Das Buch »I.N.L.A. – Deadly Divisions« von Henry McDonald und Jack Holland behandelt die Geschichte der politischen Partei IRSP und ihres bewaffneten Armes INLA – einer linksradikalen Organisation im Nordirlandkonflikt, die sich nach einem vielversprechendem Start in brutaler Gewalt gegen britische Besatzungskräfte, protestantische Loyalisten und immer wieder auch eigene (Ex-)Genossen verlor, wobei sich die Grenzen zwischen politischem Aktivismus, krimineller Tätigkeit und persönlichen Konflikten stark vermischten.
So blutrünstig die Geschichte dieser Organisation auch anmuten mag: Sie muss im Kontext des extrem gewalttätigen Nordirlandkonfliktes gelesen werden, von dessen über 3.500 Toten nur ein Bruchteil, etwa drei Prozent, auf das Konto der hier besprochenen Gruppierung gingen.
Hoffnungsvolle Gründung einer neuen Linkspartei
Ende 1974, auf einem der Höhepunkte des Nordirlandkonflikts mit damals schon um die 1.500 Toten, wurde eine neue Linkspartei gegründet, die den Kampf für die nationale Befreiung Irlands vom britischen Imperialismus mit dem Kampf um eine sozialistische Revolution unmittelbar zu verbinden versprach: Die »Irish Republican Socialist Party« (IRSP). Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde sie von zwei der damals bekanntesten Persönlichkeiten der radikalen Linken: Bernadette Devlin McAliskey, Ikone der Bürgerrechtsbewegung im Norden und ehemalige Politikerin der »Peoples Democracy«, und Seamus Costello, zuvor charismatischer Kommunalpolitiker der »Official Sinn Fein«-Partei (OSF) und Gewerkschafter aus der Republik Irland. Die neue Partei positionierte sich strategisch zwischen den beiden Hauptströmungen des Republikanismus: den »Officials«, die über eine Einheit der katholischen und protestantischen Arbeiterklasse in Etappen die nationale Einheit und dann den Sozialismus erkämpfen wollte, und den von ihnen abgespaltenen »Provisionals«, die durch unmittelbare Konfrontation mit der Besatzungsmacht und den mit ihr kollaborierenden protestantischen Loyalisten den Weg zur Einheit Irlands freizuschießen hofften. Die 80 Delegierten des IRSP-Gründungsparteitages beschlossen ein vorläufiges Parteiprogramm; nach außen schien alles den Eindruck einer hoffnungsvollen neuen Linkspartei zu erwecken. McAlliskey verkündete gar selbstbewusst: „This party is an attempt to create a revolutionary socialist alternative to eight hundred years of failure.”
Dass es sich tatsächlich aber keinesfalls um eine normale Partei handelte, zeigte sich schon unmittelbar im Anschluss, als die meisten Delegierten zu einer Geheimsitzung weiterzogen, auf der die Gründung eines bewaffneten Armes, der »Irish National Liberation Army« (INLA), beschlossen wurde, zu deren Oberkommandanten ebenfalls Costello gewählt wurde. Denn dieser war nicht nur ein prominenter Politiker und linker Medienstar, sondern auch ein in den republikanischen Milieus gefeierter Kämpfer der »Official IRA« (OIRA), der seit mehr als 15 Jahren immer wieder an Anschlägen gegen britische Soldaten und an Banküberfällen beteiligt war. Als die OIRA 1972 aus Angst, den Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter anzuheizen, einen Waffenstillstand verkündete, wurde Costello zum Anführer einer Opposition, die den bewaffneten Kampf fortsetzen und die sozialistische Politik der Officials mit dem militanten Aktionismus der Provos zu kombinieren suchte, bis sie aus der innerparteilich zunehmend stalinistischen OIRA/Sinn Fein ausgeschlossen wurde.
Die meisten der nach eigenen, reichlich übertriebenen Angaben bald 700 Mitglieder der IRSP stammten daher aus dem offiziellen Flügel der republikanischen Bewegung – entweder aus der legalen Parteiarbeit oder dem illegalen bewaffneten Arm, wo sie eine recht solide Grundausbildung in marxistischer Theorie erfahren hatten. Viele von ihnen hatten in den Jahren zuvor mit der Waffe in der Hand katholische Wohnviertel und Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung gegen Pogrome protestantischer Loyalisten und Angriffe britischer Sicherheitskräfte verteidigt. Auch die IRSP sollte mit der INLA über einen bewaffneten Arm verfügen, der aber, so Costellos Plan, zunächst im Verborgenen agieren und sich in aller Ruhe bewaffnen und auf einen Guerillakrieg gegen die britische Besatzung vorbereiten sollte, während zunächst nur die IRSP öffentlich auftreten und sich in der Gesellschaft als sozialistische Partei verankern sollte. Ein Plan, der richtig gründlich schief gehen sollte.
Bruderkampf statt breiten Bündnisses
Denn die OIRA betrachtete die IRSP-Abspaltung als Deserteure und war überhaupt nicht bereit, es hinzunehmen, dass Teile ihrer umfangreichen Waffenbestände nun in die Hände einer Organisation fallen sollten, die man im Verdacht hatte, den Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter anzuheizen. Schon wenige Tage nach Gründung der IRSP kam es zu ersten Schlägereien, denen Entführungen, Schüsse in Kniescheiben und bald die ersten Morde der rivalisierenden Organisationen untereinander folgten. Die Führung der IRSP versuchte von Dublin aus, diese Eskalation zu verhindern, aber on the ground in Belfast folgte diese bereits einer eigenen Logik, die schließlich in einen offenen Krieg zwischen beiden Gruppen mündete. Gegen die Anweisungen Costellos machte sich sogar ein Killerkommando aus Belfast auf den Weg nach Dublin, dass Sean Garland, eine historische Führungsfigur der OIRA, mit sechs Schüssen schwer verletzte. Es folgten Morde an führenden IRSPlern, woraufhin die Belfaster IRSP Billy McMillan, den Chef der OIRA Belfast, erschoss. Tatsächlich sollte sich die OIRA in Belfast von diesem Schlag nie wieder erholen, aber die Aktion bedeutete auch das Todesurteil für Costello, dass das Army Council der OIRA bereits zu diesem Zeitpunkt verhängte – obwohl sich Costello entschieden gegen die Eskalation gestemmt hatte. Trotzdem ließ sich die OIRA bis auf weiteres auf einen von der irischen Transportarbeitergewerkschaft vermittelten Waffenstillstand mit der IRSP ein. Der Konflikt zwischen den militaristischen Belfastern und der politischen Führung in Dublin sollte sich aber, so die Autoren, die ganze Geschichte der Organisation hindurch fortsetzen.
An einen ruhigen Parteiaufbau war unter den Bedingungen des Konfliktes mit der OIRA nicht zu denken gewesen: In den ersten Parteitag der IRSP platzte etwa die Nachricht vom Mord an einem ihrer Mitglieder in Belfast, woraufhin die Belfaster Delegation augenblicklich den Parteitag verließ, um gleich am Folgetag zwei Militante der OIRA in Belfast niederzuschießen. Der Konflikt behinderte massiv den angestrebten Parteiaufbau, und die Partei, die weiter die Existenz der INLA leugnete und sich als rein politische Organisation präsentierte, hatte ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, da aus ihrem Umfeld fortwährend Anschläge auf konkurrierende Republikaner verübt wurden, die wiederum die nach außen vertretene IRSP-Strategie einer „broad front“, also eines breiten Bündnisses aller irischen Republikaner gegen den britischen Imperialismus, konterkarierte. Im Frühsommer 1975 hatte die IRSP bereits mehrere Tote, Dutzende Verletzte und 40 Gefangene zu beklagen. Trotzdem verabschiedete die Partei einige programmatische Dokumente, von denen insbesondere die fortschrittlichen Positionen zu Frauenfragen inklusive einem „Ja“ zu Abtreibungen auffallen und sich vom republikanisch-nationalistischen Mainstream der 1970er deutlich abheben. Tatsächlich wurden IRSP/INLA bald zur Strömung mit den prozentual meisten aktiven Frauen in ihren Reihen. „In this, as in much else, the IRSP was certainly ahead of its time“, werten die Autoren.
Primat der Partei oder der Guerilla?
Im Sommer 1975 begann die INLA ihre bewaffnete Kampagne gegen die britische Besatzungsmacht: Wiederholt eröffneten ihre Militanten aus den katholischen Wohnvierteln heraus das Feuer auf britische Patrouillen, bei denen mehrere Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben kamen. Hinzu kamen einzelne Anschläge auf protestantische Milizionäre und auch Zivilisten. Die Offensive der INLA führte zu neuen Spannungen innerhalb der IRSP-Führung. Ein linker Flügel um Bernadette McAliskey forderte das Primat des Klassenkampfes, die Unterordnung des bewaffneten Armes unter die Partei, eine Teilnahme an Wahlen und sprach sich für eine Kooperation mit trotzkistischen Gruppen wie den International Socialists/Socialist Workers Movement aus, zu denen enge Verbindungen bestanden. Doch der linke Flügel verlor die entscheidenden Abstimmungen, eine Mehrheit sprach sich für den Wahlboykott und das Primat der Guerilla aus, so dass McAliskey und ihre Anhänger im Herbst 1975 die IRSP nach einem knappen Jahr wieder verließen.
Kopflos nach Ermordung des Gründers
1976 befand sich die Partei in einer tiefen Krise und konnte nur noch 40 zeitungsverkaufende Mitglieder zählen und erhielt bei Wahlen nur wenige Stimmen, während die INLA über erheblich mehr Aktive verfügte. Im Oktober 1977 folgte ein Schlag, der fast das Ende der Bewegung bedeutet hätte: Ein Killer vollstreckte das Todesurteil der OIRA und erschoss Seamus Costello. Die Autoren des Buches bezeichnen ihn als republikanischen Ausnahmepolitiker: „He was a very Irish phenomenon: nowhere else, at least in western Europe, would one find a man of his obvious political abilities driving the getaway vehicle after robbing a post office van“, und würdigen ihn: „The vision he had of the republican movement was that of a radical, popular left-wing organisation, rooted in the poor and the working class, and linked to the armed struggle with its prime focus on removing the British presence in Northern Ireland.“ Anerkennend zitieren sie die Tochter des linken irischen Nationalhelden und Anführer des Osteraufstandes von 1916, James Connolly: „Séamus was the greatest follower of my father’s teachings in this generation.”
Mit Costellos Ermordung schien vielen Beobachtern bereits das Ende seiner jungen Partei gekommen.
Geld, Waffen, Anschläge
Doch binnen nur eines Jahres sollten sich IRSP und INLA in einem unerwarteten Aufschwung befinden: Ein Massenausbruch von neun INLA-Gefangenen sorgte für neue Sympathiepunkte. Durch einen Halbe-Million-Pfund-Bankraub wurden endlich die Kassen gefüllt, was der INLA umfangreiche Waffenkäufe bei der palästinensischen PLO erlaubte, die mit Hilfe der deutschen „Revolutionären Zellen“ nach Irland geschmuggelt wurden. Gezieltere und verlustreichere Angriffe auf die britischen Sicherheitskräfte folgten. Mit dem Geld konnte auch die IRSP ihren Apparat ausbauen, neue Parteibüros eröffnen und ihre Strukturen wieder vergrößern. Das Profil der Bewegung wurde weiter geschärft durch die aktive Beteiligung von 27 INLA-Gefangenen an den „blanket strikes“, die sich gegen die Abschaffung des Kriegsgefangenenstatus und den Zwang zu regulärer Gefängniskleidung richteten und sich nur in Bettlaken hüllten. Zu einer Hochburg der INLA wurde der riesige Sozialwohnungskomplex der „Divis Flats“, von wo aus viele ihrer Aktionen begangen wurden und der als sicherer Rückzugsraum diente. 1979 gelang ein spektakulärer Bombenanschlag im Londoner Westminster-Palast auf Margret Thatchers Nordirland-Experten. Doch bald darauf fiel eine Nachfolgerin Costellos als Parteivorsitzende der IRSP und ein Anführer der Belfaster INLA – Sohn eines protestantischen Politikers, der sich seit 1968 der radikalen (katholischen) Linken angeschlossen hatte und ihnen als Aushängeschild zur Versicherung ihres Überkonfessionellen Charakters diente – Anschlägen zum Opfer. Die Autoren sind überzeugt: Sie gingen auf das Konto britischer Geheimdienste, die damit Rache für die Ermordung des Thatcher-Beraters nahmen.
Aufschwung im Hungerstreik
Neuen Aufschwung nach diesen Schlägen verschaffte der große Hungerstreik für die Anerkennung als (politische) Kriegsgefangene mit entsprechenden Rechten. Sich über Jahre hinweg zuspitzend eskalierte der Kampf der Häftlinge 1981, als schließlich zehn Gefangene, darunter drei der INLA, sich zu Tode hungerten. Die IRSP warf sich von Anbeginn an mit aller Kraft in diese Bewegung, während die Provos anfangs zurückhaltender waren (um das Primat ihrer armed campaign nicht zu gefährden) und die OIRA sie gar boykottierte. Bald gab es Massenproteste zur Unterstützung der Gefangenen, die IRSP hatte ihr Kampagnenthema gefunden (auch wenn die Provos sie aus allen Bündnissen auszuschließen versuchten) und konnte einige Dutzend neue Mitglieder rekrutieren und neue Ortsgruppen gründen. Die INLA, deren neuer Oberkommandant Gerard Steenson schlicht „Dr. Death“ genannt wurde, begleitete die Bewegung mit Dutzenden Anschlägen auf Sicherheitskräfte und Gefängnispersonal, und konnte – durch den Tod ihrer drei Hungerstreikenden zu neuer Prominenz gelangt – Hunderte Beitritte verzeichnen, und die Taktzahl ihrer Anschläge immer weiter steigern.
Krimineller Aktionismus
Viele der nun die Reihen der Belfaster INLA füllenden Leute stammten allerdings aus kleinkriminellen Milieus und verfügten kaum über eine politische Bildung. Schließlich schoben sie die alte, einst in der OIRA marxistisch geschulte Führung der Belfaster Brigade bei Seite. Als es zu Spannungen mit der Führung in Dublin kam, entsandten die Belfaster INLA gar Killer, um in Dublin Führungsmitglieder der IRSP umzubringen. Zwar scheiterten sie damit, legten aber den Grundstein für weitere interne Spannungen und Spaltungen. Verhaftungen einzelner der nur anpolitisierten INLA-Mitglieder führten bald zu umfassenden Aussagen und vielen weiteren Verhaftungen, darunter von Dr. Death; erstmals gelang den Sicherheitsbehörden in dieser Zeit auch eine Infiltration der Gruppe, was zu zusätzlicher Paranoia und weiteren Spannungen führte, aber auch zu Kidnappings und Folterungen von Angehörigen vermeintlicher oder echter Verräter. „Yet again, when the INLA seemed on the verge of collapse, it defied all predictions. Instead of breaking apart, it actually raised its violent campaign to levels of bloodshed and horror never equalled before or since in the organisation’s history“, so die Autoren.
Die Führung der INLA wurde nun mit „mad dog“ Dominic McGlinchey erstmals von jemanden übernommen, der nicht aus der alten OIRA stammte. Er schaltete den Armeerat der INLA und mögliche Konkurrenten aus und errichtete ein diktatorisches Regime in der Organisation. Unter seiner Führung führte die Gruppe Ende 1982 eine ihrer blutigsten Anschläge durch, dem elf englische Soldaten und sechs Zivilisten zum Opfer fielen. 1983 überfiel ein INLA-Kommando einen protestantischen Gottesdienst mit Maschinenpistolen und ermordete drei Gläubige, was weithin Entsetzen auslöste. Der Zustrom junger Katholiken aus dem Norden in die INLA hielt aber ungebrochen an, während die Strukturen der IRSP im Süden nun endgültig zusammenbrachen, die ihre Büros wieder schließen und ihre Hauptamtlichen entlassen musste: „Politics was almost exclusively replaced by the gun“, resümieren die Autoren. Trotzdem attestieren sie auch der „mad dog“-Führung, noch primär aus ideologischen und nicht persönlichen Motiven gehandelt und die Organisation immerhin zusammengehalten zu haben. Der eigentliche Weg in den Abgrund habe erst nach seiner Verhaftung 1984 eingesetzt, als die INLA in verschiedene Fraktionen zerfiel, bei denen sich politische und kriminelle Aktivitäten immer mehr vermischten. Zu einem Klassiker wurden private Raubzüge von Mitgliedern, bei denen Waffen der INLA eingesetzt wurden, oder Überfälle der Guerilla, deren Beute in privaten Taschen landete – was teils blutige Strafaktionen nach sich zog. Unter dem Banner der INLA setzten einige katholische Familien uralte Blutfehden mit protestantischen Familien fort. Zunehmend unbeliebt machten auch die um sich greifenden Schutzgelderpressungen der Organisation.
Je unpolitischer der – weiterhin von einer donnernden revolutionären Rhetorik begleitete – Aktionismus der INLA-Führungsfraktion wurde, desto linker und steriler sei das ideologische Profil der Rest-IRSP geworden, die sich zu ihrem zehnten Geburtstag zu einer marxistischen Partei erklärte und die Lektüre der Schriften von Marx und Lenin zu den Pflichten eines jeden Parteigenossen erkor. Leider gehen die Autoren, die nur wenig Interesse an politisch-ideologischen Fragen zeigen, nicht darauf ein, wie die Mitglieder wohl die marxistische Theorie mit dem individuellen Terrorismus-Kriminalismus ihres bewaffneten Armes zusammendachten. In der INLA bildete sich währenddessen eine Strömung um Dr. Death und andere ältere Kader heraus, die politisch zurück zum linksrepublikanischen Erbe Costellos und militärisch zurück zu eindeutig politischen Aktionen wollte. Aus dieser – von den Autoren eigentlich als vernünftiger und verantwortungsvoller agierend eingeschätzten – Fraktion ging die »Irish People´s Liberation Organization« (IPLO) hervor, die im Herbst 1986 mit zwei Anschlägen auf britische Sicherheitskräfte als eigenständige Organisation die Bühne des bewaffneten Kampfes in Nordirland betrat.
Die tödlichste Spaltung
Die IPLO, die in Belfast über 20 geschulte und schwer bewaffnete Kämpfer sowie über weitere versprengte Strukturen alter IRSP-Kader verfügte, sah die Eliminierung der von ihnen als kriminell und korrupt eingeschätzten INLA-Führung als zwingende Voraussetzung zu einem Wiederaufbau einer republikanisch-sozialistischen Linken und damit für eine neue Offensive gegen den britischen Imperialismus. Die INLA reagierte auf die Abspaltung mit der Drohgebärde einer Pressekonferenz mit 20 maskierten und schwer bewaffneten Kämpfern. Kurz darauf wurden zwei führende Köpfe der INLA in einer Hotellobby von der IPLO erschossen. Hunderte Sympathisanten kamen zu den Begräbnissen. Dieser Doppelmord bildete den Auftakt zu einer der blutigsten innerrepublikanischen Fehden des Nordirlandkonfliktes, bei der politische Motive, persönliche Animositäten und kriminelle Interessen kaum noch zu unterscheiden waren. Entsprechend alptraumhaft lesen sich die folgenden Passagen so vieler Verstümmelungen, Folterungen und Morde untereinander, begangen von Menschen mit einem eigentlich linken Selbstverständnis. Schließlich beendete ein Waffenstillstand 1987 die Fehde, bei der auf beiden Seiten je sechs Mitglieder ihr Leben verloren hatten – unter ihnen der IPLO-Anführer Dr. Death, der einst mit dem Mord am Belfaster OIRA-Kommandanten McMillan das Todesurteil gegen Seamus Costello provoziert hatte, und der IRSP-Chefideologe Thomas Ta Power.
Die Fehde hinterließ beide Organisationen, und mit ihnen die Strömung eines republikanischen Sozialismus extrem, geschwächt. Eigentliche Gewinner waren die Provos, deren linke Konkurrenz nun am Boden lag und denen sich nun etliche der älteren IPLO-Kader anschlossen. Die jüngere Generation hingegen beschloss, die Organisation fortzuführen, sich nun aber wieder auf das eigentliche Ziel, den Kampf gegen Besatzer und Loyalisten, zu konzentrieren. Tatsächlich aber wurden sektiererische Anschläge auf protestantische Milizen und Zivilisten – insbesondere Überfälle mit Maschinenpistolen auf die Gäste protestantischer Pubs – zum Markenzeichen der Rumpf-IPLO in den folgenden Jahren, auf deren Konto im Ganzen 22 Morde gingen, 12 davon an protestantischen Zivilisten.
Um Gelder für ihren „revolutionären Kampf“ zu akquirieren, stieg die IPLO als einzige republikanische Organisation groß in den Drogenhandel ein. Es waren die Jahre nach dem „Summer of Love“ 1987, auch in Nordirland gab es die ersten Raves und Techno-Clubs. Die IPLO importierte im großen Stil Ecstasy aus den Niederlanden und gründete ein eigenes Taxiunternehmen, um die Tabletten für 25 britische Pfund das Stück auf Partys zu verkaufen. Immer mehr verwob sich die Gruppe so mit kriminellen Milieus, aus denen sie kräftig rekrutierte, während sie andere Dealer auszuschalten versuchte. 1992 brachen Kämpfe zwischen verschiedenen IPLO-Fraktionen aus, denen auch der Anführer der Organisation und ihre wohl letzte wirklich politische Figur zum Opfer fiel. Daraufhin beschlossen die Provos, dem Treiben der IPLO-Fraktionen ein Ende zu setzen: An Halloween 1992 schlugen 100 IRA-Kämpfer überall in Belfast los und überfielen die Wohnungen von IPLO-Mitgliedern beider Fraktionen, denen sie die Kniescheiben zerschossen. Wenige Tage später erfolgte die totale Kapitulation der IPLO, die ihre Auflösung verkündete und ihre Waffenbestände an die Provos übergab.
Der blutige Weg zur Entwaffnung
Auch Rumpf-INLA und -IRSP machten nach dem Ende der Fehde mit der IPLO 1987 weiter, sich dabei politisch von dem „traditional Socialist Republican orbit into a Black hole of extrem Marxist-Leninist fundamentalism“ navigierend. Mit dem linken Republikanismus und seinem Militarismus wurde zugunsten eines auf dem wissenschaftlichen Sozialismus basierenden Programms gebrochen, wie die Autoren abwertend schreiben. Tatsächlich sollten aber die Belfaster Militaristen bald wieder die Führung der INLA übernehmen, die ein Jahr nach der blutigen Fehde wieder bedingt aktionsfähig war und einzelne Angriffe auf britische Militärposten unternahm. Um diese Zeit bemühte sich die INLA auch verstärkt um neue Kooperationen mit linksradikalen britischen Gruppen wie Red Action, einer Abspaltung der trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP), die auf bewaffnete Aktionen gegen Nazis setzten. Die Tötung eines Militärangehörigen sollte aber erst 1992 wieder gelingen und die Weiterexistenz der Gruppe einer größeren Öffentlichkeit in Erinnerung rufen. 1994 erschoss die INLA drei führende protestantische Paramilitärs. Vor dem Hintergrund der beginnenden Friedensverhandlungen der IRA hoffe die INLA auf ein neues Profil durch die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes – doch erneut sollten sie interne Fraktionskämpfe, wie üblich mit der Waffe ausgetragen, zu Boden werfen, die 1996 unter anderem einem weiteren ihrer Oberkommandanten das Leben kosteten, ebenso dem Anführer der daraufhin kapitulierenden rivalisierenden Fraktion. Trotzdem gelang der INLA 1997 noch ein großer Coup: die Ermordung des Anführers einer extrem gewalttätigen protestantischen Miliz mitten im Hochsicherheitsgefängnis der H-Blocks. Wie zu erwarten zog der Anschlag eine Reihe von Vergeltungsaktionen nach sich. Den Weg in den Frieden konnte die INLA damit aber trotzdem nicht aufhalten: 70 Prozent der Bevölkerung Nordirlands und 89 Prozent in der Republik stimmten, entgegen den Aufrufen der IRSP, dem Karfreitags-Abkommen zur Beendigung des Konfliktes zu. 1998 verkündete dann auch die INLA einen Waffenstillstand, und zerstörte 2009 schließlich ihre Waffen – ironischerweise am gleichen Tag wie die OIRA, von der sie sich 1975 abgespalten hatte, um einen bewaffneten Kampf für ein vereintes und sozialistisches Irland zu führen, den sie nun ergebnislos beenden musste. So wie die Workers Party der OIRA besteht auch die IRSP bis heute als sozialistische Kleinpartei ohne jede gesellschaftliche Relevanz fort – und wohl ohne jede Aussicht, noch einmal einen wichtigen Beitrag im Kampf für ein vereintes und sozialistisches Irland leisten zu werden.
Autoren als Zeitzeugen
Die Autoren – bekannte irische Journalisten und Publizisten – sind gleichsam Zeitzeugen der in dem Buch geschilderten Ereignisse. Sie kannten viele der Protagonisten von Interviews, die sie damals mit ihnen führten, und teilweise auch persönlich. Politisch machen sie aus ihren Sympathien für den irischen Republikanismus – auch in seinen linken Spielarten – keinen Hehl. Für den Marxismus oder überhaupt im engeren Sinne linke Politik haben sie hingegen wenig Verständnis. Nachvollziehbar sind ihre Sympathien mit den Gründungsmotiven und Protagonisten der IRSP/INLA ebenso wie ihre Abscheu und Unverständnis gegenüber vielen der späteren Aktionen, wohingegen ihre gewisse Sympathie für die IPLO doch erstaunt. Herausgekommen ist eine leidliche Organisations- und eine sehr dichte (militärische) Aktionsgeschichte. Leider werden IRSP/INLA wenig eingebettet in die Traditionen und Milieus des linken irischen Republikanismus; Verwurzelung und Gründe des Zulaufes bleiben daher etwas nebulös. Auch erfährt man leider wenig über den Partei- und Guerilla-Alltag, über politisches Selbstverständnis und Schulungen der Militanten, auch nicht über ihre soziale Zusammensetzung. Stattdessen wird man mit zahllosen Geschichten geschundener, verstümmelter, gefolterter und getöteter Menschen konfrontiert.
Im Kontext lesen
So verstört, wie einen die Geschichte der IRSP/INLA auch zurücklässt: Sie muss im Kontext des extrem gewalttätigen Nordirlandkonfliktes gelesen werden, von dessen über 3.500 Toten nur ein Bruchteil, etwa drei Prozent, auf ihr Konto gingen. Auch gemeinsam haben die linksradikalen Organisationen IRSP (113), OIRA (51), IPLO (22) „nur“ etwa fünf Prozent der Toten des Bürgerkrieges zu verantworten; 363 gehen hingegen auf das Konto der britischen Sicherheitskräfte, darunter die Leben von 186 Zivilist:innen. Es scheint heute fast unvorstellbar, dass noch vor gar nicht langer Zeit ein derart gewaltsamer Konflikt in Westeuropa tobte, ausgetragen von Menschen, die auf kleinem Gebiet in oft unmittelbarer Nachbarschaft lebten.
Würde man versuchen, aus der Geschichte von IRSP/INLA verallgemeinerbare Lehren abzuleiten, könnten es diese sein: Nationale Befreiungsbewegungen bieten ein starkes Potenzial für eine Radikalisierung in Richtung sozialistischer und marxistischer Ideen. Dafür ist die INLA – neben PLFP, ETA, OIRA und anderen – ein weiteres Beispiel. Jedoch sind (Bürger-)Kriegssituationen für Linke ein vergiftetes Terrain; ihr Gewaltspiralenpotential entfremdet von einer auf Massenmobilisierungen zielenden klassenkämpferischen Politik, und kann sich schnell auch auf interne Fraktionskämpfe übertragen. Entscheidet sich eine linke Organisation in einem Bürgerkriegssetting aber für eine politisch-militärische Strategie, muss das Primat der Politik (Partei) unbedingt gewahrt werden. Dass bei der IRSP/INLA das Gegenteil geschah, legte die Grundlage für ihren Weg in einen Abgrund der Gewalt.
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