Ein entscheidender Faktor für die Gesellschaftsentwicklung eines Landes ist Bildung – in jeglicher Hinsicht. Dieser Gedanke wird auch verfolgt von Wirtschaftsvertretern, deren Interesse es natürlich ist, möglichst viele Bürger von ihren arbeitgeberfreundlichen Ansichten zu überzeugen. Und wie gelingt Bildung am besten? Selbstverständlich über Hochschulen wie beispielsweise der privatfinanzierten Eliteuniversität „WHU – Otto Beisheim School of Management“ in Vallendar, Nähe Koblenz.
Studierende der Hochschule organisierten wie jedes Jahr seit 2003 auch in diesem November wieder die Initiative „forumWHU – Wirtschaft in der Verantwortung“. Eine lobenswerte Aktion, sollte man meinen – ist es doch von großer Bedeutungen, angehenden ManagerInnen ihre Verantwortung und den Einfluss ihres wirtschaftlichen Handelns näherzubringen. Dass das diesjährige Thema „Bedeutungslos oder Europas Leuchtturm? – Deutschlands Zukunft in der Welt“ unter anderem die Schere zwischen arm und reich behandelte, ist bei näherem Hinsehen zwar ein wenig ironisch, da die Studierenden einen Semesterbeitrag von 6000€ zu leisten und die Erstsemestler jede Studierendenparty für alle KommilitonnInnen zu finanzieren haben (welche sich laut einer WHU Studierenden auf etwa 10.000 Euro pro Party belaufen). Andrerseits lässt sich auch argumentieren, dass vielleicht gerade in diesem Umfeld eine solche Debatte ein Umdenken fördern könnte. Nun, dies wäre wohl auch der Fall – wenn denn Studierende der WHU an dem Kongress überhaupt teilhaben würden. Allerdings wird der Kongress vor allem für Studierende anderer Universitäten veranstaltet, Bewerbungen WHU-interner Studierenden sind zwar erlaubt, doch das Interesse der Teilnahme scheint begrenzt.
Die Studierendenschaft der Business School gleicht einer Studentenverbindung
Auch in diesem Jahr bestand nämlich der Großteil der 150 geladenen Gäste aus Studierenden öffentlicher Universitäten aus ganz Deutschland, während WHUler vor allem organisatorische Aufgaben zu übernehmen hatten. Ob sie wollten oder nicht, es war auch hier der Einsatz der Erstsemestler, sogenannten „Quietschies“, gefragt. Gäste fremder Universitäten übernachteten bei ihnen, Aufgaben im Bereich Service, Bedienung etc. mussten ohne Diskussion von vielen von ihnen übernommen werden. Dass solche Strukturen stark an Studentenverbindungen erinnern, gaben selbst WHUler auf Nachfrage zu und bemerkten teilweise gar, dass ihnen die Traditionen vor Einschreibung an der Universität nicht bekannt waren.
Bemerkenswert war zweifelsohne das starke Engagement der einzelnen hauptsächlich aus dem dritten Semester stammenden Studierenden. Diese hatten seit dem letzten Jahr das Event vorbereitet und erzählten von zahlreichen schlaflosen Nächten und stundenlanger Arbeit. Über drei Tage hinweg fanden Diskussionen, Workshops und Vorträge – natürlich vor allem von Wirtschaftsvertretern – statt, zudem war für Übernachtungen bei “Quietschies” von angereisten Studierenden gesorgt, wie auch für regelmäßige Mahlzeiten, Galadinner, Weinprobe und Mitternachtskonzert. Kosten pro Teilnehmer beliefen sich auf unter 50 Euro – finanziert also vor allem von namhaften Unternehmen, die dementsprechend selbstverständlich während des Kongresses vertreten waren und Vorträge hielten oder Workshops organisierten: Allen voran Covestro, aber auch Xing, Debeka, IBM und Audi. Was ist schon dabei?, fragt man berechtigterweise. Solange die Unternehmen mit der Finanzierung solcher Veranstaltungen für die Bildung junger Studierender sorgen, ist das doch eine wahre Win-Win Situation! Vermutlich ein Argument vieler unkritischer TeilnehmerInnen, die nach diesem Wochenende mit dem Gefühl nach Hause gingen, etwas für ihr Studium und die Welt gelernt zu haben.
Wirtschaftslobby in der Hochschule
Zum Beispiel, dass Deutschland ein “ernstes wirtschaftliches Problem” in den nächsten Jahrzehnten durch den demografischen Wandel zu erwarten hat, wenn die Politik das Rentenalter nicht auf über 67 anhebt, wie der – wohl am meisten beklatschte – Gast Dr. Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der deutschen Bank, erklärte. Die von einer Studentin eingewandte Tatsache, dass laut Oxford Studie in den nächsten zwei Jahrzehnten etwa 50% der aktuellen Arbeitsplätze überflüssig würden durch die Digitalisierung – und somit Dombrets Argument zunichte macht – tat dieser ab: Es würden ja stattdessen neue Arbeitsplätze benötigt, die es jetzt noch nicht gebe. Fraglich bleibt, in welchem Sektor auf einmal so viele benötigte Arbeitsplätze hergezaubert werden.
Zudem wurden die Studierenden über die Hintergründe der hohen AfD-Zustimmungswerte aufgeklärt von Torsten Albig, SPD Mitglied und Ex-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein: Es herrsche eine “diffuse Angst” innerhalb der Bevölkerung vor “Terroristen” und ein unbegründeter “Mangel an Zuversicht in der Zukunft”, die Politik habe es “nicht verstanden zu erklären, was in der Welt passiert”, was auch der Grund für die schwachen Ergebnisse der beiden “Volksparteien” CDU und SPD bei den Bundestagswahlen gewesen seien. Als schließlich bei der Fragerunde ein Teilnehmer auf den Schwerpunkt des Kongresses, der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich, hinweist, fällt auch dem offiziellen Sozialdemokraten Albig ein, dass das Thema soziale Gerechtigkeit vielleicht irgendwo seinen verdienten Platz in der Rede gehabt hätte.
Weitere Themen, die mindestens diskusionswürdig waren, blieben unhinterfragt, aus dem einfachen Grund, dass keine Gegenstimme in den Debatten anwesend war. Nur um einige Beispiele zu nennen: Mehrfach wurde kritisiert, wie wenig Einfluss (das Fach) Wirtschaft auf Lehrpläne hat und die Idee hervorgebracht, dass jeder Wirtschaftsvertreter ein halbes Jahr lang an Schulen unterrichten sollte. Auf diesen Vorschlag von Markus Deutsch, einem Beratungsvorstand eines großen Wirtschaftsprüfungsunternehmens, folgte lauter Applaus. Interessanterweise war auch er es, der am Ende des Gesprächs die Studierenden dazu aufforderte, “einmal frech zu sein, den Hintern hochzukriegen, einfach zu widersprechen”.
Allgemein zustimmendes Nicken erwirkte auch die Aussage eines weiteren Managers, Hans Günther Kersten, “Deutschland steht vor einer historischen Chance: Die Generation der Alt-68er geht jetzt in Rente, die verantwortlich ist für ein Grundmisstrauen gegen die Wirtschaft und ihr Einfluss auf Schulen”, sowie das mehrfach wiederholte Statement von Reinhold Eben-Worlée, Präsident des Verbands für Familienunternehmen, “Probleme löst die Wirtschaft, Politik setzt nur die Rahmenbedingungen”.
Kaum bemerkt blieb auch die Tatsache, dass mindestens zwei der teilnehmenden Redner sowohl in Politik, als auch in Wirtschaft starke Verpflechtungen haben: Frank Gotthardt, ehemaliger CDU-Abgeordneter des hessischen Landtags und inzwischen Vorstand eines renommierten Chemieunternehmens in eben diesem Bundesland, sowie Torsten Albig, dessen Karriere immer mal wieder zwischen SPD-Politik und Konzernsprecher der Dresdner Bank hin- und herspringt.
Ach, da war ja noch was: Thema soziale Gerechtigkeit
Immerhin – eine einzige Debatte war nicht überhäuft von eifrigem Zustimmen des Gegenübers, sondern verlief so, dass sie den Namen “Debatte” auch verdient hatte: Zwei der Redner vermochten es in der Tat, Deutschlands gesellschaftliche Probleme zu thematisieren und zu versuchen, Ansätze einer Lösung zu finden. Paul Weimann, Landesvorsitzender eines Sozialverbands, brachte die prekären Lagen zur Sprache, in der sich mehr und mehr Bürger wiederfinden und gab als Beispiel Leiharbeit und Hartz IV an. Debattiert wurde auch über die Frage des Grundeinkommens, dem nicht alle Diskussionsteilnehmer grundsätzlich negativ gegenüber standen, wie Prof. Dr. Axel Weber, Ökonom und Experte für Sozialpolitik: “Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist machbar. Die Frage ist nur, wie kommen wir dahin?”.
Zum Thema Erhöhung der Erbschafts- und Vermögenssteuer gab es wiederum geteilte Meinungen, da, zumindest Weber zufolge, die “Superreichen abwandern” würden. Auf einen Hinweis aus dem Publikum, dass man die Steuerpflicht doch einfach an die Geburt binden könnte, wie es in den USA der Fall sei, wusste keiner der drei Experten allerdings ein Gegenargument einzuwenden. Gleichzeitig war sich beim Thema Altersvorsorge Dr. Maximilian Stockhausen, tätig beim Institut der deutschen Wirtschaft, sicher, dass “privat vorsorgen die einzige Möglichkeit” sei. Bedauernswerterweise war gerade bei dieser Debatte kein großes Interesse vonseiten der Studierenden spürbar und so blieben im Nachhinein die angesprochenen Themen kaum berührt.
Ziel erreicht: Wirtschaftsinteressen in studentischen Köpfen durchgesetzt
Die offizielle Idee des studentischen Kongresses war es, Studierenden ein Gefühl für ihre zukünftige Verantwortung innerhalb eines wirtschaftlichen Unternehmens zu bieten. Fraglich ist allerdings, ob dies gelingen kann, wenn die Financiers dieser Veranstaltung ihre eigenen Interessen verfolgen, die am Ende ganz sicher nicht sind, die Welt sozialer zu machen. Unter dem Deckmantel der “verantwortlichen Wirtschaft” werden scheinbar logische Schlussfolgerungen gezogen und den Studierenden so Thesen eingetrichtert, die die Positionen der Wirtschaftsvertreter und Manager bestärken. Da die meisten der studentischen TeilnehmerInnen ihre Zukunft in wirtschaftlich hohen Positionen sehen, wie natürlich auch die VeranstalterInnen und Studierenden der WHU, fällt es ihnen nur allzu leicht, ihren Vorbildern Recht zu geben, ohne deren Thesen kritisch zu hinterfragen. Zu lauter Widerspruch würde sowieso als respektlos oder bestenfalls naiv gelten. Die Wirtschaftshochschule ist nicht danach ausgerichtet, älteren KommilitonInnen zu widersprechen oder “frech zu werden”, geschweige denn Dozierenden gegenüber. Im Gegenteil – die “unsichtbare Hand” regelt doch alles, wer braucht da noch einen Unruhestifter?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Globustrotter.
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