Frankreich: Proteste gegen Polizeigewalt

Aktuell finden in Frankreich wieder einmal Proteste gegen rassistische Polizeigewalt statt, deren Ursache die Gewalt gegen einen jungen schwarzen Mann war. Die Proteste könnten eine Chance für die antirassistische Bewegung sein, allerdings versucht sich auch der Front National als Gegner der Proteste zu profilieren.

Anlass für die aktuellen Proteste in Frankreich ist die mutmaßliche Vergewaltigung eines jungen schwarzen Mannes durch Polizisten mit einem Schlagstock. Das Opfer, lediglich bekannt als Theo, wurde mit schweren und möglicherweise dauerhaften Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Er hatte protestiert, als Polizisten während einer Kontrolle angeblich einem Teenager eine Ohrfeige gegeben hatten.

Am Samstag, den 11. Februar gingen rund 5000 Menschen in Bobigny, Paris auf die Straße, in weiteren Städten gab es kleinere Proteste. Bei einigen davon kam es zu Ausschreitungen mit angezündeten Autos, Mülleimern und Bushaltestellen sowie eingeschlagenen Fenstern. Im Vorfeld hatte es bereits diverse Proteste im Pariser Vorort Aulnay-sous-Bois gegeben, wo der Übergriff sich ereignet hatte.

Polizeigewalt in Frankreich

Jugendliche vor Ort gaben der Presse gegenüber an, dass der Tatort ein berüchtigter toter Winkel der öffentlichen Überwachungskameras sei, an den die Polizei sie regelmäßig verschleppen würde, um sie zu verprügeln.

Im vergangenen Jahr hatten der Tod von Adama Traore und die Verfolgung seiner Geschwister bereits die Aufmerksamkeit auf die Grausamkeit der Polizei gelenkt. Die Reaktion auf die Vergewaltigung von Theo hat die Wut hochkochen lassen. Seither sind auch andere Opfer von Polizeigewalt an die Öffentlichkeit getreten.

Mohammed K., ein enger Freund von Theo, gab an, er sei von demselben Polizisten verprügelt worden – einer in der Gegend offenbar berüchtigten Person. Zunächst hätte er nichts sagen wollen, weil er fürchtete, dass er dann noch schwerer Arbeit finden würde.

Andere berichten von schweren sexualisierten Übergriffen durch dasselbe Kommando. Und die Schreckensgeschichten die bisher ans Licht gekommen sind, sind ganz offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs aus systemischem Rassismus und Erniedrigung, denen Millionen von Seiten der Polizei ausgesetzt sind.

Im Ausnahmezustand

Bisher sind die Ausschreitungen nicht ansatzweise so drastisch wie im Jahr 2005, nachdem die Polizei Zyed und Bouma, zwei junge Männer, in den Tod gehetzt hatte. Die Erinnerung an sie jedoch ist sowohl für Demonstrierende als auch für die Behörden allgegenwärtig. Ein beliebter Slogan lautet „Theo und Adama erinnern uns daran, warum Zyed und Bouma gerannt sind“.

Die Politik ist aktuell nicht wirklich in der Lage, ihre Reaktion auf die Ausschreitungen von 2005 zu wiederholen. Damals rief sie den Ausnahmezustand aus – aktuell besteht ein solcher bereits seit über einem Jahr. Man hat sich daher schnell darauf verlegt, für Ruhe zu werben, und Präsident François Hollande besuchte Theo sogar am Krankenbett, um dem Opfer selbst einen solchen Appell abzunötigen.

Die Arroganz der Polizei allerdings hat bisherige Versuche, die Wut in Schach zu halten, untergraben. Ihr Überwachungsbeauftragter entschied, dass das gewaltsame Einführen eines Schlagstocks in den Anus von Theo nicht etwa eine Vergewaltigung gewesen sei, sondern ein »Unfall«. Dann verkündete ein führendes Mitglied der Polizeigewerkschaft im Fernsehen, dass die rassistische Beleidigung, die von Theos Peinigern verwendet worden war, tatsächlich „mehr oder weniger angebracht“ gewesen sei.

Polizei und Front National

Die Polizei gab zudem die Geschichte an die Medien heraus, dass sie ein kleines Mädchen aus einem brennenden Auto in Bobigny gerettet hätten. Schnell stellte sich heraus, dass sie von einem jugendlichen schwarzen Demonstranten gerettet worden war, und das Auto auch nicht gebrannt hatte.

In Aulnay wurden Proteste von der Polizei mit noch mehr Kontrollen, Verhaftungen und sogar dem Abfeuern scharfer Munition quittiert. Die Schüsse wurden abgegeben, während im Parlament über das letzte neue Gesetz vor der Wahl abgestimmt wurde, welches der Polizei größere Befugnis zum Schießen auf Menschen einräumt – ein Sieg für die eigenen Protestmärsche der Polizei.

Diese Märsche wurden von einem Unterstützer des faschistischen Front National angeführt, der in der anstehenden Präsidentschaftswahl voraussichtlich auf die Wählerstimmen von 50 Prozent der Polizisten hoffen kann. Die Partei profitiert von einem Korruptionsskandal, der den ehemaligen Spitzenkandidaten der Rechten François Fillon verfolgt – dieser hatte seine Ehefrau großzügig aus öffentlichen Geldern für ein angeblich frei erfundenes Arbeitsverhältnis entlohnt.

Widerstand regt sich

Angesichts des Aufwindes für die Polizei und ihre faschistischen Verbündeten ist Widerstand dringend erforderlich. Das Potenzial besteht ganz klar, wie auch von eher unwahrscheinlicher Seite anerkannt wird. Die Tatsache, dass sich SOS Racisme den Organisationen angeschlossen hat, die für den 18. Februar zu einer Demonstration aufrufen, ist ein deutliches Signal dafür – und dafür, dass die Richtung, die die Wut nehmen wird, stark umkämpft sein wird.

Auch wenn SOS Racisme aus Massenprotesten entstanden war, diente es effektiv als Feigenblatt für die sozialistische Partei, die ihrer repressiven, islamophoben Politik damit den Anschein von Antifaschismus geben wollte. Eine hoffnungsvollere Vereinigung besteht in dem, was Autor Serge Quadruppani in einem Artikel auf lundi.am als „Allianz zwischen denjenigen, die aufgrund ihres lautstarken Widerspruchs gegen das, wofür die Polizei steht, polizeiliche Willkür erfahren, und denjenigen, die von Geburt an polizeilicher Schikane ausgesetzt sind“ bezeichnet hat.

Die stellenweise erschreckend gewalttätige Unterdrückung von Streiks und Protesten im vergangenen Jahr offenbarte den wahren Charakter der Polizei für eine neue Generation von Aktiven. Die Protestierenden von 2005 standen weitgehend isoliert da, und das Versäumnis eines Großteils der Linken bei der Bekämpfung von Islamhass hat in der französischen Arbeiterklasse eine tiefe Kluft hinterlassen.

Doch eine kleine Wiederannäherung, beginnend als Reaktion auf die polizeilichen Angriffe gegen die »Nuit Debout«-Bewegung, könnte sich nun verfestigen. Als zentrale Prüfung könnte sich der „Marsch für Gerechtigkeit und Würde“ am Sonntag den 19. März erweisen – an jenem Wochenende werden europaweit antirassistische Demonstrationen stattfinden.

Der Artikel wurde von Marion Wegscheider aus dem Englischen übersetzt, geschrieben wurde er von Dave Sewell

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