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„Judenhass Underground“ #3: Friedlicher Widerstand und deutsche Psychosen

Im beliebten Berliner Szeneclub about.blank wurde am 1. September das Buch „Judenhass Underground gelaunched. Der Sammelband erschien beim Verlag Hentrich&Hentrich und wurde vom Journalisten Nicholas Potter von der Amadeu Antonio Stiftung und vom Belltower.News-Redakteur Stefan Lauer herausgegebenen. Das Buch, in dem Beiträge vieler namhafter Autor*innen zu finden sind, beschäftigt sich mit „Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen, so heißt es auf dem Cover. In einer mehrteiligen Reihe setzt sich unser Autor Dan Weissmann kritisch mit „Judenhass Underground auseinander und untersucht, inwiefern das Buch seinen eigenen Ansprüchen genügt (Freiheitsliebe-Redaktion). Teil 1 findet ihr hier. Teil 2 hier, und jetzt der dritte und letzte Teil:

Auch im dritten Theorie-Kapitel von Judenhass Underground geht es wieder um Israel. Dieses Mal widmet sich Stefan Lauer, Redakteur von Belltower.News, der journalistische Blog der Amadeu Antonio Stiftung, der Boykott-Bewegung „BDS“, was für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel steht. Im Verlauf dieser Rezension wird die offizielle BDS-Kampagne als solche bezeichnet, um den Kontrast zwischen ihr und BDS als linker Praxis hervorzuheben.

Gleich zu Beginn zitiert Lauer As’ad AbuKahlil, Politik Professor an der University of California, Omar Baghouti, Mitbegründer der BDS-Kampagne, Ali Abunimah, Gründer der Online-Nachrichtenplattform Electronic Intifada und Autor Ahmed Moor. Ihr Vergehen: das Existenzrechts Israels nicht anerkennen. Ein ‚Recht‘, das so weder im Völkerrecht noch in internationalen Statuten vorkommt. Warum nur muslimisch gelesene BDS-Unterstützer:innen zu Wort kommen, sei dahingestellt. Alle vier, so ihre Zitate, definieren den ultimativen Erfolg der BDS-Kampagne als „die Beendigung des jüdischen Staates selbst”, so Ahmed Moor. Was für deutsche Augen auf den ersten Blick schockierend sein mag, ist eine logische Konsequenz der Anwendung des Völkerrechts, die die BDS-Kampagne letztendlich fordert. Eine Diskussion, der sich Lauer jedoch verweigert. Anstatt diese Aussagen in den Kontext der Forderungen der BDS-Kampagne und des geltenden Völkerrechts zu stellen, fährt Lauer lieber mit einer historischen Exkursion in das Palästina der 1920er fort, wo er die ideologische Wurzel der heutigen BDS-Kampagne vermutet. Wer den vorherigen Teil dieser Rezensionsreihe gelesen hat, wird diese Argumentationsstruktur vertraut vorkommen.

Lauer sieht den ideologischen Vater des BDS-Movements in dem von der britischen Kolonialmacht installierten Mufti von Jerusalem Mohammed al-Husseini. Al-Husseini, der seine Gefolgsleute in den 1920ern und 30ern zu antisemitischen Massakern und Pogromen aufrief, sprach sich für einen Boykott gegen den Verkauf von palästinensischem Land an jüdische europäische Siedler, hauptsächlich in der Form des Jüdischen Nationalfonds, aus. Die nächste Etappe der scheinbaren Vorreiter des BDS-Movements ist die Arabische Liga, die nach ihrer Gründung 1945 zuerst jüdische Produkte aus Palästina boykottierte und ab der Gründung Israels 1948 begann, israelische Produkte zu boykottieren. Man hätte hier die Boykottkampagne gegen Apartheid Südafrika als Vorreiter diskutieren können, oder jede andere der zahlreichen Boykottkampagnen der letzten hundert Jahre. Hätte man das getan, wäre es natürlich schwerer, der BDS-Kampagne antisemitische Motive zu unterstellen, denn man würde sie in die Geschichte legitimer Boykotts einreihen.

Die inoffizielle Gründung der offiziellen BDS-Kampagne, wie sie heute existiert, verortet Lauer jedoch am Ende der berüchtigten UNO-Weltkonferenz in Durban Südafrika im Jahr 2001, während der es zu antisemitischen Demonstrationen und Zwischenfällen kam, denn, so der Autor: „Die Abschlusserklärung der NGO-Konferenz von Durban markiert die Geburt von BDS und nimmt die Forderungen der Bewegung vorweg: Rückkehrrecht für palästinensische Geflüchtete, ein Ende von Besatzung und Diskriminierung von Palästinenser*innen und arabischen Israelis”. Zwar hat Lauer recht, dass die NGO-Abschlusskonferenz eine internationale Kampagne forderte, jedoch finden sich nur zwei dieser Forderungen in den drei Forderungen der BDS-Kampagne wieder. Die NGO-Konferenz forderte zum Beispiel auch „ein Kriegsverbrechertribunal gegen jene, die schuldig seien an ‚Genoziden und ethnischen Säuberungen‘”. Die BDS-Kampagne fordert jedoch lediglich das Ende der Besatzung Palästinas, die Anerkennung der Grundrechte aller in Israel lebenden Palästinenser:innen und das Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge.

All diese Forderungen sind vom Völkerrecht abgeleitet. Es gibt dort weder eine offizielle Position zum finalen Status Palästinas noch fordert BDS ein Kriegsverbrechertribunal. Die Behauptung, die BDS-Kampagne sei keine Grassroots- oder zivilgesellschaftliche Bewegung, weil ein NGO-Kongress ähnliches forderte, ist in sich nicht schlüssig. Sind Bewegungen nur dann legitim und grassroots, wenn sie jede einzelne Forderung selbst erarbeitet haben, selbst wenn diese nichts anderes sind, als die Durchsetzung des Völkerrechts zu fordern? Fordert die Letzte Generation denn nicht auch nur die Einhaltung des Grundgesetzes und die rechtlich zugesicherten Klimaziele?

Der Verweis auf militante palästinensische Organisationen in der Unterzeichnerliste und deren Verbindung zu Angriffen auf israelische Zivilist:innen in der Vergangenheit ist korrekt, und Attacken auf Zivilist:innen sind stets zu verurteilen. Gerade deshalb sollte es doch löblich sein, dass es eine explizit gewaltfreie Kampagne gibt. Palästinenser:innen haben ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Widerstand gegen die Besatzungsmacht Israel, friedlich und gewaltsam. Wer wie Lauer friedlichen Widerstand durch Boykotte versagen will, darf sich über gewaltsamen Widerstand nicht beschweren. Es sei denn, man will überhaupt keinen Widerstand und Palästinenser:innen sollen sich ihrem Schicksal und israelischer Staatsgewalt ergeben und in Ruhe die Vollendung der Nakba abwarten.

Im letzten Teil des Kapitels schließt Lauer an die Zitate des Anfangs an und interpretiert die drei Forderungen der BDS-Kampagne so, als ob sie das Ende Israels bedeuten würden. Hier hat Lauer recht. Es würde das Ende eines Israels bedeuten, das seit mindestens zwei Generationen Millionen Menschen illegal besetzt. Es würde auch das Ende eines Israels bedeuten, das sich per Nationalstaatsgesetz zu einem Ethnostaat erklärt hat, in dem „das Recht auf nationale Selbstbestimmung einzigartig für das jüdische Volk [ist]”. Und es würde das Ende eines Israels bedeuten, welches seit 75 Jahren die Rückkehr der von ihr ethnisch gesäuberten Palästinenser:innen und deren Nachfahren verwehrt. All das wäre vorbei. In Lauers Augen ist das eine Katastrophe, denn er scheint in einer Welt zu leben, in der die Lehren der deutschen Geschichte nicht etwa Universalismus, sondern Ethnonationalismus zu sein scheint. In den Augen derer, die deutsche Geschichte und das Völkerrecht ernst nehmen und Ethnonationalismus als das sehen, was es ist, wäre es ein erster Schritt in Richtung Wiedergutmachung, Gerechtigkeit und letztendlich Versöhnung.

Stefan Lauer scheint zudem nicht zu verstehen, dass BDS nicht nur die BDS-Kampagne, sondern eine Praxis der Linken weltweit ist. Vom Rausschmiss des israelischen Botschafters aus einem Berliner Café bis hin zum Boykottieren von Veranstaltungen mit Vertreter:innen Israels oder der Verweigerung auf Festivals aufzutreten, die von Israel gesponsert werden. Wenn man BDS aus dieser Perspektive betrachtet, spielt es überhaupt keine Rolle, wer die offizielle BDS-Kampagne gegründet hat und wer ihre Charta unterschrieben hat. BDS ist legitim, weil Widerstand legitim ist!

In diesem Sinne sind die Attacken gegen die BDS-Kampagne und BDS als Praxis eine der perfidesten Attacken gegen die palästinensische Zivilgesellschaft, da man ihr nicht einmal ein Mindestmaß an Menschlichkeit zugesteht. In keinem anderen historischen oder gegenwärtigen Kontext wird eine gewaltfreie Kampagne zu so einem Ausmaß dämonisiert und Gewaltlosigkeit mit Terrorismus und genozidalen Vernichtungsfantasien gleichgesetzt. Für Lauer wie für viele andere im Dunstkreis der Amadeu Antonio Stiftung scheinen Palästinenser:innen nichts weiter als ein Hindernis zu einem Happy End deutscher Geschichte zu sein.

Dieses Kapitel wie auch der gesamte Band ist ein Symptom fehlgeleiteter, narzisstischer deutscher Erinnerungskultur, die es nicht schafft, Israel als eigenständigen Staat zu verstehen, ohne ihn als Repräsentant aller Jüdinnen und Juden der Welt gelten zu lassen, sie damit als politisch einheitlichen Monolith zu behandeln und dementsprechend Palästinenser:innen und deren Unterstützer:innen als die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden weltweit zu propagieren. Dass so etwas ausgerechnet aus der deutschen Pseudo-Linken kommt ist, kein Zufall, denn sie werden den Palästinenser:innen Auschwitz wohl niemals verzeihen.

Von Dan Weissmann. Dies ist Teil #3 und damit der letzte Teil einer Rezensionsreihe zu „Judenhass Underground“ (2023, Hentrich&Hentrich). Teil 1 findet ihr hier und Teil 2 hier.

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Eine Antwort

  1. Danke an Dan Weissmann und die Freiheitsliebe!
    BDS geht auf das Versagen der Politik zurück. Es wurde nie Druck auf Israel ausgeübt, seine Politik zu ändern. BDS ist weder gegen Israel noch gegen Juden gerichtet, sondern ruft zur Einhaltung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes auf. Kein Wunder, dass Hentrich & Hentrich dieses Buch herausgegeben hat – dieser Verlag veröffentlicht auch die Bücher von Arye Sharuz Shalicar.

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