Foto: Jimmy Bulanik

Für mehr Demokratie: Gegen die Militärdiktatur, gegen die AKP!

Der gescheiterte Militärputsch gegen die AKP-Regierung unter Staatschef Erdoğan in der Nacht vom 15. zum 16. Juli 2016 hat nicht nur in der Türkei, sondern auch innerhalb der deutschsprachigen Linken die Fronten verhärtet. Wie bloß auf einen Putsch reagieren, der den Umsturz einer Regierung zum Ziel hat, die vehement den Abbau von Demokratie vorantreibt und die Verwicklung in einen sektiererischen Mehrfrontenkrieg verschuldet?

Mit der Militärdiktatur zur demokratischen Revolution?

Die Optionen, auf einen Militärputsch zu reagieren, fallen hierbei äußerst begrenzt aus: man unterstützt ihn oder man bekämpft ihn. Wenn es schon möglich ist, aufgrund des Privilegs der Distanz intellektualisiert für einen derartigen Staatsstreich zu plädieren, so sollten relevante Fragen nicht unbeantwortet bleiben. Ist es möglich, gleichzeitig gegen die derzeitige Regierung und die putschenden Militärs zu agieren, da akut eine dritte revolutionäre Alternative besteht? Bietet ein geglückter Putsch und dessen Resultat einer Militärdiktatur erhöhtes revolutionäres Potential und gesteigerte demokratische Möglichkeiten?

Beide Fragen müssen im Falle des türkischen Putschversuches mit einem deutlichen „Nein!“ beantwortet werden. Auffallend bei BefürworterInnen eines Staatsstreiches durch das Militär ist die Abstraktheit, die ein solcher und seine Konsequenz der Militärherrschaft für sie hat. Es ist an Hypokrisie kaum zu überbieten, eine Militärdiktatur zu fordern, weil die derzeitige Regierung demokratische Grundrechte abbaut. Durch einen Militärputsch wären diese über Nacht in Gänze beendet. Mit der Demokratieabschaffung gegen den Demokratieabbau vorzugehen, bedeutet, den Bock zum Gärtner zu machen. Die durch den Putsch gegen die Muslimbruderschaft und darauf folgenden Massaker an die Macht gelangte ägyptische Militärdiktatur bietet da ein aktuelles Beispiel. Laut einem Bericht von Amnesty International verschwinden in Ägypten durchschnittlich drei bis vier Menschen täglich, von denen solche, die überhaupt zurückkehren, von Haft und Folter – beispielsweise Schlägen oder Elektroschocks im Genitalbereich – berichten. Es ist allerdings überhaupt nicht vonnöten, nach aktuellen staatlichen Entsprechungen Ausschau zu halten, da die Türkei selbst eine lange Tradition von Militärputschen aufweist.

Das türkische Militär – Instanz statt Exekutive

Vor dem „kalten“ Putsch im Jahre 1997 gelangen in der Türkei bisher die Militärputsche von 1960, 1971 und 1980. Während infolge des ersten Militärputsches der türkischen Geschichte am 27. Mai 1960 der damalige Ministerpräsident Menderes mitsamt engerer Führungsriege gehängt wurde, fiel auch der letzte gelungene Umsturz nicht glimpflicher aus. Durch die am 12. September 1980 in Kraft gesetzte Militärherrschaft wurde die Verfassung suspendiert und stattdessen das Kriegsrecht, das dem Militär nahezu unbegrenzte Macht einräumte, eingeführt. Die Konsequenzen waren um die 650.000 Gefangene, von denen etliche zu Tode gefoltert wurden, sowie unzählige politisch Verfolgte, die aus der Türkei fliehen mussten. Große Teile der ersten Opfer der Militärdiktatur bildeten militante, linke ArbeiterInnen. 1981 veranlasste das Militär die Ausarbeitung der bis noch heute gültigen Verfassung der Türkei.

Mit der Bundeswehr ist das türkische Militär sicherlich nicht zu vergleichen. Vielmehr als ein partielles staatliches Instrument bildet das Militär in der Türkei seine eigene, alteingesessene Instanz – einen „Staat“ im Staate. Kemalistische Strömungen innerhalb des Militärs betrachten sich seit der Staatsgründung im Jahre 1923 unter dem ersten Präsidenten Kemal Atatürk als Hüter des von ihm etablierten laizistischen Nationalismus. Die von Atatürk gegründete CHP ist heute die bedeutsamste kemalistische Partei, deren ideologische Komponente des autoritären Laizismus entsprechenden Einfluss innerhalb des Militärs besitzt. Mehr noch kann das Militär nach dem neuerlichen Putschversuch nach wie vor als Hochburg des totgeglaubten Kemalismus gelten.

Kräfteverhältnis in der Türkei – die AKP sitzt nicht fest im Sattel

Umso merkwürdiger mag es erscheinen, dass Erdoğan nun, anstatt den offensichtlichsten Kandidaten hinter dem Putschversuch ins Auge zu fassen, massiv gegen die Gülen-Bewegung und deren Oberhaupt Sheikh Fethullah Gülen vorgeht. Zwar ist es wahrscheinlich, dass einzelne putschende Militärs Sympathisant_innen der Gülen-Bewegung waren, dass der Militärputsch selbst allerdings aus Gülens Sitz in Pennsylvania gesteuert worden ist, muss auch Erdoğan selbst irrwitzig erscheinen. Vielmehr muss dies als sein politisches Kalkül angesehen werden, welches ihm dazu dient, nicht nur mit KemalistInnen, sondern ebenso den der eigenen AKP-Partei näher stehenden – und für sie daher möglicherweise gefährlicheren – nicht-säkularen Strömungen wie der Gülen-Bewegung abzurechnen. Die innenpolitische „Säuberungsaktion“ könnte allerdings gar nicht so weit gehen, wie es für die AKP notwendig wäre, um ihre eigene Machtposition endgültig zu sichern. Diese wird nämlich häufig sowohl von ihren AnhängerInnen als auch von linken Oppositionellen weltweit maßlos überschätzt. Sowohl die verdeckten und weniger verdeckten Interventionen in Syrien als auch das Scheitern des Ausgleichs mit den KurdInnen haben das bonapartistische AKP-Regime unter Erdoğan in einen Mehrfrontenkrieg manövriert, bei dem der Versuch, alle geopolitischen Bälle zu jonglieren, längerfristig zum Scheitern verurteilt ist. Neben den innenpolitischen Unterdrückungsmechanismen der türkischen Regierung könnten auch der Wunsch nach einem brutaleren Vorgehen gegen den kurdischen Widerstand als auch ein veränderter Ansatz in der Syrienpolitik Teile des Militärs dazu veranlasst haben, einen Putschversuch zu starten.

Doch scheiterte dieser nicht aufgrund von technischem Dilettantismus, wie teilweise propagiert wird. Der Erfolg eines derartigen Militärputsches ist maßgeblich auf die hegemonialen internationalen Bestrebungen und die daraus resultierende Unterstützung aus dem Ausland sowie die der eigenen Bevölkerung angewiesen. Beide Faktoren blieben aus. Die US-Regierung stellte sich nach zögerlichem Abwarten gegen den Putsch, womit dieser faktisch hätte beendet sein können. Mindestens ebenso wichtig war jedoch die Volksmobilisierung gegen die PutschistInnen, die auf öffentlichen Plätzen und an wichtigen strategischen Punkten der Infrastruktur stattfand. Unbewaffnete ZivilistInnen sammelten sich auf der Straße, trotzten Beschuss und anrollenden Panzern, bis der Putsch mit der Kapitulation der SoldatInnen offiziell gescheitert war. Dies geschah allerdings nicht, bevor über 60 ZivilistInnen während ihres Widerstandes gegen die Militärübernahme den Tod fanden. Nicht nur AKP-AnhängerInnen, sondern auch VertreterInnen oppositioneller Strömungen gingen gegen den Staatsstreich vor. Zu beachten ist, dass auch sozialistische Gruppen wie die DSİP oder die pro-kurdische HDP sich früh gegen einen Militärstreich stellten. Nach der offiziellen Verurteilung des Militärputsches durch die USA äußerten sich auch die KemalistInnen der CHP und Rechtsaußen-Parteien gegen den Coup.

Reaktionen und Konsequenzen

Dramatische Zeiten für die Türkei. Foto: William John Gauthier, CC BY-SA 2.0, Turkish flag, via flickr.com
Dramatische Zeiten für die Türkei. Foto: William John Gauthier, CC BY-SA 2.0, Turkish flag, via flickr.com

Durch den gescheiterten Putschversuch des türkischen Militärs ist offensichtlich geworden, dass kemalistische Strömungen momentan in der Bevölkerung (glücklicherweise) nicht das Potential eines Katalysators besitzen. Doch, wo sie scheitern, kann der Ruf nach Demokratie und Gerechtigkeit von linker Seite Früchte tragen. Es ist wichtig und richtig, zu erwähnen, dass Versuche des Militärs, die Regierung zu stürzen, durch die angetriebene Zensur und Unterdrückung begünstigt werden. Es ist jedoch ebenso der Fall, dass der Rückhalt der AKP unter anderem mit den Erinnerungen an die rigide historische Unterdrückung der laizistischen Militärs gegen große Teile der verarmten Bevölkerung zusammenhängt. Doch nicht nur türkische MuslimInnen sollten die Wiederkehr einer Militärherrschaft, unter der demokratische und religiöse Freiheiten mit Füßen getreten werden, fürchten. Eine brutale Militärdiktatur gilt es unter allen Umständen zu verhindern, sowie es gegen die durch den gescheiterten Putsch von der AKP-Regierung genutzten antidemokratischen Maßnahmen zu mobilisieren gilt. Diese werden nun weiter und weiter angetrieben werden und aus dem Putschversuch ihre Legitimation ziehen. Es gilt klarzustellen, dass die AKP nicht an Demokratie interessiert war, sondern am Machterhalt gegen eine andere putschende Elite.

Auch die Reaktion bürgerlicher Medien in Deutschland deutet auf eine weitgehend auf antimuslimischem Rassismus begründete Doppelmoral hin. Im Falle der Türkei werden weit hergeholte Theorien über eine Verschwörung publiziert – deren grundsätzliche Unmöglichkeit anzunehmen, natürlich dennoch generell geschichtsrevisionistisch bliebe, während solche Annahmen im Bezug auf andere Staaten häufig als niederträchtigste Bosheiten dargestellt werden. Die türkische und kurdische Zivilbevölkerung, die sich auf den Straßen gegen den Militärputsch gestellt hat, wird von deutschen Massenmedien als blutrünstiger, lynchender AKP-Haufen verklärt, während die Militärs, die zuvor auf eben diese ZivilistInnen schossen und eine Machtübernahme im Sinn hatten, zu Unschuldslämmern mutieren. Fakt ist, dass sich die Bundesregierung ähnlich schnell mit einer Militärdiktatur abgefunden hätte, wie es bezüglich Ägypten der Fall war.

Die internationale Linke muss sich nun mit der kurdischen und türkischen Linken solidarisch zeigen und wie diese konsequent für Demokratie einstehen und sich ebenfalls geschlossen gegen einen Militärputsch aussprechen, während sie das Vorgehen gegen die antidemokratischen Maßnahmen des AKP-Regimes plant. Stattdessen ist zu beobachten, dass in Identitätspolitik geschwelgt wird und wie so oft auch in linken deutschsprachigen Kreisen aus teils antimuslimischen Ressentiments der Anspruch an Säkularismus – der im Falle des türkischen Militärs weitaus mehr ist, nämlich radikaler Laizismus – über grundlegende Menschenrechte und demokratische Prinzipien gestellt wird. Für Demokratie und den Kampf der sozialistischen Gruppen in der Türkei und Kurdistan einzustehen, heißt, sich gegen jede Militärdiktatur und gegen die Praktiken des derzeitigen AKP-Regimes auszusprechen.

Ein Beitrag von Ramsis Kiliani

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