G20 – Demokratischer Protest gegen eine immer autoritärere Welt – Im Gespräch mit Cansu Özdemir

In wenigen Wochen werden sich in Hamburg die Staatschefs der 20 wichtigsten Nationen versammeln und über ihre Politik sprechen. Dagegen regt sich Widerstand, nicht nur weil mit Trump, Putin und Erdogan ganz besondere Unsympathen dabei sind, sondern weil die G20 für eine Welt stehen, in der die Regierenden immer neue neoliberale Politik gegen die Mehrheit durchsetzen. Wir haben mit der Fraktionsvorsitzenden der Hamburger Linken, Cansu Özdemir, über die Proteste gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Anfang Juli findet in Hamburg der G20-Gipfel statt, was wird dort genau geschehen?

Cansu Özdemir: Die Staats- und Regierungschefs der 19 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie Vertreter der Europäischen Union werden sich zusammen mit VertreterInnen weiterer Gastländer am 7. Und 8. Juli in Hamburg treffen, um über die Zukunft der Weltpolitik zu beraten. Dabei wird es stark um Wirtschaftsfragen, aber auch um Fragen von Krieg und Frieden gehen. Wie schon bei vergangenen G20-Gipfeln ist die Agenda des Treffens relativ unbestimmt. Es werden ja auch keine Beschlüsse gefasst, sondern nur Absichtserklärungen verabschiedet. Die Richtung, in die das ganze gehen wird, ist aber klar: es wird um den Versuch einer Stabilisierung des neoliberalen Kapitalismus gehen. Dabei sind durchaus Spannungen innerhalb der G20-Gruppe zu erwarten, etwa zwischen denen, die die Freihandelspolitik weiter radikalisieren wollen und denen, die auf stärkeren nationalstaatlichen Protektionismus setzen.
 
Die Freiheitsliebe: DIe Linke ist die einzige Bürgerschaftsfraktion, die sich klar gegen den Gipfel positioniert, was sind die maßgeblichen Gründe?

Cansu Özdemir: Da gibt es tatsächlich viele Gründe! Die G20 sind zu einer zentralen Institution geworden, um das Überleben einer Weltordnung abzusichern, welche die Ursache für Millionen Flüchtlinge, für ständige Umverteilung nach oben, für Umweltzerstörung und Kriege ist. Wir lehnen diese Weltordnung ab, treten für solidarische Alternativen ein und wollen die mit unseren Protesten sichtbar machen.
Neben dieser weltpolitischen Dimension gibt es aber auch viele lokalpolitische Gründe, den Gipfel abzulehnen. Wir halten die Hamburger Innenstadt für ein solches Großereignis für völlig ungeeignet. Denn wer sich einen solchen Gipfel in die Stadt holt, holt sich auch den Protest in die Stadt. Für einen solchen Protest muss es ausreichend Platz geben – er ist ein demokratisches Grundrecht, dass gewährleistet werden muss. Tatsächlich sehen wir aber etwa an dem Gerangel über mögliche Demonstrationsrouten oder an der Weigerung des Senates, den Protestierenden geeignete Flächen für ein Camp zur Verfügung zu stellen, wie problematisch das sein wird.
Hinzu kommt, dass viele HamburgerInnen gerade nach dem Kostendesaster um die Elbphilharmonie die Nase voll von solchen Großveranstaltungen haben und dem Senat auch nicht zutrauen, sie zu bewältigen. Daher hat auch eine Mehrheit der HamburgerInnen die Olympia-Bewerbung abgelehnt. Wir finden es verkehrt, dass der Senat nun gleich das nächste Großevent in die Stadt holt – und glauben überhaupt nicht daran, dass die veranschlagten 200 Mio.€ für den Gipfel ausreichen werden. Er wird, wie schon die Elbphilharmonie, viel teurer werden.
 
Die Freiheitsliebe: Ist die Zusammensetzung dieses Gipfels besonders schlimm mit Trump, Erdogan, Putin und weiteren Despoten?

Cansu Özdemir: In der Tat hat sich hier weltpolitisch einiges verschoben. Immer mehr Staaten schlagen einen offen autoritären und undemokratischen Kurs ein.
Donald Trump mit seiner rassistischen, sexistischen und umweltfeindlichen Politik; Erdogan, der sein Land in einen Bürgerkrieg und eine offene Diktatur steuert;  Vladimir Putin, der Schwule, Lesben und Demokraten verfolgen lässt; der König von Saudi-Arabien, in dessen Land Frauen kein Auto fahren dürfen und Dieben die Hände abgehackt werden … Für uns ein wichtiger Grund mehr, gegen diese unsympathischen Besucher unserer Hansestadt auf die Straße zu gehen!
 
Die Freiheitsliebe: Wie werden die Gegenproteste aussehen?
 
Sie werden groß werden, sie werden laut werden, sie werden bunt werden! Bereits am Wochenende vor dem Gipfel, am 2. Juli, rufen mehrere NGO´s zu einer „Protestwelle“ mit bunten Aktionen auf. Am 5./6. Juli wird es einen großen „Gipfel für globale Solidarität“ geben, um unsere Alternativen zur Weltordnung der G20 zu diskutieren. Für den 7. Juli rufen mehrere Gruppen zu Aktionen es zivilen Ungehorsams – also etwa Sitzblockaden – gegen den Gipfel auf. Und am 8. Juli wird die Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ stattfinden.

Die Freiheitsliebe: Was bedeuten die Proteste für Hamburg und warum versuchen Polizei und Politik, diese im Vorhinein zu kriminalisieren?

Cansu Özdemir: Für Hamburg bieten die Proteste die Chance, zu zeigen, dass demokratischer Protest auch in einer zunehmend autoritärer werdenden Welt möglich ist. Wir erwarten zehntausende DemonstrantInnen aus dem In- und Ausland und hoffen, dass sie in Hamburg tatsächlich ein „Festival der Demokratie“ erleben, wie es Innensenator Andy Grote angekündigt hat. Leider lässt das bisherige agieren des Senates gegenteiliges erwarten: Es wird eine ungeheure Drohkulisse von angeblich anreisenden Gewalttätern und angeblich zu erwartenden Ausschreitungen an die Wand gemalt. Angeblich müssen Protestierende Angst haben, von der Karosse der amerikanischen Präsidenten überfahren zu werden. Wir deuten diese Stimmungsmache als Versuch, die DemonstrantInnen abzuschrecken und von der Wahrnehmung ihres Grundrechtes abzuhalten. Das finden wir sehr bedauerlich!

Die Freiheitsliebe: Welche Rolle wird die Linke dort spielen? Welche Bündnispartner habt ihr bei den Protesten?
 
Cansu Özdemir: Der Protest wird von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure getragen – von kirchlichen Gruppen über Initiativen der Friedens- und Klimagerechtigkeitsbewegung bis hin zur Partei Die LINKE und anderen linken Gruppen. Unsere Bürgerschaftsfraktion bringt sich dabei insbesondere in die Vorbereitung der Großdemonstration am 8.7. ein.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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