Die Freedom beim Verlassen des Hafens von Brighton, Großbritanien.

Israel fängt die Freiheit ab

Nach mehreren tausend Seemeilen, näherte sich jetzt das zweite Boot der kleinen Freedom Flotilla, die “Freedom”, dem Gazastreifen- und wurde wie der Vorgänger Al-Awda von der israelischen Marine in internationalem Gewässer gekapert.

Es gehört zur üblichen Praxis der Besatzungsarmee, alle Kommunikation von Bord der betroffenen Boote aus zu unterbinden und alle elektronischen Geräte zu beschlagnahmen- sie werden in den meisten Fällen auch später nicht zurückerstattet. Daher werden wir erst später durch die Crewmitglieder und Aktivistinnen erfahren, wie der Akt der Piraterie dieses Mal abgelaufen ist. Aktivisten der Al-Awda -das Schiff wurde am Sonntag den 29.7.2018 gekapert- berichteten bereits über die gewalttätige Übernahme durch israelischen Soldaten.

Was passiert jetzt?

Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden die Aktivistinnen gegen ihren Willen nach Ashdod gebracht, untersucht, verhört und dann in ihre Herkunftsländer deportiert. Das Boot selbst wird beschlagnahmt und verkauft; ein israelisches Gericht hatte vorab beschlossen, dass die Gelder einer israelischen NGO zugute kommen sollen.

Beide Schiffe sollten nach dem Willen der Organisatoren ursprünglich  den Fischern Gazas zur Verfügung gestellt werden. An Bord der “Freedom” befinden sich dringend in Gaza benötigte Medikamente und Verbandsmaterial. Das symbolische Durchbrechen der Blockade Gazas durch Israel und Ägypten hätte auch ein entscheidendes Signal der Hoffnung für die mehr als zwei Millionen eingeschlossenen Bewohnerinnen des Gaza-Streifens bedeutet- das konnte Israel nicht zulassen.Die Freedom Flotilla 2018 startete ursprünglich in Bergen, Norwegen. Auf ihrem Weg nach Gaza steuerten sie viele europäische Häfen an und konnten wichtige Öffentlichkeitsarbeit leisten. Siehe das Interview mit Zohar Chamberlain Regev.

Wer das Ansinnen der Freedom Flotilla Coalition mit Sympathie verfolgt, konnte gestern nicht umhin, die Annäherung des letzten Schiffes als nervenraubendes Drama zu erleben. Die “Freedom” ist ein reines Segelboot und so verzögerte eine Windflaute die Ankunft in der Gefahrenzone um mehr als einen Tag. Auf der Homepage des schwedischen Teams der Flotilla (www.shiptogaza.se) ließ sich der Fortschritt per GPS-gesteuerter Karte nachvollziehen. 100 Seemeilen durchbrochen, dann 90, dann 68, dann 40; ein Punkt relativ weit hinter dem Seegebiet, in dem die Marine normalerweise zuschlägt. Sollten sie diesmal doch durchkommen? Irrational, natürlich, aber wer weiß?

Zugleich fiel es nicht all zu schwer, sich in die Lage der Aktivisten zu versetzen. Obwohl in der Vergangenheit das Erreichen Gazas als Überraschungscoups schon gelungen war- seitdem waren X Versuche gescheitert. 2010 wurden 10 Aktivisten an Bord des türkischen Schiffes Marvi Marmara durch israelische Kommandos erschossen.

Funkstille

Palästina- ein von der Außenwelt abgeschnittenes Archipel- wenn wir es zulassen.

Wie dies technisch funktioniert ist mir immer noch nicht klar, aber wenn ich es richtig verstehe, ist der komplette Ausfall aller Kommunikationsinstrumente das untrüglichste Zeichen für die Aktivistinnen an Bord, dass die Erstürmung kurz bevorsteht. Versetze dich in diese Lage: mit 10 Mitaktivisten auf dem Mittelmeer, das Land immer noch nicht in Sicht, die Nacht bricht herein und du weisst, dass militärische Schnellboote auf dem Weg zu dir sind. Und dass die Soldaten deine Mitaktivistinnen nur wenige Tage zuvor geschlagen, getasert und gefesselt haben.

Was sich die Betroffenen sicherlich wünschen: dass sie bald und ohne allzutiefe Spuren psychischer und physischer Gewalt in ihre Heimatländer zurückkehren können. Wir wünschen es mit und für sie.

Worum geht es eigentlich?

Was sie sicherlich nicht wollen: dass wir über den “Nervenkitzel” dieser Geschehnisse vergessen, auf welches Ziel hin die Gaza-Flotilla eigentlich abzielt. Nämlich, so der Untertitel der diesjährigen Flotilla, die Forderung nach  dem “Right to a just future for Palestine”- dem Recht auf eine gerechte Zukunft für Palästina.

Die Bewohner Gazas und letztlich alle Palästinenserinnen müssen sich dauerhaft fühlen wie die Aktivisten gestern nacht auf dem von der Außenwelt abgeschnittenen Boot. Sie wissen, dass das Unheil droht, sie wissen von wo es kommt und dass ihre Befürchtungen sehr realistisch sind.

Den Flotilla-Freiwilligen ist klar, dass ihre schlimmen Erlebnisse ein Klacks sind im Vergleich zu dem was die Palästinenserinnen durchmachen. Yonatan Shapira schreibt ganz richtig: “Wären wir Fischer aus Gaza gewesen oder Kinder, die sich dem Grenzzaun in Gaza nähern, dann hätten sie uns einfach eine Kugel in den Kopf verpasst und fertig.” Und eben genau dies geschah eben ebenfalls am gestrigen Freitag. Die Protestierenden am Grenzzaun wurden abermals beschossen, wieder wurde ein Palästinenser getötet, wieder dutzende verletzt.

SOS

Die Palästinenser funken im -im übertragenen Sinne- auf allen Kanälen SOS. Seit Jahrzehnten. Dass wir sie nicht hören hat, das stimmt, einerseits mit den fantastisch geölten und finanziell brilliant ausgestatten Hasbara-Bemühungen der israelischen Regierung und ihrer zionistischen Anfeurer zu tun. Ja, und natürlich auch mit der -aus Ignoranz, Blödheit oder leidenschaftlicher Überzeugung praktizierten- Komplizenschaft so vieler europäischer Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten.

Ein weiterer Unterschied jedoch zwischen der Situation der Aktivistinnen gestern nacht und den Palästinenserinnen: das Internet verhindert, dass ihre SOS-Rufe gänzlich unterdrückt werden können. Jeder, der willens ist, kann sich heute ein umfassendes Bild über die faktischen Zustände in Palästina machen und wissen, wer daran schuld ist.

Und hier wendet sich die Fragestellung an uns alle, an jede und jeden. Wieviele Flotillen müssen noch abgefangen werden bevor eine gerechte Gegenwart für Palästina gesichert ist? Wieviele Beduinendörfer müssen noch wie häufig durch israelische Bulldozer zerstört werden? Wie explizit rassistisch müssen die Gesetze und Politik Israels noch werden? Wie viele Ahed Tamimis und Marwan Barghoutis und all die anderen namentlich unbekannten Palästinenser -alleine über 300 Kinder und Jugendliche während du dies liest- müssen noch ins Gefängnis? Was muss noch geschehen, um uns aufzurütteln? Und während es gut und richtig ist, sich durch die Untaten des israelischen Siedlerkolonialismus, durch seine Apartheid, seine Besatzung in all ihrer gewaltätigen Hässlichkeit aufrütteln zu lassen, stellen die SOS-Rufe der Palästinenser meines Erachtens doch eine noch grundlegendere Frage an uns:

“Wann beginnst du zu handeln?”

Ein Artikel von Christoph Glanz, er ist Antifaschist und BDS-Aktivist.

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3 Antworten

  1. Wir müssen alle lernen hinzuschauen und nicht wegzusehen. Alle Hitzköpfe an der Macht

    müssen merken, dass ihnen nicht ALLE Macht gegeben ist.

  2. In Sachen Palästine und Islam

    „Nur die allergrössten Kälber, wählen ihren Metzger selber.“

    Das gillt auch für Euch, Ihr zwangshaften „Menschenrechtler“!!

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