Katja Kipping (Foto: Linke NRW/ flickr.com/ CC-Lizenz)

Wir sagen Nein zur Coronapolitik der Regierung und zur Verharmlosung à la Querdenken – Im Gespräch mit Katja Kipping

Heute wird im Bundestag über das sogenannte „Bevölkerungsschutzgesetz“ abgestimmt, die linke Bundestagsabgeordnete Katja Kipping hat angekündigt, dem Gesetz nicht zuzustimmen, und wirft der Regierung Versagen vor, weil sie zu spät auf die Gefahren reagiert hat. Gleichzeitig kritisiert Kipping aber auch scharf die Rhetorik von Querdenken.

Die Freiheitsliebe: Heute wird im Bundestag über das Infektionsschutzgesetz abgestimmt, du hast angekündigt, diesem nicht zuzustimmen. Warum?

Katja Kipping: Wir fordern ja schon seit längerer Zeit, dass es die Parlamente – und zwar auf jeder Ebene – sein müssen, die Entscheidungen von dieser Tragweite treffen. Schließlich geht es um die Einschränkung von Grundrechten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf besteht die Beteiligung des Parlamentes nun lediglich darin, dass es zustimmen darf, auch künftig nichts zu sagen zu haben. Das darf so nicht weitergehen. Aber es gibt auch inhaltliche Gründe für unsere Ablehnung. Und in der öffentlichen Debatte geht es gerade nicht nur um die konkreten Paragraphen, sondern um die gesamte Coronapolitik der Bundesregierung. Um es zusammenzufassen: Wir sagen Nein zur Coronapolitik der Regierung und zur Coronaverharmlosung à la Querdenken.

Die Freiheitsliebe: Neben der Konzentrierung der Macht in den Ministerien werden vor allem unklare Formulierungen kritisiert, die mögliche Ausgangsbeschränkungen betreffen. Welche Spielräume sind in dem Gesetz enthalten?

Katja Kipping: Das ist genau das Problem, viele Begriffe und damit die Voraussetzungen für die Maßnahmen sind unbestimmt. Das heißt, die Auslegung liegt dann in den Händen der Exekutive. Ansonsten steht im Gesetz die dürre Bemerkung, dass alle Einschränkungen verhältnismäßig sein müssen. Da können sich die von Einschränkungen Betroffenen dann trefflich mit den Behörden vor Gericht streiten, was nun verhältnismäßig ist und was nicht.

Die Freiheitsliebe: Du kritisiert das Gesetz, kritisiert aber auch die Demonstrationen der Querdenker, die das Gesetz ebenfalls ablehnen. Wie unterscheidet sich deren Kritik von linker Kritik?

Katja Kipping: Wir kritisieren ausdrücklich nicht, dass die Gefahren dieser Krankheit ernst genommen werden. Querdenken & Co. lehnen ab, dass überhaupt Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen werden sollen. In ihrer Verweigerung, Masken zu tragen – also die mit Abstand harmloseste Einschränkung – tritt ihre Erkenntnisresistenz ebenso wie ihre Rücksichtslosigkeit ganz offen zu Tage. Hinzu kommt, was sich inzwischen politisch alles dort rangehängt hat. Das rechtsextreme Milieu hat schnell erkannt, dass sich seine Verachtung der Demokratie hier ganz trefflich als deren Rettung verkaufen lässt. Es ist wirklich widerwärtig.

Die Freiheitsliebe: Wer kommt bei diesen Demos zusammen?

Katja Kipping: Das ist schon ziemlich bunt – aber eben längst bis ins Tiefbraune hinein. Viele Menschen sind ja durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie tatsächlich in ihrer beruflichen Existenz bedroht, viele Gewerbetreibende stehen vor den Scherben ihres Lebenswerkes. Die Bundesregierung hat den Unmut mitbefeuert, indem sie zum Beispiel bei den sozialen Hilfen sowohl die Ärmsten als auch Freischaffende und Selbstständige außen vor gelassen hat. Dass diese Menschen die Regierungspolitik harsch hinterfragen, ist mehr als verständlich. Darüber hinaus ist die Situation natürlich auch ein prima Nährboden für allerlei Verschwörungsideologien und das macht es gerade Nazis natürlich umso leichter, da anzudocken.

Die Freiheitsliebe: Anders als Querdenker und Konsorten kritisierst du die Bundesregierung dafür, dass sie in den vergangenen Monat nicht entschieden genug gehandelt hat und sowohl soziale Probleme als auch Mängel im Gesundheitssystem ignoriert hat. Wie hätte die Linke in den vergangenen Monaten gehandelt?

Katja Kipping: Als es draußen noch warm war, haben wir einen Fahrplan für den Corona-Winter vorgelegt mit konkreten Vorschlägen für einen sozialen Schutzschirm auch für die Ärmsten und Freischaffenden sowie, um bei hohen Infektionsschutz möglichst viel soziales Leben zu ermöglichen. Und natürlich machen wir seit Jahren Druck, um die Beschäftigten im Gesundheitsbereich wirklich zu unterstützen.

Die Akzeptanz der Maßnahmen zum Infektionsschutz leidet ja auch darunter, dass die Eingriffe sich fast ausschließlich auf das Privatleben beschränken. Der Beschluss des Treffens von Kanzleramt und Ministerpräsidenten vom 16. November zum Beispiel umfasst neun Seiten. Auf diesen neun Seiten fällt kein Wort zu einem stärkeren Infektionsschutz am Arbeitsplatz. Kein Wort zu verstärkten unangemeldeten Kontrollen in Frachtzentren oder in der Fleischindustrie. Kein Wort darüber, dass im Sinne des Infektionsschutzes Massenunterkünfte umgehend durch dezentrale Unterbringungen ersetzt werden. Diese Corona-Politik hat eine Schlagseite. Die Regierenden scheuen sich, den Konzernen Auflagen zu machen. Den Familien hingegen werden Vorschriften bis ins Wohnzimmer hinein gemacht.

Darüber hinaus ist den gesamten Sommer über nichts unternommen worden, der erwartbaren zweiten Welle etwas anderes entgegenzusetzen als die jetzt geplanten Restriktionen. Unser Ziel ist, bei höchstmöglichem Infektionsschutz möglichst viel soziales Leben zu ermöglichen. Dazu hätte zum Beispiel durch wirtschaftspolitische Steuerung die Produktion von Schnelltests und von Luftfiltern, die virenhaltige Aerosole aus der Luft filtern, hochgefahren werden müssen. Wie man jetzt sieht, würden gerade die Schulen dies dringend brauchen. Die Regierung hätte durch Förder- beziehungsweise Leasingprogramme für Gastronomie und Kulturbetriebe sowie garantierte Abnahmezusagen für Schulen entsprechende Anreize setzen können. Nichts davon ist geschehen.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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