Wahlplakat - Bild: Stefan Köhler

El Salvador: Keine Erlösung für die lateinamerikanische Linke

Salvador heißt Erlöser, doch für die Linke war die Parlamentswahl keineswegs die erhoffte Erlösung vom Rechtsruck auf dem Kontinent, müssen Jakob Migenda und Kerstin Schöneich nach ihrer Wahlbeobachtung feststellen.

Schon auf der Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt San Salvador können wir sehen, dass es bei dieser Parlamentswahl um etwas geht: An praktisch jedem Laternenmast und vielen der übergroßen Billboards hängt oder flimmert Wahlwerbung. Auch viele Busse und sogar normale Autos tragen großflächige Aufkleber der Parteien, an Straßenecken werden Fahnen geschwungen und den Autofahrern Flyer zugesteckt. Die bunte Werbung und das zuversichtliche Lächeln der Kandidatinnen und Kandidaten auf tausenden Plakaten übertönt sogar den allgegenwärtigen Stacheldraht mit dem die Menschen ihre Häuser vor der Gewalt der Banden zu schützen versuchen.

Zur Wahl stehen deutliche Gegensätze

Aber schließlich gibt es bei der Wahl auch klare Alternativen. Seit neun Jahren stellt die linke Front für die Nationale Befreiung „Farabundo Martí“ (FMLN) Präsidenten und Regierung. Ihr schärfster Widersacher ist die rechtskonservative Allianz für die nationale Erneuerung (ARENA). Mit diesen beiden Parteien stehen sich nicht einfach zwei wenig unterscheidbare Parteien der Mitte wie SPD und CDU gegenüber, sondern buchstäblich ehemalige Kriegsgegner. Während die FMLN im Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 als Guerilla gegen die rechte Militärjunta kämpfte, wurde die ARENA zur Unterstützung ebenjener rechten Generäle gegründet. Die Entstehungsgeschichte der Parteien zeigt auch heute noch deutliche Spuren: Der linke Präsident Salvador Sánchez Cerén ist Ex-Commandante der Guerilla während der Vater eines heute führenden ARENA-Politikers 1980 den Mord am regimekritischen Erzbischof Oscar Arnulfo Romero anordnete und damit den Bürgerkrieg im Land auslöste.

Doch die Unterschiede sind nicht nur alte Bürgerkriegsfeindschaften sondern auch grundverschiedene politische Ziele. Die ARENA-Regierungen haben in den 90ern und frühen 2000ern eine orthodox-neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgt und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgehen lassen. Die Folge war ein Exodus hunderttausender Salvadoreñ@s, vor allem in die USA, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In der Regierungszeit der ARENA verließen mehr Menschen das Land als zu Zeiten des Bürgerkrieges. Zurzeit leben etwa 3 Mio. Salvadoreñ@s in den USA. Nach den neusten Regierungsplänen von US-Präsident Trump müssen wohl mehrere hunderttausend von ihnen in nächster Zeit die Staaten verlassen.

Erfolge und Probleme der Linksregierung

Als 2009 Mauricio Funes im Rahmen des allgemeinen Linksrucks in Lateinamerika zum Präsidenten gewählt wurde und damit die erste linke Regierung in der Geschichte des Landes bildete, änderte sich die Politik fundamental. Trotz des stets angespannten und niedrigen Staatshaushaltes wurden unter anderem die Gehälter der Lehrenden angehoben, eine kostenlose Gesundheitsversorgung etabliert und allen Schülern kostenlose Schulverpflegung sowie Schuluniform und Schuhe garantiert, für einige das erste Paar, das sie jemals besessen haben. Durch die staatliche Förderung der lokalen Schuhmachern wurden im Zuge der Schulkleidungsreformen nach Regierungsangaben ca. 8.000 Arbeitsplätze geschaffen. Diese sozialpolitischen Maßnahmen zeigen messbare Erfolge: Durch die Reduzierung der Unterernährung und die bessere medizinische Versorgung sind Kinder in El Salvador heute im Schnitt zwei Zentimeter Größer als noch vor 15 Jahren und früher oft tödliche Krankheiten wie Denguefieber oder Gelbfieber sind inzwischen gut behandel- und vorbeugbar.
Dem gegenüber stehen jedoch auch deutliche Probleme, die von der Regierung zu wenig angegangen werden: Die Umweltverschmutzung ist enorm: Schon jetzt ist El Salvador eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt. Bodenerosion durch Monokultur, Plastikmüll in den Mangrovenwäldern, Ernteausfälle, Artensterben und Waldbrände sind nur ein paar Probleme, mit den das Land zu kämpfen hat.
Dazu kommt, dass die Sicherheitslage ist durch die Bandenkriege und die grassierende Kriminalität weiterhin äußert prekär ist. Eines der repressivsten Abtreibungsgesetze der Welt treibt immer wieder massenweise Frauen in die sowieso schon drei- bis vierfach überbelegten Gefängnisse. Und nicht zuletzt zeigen sich die üblichen Abnutzungserscheinungen in der Regierung in Gestalt von Korruption.

Rechter Gegenwind kommt aus den Staatsapparaten

Doch die wohl größte Bedrohung kommt von Seiten der rechten Opposition. Die FMLN stellt zwar den Präsidenten, aber steht einer rechten Parlamentsmehrheit gegenüber und von den Verwaltungsbehörden bis zum Verfassungsgericht sind nahezu alle Staatsapparate weiterhin in den Händen von ARENA-Anhängern. Diese torpedieren die Arbeit der Regierung wo sie nur können, etwa wenn Beamte die Umsetzung von Sozialmaßnahmen der Regierung verschleppen. Ein Symbol für die Sabotage ist, dass ein der FMLN nahestehendes Mitglied der nationalen Wahlbehörde unter fadenscheinigen Gründen durch einen ARENA-Sympathisanten ersetzt wurde, um der Rechten die für Abstimmungen im Gremium nötige 4/5 Mehrheit zu sichern.

Diese Mehrheitsverhältnisse ziehen sich bis auf die unteren Wahlbehörden durch, weshalb die Gefahr des Wahlbetrugs durch die Rechten immer im Raum steht. Daher ist die Aufmerksamkeit von Wahlbeobachtungsmissionen wie der unsrigen bei jeder Wahl unheimlich wichtig. Angesichts dessen wussten wir am Wahltag auch, dass es keineswegs einfach für die FMLN werden würde und leichte Verluste durchaus wahrscheinlich waren.

Ein bunter und überwiegend fairer Wahltag

Der Wahltag selbst verlief jedoch erst einmal deutlich entspannter als erwartet. Durch das sehr komplizierte Wahlgesetz, die relativ schlechte Ausbildung der Wahlhelfern und sicherlich auch Sympathien seitens der Wahlhelfern für die ein oder andere Partei, kam es zwar immer wieder zu kleineren Unregelmäßigkeiten, aber zumindest oberflächlich war ein großflächig organisierter Wahlbetrug unserer Meinung nach nicht zu erkennen. Aus einigen Teilen des Landes bekamen wir jedoch Berichte von gezielter Einschüchterung der Wählern. So trug in der Kleinstadt San Martín Berichten zufolge ein Wahlbeobachter der ARENA ein T-Shirt mit dem Konterfei eines getöteten Bandenchefs.

Auffällig war hingegen, wie unterschiedlich die Wahllokale im Vergleich zu Deutschland aussahen. Während die Stimmabgabe bei uns ein Verwaltungsakt ist, und in jedem Wahllokal nur ein paar nüchterne Wahlhelfern anwesend sind, ist die Stimmabgabe in El Salvador ein buntes Treiben. Gewählt wird zwar auch überwiegend in Schulen, jedoch werden nicht nur ein bis zwei Klassenzimmer als Wahllokale genutzt, sondern fast alle und manchmal sogar noch der Schulhof. Hinzu kommt, dass an jedem Wahltisch – an dem ca. 600 Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können – nicht nur die Wahlhelfern sitzen, sondern auch Beobachterinnen jeder Partei die durch Westen oder T-Shirts auch deutlich als solche zu erkennen sind. Dazu gesellen sich im Wahlzentrum noch Vertreterinnen der Wahlstaatsanwaltschaft, der Ombudsstelle für Menschenrechte, der Wahlbehörde, Polizistinnen, weitere Parteienvertreterinnen die die Parteibeobachterinnen der einzelnen Wahltische koordinieren und nicht zuletzt wir als externe Wahlbeobacherinnen. So kommen in einem Wahlzentrum weit über 100 bunt gekleidete Menschen in verschiedensten Funktionen zusammen – dabei sind die Wählerinnen noch gar nicht eingerechnet.

Die Strapazen der Wahlnacht

Alle diese Menschen sind ab 05.00 morgens bis zum Ende der Stimmauszählungen gegen 01.00-03.00 des Folgetages im Einsatz gewesen. Zwar kann eigentlich jede der anwesenden Personen durch einen Stellvertreter ersetzt werden, dennoch stellt der Wahltag für alle ehrenamtlichen Helfenden eine große Belastung da. Auch für die Sicherheitskräfte von Polizei und Militär, die teilweise schon Tage vorher anreisen und in den Schulräumen auf dem nackten Boden übernachten mussten. Durch die landesweite Einsatzverteilung der Sicherheitskräfte und die gleichzeitige lokale Bindung der Stimmabgabe konnten am Wahltag fast 23.000 Polizisten und Militärs ihre Stimme nicht abgeben. Auch für Menschen in Gefängnissen, Krankenhäusern oder mit eingeschränkter Mobilität gab es keine alternative Möglichkeit der Stimmabgabe.

Während die Beobachtung am Tag durchaus Aufmerksamkeit erforderte und anstrengend war, geriet die Auszählung für uns geradezu zu einem Schock. Als in den späten Abendstunden und nach langen Diskussionen um die richtige Art und Weise der Stimmauszählung sich schließlich die ersten Ergebnistendenzen abzeichneten, wurde mit jedem weiteren präsentierten Stimmzettel deutlicher, dass die FMLN an diesem Tag eine schwere Niederlage erlitten hatte. Die FMLN hat mit ihren Verbündeten nur noch knapp eine halbe Million Stimmen bekommen und damit mehr als 350.000 Stimmen gegenüber der letzten Wahl verloren. Auch wenn ARENA ebenfalls leichte Stimmenverluste in Kauf nehmen musste und die anderen rechten Parteien keine nennenswerten Zugewinne an Stimmen erringen konnten, haben die Rechten jetzt eine ausreichende Parlamentsmehrheit um alle Vorhaben der Regierung kassieren zu können. Eine eigenständige linke Regierungspolitik ist dadurch praktisch unmöglich.

Ursachen einer schweren Niederlage

Angesichts dieses Ergebnisses hieß es für uns in den drei Tagen, die wir nach der Wahl noch in San Salvador waren, Ursachenforschung zu betreiben. Nach dem Studium der Presse, Gesprächen mit Vertretern der FMLN-Jugend und Aktivisten der Solidaritätsarbeit, die sich seit Jahrzehnten mit dem Land beschäftigen, kristallisierten sich drei Hauptgründe heraus: Erstens der starke Gegenwind der ihnen aus den Staatsapparaten und Medien, die fast ausschließlich in den Händen der Rechten sind, entgegengeschlagen ist. Zweitens, als politische Gründe, die schon erwähnte teilweise unzureichende Umsetzung der Programme und die Unzufriedenheit der Menschen, die trotz extremer Armut von keinem der neuen Sozialprogramme profitieren. Dazu die weiterhin prekäre Sicherheitslage, an der sich kaum etwas verändert hat.

Drittens hat der populäre Großunternehmer und Bürgermeister von San Salvador Nayib Bukele dazu aufgerufen die Wahl zu boykottieren oder ungültig zu wählen. Dadurch ist die Zahl der ungültigen Stimmen um rund 125.000 angestiegen, was vor allem der FMLN geschadet haben dürfte. Der Grund für diesen Aufruf liegt in einem Zerwürfnis zwischen Bukele und der FMLN, die ihn vor drei Jahren wegen seiner Popularität bei der Kommunalwahl aufgestellt hat. In dem Streit ging es um die Frage ob er der FMLN-Kandidat für die kommende Präsidentschaftswahl wird. Während sich Bukele als einzig möglichen Aspirant sah und dies auch öffentlich kundgab, war die Parteiführung von ihm keineswegs so überzeugt wie er selbst und wollte mit einem politisch zuverlässigeren Kandidaten antreten. Als Reaktion auf seine Selbstnominierung kam es zu einem Parteiausschluss. Nun plant Bukele seinen eigenen Wahlantritt und wollte aus der Beteiligung am Wahlboykott seine eigenen Chancen für die Wahl im kommenden Jahr abschätzen – dass er damit der Linken massiv schadet war ihm dabei offenbar egal.

Während Bukele gute Chancen haben dürfte als Kandidat einer Rechtspartei oder eventuell mit einem eigenen Wahlverein im Stil Emanuel Macrons oder Christan Kurz’ im nächsten Februar in den Präsidentenpalast einzuziehen, stehen die Chancen für die FMLN sehr schlecht die Präsidentschaft zu verteidigen. Die Leittragenden dürften am Ende die Menschen sein, denen die Sozialprogramme einen kleinen Schritt aus der Armut ermöglicht haben.

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Eine Antwort

  1. Was die linken „Soziologen“ in Europa nicht verstehen:,In Lateinamerika leben zu viele Leute welche etwas „besitzen“, auch nur eine Werkstatt oder ein Geschaeft oder einen Landwirtschaftsbetrieb. Und es gibt nicht genug „Industrie-Proletarier“ oder „Kleinbauern“ welche einen „sozialistischen Staat“ ertragen wollen, denn der Lateinamerikaner ist eine „Persoenlichkeit“ mit anarchistischer Neigung, welche nicht Jahrhunderte unter europaeischen Aristokraten zu „Gehorchesamkeit“ dressiert wurde. Auserdem wuchs Lateinamerika aus drei verschiedenen Rassen von drei verschiedenen Kontinenten, und hatte niemals die „Familieneinwanderung“ von Europa wie USA oder Kanada, sondern fast nur die Abkunft von Maennern, meist aus Spanien, Portugal, italien, welche sich mit einheimischen Frauen (Mestizinen) verheirateten. Deshalb ist der Lateinamerikaner anders als der Europaer der Epoche von Marx, oder Willhelm, des Fuehrers, oder Ulbrichts.

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