Jenseits des Wachstumswahns

Auf dem begrenzten Planeten Erde ist kein endloses Wirtschaftswachstum möglich. Die sich anbahnende Klimakatastrophe macht dies überdeutlich. Diese Erkenntnis treibt die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future auf die Straße, während sie beim CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt noch nicht angekommen zu sein scheint. Er meint, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum könnten miteinander einhergehen: „Wir wollen das Klimapaket mit einem Konjunkturpaket verknüpfen zu einem Zukunftspaket für Deutschland mit dem klaren Ziel: mehr Wachstum und weniger CO2“.[i]

Aber das sogenannte grüne Wachstum, das gleichzeitig die Naturzerstörung stoppt und Wirtschaftswachstum im heutigen Sinne sichert, ist eine Illusion. Die fixe Idee des ‚ewigen Wachstums’ zerstört Mensch und Natur.

Mit der Durchsetzung des Kapitalismus zunächst in Europa und heute auf nahezu der ganzen Welt wurden Wettbewerb, Konkurrenz und Profitstreben zu den zentralen Antriebsmechanismen nicht nur der Wirtschaft, sondern der Gesellschaft insgesamt. Damit einher ging eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität in den letzten 150 Jahren. In Teilen der Welt konnten sogar extreme Armut und existenzieller Mangel überwunden werden. Allerdings galt dies immer nur für eine begrenzte Anzahl von Menschen. Obwohl von dem, was die Menschheit heute produziert, alle Menschen gut versorgt könnten hat das Wirtschaftswachstum nicht zu einem guten Leben für alle geführt und die Lebensverhältnisse haben sich nicht angeglichen. In den letzten Jahrzehnten hat die soziale Ungleichheit wieder zugenommen und unter den Wohlhabenden ist das Streben nach ‚immer mehr’ zum Selbstzweck geworden, der der Allgemeinheit mehr schadet, als nützt.  

Wirtschaftswachstum –  worüber reden wir hier eigentlich?

Wenn in der politischen Öffentlichkeit über Wirtschaftswachstum geredet wird, werden oft verschiedenen Aspekte zusammengeworfen. Wirtschaftswachstum kann heißen, dass in einer Gesellschaft in einem bestimmten Zeitraum mehr Güter erstellt und Dienstleistungen erbracht als verbraucht werden. Wenn die Tagesschau vom gestiegenen Bruttoinlandsprodukt berichtet, bedeutet dies, dass die in Geld bewerteten Güter und Dienstleistungen minus der Abschreibungen höher sind als im Jahr davor. Die bei der Produktion dieses abstrakten Wertes zerstörte Natur und die damit verbundene Belastung des Klimas geht allerdings nicht als Minusposten in die Rechnung ein. Selbst wenn jemand nach einem, Unfall sein Auto reparieren lässt, trägt dies zum Wirtschaftswachstum im Sinne des Bruttosozialprodukts bei, obwohl nach der Reparatur nur der alte Zustand wieder hergestellt ist.

Wirtschaftswachstum, so wie der Begriff heute verwendet wird, bedeutet also nicht ein Mehr an tatsächlichem Wohlstand oder gar Glück, sondern nur ein Mehr an in Geld bewerteter und auf dem Markt abgesetzter Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Während für das Wohlergehen von Menschen der Nutzen oder Gebrauchswert von Gütern und Dienstleistungen ausschlaggebend ist, interessiert die Wirtschaftsstatistik nur der Wert, der damit auf Märkten realisiert wird kann.

Der Kapitalismus: Wachstumsmaschine und Wachstumjunkie

Karl Marx hat sehr früh erkannt, welche ungeheure Wachstumsdynamik in der kapitalistischen Produktionsweise liegt, aber auch welche Gefahren sie birgt. Ihr liegt nämlich eine Wachstumspotenzial, aber auch ein Wachstumszwang zu Grunde: „Akkumuliert, akkumulier! Das ist Moses und die Propheten“[ii], so beschreibt Marx diese Dynamik im ersten Band des Kapitals und zuvor: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[iii]

Und tatsächlich können wir heute feststellen, dass uns der Kapitalismus ein ungeheures Wirtschaftswachstum beschert hat, dass dabei aber die Natur ruiniert wurde und kein Ausstieg aus der Dynamik möglich scheint, ohne das System zu sprengen. Während in der Zeit von 1000 bis 1820, in einer Periode während der bereits enorme Fortschritte in der Bewirtschaftung des Bodens stattfanden, das jährliche Wirtschaftswachstum gerade einmal bei 0,05 Prozent lag, stieg es mit der Industrialisierung zwischen 1820 bis 1870 auf 0,54 Prozent pro Jahr an und lag dann zwischen 1870 bis 1913 bei 1,30 Prozent pro Jahr. Unter Einbeziehung der Krise der 1920er Jahre lag das Wirtschaftswachstum in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bis in die 1950er Jahre bei 0,91 Prozent pro Jahr um dann bis 1973 auf jährlich durchschnittlich 2,93 Prozent anzuwachsen. Seither liegt es wieder deutlich niedriger, wenn auch in einigen Ländern wie China, die eine nachholende Entwicklung durchlaufen, Wachstumsraten von über 10 Prozent möglich waren.

Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat sich in den 1920er Jahren mit den Möglichkeiten des Staats beschäftigt, Wirtschaftskrisen zu vermeiden oder mindestens abzudämpfen. Deshalb gilt er vielen auch heute noch als der „Wachstumsökonom“. Aber Keynes hat nicht nur dafür plädiert, über staatliche Investitionsprogramme die Wirtschaft anzukurbeln, sondern war weitsichtig genug, die Grenzen einer solchen Wirtschaftspolitik zu sehen. Bereits 1930 formulierte er in dem Aufsatz „Wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ eine vielversprechende Vision: „2030 werden alle ökonomischen Probleme gelöst sein. Materielle Bedürfnisse können leicht gestillt werden. Die Erwerbstätigen arbeiten nur noch 15 Stunden in der Woche. Die Menschen haben Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Statt Reichtum steht Lebensqualität im Vordergrund.“ [iv]

Der Kapitalismus war aus Sicht von Keynes hilfreich, um in einer bestimmten Phase der Wirtschaftsgeschichte die Produktivität menschlicher Arbeit zu entwickeln, dann aber müsste er überwunden werden, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Ein gutes Leben für alle braucht eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft

Wir stehen also heute vor der schwierigen Aufgabe, die Keynes bereits 1930 für seine Enkel angedeutet hatte: Den Umbau einer auf Konkurrenz, Ungleichheit, Wettbewerb, Profit und Expansion ausgerichteten Gesellschaft in eine solidarische Kreislaufwirtschaft, die ein gutes Leben für alle sichert und die Natur nicht übernutzt. Dies wird nur funktionieren, wenn es gelingt, die kapitalistische Verwertungslogik außer Kraft zu setzten. Was das konkret bedeutet, kann am Beispiel Wohnen gut festgemacht werden: Grund und Boden muss in Gemeineigentum überführt werden und den Einzelnen nur noch zur Nutzung für eine bestimmte Zeit überlassen werden. Er wäre damit der Spekulation entzogen. Wohnungen sollten in erster Linie von Kommunen oder gemeinwirtschaftlichen Gesellschaften gebaut und vermietet werden – so wäre damit kein Profit mehr zu machen. Im Verkehrsbereich brauchen wir eine radikale Mobilitätswende: Weg vom auf den individuellen Autoverkehr ausgerichteten System, das sozial ungerecht und naturzerstörend ist und in erster Linie die Profitinteressen der Autokonzerne befriedigt – hin zu einem öffentlich organisierten und finanzierten und gleichzeitig flächendeckenden und zuverlässigen Verkehrssystem.[v]

Damit wäre noch keine andere Welt geschaffen, aber solche Veränderungen könnten ein wichtiger Einstieg in eine postkapitalistische solidarische Kreislaufwirtschaft sein. Eine Wirtschaft, in der das, was wir zum Leben brauchen nicht in erster Linie über von Profitinteressen bestimmten Märkten ausgetauscht wird, sondern in demokratischen Prozessen mit allen verhandelt wird.

Und wie soll das gehen?

Am Geschäft mit Wohnungen verdienen einige sehr gut, ebenso wie am Verkauf von Autos. Warum sollten sie sich darauf einlassen, dieses Geschäft aufzugeben? Warum sollen es die Nutznießerinnen des heutigen Wirtschaftssystems hinnehmen, wenn gesellschaftlichen Bereiche wie Gesundheit, Rente, Wohnen, Verkehr u. a. dem Markt entzogen würden und in den übrigen Bereichen die Märkte stärker im gesellschaftlichen Interesse reguliert würden? Sie werden es nicht freiwillig tun. Dafür braucht es eine Bewegung, die den notwendigen Druck auf der Straße entfaltet. Die Klimabewegung hat die Verwertungsinteressen eines Energiekonzerns direkt angegriffen, indem sie den politischen Preis für das Abbaggern im rheinischen Braunkohlerevier immer weiter in die Höhe getrieben hat. Die Kampagne gegen den Immobilienkonzern Deutsche Wohnen macht deutlich, dass auch in Deutschland die Eigentumsfrage wieder gestellt werden kann. Und warum sollte es einer starken Bewegung für eine radikale Mobilitätswende nicht gelingen, den mächtigen deutschen Automobilkonzernen die Stirn zu bieten?


[i] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-08/co2-ausstoss-dienstwagensteuer-grosse-koalition-klimaschutz-spd-union

[ii] Karl Marx, Kapital Band I, MEW 23, S. 621

[iii] Karl. Marx, Kapital Band 1, MEW 23, S. 529f

[iv] John Maynard Keynes: Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder

http://www.sokratischer-marktplatz.de/pdf/Text_Keynes_Enkelkinder.pdf

[v] Mehr dazu unter: https://www.attac.de/kampagnen/verkehrswende/kampagne-einfachumsteigen/

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