Putin hat die Wahlen am vergangenen Sonntag in Rußland gewonnen. Robert Behan betrachtet die Perspektiven einer echten Opposition – von rechts und links.
Die Präsidentschaftswahlen in Russland werden die Fortsetzung von Putins Herrschaft über das Land für weitere sechs Jahre einleiten. Putins Einfluss auf die politischen Institutionen und die Medien Russlands ist so groß gewesen, dass ein anderes Ergebnis undenkbar wäre.
Trotzdem hat sich die politische Landschaft Russlands in den letzten Jahren verändert. Während der 2000er Jahre war Russland von der WTO und den G8 eingehegt; die Feldzüge der letzten Zeit in der Ukraine und Syrien haben es jedoch vom Westen isoliert und eine Atmosphäre der Feindschaft und des globalen Wettbewerbs erzeugt. Die von den USA und ihren Verbündeten daraufhin als Antwort eingeführten Sanktionen wurden zum Anheizen von Patriotismus, Nationalismus und Islamfeindlichkeit innerhalb von Russland benutzt, was ein Klima der Anfeindung erschuf, in dem Dissidenten vom Regime mit harter Hand verfolgt und isolationistische Stimmen gesellschaftsfähig werden.
Die Turbulenzen, die durch Russlands außenpolitische Maßnahmen entstanden sind, haben die russische Herrscherklasse, deren Mitglieder versucht haben, ihre Positionen innerhalb der Machtstruktur zu festigen, destabilisiert. Diese Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite könnten Putins Regime destabilisieren, zumal Debatten darüber geführt werden, wer im Jahr 2024 die Präsidentschaft übernehmen wird, wenn Putins Verfassungsmandat ausläuft.
Bitten und anbiedern
Zwischen den Kreml-Clans der russischen Elite hat sich im Vorfeld der Wahlen der interfraktionelle Kampf deutlich verschärft. Im Dezember 2017 wurde der ehemalige Finanzminister Alexei Ulyukaev zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Igor Setschin, den Vorsitzenden von Rosneft, einer der größten staatlichen Ölgesellschaften Russlands, und einer der wichtigsten Putin-Verbündeten, um ein Bestechungsgeld in Höhe von 2 Millionen Dollar Bestechungsgeld gebeten hatte. Hinter dem, was viele als einen gezielten Einzelfall ansahen, steckte jedoch die Absicht Sechins, unterstützt von Ulyukaevs Annahme, es handle sich bei den Geldern nur um „einen Korb voller Würstchen“, seinen politischen Feinden eine starke Botschaft über das Ausmaß seiner Macht und seines Einflusses zukommen zu lassen, indem er in kritischen Zeiten einen Feind in der Regierung auswechselte.
Sechin hat die Karriereleiter rasch erklommen, um nun eine der gefürchtetsten Personen im Kreml zu werden. Ebenfalls auf seiner Abschussliste steht der geächtete Oligarch Vladimir Yevtushenko, dem Sechin, inmitten von Vorwürfen der Geldwäsche, die Kontrolle über den regionalen Ölkonzern Bashneft mit Sitz in Ufa abgerungen hat.
Vorfälle und Verhaltensweisen dieser Art deuten nicht nur auf einen Wettkampf innerhalb der Kreml Autokraten um Posten hin, sondern sind Anzeichen des Kernkonflikts um die Kontrolle über Russlands reichhaltige Öl-, Gas- und Mineralvorkommen. Eine große Anzahl von Russlands größten nationalen und regionalen Konzernen gehören teilweise wenn nicht sogar ganz dem Staat und ihre Kreml-affinen Vorstände nutzen ihre Stellung zur Selbstbereicherung. Sechin selber ist unter Putins Herrschaft ein Milliardär geworden und Premierminister Dimitry Medvedev wurde für seinen ausurfernen Immobilienbesitz kritisiert.
Vereitelt
Trotz dieser internen Kämpfe scheint sich Putin aufgrund des Mangels an Gegenkandidaten seines Sieges sicher zu sein. Die harte Gangart des Regimes hat die Kandidatur von kritischen Bewerbern verhindert und nur jene zugelassen, die vom Kreml im Wahlkampf kontrolliert werden können.
Kandidaten wie der rechtsextreme Vladimir Zhirinovsky und der ultra-liberale Yegor Yavlinsky haben schon mehrere Male gegen Putin kandidiert und werden nicht als Bedrohung angesehen. Der Kommunist Grundinin ist ein ehemaliger Geschäftsmann, dessen Kandidatur von Seiten der Linken eine Welle des Spotts hervorgerufen hat. Viele sehen in ihm eine weitere Verstrickung der kommunistischen Partei in die russischen Machtstrukturen. Xenija Sobtchak, die Tochter von Putins politischem Mentor Anatoly Sobtchak, wird ebenfalls als eine handverlesene Kandidatin angesehen, welche die Außenseiterrolle spielen soll.
Während all diese Bewerber nur sanfte Kritik an der Regierung üben, wagen sie wenig, um das Fundament von Putins Russland herauszufordern: Korruption.
Der zweite Aspekt der Wahl ist die Zersplitterung von Teilen der Wählerschaft in Antikorruptions- und rechtsextreme Bewegungen. An erster Stelle steht Alexei Navalny, charismatischer Anti-Korruptionsaktivist und fleißiger Nutzer von sozialen Netzwerken. Sein populärer, satirischer YouTube-Kanal deckt den angesammelten Reichtum von Regierungsbeamten und Oligarchen auf. Seine Vlogs werden bei den jüngeren Generationen Russlands immer beliebter, da sich jene entrechtet und von der politischen Entscheidungsfindung des Landes ausgeschlossen fühlen.
Nawalny hat versucht, die opulenten Bedingungen aufzudecken, unter denen die wirtschaftliche Elite lebt und beschuldigt sie der Täuschung russischer Arbeiter, sowie der Unterschlagung des Reichtums, den eigentlich sie produzieren. Er hat Putins Regierungspartei „Einiges Russland“ als „Partei der Ganoven und Diebe“ bezeichnet. Er zielte auf Sechin, Medvedev und Alisher Usmanov, einen Großaktionär des Arsenal-Fußballclubs, ab und enthüllte Usmanovs Spende einer teuren Liegenschaft an die Medwedew-Stiftung.
Navalny war eine Schlüsselfigur bei den Protesten 2012 gegen die offensichtliche Manipulation von Wahlen, als Putin seine dritte Amtszeit gewann und versuchte, seine wachsende Popularität in der Zwischenzeit durch die Teilnahme an Regionalwahlen auszubauen. Das Regime reagierte auf seine Aktivitäten mit der für solche Fälle typischen Gewalt: Er wurde wegen mehrerer Anlässe aufgrund des Verstoßes gegen das autoritäre Demonstrationsgesetz Russlands verhaftet und wegen Unterschlagung in einem hoch politisierten Fall angeklagt, der ihn daran gehindert hat, im Präsidentschaftswahlkampf zu kandidieren.
Die Paranoia vor Navalny ist dermaßen groß, dass Putin, sobald er auf einer Pressekonferenz nach der Ausschließung Navalnys von den Wahlen gefragt wird, sich weigert ihn beim Namen zu nennen und ihn nur als „die Person, die sie meinen“ erwähnt. Navalny hat seitdem einen Aufruf an seine Unterstützer gestartet, die Wahl zu boykottieren.
Trotz dieser bewundernswerten Arbeit bei der Aufdeckung der Korruption der russischen Elite gibt es Widersprüche in Navalnys Position. Er versteht sich als Befürworter der freien Marktwirtschaft inklusive einer liberalen ökonomischen Weltanschauung und unterstützt den russischen Chauvinismus. Er befürwortete den russischen Krieg gegen Georgien im Jahr 2008 und half bei der Organisation des nationalistischen Marsches in Moskau, der zu einer der größten regulären ultranationalistischen Demonstrationen der Welt geworden ist und wandte sich somit den ultranationalistischen Massen zu. Während er gegen die wachsende Konzentration des Reichtums in der Moskauer Elite kämpft, verlässt er sich bei der Förderung von Demokratie und Vielfalt zu sehr auf eine größtenteils russisch-nationalistische Basis.
Die besorgniserregendere Antwort auf die autoritäre Natur der russischen Politik ist jedoch der Aufstieg der extremen Rechten in Russland. Anti-Regime-Gefühle werden von extrem nationalistischen Gruppen aufgegriffen, um eine Opposition gegen die Regierung zu bilden, die nicht nur das Zusammenraffen von Reichtum durch die Elite, sondern auch die Einwanderungspolitik Russlands kritisiert.
Die grausigen Alternativen
Nationalistische Demonstrationen, die einen offenen Rassismus verbreiten, sind in Russland üblich, zumal sich die materiellen Bedingungen Russlands angesichts der steigenden Inflation verschlechtern. Durch offizielle Rhetorik und die staatlichen Medien wird die Bevölkerung mit einem Strom feindseliger Gefühle über die Außenwelt, in Verbindung mit Erzählungen von Russlands Größe und historischer Mission, gefüttert. Russlands Intervention in Syrien wurde weitgehend durch die Bedrohung des „Islamofaschismus“ gerechtfertigt, der Terroranschläge wie die Bombenangriffe auf die U-Bahn von St. Petersburg im vergangenen Jahr und die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordkaukasus verursacht habe.
Die Reaktion rechtsextremer Gruppierungen waren Morde, Angriffe, Einschüchterungen und körperliche Übergriffe auf Muslime und ihre Unterstützer. Im Jahr 2016 gab es 1.450 Vorfälle von gemeldeten Hassverbrechen, ein signifikanter Anstieg seit Mitte der 2000er Jahre, als Kommentatoren noch darüber besorgt waren, dass die Zahl der gemeldeten Hassverbrechen in die Hunderten ging.
Die von Seiten des Staates gebilligte Homophobie hat auch eine Öffnung der rechtsextremen Gruppen ermöglicht. Die 2014 eingeführten Anti-LGBT-Gesetze, die die Förderung nicht-heterosexueller Beziehungen verbieten, haben zu Angriffswellen auf die LGBT-Gemeinschaft geführt. Dennoch werden die Gesetze von der allgemeinen Bevölkerung weitgehend unterstützt, insbesondere wenn sie von orthodoxen Reaktionären wie dem Abgeordneten des Parlaments, Vitaly Milonov, über die Leitmedien verbreitet werden.
Die Herstellung nationalistischer Gefühle ist eine wichtige Stütze des russischen Regimes. Wenn Gruppen wie die russisch-nationalsozialistische Partei, die Union der orthodoxen Bannerträger, oder auch die liberalere Demokratische Partei Russlands (die weder liberal noch demokratisch ist) weiter nach rechts ziehen, erscheint Putins Regime gemäßigter.
Damit betreibt Putin ein gefährliches Spiel. Wie viele andere Aspekte von Russlands „verwalteter Demokratie“ bedeutet die Kontrolle des Pluralismus durch den Staat (eine Politik, die Putins langjähriger Berater und Medienguru Vladislav Serkov vertritt), dass eine starke Verstreuung von Gruppen mit minimaler Interferenz funktionieren kann. Viele rechtsextreme Gruppen wurden von den russischen Gerichten verboten, aber die Bedingungen, denen sie entspringen, wurden bewahrt, wie zum Beispiel die moralische Führung der Nation durch die orthodoxe Kirche; die Förderung russischer Werte durch die staatlichen Medien; das Wachstum des Nationalismus als eine Mainstream-Jugendbewegung in der Jugendgruppe Nashi.
Während dies eine Fassade der Demokratie schafft, verengt sie in Wirklichkeit politischen und sozialen Aktivismus in Kanäle, die den russischen Kapitalismus, Nationalismus und die christliche Orthodoxie unterstützen und die einen Ausweg aus den Paradigmen suchen, die für sie geschaffen wurden. Einige Kräfte sind, um aus offiziellen Mustern auszubrechen, zum Ultranationalismus übergegangen. Aber das Regime toleriert das und bevorzugt das Anwachsen des Ultranationalismus gegenüber einer Stärkung der Linken. Der rechtsextreme Nationalismus ist jedoch eine Büchse der Pandora, die nach ihrer Öffnung außer Kontrolle geraten könnte. Sollte sich die wirtschaftliche Lage Russlands in den kommenden Jahren drastisch verschlechtern, könnte die rechtsextreme Seite ein stärker in sich geschlossenes Publikum und ein größeres Potenzial für politische und soziale Veränderungen finden.
Die Kräfte der russischen Linken sind gering. Mit ihrem Aufgehen in der politischen Mainstream-Kultur und der Akzeptanz ihrer stalinistischen Vergangenheit ist die Kommunistische Partei der Russischen Föderation keine aktive Opposition. Die „Linke Front“ hat aktiv lokale Demonstrationen gegen die Regierung unterstützt, ebenso wie kleine Arbeiterkollektive und Diskussionsgruppen.
Die relative Stabilität, die von Putin geboten wurde, sowie einige bescheidene wirtschaftliche Gewinne haben den Widerstand eingedämmt. Russische Arbeiter waren seit der Finanzkrise 2008 nicht militant, als sie sich zusammentaten, um gemeinsam Lohnkürzungen oder Arbeitszeitverkürzungen über sich ergehen zu lassen, anstatt einzeln entlassen zu werden. In den letzten Jahren gab es einige Streiks, vor allem bei den Autoarbeitern in den Regionen Leningrad und Kalyuga, aber die Gewerkschaften ziehen es vor, eine gemeinsame Basis mit den Arbeitgebern zu finden, statt sich mit Streitigkeiten auseinanderzusetzen.
Die Auseinandersetzung mit Fragen der Entfremdung und des Klassenbewusstseins bleibt für die Linken in der Arbeiterbewegung eine Priorität.
Doch während sich die materiellen Bedingungen verschlechtern, demonstrieren Personen wie Navalny die Möglichkeiten, die sich aufgrund der Frustration der Menschen über Korruption und Patronage, welche Putins Russland charakterisieren, bieten.
Tradition
Es gibt immer noch ein sehr reales Bewusstsein für die Geschichte und Tradition der Arbeiter in Russland, das die Revolution von 1917 hervorbrachte. Organisiertes Handeln ist angesichts der repressiven Demonstrations- und Internetrestriktionsgesetze sehr schwierig. Eine Wiederholung der 2012 nach Putins drittem Wahlsieg begonnenen Demonstrationen würde der Linken helfen, aber es gibt keine Garantie, dass sie nachhaltig wirken würde. Der eigentliche Schlüssel zur Verlagerung der politischen Debatte nach links wäre das Aufgreifen des Diskussionsfadens, der von Navalnys Antikorruptionskampagne geschaffen wurde.
Putin kann nicht ewig regieren. Der Kampf gegen die imperialistischen Rivalen Russlands wird weitergehen und dies wird die russische Arbeiterklasse nur weiter unter Druck setzen. Sie wird den Preis der Sanktionen durch Beschränkungen der Nahrungsmittelimporte und die Inflation bezahlen, während die herrschende Klasse von Steuererleichterungen für diejenigen profitieren wird, die eigentlich von den Sanktionen betroffen sein sollten und weiterhin Zugang zu den Früchten der russischen Wirtschaft haben.
Die wirtschaftlichen Aussichten hängen jedoch weitgehend von den Energieexporten ab. Eine veraltete Infrastruktur und ein potenzieller Umstieg auf grüne Energiequellen in der Weltwirtschaft bedrohen dies. Die starke politische Zentralisierung und die fehlende Diversifizierungsfähigkeit Russlands können daher weitere Spannungen auslösen, wenn sich das konjunkturelle Wachstum verlangsamt oder der Ölpreis sinkt.
Die Spannungen innerhalb der russischen Elite werden sich bis 2024 verschärfen, wenn Putins Mandat abläuft. Die extreme Rechte wird nicht verschwinden und hat das Potenzial, in einer stagnierenden politischen und wirtschaftlichen Situation weiter an Bedeutung zu gewinnen. Ungewissheit und Unberechenbarkeit liegen vor uns – das Gegenteil von Putins Ruf nach Stabilität. Der Schlüssel zum Erfolg für die Linke liegt im Aufbau von Organisationen, die die populäre Anti-Korruption-Stimmung aufgreifen, ohne der Anziehungskraft des ethnischen Nationalismus zu erliegen, der das moderne Russland untergräbt.
Dieser Artikel entstammt dem „socialistreview“ und wurde von Robert Behan verfasst, sowie von Felix Wittmeier ins Deutsche übersetzt.
Eine Antwort