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„Was wir für ein Studium treiben? Es treibt uns“

Deutschlandweit befinden sich die Universitäten im zweiten Lockdown. Über die Prekarisierung des Studiums und fehlende Hilfe von Seiten der Politik berichtet die Studierendenzeitung critica.

Durch das föderale System der Bundesrepublik sind Regularien von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und sogar zwischen den Universitäten variieren die Regelungen. Eine Aufarbeitung, was momentan passiert, ist also schwierig. Im Querschnitt lassen sich trotzdem Tendenzen erkennen. Klar wird, dass keine einfachen Lösungsansätze für die vielschichtigen, komplexen und regional verschiedenen Problemstellungen gefunden werden können. Vielmehr müsste ein Ansatz auf verschiedenen Ebenen verfolgt werden, der die folgenden Thematiken berücksichtigt.

Eine erste Tendenz ist sozioökonomischer Natur. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek ließ verlauten: „Wir lassen die Studierenden in dieser Pandemie nicht allein“. Sie möchte die „bewährte Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen im November wiederaufleben lassen“. Diese „bewährten Überbrückungshilfen“ standen schon im Frühjahr stark in der Kritik. Im Kern soll Studierenden ein monatlicher Kredit bis zu 500€ gewährt werden, aber nur wenn sie weniger als 500€ auf dem Konto haben und auch nur die Differenz. Wenn also eine Studentin oder ein Student im Dezember 140€ auf dem Konto hat, so wird ihm oder ihr die Differenz von 360€ anerkannt. Ein schlechter Witz, wenn man sich die Mietpreise in den deutschen Unistädten vor Augen führt. Der fzs (freier Zusammenschluss von Student*innenschaften e.V.) kritisierte zudem, dass Anträge aus verschiedenen Gründen nicht bewilligt wurden und somit nicht ausgezahlt wurden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft äußerte sich wie folgt: „Die grundsätzliche Kritik an diesem Förderinstrument bleibt: Der Höchstbetrag von 500 Euro reicht in den meisten Hochschulstädten gerade einmal für die Miete. Das Verfahren ist immer noch zu bürokratisch: Jeden Monat muss ein neuer Antrag gestellt werden. Die Verlängerung der Überbrückungshilfe ist ein Feigenblatt. Es verbirgt nicht, dass es weiter keine echte Hilfe für Studierende in der Pandemie gibt“. Viele Studierende sind in finanzieller Not und finanzielle Sorgen beeinflussen das Studium maßgeblich.

Des Weiteren klagen Studierende aus ganz Deutschland, dass Leistungserwartungen unangemessen wären. Trotz der besonderen Umstände werden Leistungen wie im Normalbetrieb gefordert. Dazu kommen Extraaufgaben wie Essays oder andere Abgaben, die im üblicherweise nicht zum Scheinerwerb verlangt werden würden. Studierende müssen Kommentare wie „Sie haben ja gerade eh nichts zu tun, da können sie auch mehr für dieses Seminar arbeiten“ über sich ergehen lassen . Zudem gestaltet sich die Onlinelehre an vielen Universitäten als unorganisiert. Beispielsweise endete die Prüfungsanmeldung in einem Fall, ohne dass feststand, ob und wann eine Prüfung im Frühjahr stattfinden kann. Teilweise stehen genaue Prüfungstermine auch noch nicht fest, da Universitäten zusätzliche Räumlichkeiten anmieten müssen. Es ist klar, dass auch Professorinnen und Professoren und Unileitung vor großen Herausforderungen stehen, allerdings sollten diese Lasten nicht auf die Studierenden abgewälzt werden. Was es braucht, ist gegenseitige Empathie, denn nicht nur Studierende leiden unter den momentanen Bedienungen, sondern auch Dozierende. Ein erster Schritt wäre Verständnis, denn es reicht eben manchmal nicht, Fristen für Abschlussarbeiten zu verlängern, weil dadurch nicht alle Schwierigkeiten nicht aus der Welt geschafft werden.

Auch das studentische Leben – wenn davon noch etwas übrig war – wird weiter eingeschränkt. Bibliotheken sind Orte des Austausches, der Diskussion. Bisher war der Zugang zu universitären Gebäuden deutschlandweit schon sehr eingeschränkt. Nun schließen an vielen Standorten auch noch die Bibliotheken mit ihren Lernplätze. Die Ausleihe und Rückgabe von Büchern sind teilweise trotzdem noch möglich. Wer also zuhause nur eingeschränkt Lernen oder Arbeiten kann, hat nun erst einmal keine Ausweichmöglichkeit mehr. Dafür kann es mehrere Gründe geben: Schlechtes WLAN oder einfach viel zu wenig Platz in der überteuerten Stadtwohnung. Bei ersterem können Studierende dann nur unter erschwerten Bedingungen an Videokonferenzen teilnehmen. Auch dies stellt eine weitere Sorge dar, die bei einigen hinzukommt.

Ob finanzielle Not oder Leistungsdruck – auch für Studierende wirkt die Pandemie wie ein Brennglas. Alles zusammen führt zu einer erhöhten psychischen Belastung. Wenn – frei nach Engels – die Studierenden von ihren Umständen gebildet werden, so muss man die Umstände menschlich bilden. Man könnte denken, dass Kultusministerinnen und Kultusministern sich deshalb der Tatsache bewusst sind, dass die Umstände des Studiums Studierende beeinflusst. Kurzfristig sowieso, aber eben auch langfristig. Während die kurzfristigen Folgen erkennbar sind, kann man über die Langzeitfolgen nur spekulieren. Rosig sind diese aber nicht, denn beim Studium ist nicht nur der zu vermittelnde Stoff wichtig, sondern auch andere Fähigkeiten, die während des Studiums erlernt werden sollen. Dabei schließt der Begriff der Bildung nicht nur die berufliche Ausbildung, die Vorbereitung auf Lohnarbeit ein, sondern beschreibt auch im weiteren Sinne die Entwicklung eines Menschen hinsichtlich der Persönlichkeit. Dies wird nicht nur vom humboldtschen Bildungsideal so beschrieben, sondern kommt in nahezu jeder Bildungstheorie in angepasster Form vor. Bildung lässt sich umschreiben als das reflektierte Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Welt. Im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung bezieht sich Bildung auf eine grundsätzliche und grundlegende kulturelle Formung des Menschen. Ob diese Bildung nur im Kontext von Universitäten stattfindet, mag bezweifelt werden – gerade die Bolognareform hat einiges geändert –, aber ein Studium ist immer noch die Institutionalisierung dessen. Seit dem Beginn der Pandemie haben die meisten Studierenden keinen Hörsaal mehr von innen gesehen. Bis zum aktuellen zweiten Lockdown gab es im Wintersemester zumindest an einigen Universitäten ein Leitbild einer hybriden Lehre. Die jetzige Situation raubt vielen Studierenden aber nun den letzten Rest von dem, was bisher noch den Unterschied zwischen einer berufsbezogenen Ausbildung und Bildung übriggeblieben ist. Klar können Lehrinhalte – ob synchron, asynchron oder hybrid – per Videokonferenzen, als Podcast oder im Selbststudium vermittelt werden, aber alles Weitere, was darüber hinausgeht, fällt spätestens durch den zweiten Lockdown weg. Corona-Soforthilfen in Form von finanzieller Unterstützung könnten wenigstens das Gröbste abfedern. Ob das reicht, mag jedoch bezweifelt werden.

Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von Lukas Geisler aus der Redaktion der Studierendenzeitung critica.

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