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Corona, Hochschule und Klassismus

Alle sind gleich, aber mache sind gleicher. Das gilt in der deutschen Klassengesellschaft besonders für die Hochschulen. Eine Einschätzung von Erna und Federico Cassarà.

Die Krise hat Studierende besonders hart getroffen. Schon vorher hat für viele das Geld kaum gereicht, um steigende Lebenshaltungskosten zu decken. Nun haben etwa 40 Prozent der Studierenden mit Nebenjob diesen verloren. Als für die Unternehmen austauschbare Arbeitskräfte in prekären Verträgen waren sie unter den ersten, auf die die Kosten der Krise abgewälzt wurden.

Auf Unterstützung vom Staat war kein Verlass. Weder wurde das BAföG an die Notlage angepasst, noch wurde den Studierenden ein Anspruch auf ALG II eingeräumt. Stattdessen sollen sie sich entweder privat verschulden oder darauf hoffen, dass ihr Antrag auf eine Überbrückungshilfe von höchstens 500 Euro nicht wegen Kleinigkeiten abgelehnt wird, wie in mehr als einem Drittel der Fälle geschehen.

Sozialer Ausschluss in der Krise

Die sozialen Unterschiede an den Hochschulen haben sich so weiter verschärft. Viele Studierende müssen um die Finanzierbarkeit ihres Studiums bangen, es im schlimmsten Fall gar abbrechen. Hier schlägt die ökonomische Krise wieder asymmetrisch zu: Sie verschont wohlhabendere Studierende und trifft die Ärmeren, die nicht das Privileg haben, sich auf den Rückhalt ihrer Familie verlassen zu können. Das sind überproportional oft jene, deren Eltern keine Akademiker*innen sind, die aus migrantischen Familien stammen, die als queere Menschen die Unterstützung ihrer Angehörigen verloren haben.

Die Untätigkeit des Staates in Anbetracht der dramatischen Lage, stellt die angeblich universelle Zugänglichkeit der Hochschule abermals in Frage. Ausschließende Strukturen sind von der Bewerbung bis zum Abschluss omnipräsent. Transphobe Geschlechterpolitiken, rassistische Professor*innen und geringe Frauenanteile in wissenschaftlichen Positionen sind nur wenige Beispiele dafür. Was in der liberalen Einbildung einer „Hochschule für alle“ unter den Tisch fällt, ist die Relevanz klassistischer Ausschlusspraktiken, gegenüber Menschen mit geringem ökonomischem, kulturellem oder sozialem Kapital.

Über das Materielle hinaus, begegnet Studierenden aus Nicht-Akademikerinnen-Familien auch Diskriminierung aufgrund habitueller Erwartungen an Ausdruck, Auftreten und Geschmack. Unzugängliche Sprache, das dekadente Zurschaustellen der Kenntnis von bestimmten Theorien und Autor*innen und Erwartungen eines breiten Allgemeinwissens erschweren den Zugang zur akademischen Welt für Kinder von Nicht-Akademikerinnen und Nicht-Akademikern.

Als bürgerliche Institution verhärtet und reproduziert die Hochschule somit Klassenunterschiede und führt fort, was im dreigliedrigen Schulsystem beginnt: eine soziale Auslese, die letztlich den Zugang zu Institutionen des Journalismus, des Justizwesens, der Wissenschaft und der Politik nur denjenigen gewährt, die bereits aus der bürgerlichen Schicht stammen. Die klassistische Universität wird zentrales Instrument dafür, diese gesellschaftlichen Bereiche exklusiv zu halten.

Für eine Hochschule frei von Klassismus

Eine wirklich für alle zugängliche Universität zu schaffen, heißt also, klassistische Ausschlussmechanismen zu bekämpfen. Die materiellen Voraussetzungen für ein Studium für alle müssen geschaffen werden. Dafür bräuchte es vor allem in Zeiten von Corona ausreichende Soforthilfen. Generell bedeutet es die Umwandlung des restriktiven BAföG, mit seinen viel zu geringen Regelsätzen, in ein Studienhonorar für alle. Dieses würde als ausreichend hoher Vollzuschuss gezahlt, ohne Hürden wie Staatsbürgerschaft oder Regelstudienzeit. Damit wäre nicht nur soziale Sicherung geboten, sondern auch der Beitrag von Studierenden im wissenschaftlichen Prozess anerkannt.

Genauso muss aber an einer Hochschule Platz sein für alle Wissens-, Lebens und Ausdrucksformen. Derzeit gilt nämlich, dass universitäre Bildung bürgerliche Bildung ist. Sie löscht Wissen und Erfahrungswerte von Personen aus, die nicht aus dem bürgerlichen Milieu stammen, indem sie diese als unwissenschaftlich oder schlicht als Nicht-Wissen abstempelt. Es muss also mehr Diversität an Inhalten und Formaten und ein selbstbestimmtes Lernen und Forschen ermöglicht werden, um akademische Freiheit zu stärken. Das kann nur funktionieren, wenn wir die Vorstellung überwinden, nur universitär genormtes, bürgerliches Wissen sei wertvoll und ernstzunehmen. Wir brauchen eine Wissenschaft, die nicht nur in den Inhalten kritisch ist, sondern auch in der Form. Eine Wissenschaft, die alle Arten von Erkenntnissen und Erfahrungen ernst nimmt, wertschätzt und in den politischen Diskurs einfließen lässt.

Dieser Beitrag von Fede Cassarà, Erna Cassarà erschien in gedruckter Form in der neuen Critica.

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