Ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung eine egoistische und wirtschaftschauvinistische Bewegung? Etabliert sich PODEMOS als eine neue erneuernde Linkspartei? Hat Spanien ein Problem mit der Aufarbeitung des Franquismus? Wie sehr scheint die spanische Elite korrupt zu sein? Was ist diese Diskussion über den Zentralstaat?
Viele Fragen, die einem im Hinblick des Königreichs auf der Iberischen Halbinsel einfallen, auf die der Politikwissenschaftler und Aktivist Raul Zelik in seinem Buch ,,Spanien – Eine politische Geschichte der Gegenwart“, erschienen im Bertz + Fischer Verlag, Klarheit gibt. In knapp 200 Seiten markiert dieses Werk einen guten, zusammenfassenden und einsteigenden Überblick über die politischen und historischen Verhältnisse Spaniens.
Die Lektüre beinhaltet einen klaren und verständlichen chronologischen Aufbau, beginnend mit der postfranquistischen Ära ab den 70ern, der sogenannten Transición, als Übergang mit dem Tod von Francisco Franco von einer rechten, autoritären und ultrazentralistischen Diktatur zu einer parlamentarischen Monarchie. Hierbei steht vor allem die Verfassung von 1978 im Zentrum der Kritik, in der eine große Kontinuität und kein tiefer Bruch mit dem Franquismus arrangiert wurde. Warum das so wichtig ist, eine vor 40 Jahren erarbeitete Verfassung so in den Blickpunkt zu ziehen, stellt ihre Rolle in der Frage, Zentralstaat versus aufbegehrende Peripherie, wieder, gerade im Konflikt mit der wiederentfachten Ambition in Katalonien um Selbstbestimmung. So erklärt Raul Zelik sehr anschaulich die Problematik wider und macht gerade in den letzten beiden Kapiteln an den Beispielen der Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und Katalonien deutlich, dass Spanien ein großes Problem mit dem vom Franquismus – und auch der vorherigen Jahrzehnte vor allem durch die katholische Kirche – postulierten Maxime des Zentralstaats hat. Laut dem Autor muss die gesellschaftliche Linke einen klaren Bruch damit erzwingen und nicht an diesem Überbleibsel festhalten, was er letztendlich auch an der 2014 entstandenen Linkspartei PODEMOS letztendlich unter anderem auch stark kritisiert.
PODEMOS, das vor allem seine Wurzeln in der während der großen Bankenkrise 2008/9 später entstandenen sozialen Bewegung um 15M hatte, stellt auch ein Gegenstand intensiver Analyse in diesem Buch dar. Nach dem Erklären um die Korruptionswelle und Wirtschaftskrise in Spanien, geht er auf die neuentstandene Partei ein. Während sie einen demokratischen Anspruch einer Bewegungspartei mit vielen neuen Impulse besaß und diese zum Teil anfangs auch so praktizierte, fuhr sie leider relativ schnell den Kurs zu einem Bürokratie- und Wahlapparat ein. Die zentralen Figuren um Pablo Iglesias und Íñigo Erejón, der mittlerweile eine zur Mitte weichende neue Wahlplattform etabliert hat, setzten in relativ kurzer Zeit ihre eigenen Leute in alle wichtigen Positionen ein und überführten die Partei zu einem populistischen und geistlosen Apparat. Nicht nur, dass diese Partei eine stark zentralistische Struktur und die Kandidaten bei den Wahlen aus Madrid aufgestellt werden, auch im Kurs um die Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens positionierte sie sich nicht solidarisch mit den Millionen Katalaninnen und Katalanen, die für politische Selbstbestimmung von massiver Polizeigewalt begleitet worden sind. Raul Zelik unterstreicht gerade im Hinblick auf die Diskussion um einen organisierenden oder populistischen Ansatz von Parteien mit dem Hinweisen auf den fatalen Kurs den PODEMOS eingeschlagen hat, wie wichtig es ist in aller erster Linie für die Politisierung von Menschen zu sorgen und sie in Kämpfe einzubinden.
Der Politikwissenschaftler stellt auch die interessante These auf, dass schon immer der demokratische und linke Aufbruch in Spanien von den peripheren Regionen ausging, was auch stimmt. Während des Franquismus wurde am stärksten im Baskenland, aber auch in Katalonien und Galizien, massenhaft antifaschistischer Widerstand geleistet. Auch in den größeren sozialen Kämpfen Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts, wurde sie besonders stark in den hiesigen Regionen geführt. Gerade die aktuelle katalanische Unabhängigkeitsbewegung wurde durch die sozialen Kämpfen der Bewegungen auch nach links gezogen, was vor allem an der bürgerlichen CiU (Convergència i Unió) – heute PDeCAT (Partit Demòcrata Europeu Català) – zu sehen ist, die mit der linksradikalen CUP (Candidatura d’Unitat Popular) und anderen linken Parteien progressive ökologische und soziale Reformen durchsetzte, wie zum Beispiel ein Frackingverbot, stärkerer Besteuerung von Atomenergie, großen Einkaufszentren und Tourismuskomplexen, Verbot von Gummigeschossen der Polizei, Bekämpfung von Energiearmut, Teillegalisierung von Cannabis, stärkeres Bekämpfen des Klimawandels, dem Öffnen des Gesundheitswesens für alle und dem Schließen von Abschiebezentren, die fast allesamt danach jedoch vom spanischen Verfassungsgericht gekippt worden sind.
Dieses Buch hilft ein Verständnis über die Situation in Spanien sich zu verschaffen. Nicht im Detail hängengeblieben und einer guten und interessanten Schreibweise, verschlingt man dieses Werk in kurzer Zeit und kann darauf hin viele Zusammenhänge verstehen und öffnet neue Blicke für tiefergehende Auseinandersetzungen. Ein absolutes empfehlen- und lesenswertes Buch.