Trotz gravierender Menschenrechtsverletzungen setzt die Bundesregierung auf eine Ausweitung der Militärkooperation mit Kolumbien.
Vor fünf Jahren unterzeichneten die Regierung Kolumbiens und die Farc-Guerrilla das historische Friedensabkommen. Damit sollte der Jahrzehnte währende Konflikt überwunden werden, der Hunderttausende Menschenleben gekostet und mehrere Millionen Vertriebene produziert hat. Um die 100.000 Menschen gelten bis heute als verschwunden.
Trotz einiger Fortschritte ist die Bilanz ernüchternd. Wesentliche Aspekte des Abkommens sind bis heute nicht umgesetzt worden und die politischen Morde enden nicht. Die Menschenrechtsorganisation Somos Defensores hat allein von Januar bis September dieses Jahres 86 Morde an Menschenrechtsverteidiger:innen dokumentiert. Hinzu kommen zahlreiche Morde an ehemaligen Mitgliedern der Guerrilla, denen laut Abkommen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zusteht. Laut UN-Verifizierungsmission in Kolumbien wurden zwischen 2016 und 2020 mindestens 248 Ex-Kombattant:innen der Farc getötet.
Laut der Beobachtungsstelle der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation Indepaz, wurden seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2016 mehr als Tausend Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und mehr als 240 indigene Anführer:innen getötet.
Auch bei der jüngsten Welle von Sozialprotesten im Frühjahr 2021 gingen Polizei und Militär mit äußerster Härte gegen Menschen vor. Dutzende Menschen wurden getötet und über 1.000 verletzt.
Im Jahr 2022 stehen bedeutende Wahlen in Kolumbien an. Zunächst wird im März das Parlament neu gewählt, dann folgt im Mai die Präsidentschaftswahl. Alle Umfragen zu dieser führt aktuell der Kandidat der Linken, Gustavo Petro, an. Angesichts der aktuellen Situation befürchten Beobachter:innen, dass er ermordet werden könnte. Eine Befürchtung, die bei historischer Betrachtung durchaus berechtigt erscheint: Ähnlich war es in Kolumbien schon einigen linken Kandidaten ergangen. In den 1980er Jahren, nach einem weiteren Friedensschluss, wurden gar Tausende Mitglieder der „Unión Patriótica“ ermordet.
Entwicklungen wie aktuell in Kolumbien führen in manchen Ländern zu einem Stopp von Waffenexporten, zu scharfen öffentlichen Verurteilungen oder gar zu Sanktionen. Nicht so aber in diesem Fall – ganz im Gegenteil: Just in dieser Situation verkündete der deutsche Botschafter in Bogotá im November den Abschluss eines neuen Militärabkommens mit Kolumbien.
Voller Stolz begründete dann Botschafter Peter Ptassek den Schritt öffentlich. Via Twitter beantwortete er die selbst gestellte Frage, warum Kolumbien das erste Land auf dem Kontinent sei, mit dem Deutschland ein solches Abkommen unterzeichnet habe. Die Antwort: „Weil sie ein hervorragender Verbündeter auf dem Gebiet der Ausbildung, der Bildung und der Zusammenarbeit in diesem Bereich ist, einfach deshalb!“
Mit „diesem Bereich“ ist selbstverständlich das Militär gemeint, als eben jener Akteur, der bis heute für gravierende und systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. So beispielsweise auch für die berüchtigten „falsos positivos“: Zwischen 2002 und 2008 kam es zu über 6.000 extralegalen Hinrichtungen, bei denen die Opfer als im Gefecht gefallene Mitglieder der Guerrilla präsentiert wurden, obwohl es sich um Zivilist:innen handelte.
In einer Antwort auf meine parlamentarische Anfrage ruderte die Bundesregierung dann auch gleich etwas zurück: Es handele sich lediglich um eine „Absprache“, die aber „keinen Vertrag im Sinne der vertragsrechtlichen Bestimmungen des Wiener Übereinkommens von 1969“ darstelle. Nichtsdestotrotz bekräftigt die Noch-Bundesregierung in ihrer weitgehend mit Floskeln aufgefüllten Antwort, dass sie zur verstärkten Militärkooperation mit Kolumbien steht.
Einen möglichen Grund liefert sie sogleich mit: Kolumbien ist das einzige Land in Lateinamerika mit dem Status eines „NATO Global Partner“. Und seinen Partnern schaut man lieber nicht so genau auf die Finger.
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