Deutschland diskutiert darüber, dass Katjes es gewagt hat, in seiner Werbung eine Frau mit Kopftuch zu zeigen, die vegane Gummibärchen isst. Das Unternehmen wurde beschimpft, von einer Islamisierung schwadroniert, dabei stellt Katjes nur die gesellschaftliche Realität dar, zu der auch kopftuchtragende Frauen gehören. Weder in der Werbung noch in anderen Bereichen ist ein Kopftuch ein „Normalfall“, denn Kopftuchträgerinnen sind auf dem deutschen Arbeitsmarkt die ausgegrenzteste Gruppe. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es sinnvoll war, ein Modell zu engagieren, das keine kopftuchtragende Muslima ist, sondern lediglich eine darstellt. Ein Problem bleiben viele Reaktionen auf die Werbung trotzdem.
Seit mindestens 20 Jahren wird in Deutschland über den Umgang mit dem Islam und in diesem Zuge auch über das Kopftuch diskutiert, meist allerdings nur über die Trägerinnen und nicht mit ihnen. In den Debatten wird das Kopftuch mit politischen Symbolen, auch denen des Faschismus gleichgesetzt, wie eine Äußerung des CDU-Politiker Otto Hauser zeigt: „Die politischen Implikationen, die dem Kopftuch unterstellt wurden, verhielten sich auch hier antithetisch zur bestehenden Gesellschaftsordnung […] Wer das Kopftuch im Unterricht erlaube, müsse auch ‚das Tragen des roten Sterns oder neofaschistischer Symbole genehmigen'“. Von rechten Kräften wird das Kopftuch in den Debatten häufig zu einem Symbol der muslimischen Frauenunterdrückung gemacht. So erklärte der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Gauland: „Das Kopftuch ist ein religiöses Symbol und es steht darüber hinaus für Unterdrückung und Minderwertigkeit der Frau“. Er ist nicht der einzige Antifeminist, welcher sich in dieser Debatte hinstellt und versucht die „unterdrückten muslimischen Frauen“ zu verteidigen.
Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft
Diese Debatten haben Folgen für den Umgang mit dem Kopftuch in der Mehrheitsgesellschaft. So sind 60 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland der Meinung, dass das Kopftuch ein Symbol für Unterdrückung sei. 45 Prozent sehen in ihm ein Zeichen für Frauenunterdrückung und 16 Prozent meinen, es bedrohe die europäische Kultur. Auch die Möglichkeit, mit dem Kopftuch zu lehren, wurde von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt. Dabei sind die Unterschiede zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sowie älteren Menschen deutlich. In der Gruppe der 16-25-Jährigen befürworten mehr als 70 Prozent die Möglichkeit, mit Kopftuch zu unterrichten, unter den über 25-Jährigen war die Mehrheit dagegen. Dies hängt auch mit den geführten Debatten sowie unterschiedlichen Werten zusammen. „Dabei werden jene Debatten, die von den Älteren geführt werden, als gestrig wahrgenommen und die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen in den Fokus gerückt“, macht die Forscherin Naika Foroutan deutlich.
Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt
Während große Teile der Bevölkerung das Kopftuch ablehnen und in ihrer Ablehung den Versuch sehen, Frauen zu schützen, sind die Folgen für Kopftuchträgerinnen schwerwiegend. So ist es trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts in einigen Bundesländern immer noch nicht möglich, dass Frauen mit Kopftüchern als Lehrerin oder Kindergärtnerin arbeiten. Dieser Ausschluss vom öffentlichen Dienst hat auch direkte Auswirkungen auf die Chancen von Kopftuchträgerinnen auf dem privatwirtschaftlichen Arbeitsmarkt. Frauen mit Kopftuch müssen sich deutlich häufiger bewerben, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. Eine Studie zeigt, dass Frauen mit deutschem Namen bei identischer Qualifikation in 18,8 Prozent der Fällen eine positive Rückmeldung, die mit türkischstämmigem Namen ohne Kopftuch immerhin noch in 13,5 Prozent und Bewerberinnen mit Kopftuch noch in 4,2 Prozent der Fällen eine positive Rückmeldung auf ihre Bewerbung erhielten. Bewerberinnen mit Kopftuch müssen somit 4,5 mal mehr Bewerbungen schreiben, um eine positive Antwort zu erhalten, bei hochqualifizierten Stellen steigt diese Zahl sogar auf 7,6 Bewerbungen an. Deutlich werden die Folgen auch in einer Studie von Gestring, nach der 12 von 19 Gatekeepern, Mitarbeitern, die über die Personalauswahl entscheiden, nicht bereit sind Frauen mit Kopftuch einzustellen, vollkommen unabhängig von deren Qualifikation. Als Motiv dafür werden nicht notwendigerweise eigene Vorbehalte geäußert, sondern auch die Befürchtung, dass Kundinnen und Kunden Frauen mit Kopftuch ablehnen würden. Während Frauen mit Kopftuch auf den privaten Sektoren des Arbeitsmarkts große Hürden in den Weg gelegt bekommen, wird ihnen durch die weiterhin bestehenden Landesgesetze, der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt. Frauen wird damit die finanzielle Unabhängigkeit erschwert.
Gegen Diskriminierung – Für gleiche Rechte
Statt sich über die Darstellung von Frauen mit Kopftuch in der Werbung aufzuregen, wäre es an der Zeit, gegen die alltägliche Diskriminierung zu kämpfen, die Kopftuchträgerinnen jeden Tag erleben. Dazu gehört zum einen der Kampf für gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt. So würde die Einführung von anonymen Bewerbungsverfahren dafür sorgen, dass kopftuchtragende Frauen nicht schon im Rahmen von Bewerbungsverfahren abgelehnt würden. Die Einführung dieses Gesetzes, wie auch eine konsequente Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, würde dazu führen, dass die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch zumindest reduziert würde. Daneben bräuchte es einen konsequenten Kampf gegen antimuslimischen Rassismus, der nicht nur die Debatten dominiert, sondern auch immer häufiger Gewalt zur Folge hat.
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Eine Antwort
Wie wollen Sie denn garantieren, dass sich jede an das anonyme Bewerbungsverfahren hält, und nicht doch Foto und Namen mitschickt. Und wie verhindern Sie, dass eine unter Zwang eingestellte Angestellt nicht innerhalb der Probezeit gekündigt wird. Aufgezwungene Maßnahmen, wie anonyme Bewerbungen funktionieren nicht: Wer zahlt schafft an.