Andrej Hunko in der Türkei

Der AKP geht es um die Kurden, nicht um den IS – Im Gespräch mit Andrej Hunko

In den Tagen seitdem Anschlag in Suruc hat sich die Situation verschärft, kurdische AktivistInnen wurden verhaftet, türkische Polizisten angegriffen und die Türkei hat kurdische Stellungen in Syrien bombardiert. Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken, ist am Wochenende auf Einladung der HDP in die Türkei geflogen um an der letztendlich abgesagten Friedensdemo teilzunehmen. Wir haben direkt nach seiner Rückkehr mit ihm über die Situation vor Ort, die Beweggründe der AKP und die Rolle der Nato gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Andrej du warst am Wochenende in der Türkei, was war der Anlass?

Andrej Hunko: Es ging vor allem darum, nach dem furchtbaren Anschlag in Suruc Anteilnahme und Solidarität zu zeigen und im Angesicht der dramatischen Entwicklung in der Türkei Präsenz der Linken zu zeigen. Es gab eine kurzfristige Einladung der HDP zu der eigentlich geplanten Friedensdemo in Istanbul.

Die Freiheitsliebe: Die Friedensdemo an der du teilnehmen wolltest, wurde kurzfristig abgesagt, was war die Begründung?

Andrej Hunko: Die Begründung waren Verkehrsprobleme. Die Demo sollte vom Taksimplatz quer durch die Stadt zum Aksaray gehen, was natürlich schon eine sehr belebte Gegend ist. Offiziell wurden neben Verkehrsproblemen noch Sicherheitsbedenken angeführt, in Wirklichkeit ging es aber darum eine starke Demonstration gegen den aktuellen Kriegskurz der AKP-Regierung zu verhindern. Gerechnet wurde für die Demo mit einer Million Menschen, was man verhindern wollte.

Die Freiheitsliebe: Du hast auch an einer Pressekonferenz der HDP teilgenommen, die statt der Demo stattfand, wie hast du die Situation wahrgenommen?

Andrej Hunko: Die Pressekonferenz war keine der HDP, sondern des Friedensblocks dem neben der HDP auch Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und einzelne CHP-Abgeordnete angehören. Die Stimmung ist einerseits sehr besorgt über die Luftangriffe gegen die kurdischen Gebiete und der Sorge über ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs. Andererseits ist sie aber auch sehr kraftvoll, denn man merkt, dass die Linke nach den Wahlen im Juni gestärkt ist.

Die Freiheitsliebe: Werden die Luftangriffe gegen ISIS auch abgelehnt oder wie werden diese gesehen?

Andrej Hunko: Diese werden vor allem als fadenscheinig wahrgenommen. Allein die Zahl der Razzien der letzten Tage, bei denen Menschen zuhause festgenommen wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Von den über 1000 Razzien betrafen 90 Prozent Linke oder kurdische Aktivisten und nur 10 Prozent vermeintliche Anhänger des IS. Die Stoßrichtung wird damit sehr deutlich, eine Frau wurde dabei sogar erschossen während der versuchten Festnahme. Danach gab es auch große Auseinandersetzung um die Beerdigung im Stadtteil Gazi, weil die türkische Regierung die Beerdigung verhindern wollte.

Die Freiheitsliebe: Du hast gesagt, dass die Stimmung kraftvoll ist, glaubst du trotzdem, dass die AKP darin ein Mittel sieht um die HDP zu schwächen, falls es zu Neuwahlen kommt?

Andrej Hunko: Auf jedenfall, es gibt zwei Motive, ein innenpolitisches und ein außenpolitisches. Die AKP hat die absolute Mehrheit bei den Wahlen im Juni verfehlt und es sieht nicht so aus, dass die AKP eine Regierung bilden kann, da keiner mit der AKP regieren will, auch wenn sie grade mit der CHP Gespräche führt. Wenn man die jüngsten Umfragen zu grunde legt, würde die AKP sogar noch schwächer und die HDP sogar 14 Prozent erhalten. Falls die Situation sich aber verschärft und es zu Anschlägen der PKK kommt, könnte Erdogan sich als Ordnungsfaktor und starker Mann darstellen, der die absolute Mehrheit braucht, dass ist das innenpolitische Kalkül. Das außenpolitische gilt den kurdischen Kämpfern von YPG und YPJ, die in der letzten Zeit ziemliche Erfolge erzielt haben und große Teile der Südgrenze kontrollieren, das ist für ihn schlimmer als ein Erfolg des IS. Was daher letzte Woche mit den USA ausgehandelt wurde ist eine von der türkischen Armee kontrollierte Pufferzone in syrischem Gebiet, die auch Kobane betreffen würde. Das ist wahrscheinlich das gegenwärtige außenpolitische Ziel: Die Verhinderung eines zusammenhängenden kurdischen Gebiets in Syrien.

Die Freiheitsliebe: Inwiefern ist denn Deutschland an der Nato-Strategie beteiligt?

Andrej Hunko: Heute tagt der Natorat und die Türkei versucht den Bündnisfall herzustellen, was völlig absurd ist, weil der Bündnisfall nur gilt, wenn ein Mitglied angegriffen wird. Hier greift aber die Türkei Syrien und Teile des Nordiraks an. Wenn es zum Bündnisfall kommen würde, hieße es Deutschland würde Kriegspartei, unter anderem auch mit den in der Türkei stationierten Patriot-Raketen, die vor einem vermeintlichen Angriff Assads schützen sollten, was auch bei der Stationierung schon absurd war. Ich denke, dass es wichtig ist, diesen Kurs nicht zu unterstützen und die Patriot-Raketen abzuziehen, weil diese auch eine Unterstützung für den Kurs der türkischen Regierung sind.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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2 Antworten

  1. „kurdische AktivistInnen wurden verhaftet, türkische Polizisten angegriffen“
    „AktivistInnen“ „Polizisten“
    Warum wird eigentlich „Polizisten“ nicht korrekt gegendert, aber „AktivistInnen“ schon? Warum so inkonsequent? Wo bleibt eure „Awareness“?
    lmao ;)

    1. Aktive Menschen, kurdischer Abstammung, wurden verhaftet; Menschen, türkischer Abstammung, im polizeilichen Dienst tätig, wurden angegriffen, … wär‘ doch was, oder? Und „awareness“ wird kleingeschrieben ;-). Wie könnte Mensch „die Demo“ und „den“ oder „der Tod“ „gendern“? Wer bestimmt über der/die/das; er/sie/es/… das korrekt gegenderte Wort, gibt’s da schon ein Nachschlagewerk dazu? Worum geht’s hier eigentlich? Wo führt das hin, bzw. wovon führt das weg? Menschen führen Krieg, sterben, …. Die Achtung fängt viel früher an!

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