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Die Lage Studierender in der Coronakrise

Corona hat die soziale und psychische Lage vieler Studierender massiv verschlechtert. Zwei Jahrgänge von Studienanfängerinnen und Studienanfängern haben ihre Hochschule, außer zu Prüfungen, kaum oder noch nie von innen gesehen. Leo und Darian geben einen Überblick.

Finanzielle Probleme

Vor allem materiell trifft die Pandemie Studierende hart. 40 Prozent haben ihre Nebenjobs verloren. Oft fällt die Unterstützung durch die Eltern weg, weil diese nur Kurzarbeiterinnengeld erhalten oder arbeitslos geworden sind. Die Politik hat die Studierenden in dieser Situation alleingelassen. Seit Monaten fordern Studierendenvertretungen und soziale Organisationen ein funktionierendes System von Soforthilfen als Vollzuschuss. Unbürokratisch, in ausreichender Höhe und für eine große Zahl der Betroffenen. Doch die „Überbrückungshilfen“ von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gibt es bloß auf wenige Monate begrenzt und nur bei einem Kontostand von unter 500 Euro. Besonders erschreckend sind Berichte darüber, dass Anträge selbst bei kleinen Formfehlern unbehandelt bleiben. Die zusätzlich angepriesenen Kredite der staatlichen Förderbank KfW sind zudem nur bis Ende 2021 zinsfrei. Auch Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer wurden nicht gesenkt. Es wird wieder deutlich, dass in der Krise Bedürftigen kaum geholfen wird, während Konzerne wie die Lufthansa vom Staat neun Milliarden bekommen. Schon vor Corona war die Studienfinanzierung unzureichend. Wer beim BAföG knapp über den Fördergrenzen liegt, geht leer aus. Weiter bleibt ein großer Teil der Studierenden, etwa aufgrund nicht-deutscher Staatsbürgerschaft oder Alter, von der Förderung ausgeschlossen. Zudem wird nur ein Teil der Summe als Vollzuschuss gezahlt.

Chaos in der Lehre

Auch im zweiten Jahr der Pandemie reißt die Gängelung der Studierenden nicht ab. Dies drückt sich in fehlenden bundesweiten Standards aus. Aktive Kameras, die bei Prüfungen den ganzen Raum erfassen sollten, sind dabei nur ein Beispiel in der Auseinandersetzung mit dem Schutz von Daten und der Privatsphäre. Diese Vorkehrungen mögen aus Sicht mancher sinnvoll erscheinen. Die Frage, wie viel Privatsphäre wirklich dafür geopfert werden kann, um Betrugsfreiheit zu garantieren, bleibt jedoch.

Der Zeitaufwand zur Erreichung von Creditpoints ist, wie auch schon vor der Pandemie, unverhältnismäßig hoch. Viele Studierenden kommen mit den nochmals erhöhten Anforderungen nicht zurecht. Dass nicht sicher ist, ob die eigene Universitätsbibliothek geöffnet hat oder nicht, erschwert das Anfertigen von Abschlussarbeiten.

Psychische Belastung

Videokonferenzen bestimmen seit einem Jahr unseren Alltag. Dadurch verändert sich auch das Kommunikationsverhalten. Mit Stimmen und Bildern wird versucht, der Vereinzelung entgegenzutreten. Ein echtes Miteinander, das sich durch unzählige Facetten auszeichnet, kann das nicht ersetzen. Des Weiteren wird dadurch eine visualisierte Kommunikationskultur verstärkt, worunter gerade auch Menschen mit Sehbehinderung zu leiden haben. Der Verlust des Nebenjobs und der sozialen Kontakte wiegt schwer auf ihren Schultern. Insgesamt lässt sich durch eine erhöhte Belastung der Beratungsstellen für psychische Gesundheit beobachten, dass Studierende mehr an Depressionen oder depressiven Verstimmungen leiden. Insbesondere ausländische Studierende haben es aufgrund des Wegbrechens des öffentlichen Lebens immer schwerer, in Deutschland Fuß zu fassen.

Einschränkungen von Protest

Hinzu kommt, dass mit den nahezu durchgängigen Schließungen auch der politische und kulturelle Raum Universität zum Stillstand kommt. Viele studentische Initiativen haben keinen Zugang zu Räumen, Erstsemesterveranstaltungen können nicht stattfinden. Die Zahl der Studierenden, die zu Hause wohnen, ist im letzten Jahr von 20 Prozent auf 25 Prozent gestiegen. Über Monate sind die Campus wie leergefegt. Damit ist studentischer Protest gegen Missstände an den Unis kaum möglich. So konnte in Baden-Württemberg die Landesregierung nahezu unbemerkt eine Novelle des Landeshochschulgesetzes durchwinken. Erst recht ist es jetzt schwierig, etwas gegen die unsoziale Corona-Politik zu unternehmen. Eine Hochschule im dauerhaften Lockdown-Modus ist aber auch schädlich für eine Forschung, die in der Krise eine solidarische Perspektive mit sich bringt. Die zunehmende Vereinzelung und Konkurrenzorientierung bestärkt jener Stellung der Wissenschaft, die ein Weiter-so des Systems stützt. Dabei sind gerade jetzt Forschung und Studium gefragt, die zu einer Verbesserung beitragen können: Wie kann ein funktionierendes, ausfinanziertes Gesundheitssystem aussehen? Was lässt sich in der Ökonomie der dominierenden Vorstellung entgegensetzen, der Neoliberalismus sei das einzig Wahre? Wie können Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler ihre Verantwortung gerecht werden und auf den zunehmenden Ökoraubbau aufmerksam machen, der zumindest teilweise zur Ausbreitung neuer Seuchen beitragen kann?

Das Coronavirus scheint in nächster Zeit nicht zu verschwinden, wodurch die Belastung für Studierende weiterhin kritisch bleibt. Diese Lage verpflichtet uns dazu, trotz erschwerter Bedingungen mit politischem Protest zu antworten.

Dieser Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica, verfasst haben ihn Darian Nöhre und Leo Späth.

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