängigkeit, aber die Massenbewegung lag bis zur Inhaftierung der Führungskräfte der ANC und des Òmnium Cultural eine Woche lang still.

Die katalanische Linke benötigt eine von der Rechten unabhängige, eigene Strategie. Eine Loslösung von der PdeCAT bedeutet, Parteien, die innerhalb Kataloniens mit Podemos verknüpft sind, sowie die Aktivistinnen und Aktivisten in ihren Reihen für die Unabhängigkeit zu gewinnen, was nicht ohne eine Intensivierung des Klassenbewusstseins innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung ermöglicht werden kann.

Die radikale Linke kann sich an die Spitze der Bewegung für Unabhängigkeit und eine bessere Gesellschaft stellen, aber sie muss dafür bereit sein, Erpressungsmaßnahmen von rechts standzuhalten. Internationale Solidarität alleine wird die Folgen der Entwicklungen nicht bestimmen, aber sie kann einen bedeutenden Unterschied machen. Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Europa erringen einen Sieg, wenn die spanischen Konservativen und die undemokratischen Institutionen der EU eine Niederlage erleiden.

Der Artikel erschien im Socialist Review und wurde von Ramsis Kiliani übersetzt

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