Sylvia Gabelmann

Unfairer politischer Prozess gegen die katalanischen Gefangenen – Im Gespräch mit Sylvia Gabelmann

In Spanien hat gestern der Prozess gegen katalanische Abgeordnete und AktivistInnen begonnen, die im Oktober 2017 zu einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit aufgerufen hatten. Sylvia Gabelmann, stv. Vorsitzende der spanisch-portugiesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, war vor Ort. Wir haben mit ihr über ihre Eindrücke gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Du warst gestern in Madrid um den Prozess gegen katalanische Abgeordnete zu beobachten, die wegen Rebellion angeklagt werden. Eigentlich warst du angemeldet als eine von mehreren internationalen Beobachterinnen, trotzdem konntest du nicht am Prozess teilnehmen, wie kam es dazu?

Sylvia Gabelmann: Die erste Schwierigkeit war schon, dass der Prozessbeginn relativ kurzfristig angesetzt worden ist. Die Organisierung von parlamentarischen BeobachterInnen war also nicht einfach. Am Sonntag – kurz vor Prozessbeginn – kam dann die Information, dass die Abgeordneten nicht zugelassen worden sind, also keine Plätze erhalten sollten, weil das Gericht nur einen sehr kleinen Raum (für etwa 50 BesucherInnen)  vorgesehen hat. Diese Plätze waren reserviert für jeweils 2 Angehörige pro Angeklagtem, sowie für Teile der Regionalregierung, die allerdings später wieder ausgeladen wurden, da sie zu einem späteren Zeitpunkt als Zeugen vorgeladen werden sollen. Aufgrund dessen haben viele Abgeordnete ihren Besuch abgesagt und Zaklin Nastic und ich waren die einzigen Abgeordneten aus dem Ausland, die vor Ort waren.

Ich habe aufgrund der Situation entschieden, dass ich jetzt erst recht hinfahre, um mir das ganze anschauen und die Stimmung zu beobachten.

Die Freiheitsliebe: Was war denn dein Plan für den Tag des Prozesses?

Sylvia Gabelmann: Natürlich mussten wir jetzt flexibel sein und schauen, wie sich die Situation entwickelt. Ich wollte an der Pressekonferenz, die zu dem Prozess stattfindet, teilnehmen. Dieser wurden allerdings auch keine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, sondern sie musste unter freiem Himmel stattfinden und der Zugang wurde durch Polizeikontrollen erschwert. Darüber hinaus wollten wir die Angehörigen begleiten und haben dabei gesehen, dass diese zuerst noch nicht mal in die Nähe des Gerichtsgebäudes kamen. Sie wurden an den weiträumigen Absperrungen von Polizisten abgewiesen und erst am vierten Durchgang wurde ihnen Zutritt gewehrt. Dies geschah vermutlich auch als Folge der Begleitung der Angehörigen und der vielen Handys, die das Geschehen festhielten.

Uns als Beobachterinnen war es fast nicht möglich, auch nur  auf den Vorplatz des Gerichts zu kommen. Dort gab es eine abgesperrte Fläche für die Medien, dorthin durften wir auch nicht, wie uns ein Polizist mitteilte. Die Begründung waren Sicherheitsaspekte, wir haben gefragt, ob deutsche Abgeordnete die Sicherheit mehr gefährden, als JournalistInnen – dies wurde aber ignoriert.

Die Freiheitsliebe: Konntest du denn die Verhandlung noch beobachten?

Sylvia Gabelmann: Ich konnte sie im Fernsehen sehen, allerdings ist das natürlich selektiv, denn man sieht nur eine Kameraperspektive und kann auch die Stimmung nicht erfassen. In der Fernsehübertragung wurde allerdings gezeigt, dass für alle Angeklagten jeweils drei verschiedene Strafmaße gefordert wurden. Zum einen von einem Anwalt der Regierung, eine Konstruktion, die es so in Deutschland nicht gibt, zum anderen von der Staatsanwaltschaft, sowie das von der rechtsextremen Vox, die als Nebenklägerin auftrat. In Deutschland hätte man dagegen die Forderungen der Verteidigung und die der Staatsanwaltschaft gesehen. Die höchsten Werte hat jeweils Vox gefordert, die Forderungen entsprachen meist der Höchststrafe, die Staatsanwaltschaft hatte meist mittlere Werte und der Anwalt der Regierung die niedrigste Forderung. Am ersten Tag konnte man im Fernsehen vor allem die Plädoyers der VerteidigerInnen sehen.

Die Freiheitsliebe: Wie hat sich denn die Verteidigung verhalten?

Sylvia Gabelmann: Die Verteidigung hat sehr deutlich auf Demokratie und Menschenrechte abgehoben und deutlich gemacht, dass es sich um einen politischen Prozess handelt. Da mit einer Verurteilung zu hohen Haftstrafen gerechnet wird, zielt die Strategie der Verteidigung darauf ab, den Prozess nach Abschluss in Spanien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg weiterzuführen.

Die Freiheitsliebe: Würdest du denn sagen, dass der Prozess fair verläuft?

Sylvia Gabelmann: Der Umgang mit den Angeklagten ist zweifelhaft, so war die Anklageschrift 6000 Seiten lang und diese hatten kaum ausreichend Zeit, diese durchzugehen.  Um die Anklageschrift zu lesen und zu bearbeiten, wurden den Angeklagten nach zähem Kampf Rechner zur Verfügung gestellt, welche ausschließlich diesen Text enthielten und die nicht Internetfähig waren. Bei der Verlegung von Katalonien nach Madrid wurden diese PCs allerdings nicht mitgenommen, weswegen sie in den letzten Tagen vor der Verhandlung gar nichts hatten. Fast 50 Zeugen der Verteidigung und etliche Beweise wurden nicht zugelassen.

Darüber hinaus werden die Angeklagten als Volksfeinde dargestellt und das ganze wird medial verbreitet. Das ist ein Vorgehen, dass die Situation in ganz Spanien extrem polarisiert.

 Die Anklage lautet auf Rebellion – ein absurder Vorwurf und zudem sehr zweifelhaft, da es keinerlei Gewalt von den Protestierenden gab – dies beinhaltet allerdings dieser Anklagepunkt. Im Gegenteil hat die Guardia Civil im Oktober 2017 massive Gewalt eingesetzt, zum Beispiel Gummigeschosse. Auch die Tatsache, dass die Angeklagten 15 Monate ohne Anklage in Untersuchungshaft sind und weit weg von den Familien untergebracht werden zeigt, dass es sich um einen politischen Prozess handelt, bei dem es keinerlei Bemühen um Fairness gibt.

Die Freiheitsliebe: Werdet ihr den Protest weiter beobachten?

Sylvia Gabelmann: Wir haben in der Linksfraktion eine Arbeitsgruppe aus 5 Abgeordneten gebildet, die sich unter anderem bereit erklärt haben, zu den Prozessen zu reisen und diese zu begleiten. Die nächsten Termine sind wahrscheinlich Ende Februar und Ende März und wir werden versuchen, dass immer jemand von uns dort ist.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.



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3 Antworten

  1. Sehr geehrte Frau Gabelmann, es sei vorausgeschickt, daß ich Spanier bin. Ich habe viele Jahre in
    Katalonien gelebt und gearbeitet, zwei meiner drei Kinder sind dort geboren. Ein nicht unerheblicher Teil meiner spanischen Verwandtschaft lebt heute dort. Meine Meinung zu diesem Thema wird getragen von persönlichen Erfahrungen und Schlußfolgerungen aus selbst erlebten Situationen während meines Aufenthalts in Katalonien bis Ende 2017. Ihre Ausführungen hier entsprechen dem Wortschatz der separatistischen Propaganda. Leider hat die politische Linke den Pfad der Objektivität verlassen und sich komplett dem separatistischen Kontext zugewandt. Und so entsteht ein Gewirr aus populistischen Metaphern, Verdrehungen der Realität, Halbwahrheiten und Lügen. Ich war früher ein Anhänger linker politischer Ideale. Die Art und Weise wie die politische Linke die katalanisch-spanische Thematik angeht, hat mir jedoch die Augen geöffnet. Es ist für mich schlichtweg unverständlich, daß sich linke Politiker vom Großteil der Gesellschaft, in diesem Fall der spanischen, abwenden und andererseits politische Ambitionen gutheißen, die u.a. von Persönlichkeiten geteilt werden wie einem Quim Torra, der die Spanier als Vipern und genetische Monster bezeichnet. Nicht ein Mal habe ich aus der linken Ecke der Politik kritische Anmerkungen zu den verbalen Orgien dieser Person wahrnehmen können. Es wundert mich daher nicht, daß sich die Gesellschaft (nicht nur die spanische) immer mehr von den linken Idealen entfernt und den Weg freimacht für die Expansion rechtspopulistischer Anschauungen.

    Im Herbst 2017 hat die politische Führung Kataloniens systematisch rechtsstaatliche Grundsätze verletzt und gegen die spanische Verfassung und das katalanische Autonomiestatut verstoßen, ja sogar eigene parlamentarische Prinzipien ausgehebelt. Die ehemaligen Regierungsmitglieder mit dem geflohenen Carles Puigdemont an der Spitze waren allesamt Teil eines Komplotts, das in konspirativer Weise versucht hat, die Gesetze des spanischen Staates zu umgehen, einen Parallelstaat zu konstituieren und letztendlich die Sezession von Spanien zu erzwingen. Definiert man einen ‚Staatsstreich‘ ganz allgemein als das ‚Beugen, Brechen oder Ersetzen grundlegender Regeln und Normen auf illegalem Weg durch staatliche Akteure‘, dann erfüllt das Vorgehen in Katalonien diese Definition durchaus: Die Ausrufung der katalanischen Unabhängigkeit sollte auf einem von der spanischen Rechtsordnung nicht autorisierten Referendum beruhen, das seinerseits die Ersetzung der bestehenden (spanischen) Rechtsordnung durch eine neue (katalanische) zum Ziel hatte. Dass der Putsch in diesem Fall nicht vom üblichen
    Verdächtigen, dem Militär, ausgegangen ist, sondern von einer zweifelsfrei demokratisch gewählten Regierung, nimmt dem Vorgehen nichts von seiner Putschqualität. Tatsächlich wurden die handelnden Akteure von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, ja, aber von einer durch jahrelange Indoktrination beeinflussten Bevölkerung. Dass es sich dabei um die Mehrheit der Menschen in Katalonien handelt, wie es die Separatisten immer wieder behaupten, ist außerdem zu bezweifeln. Der katalanische Nationalismus gibt sich pazifistisch, demokratisch und zivilisiert, aber gleichzeitig ist er in Teilen rassistisch motiviert, grenzt politische Gegner aus, diffamiert und enthumanisiert sie. Diese vielfach stillschweigende aber auch ausgesprochene Ausgrenzung durchzieht die gesamte Gesellschaft, das gesamte wirtschaftliche und politische Leben. Alfonso Guerra, ein führender Politiker der spanischen Sozialisten, hat die Gesellschaft in Katalonien erst kürzlich als „präfaschistisch“ bezeichnet, und das nicht ohne Grund. Hört sich überzogen an, aber es lassen sich in Katalonien ohne Zweifel viele Phänomene und Mechanismen beobachten, die für einen Außenstehenden totalitaristisch anmuten müssen. Der Nationalismus durchdringt alle Lebensbereiche und organisiert sie politisch: in der Verwaltung und in öffentlichen Unternehmen ist nationalistische Gesinnung wichtiger als Eignung, es gibt eine Reihe von stark subventionierten Kulturorganisationen zur Förderungen der katalanischen Sprache und Kultur (und Unabhängigkeit), die die Massen organisieren, in den öffentlichen Schulen und Universitäten wird eine diskriminierende Sprachpolitik und eine offizialistische Geschichtsschreibung betrieben, durch die Autonomieregierung massiv subventionierte Fernseh- und Radiosender und Internet-Medien verbreiten die offizielle Doktrin, etc. etc. Man kann sich dem schwer entziehen, und wenn man sich gegen den Apparat stellt, hat man es schwer. Das ist die Realität, der ich und meine Familie tagtäglich in Katalonien ausgesetzt waren. Letztendlich haben wir uns entschieden, die Region zu verlassen weil sich unser Alltag als bekennende „Nichtseparatisten“ immer mehr zum Spießrutenlauf entwickelte. Ich schließe mich den weit über 40 Millionen Spanierinnen und Spaniern an, die sich von niemandem unterstellen lassen, daß ihr
    Land autoritär und undemokratisch sein soll, während man genau die unterstützt und mit Sympathien hofiert, die sich zunehmend totalitärer und faschistischer Methoden bedienen, um eine Demokratie in Frage zu stellen und zu zerstören, für die Zehntausende ihr Leben gelassen haben, u.a. mein Großvater und seine zwei ältesten Söhne. Spanien ist ein demokratischer Rechtstaat. Die katalanischen Politiker, die derzeit vor Gericht stehen, sind definitiv keine politischen Gefangene. Sie stehen nicht vor Gericht wegen ihrer Ideale sondern weil sie willkürlich Recht und Gesetz gebrochen haben und damit eine Gesellschaft gespalten und demokratische Prinzipien und den Frieden aufs Spiel gesetzt haben.

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