Hanau – Wir vergessen nicht!

Stell dir vor, du verabredest dich mit deinen Freundinnen und Freunde in einer Shishabar, um ausgelassen zu sein, Spaß zu haben und dir eine Auszeit vom Alltag zu nehmen. Stell dir vor, die Shishabar ist einer der wenigen Orte, an denen du dich willkommen fühlst.

Einer der wenigen Orte, wo dir überhaupt Einlass gewährt wird. Stell dir vor, es ist einer der wenigen Orte, an die du dich vor dem Rassismus, den Vorurteilen und schiefen Blicken flüchten kannst, die dir täglich entgegen schlagen. Stell dir vor, du gehörst zu den Menschen, die gezielt an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ausgeschlossen werden. Doch hier fällst du nicht auf, hier fühlst du dich verstanden und sicher, hier teilt man deine Probleme.

Stell dir vor, ein Rassist wählt diesen Ort genau deshalb für ein Massaker aus. Er wählt ihn gezielt, um so viele Migrantinnen und Migranten wie möglich zu treffen. Er löscht neun Menschenleben aus und nimmt Millionen Betroffenen ihr einzig sicheres Umfeld, welches sie sich einst aus einer Not heraus selbst aufbauen mussten. „Hanau war kein Einzelfall“ heißt es seitdem. Ich stimme zu und sage außerdem „Hanau war absehbar“.

Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Kosten migrantischen Lebens Unterschiede konstruiert. Seit Jahren sehen wir, wie Politik und Medien Hand in Hand ein Feindbild erschaffen und aufrechterhalten. Wir erleben, wie mediale Hetze Hass schürt und anstachelt. Wie Sicherheitsbehörden Migrant*innen etwa durch grundlose Razzien in Shishabars und „Clan“ Sprech kriminalisieren. Wie sie zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden. Wie das Erstarken rechter Kräfte nicht nur toleriert, sondern aktiv befeuert wird. Sie alle machen sich mitverantwortlich für die abscheuliche Tat.

Acht Monate sind seither vergangen und noch immer fordern die Hinterbliebenen die vollständige Aufklärung der Gewalttat. Doch woher sollen sie das Vertrauen in die Ermittlungen nehmen, wenn es in Deutschland keine Ausnahme, sondern der Regelfall ist, dass Beweismittel rassistischer Verbrechen durch die Hand der Behörden verschwinden? Wenn die Polizei von rechten Netzwerken so durchzogen ist, dass es schwer fällt, sie nicht selbst als eine einzige rechte Struktur zu bezeichnen?

Dieses System bedeutet für Migrantinnen und Migranten in Unsicherheit zu leben. Denn es ist ein System, das für rassistische Angriffe genauso verantwortlich ist, wie für ihre fehlenden Aufklärung. Es ist unsere Pflicht, uns Rassismus an allen Fronten entgegenzustellen, um diesen Kreislauf zu brechen.

Die Geschehnisse in Hanau, der rechtsterroristische Anschlag, der Mord an neun Menschen haben uns zutiefst getroffen. Es war schockierend, doch keine Überraschung. Es war absehbar und nur eine Frage der Zeit. Es liegt an uns allen, die Betroffenen im Kampf gegen den Rassismus zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass sich Halle, Hanau, der NSU, … nicht immer und immer wiederholen.

Es bleiben unvergessen:

Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu

Der Beitrag von Nilufar Shahla erschien in gedruckter Form in der neuen Critica.

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