Menschen hinter Stacheldraht. Verletzte und Tote durch Gummigeschosse und Tränengas. Verhaftungen und jahrelange Strafen, wenn man es doch bis auf griechischen Boden geschafft hat. Die Bilder und Berichte, die uns aus Griechenland erreichen, lösen Wut aus. Und sie zeigen uns deutlich, wie verhandelbar Menschenrechte sind. Aber genau genommen ist diese Erkenntnis nur eine logische Folge, aus der Geschichte des Asylrechts in Europa.
Als 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet wurde, kam eine 30 Jahre andauernde Beratung zum Ende. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg war deutlich, dass es eine internationale Vereinbarung brauchte, um die Masse von fliehenden Menschen sinnvoll bewältigen zu können. 1951 jedoch hatte man einen neuen Feind vor Augen. In dieser Zeit sollten vor allem Menschen, die aus der Sowjetunion flohen, Schutz erhalten. Weiß, männlich, antikommunistisch – dieses Bild von Flüchtlingen war das dominierende dieser Zeit. Es dauerte 16 Jahre, bis 1967, das in einem Zusatzprotokoll auch die Menschen anerkannt wurden, die nicht aus der Sowjetunion flohen. Es brauchte weitere zwei Jahre, damit dieses Protokoll in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft trat.
Zur selben Zeit herrschten in Portugal und Spanien Diktatoren. Unter Franco wurden Hunderttausende Menschen exekutiert und interniert. In Portugal verließen eine Million Menschen das Land. Anwerbeabkommen nutzten die dramatische politische Lage wirtschaftlich massiv aus. Menschen konnten, für die Dauer eines Arbeitsvertrages, den Diktaturen ihrer Heimatländer entfliehen – denn nur ihr wirtschaftlicher Nutzen garantierte ihnen Schutz. 1973, zum Zeitpunkt des Anwerbestopps, lebten noch 2,6 Millionen Menschen in Deutschland, die als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter hierhergekommen waren.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks jedoch fiel das Feindbild weg und damit auch die moralische Überlegenheit, die man mit der Zusicherung des Asylrechts demonstrieren wollte. Und so führt uns die Lage von Geflüchteten auf den griechischen Inseln und in der Türkei wieder einmal vor Augen, dass Asyl in der EU mehr als eine Option betrachtet wird, weniger als eine Pflicht.
Und jedes Mal, wenn Geflüchtete nicht so gerne aufgenommen werden, werden Gesetze eben verschärft und Grenzen geschlossen. Aus schutzbedürftigen Menschen werden Straftäter gemacht, sobald sie es wagen sich für ein besseres Leben in ein EU-Land zu begeben.
Auch jetzt in Zeiten von Corona dürfen wir nicht vergessen, dass die Geschichte der EU auch immer wieder eine Geschichte von herablassender Gnade war, immer zu den Zeitpunkten, zu denen es wirtschaftlich gut gelegen kam. Doch der Blick für die Menschen selbst fehlt. Es gibt juristische Kategorien, aber kein Verständnis dafür, dass Migration und Flucht nicht monokausal verlaufen. Geflüchtete verdienen mehr als die beiden Stereotypen „hilflos” oder „böswillig”, wenn über sie berichtet wird.
Die EU gehört für ihren Umgang mit Menschenrechten an den Pranger gestellt. Der Druck muss endlich groß genug werden, dass die Rechte von Geflüchteten geachtet werden. Grade jetzt während einer für alle Menschen bedrohlichen Gesundheitskrise.