Wie ein Sklavenaufstand in Haiti den Lauf der Geschichte veränderte

Als die Bürger von Paris die französische Aristokratie stürzten, wurden die Ideale ihrer Revolution von den Sklaven der reichsten Kolonie Frankreichs übernommen. Raj Perera erzählt die Geschichte der erfolgreichen haitianischen Revolution.

Ein revolutionärer Aufstand formte die versklavten Afrikaner einer kleinen karibischen Insel zu einer Armee der Selbstbefreiung, um die erste schwarze Republik der Welt zu gründen, in einem Ereignis, das heute als haitianische Revolution bekannt ist.

Der erfolgreiche Aufstand von 1791 war ein Riss im Bogen der Geschichte, ein Riss, der gerne von den Historikern des Kapitalismus übermalt wird. Vorherige Revolten in den Kolonien waren immer zerschlagen worden, doch die Vorkommnisse sollten den lese- und schreibkundigen Kutscher Toussaint L’Ouverture – der 15 Jahre vorher befreit worden war – dazu antreiben, zum Anführer der Revolution zu werden. Nach 12 Jahren des Kampfes führte L’Ouverture die Armee zur letztendlichen Befreiung und Unabhängigkeit. Schwarze Handlungskompetenz war grundlegend nicht nur für einen einfachen Aufstand, sondern für eine der bedeutendsten Revolutionen der menschlichen Geschichte. Das westliche Gebiet von Haiti, damals auch bekannt als Saint-Domingue, war die reichste Kolonie des amerikanischen Kontinents, die zu dem Zeitpunkt von Frankreich kontrolliert wurde. Der Sklaverei waren aufgrund der Zucker und Kaffeeplantagen zwei Drittel des Reichtums des französischen Staates zu verdanken. Der weniger weit entwickelte östliche Teil der Insel war von den Spaniern besetzt. Die radikalen Ideale der Französischen Revolution von 1789 sollten bald die Klassenunterschiede in Saint-Domingue aufrütteln. Die herrschende Klasse der ungefähr 40.000 weißen Plantagenbesitzer unterstützte den Aufstand eindringlich in der Hoffnung, die Handelseinschränkungen der königlichen Bürokratie könnten dadurch beseitigt werden. Die 30.000 befreiten „Mulatten“, Menschen mit sogenannter gemischter Rasse, sahen eine Gelegenheit, ihre Situation zu verbessern.

Sie erbaten bei der neuen französischen Nationalversammlung eine eingeschränkte Form der Gleichberechtigung aber keine völlige Abschaffung der Sklaverei. Sie selbst waren auch Sklavenbesitzer und gehörten zur besitzenden Klasse. Aber durch die Reform erhielten lediglich 400 „Mulatten“ die französische Staatsangehörigkeit, solange sie beweisen konnten, dass ihre Eltern in Frankreich geboren waren. Die brutalen Fesseln der Sklaverei blieben für 500.000 Afrikaner erhalten. Erste Unstimmigkeiten zeigten sich in Saint-Domingues dominierenden Gesellschaftsschichten, da die weißen Menschen die Zugeständnisse ablehnten. Dies zerstörte den Apparat der kolonialen Kraft und schuf eine Öffnung für einen Aufstand von unten. CLR James schrieb über die Situation: „Die Sklaven haben von der [französischen] Revolution erfahren und wandten dies auf ihre eigene Situation an: die weißen Sklaven Frankreichs hatten sich erhoben und ihre Sklavenhalter getötet. Und genossen die Früchte ihrer Erde. Völlig inakkurat aber fängt die Stimmung der Situation gut ein, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.“

Sklavenaufstand

Mitte 1791 fand eine große Versammlung mit einer Zeremonie statt, angeführt von Dutty Boukman, einem Voodoo-Priester von entflohenen Sklaven, die als Maroons bekannt waren. Sie schworen, bis zum Tode zu kämpfen. Im August desselben Jahres wurden Plantagenbesitzer bei einem koordinierten Aufstand abgeschlachtet und Ihre Landsitze und Plantagen abgebrannt. Im Gegenzug wurden ebenfalls viele Sklaven ermordet. Die haitianische Revolution hatte begonnen. Bis Ende September waren ungefähr 15.000 schwarze und 4.000 weiße Menschen getötet worden. Insgesamt waren 184 Zuckerplantagen und Raffinerien sowie 1.000 Kaffeefarmen zerstört worden. Eine Armee von 100.000 Sklaven belagerte die Insel. Bis zum Herbst des folgenden Jahres waren 10.000 französische Truppen auf der Insel angekommen und hatten die Kontrolle über den größten Teil der Insel in einer angespannten Pattsituation zurückgewonnen. Zu diesem Zeitpunkt erscheint L’Ouverture auf der Bildfläche der Geschichte. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitsklaven konnte L’Ouverture lesen und schreiben und wurde so schnell zum Anführer der Sklavenrevolution. Die Abschaffung der Sklaverei war nicht die erste Forderung des Aufstandes. Anführer der Revolte versuchten, über die Befreiung von 200 gefangenen Sklavengenerälen und deren Familien zu verhandeln und darüber, dass Sklaven drei Tage der Woche für sich selbst arbeiten dürften. Diese Forderungen wurden von den Kolonialherren beharrlich abgelehnt. Entwicklungen wurden von den Pariser Massen vorangetrieben. Bis im Januar 1793, als der König geköpft wurde, hatte sich die Revolution verschärft.

Kampf gegen die Sklaverei

Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung hatte sich von der Unzufriedenheit über den Feudalismus zur Sklaverei an sich gewendet. Die Feuersbrunst in Frankreich führte zum Krieg mit den Nachbarn. In Großbritannien und Spanien wurde das Interesse an Saint-Domingue geweckt. Der neue Beauftragte der Jakobiner, Sonthonax, zielte zusammen mit L’Ouverture als Erstes darauf ab, die bereits etablierten Reformen, die zuvor abgelehnt worden waren, durchzusetzen. Die weißen Kolonialisten lehnten ab, sie zogen es stattdessen vor, die Briten einzuladen, um mit deren Hilfe die Sklaverei wiederherzustellen. Während sich die Briten auf eine Invasion konzentrierten, kamen die Spanier mit einem Plan. L’Ouverture, nicht überzeugt von Sonthonax, traf eine Vereinbarung mit Spanien, um Waffen zu beschaffen und so Frankreich und Britannien zu überwältigen und den Frieden zu gewinnen. L’Ouverture, seine Generäle und die Armee der Sklaven konnten mit der Eroberung dreier Städte und aller Häfen im Norden der Insel innerhalb von acht Monaten schnelle Siege erzielen. Dann erreichten sie Neuigkeiten aus Frankreich, die den weiteren Verlauf der Dinge verändern sollten. Im Februar 1794 trugen drei von Sonthonax‘ Abgesandten, ein befreiter schwarzer Sklave, ein „Mulatte“ und ein Weißer, eine neue Flagge zur Pariser Nationalversammlung. Die blau, weiß und rote Trikolore beinhaltete nun zwei schwarze Männer und einen weißen Mann und den Slogan „Unsere Union wird unsere Stärke sein“. Einer der Abgesandten, ein befreiter Sklave namens Belley, gab eine eindrückliche Darstellung der Kämpfe in Saint-Domingue wieder. Er verkündete, dass die schwarzen Sklaven wahrhaftig die Ideale der Revolution von 1789 verkörperten, und seine Rede wurde mit tosendem Applaus begrüßt. Die Abschaffung der Sklaverei wurde vom revolutionären Frankreich bejubelt. In Wahrheit aber war es eine Anerkennung, dass die Sklaven sich selbst befreit hatten und jetzt gebraucht wurden, um die britischen und spanischen Kräfte zu bekämpfen, die um die Kontrolle über Saint-Domingue wetteiferten. Sonothax hatte schon vorher die Freiheit aller Sklaven verkündet und jetzt hatte er auch die volle Unterstützung der revolutionären Regierung Frankreichs dafür. Dies reichte für L’Ouverture, der an der Seite eines anderen Sklavengenerals, Jean-Jaques Dessalines, geholfen hatte, Sieg um Sieg gegen die spanischen und britischen Eindringlinge zu sichern, die Fronten zu wechseln. Zwischen 1794 und 1798 wurden circa 50.000 britische Truppen getötet, was bis zum heutigen Tage eines der größten militärischen Desaster der britischen Geschichte darstellt.

Gegenbewegung

Die Französische Revolution musste nun aber einer Gegenbewegung entgegentreten. Bei einem Putsch im Jahr 1799 ergriff Napoleon Bonaparte die Macht und ein paar Jahre später wurde unter Napoleons Schwager Charles Leclerc die größte Expeditionsstreitmacht, die jemals in Frankreich zusammengeführt wurde, nach Saint-Domingue geschickt, um dort die Sklaverei wieder einzuführen. Er verstarb letztendlich an Gelbfieber, dies war von L’Ouverture schon vorher mit einbezogen worden und resultierte in massiven Verlusten auf Seiten der Franzosen und Briten. Indem sie Guerillataktiken und psychologische Kriegsführung anwandten, schaffte es die Sklavenarmee, die französischen Truppen zu verwirren, indem sie sie des Öfteren zum Beispiel mit lauten Ausbrüchen von Revolutionsgesängen konfrontierten, als ob die Pariser Bürger selbst dort wären. Auf eine gewisse Weise waren sie dies auch. Die Ideale des revolutionären Frankreichs bedeuteten mehr für die schwarze Armee von selbstbefreiten Sklaven, weil sie ihnen deutlich machten, dass sie dem Tod selbst ins Auge blicken und ihn akzeptieren mussten. Nach dreimonatigen Kämpfen schaffte es eine Kombination aus französischen Intrigen und der Rivalität seines angeblichen Verbündeten Dessalines, L’Ouverture in Gefangenschaft zu locken. Er wurde in ein Gefängnis nach Frankreich geschickt, wo er 1803 letztendlich an einer Lungenentzündung starb. Dessalines wandte sich von den Franzosen ab, nachdem die Nachricht der Wiedereinführung des Sklaventums in Guadalupe die Insel erreichte. Dies führte zum letzten Kampf vor dem Sieg, wobei weitere 50.000 französische Truppen getötet wurden. Im Jahre 1804 wurde Haiti – der ursprüngliche Name der Insel – der erste freie und unabhängige schwarze Staat außerhalb Afrikas. Unabhängigkeit, die nicht von oben genehmigt wurde, sondern aus dem ersten erfolgreichen anti-kolonialistischen Kampf hervorging. Die afrikanischen Sklaven befreiten sich selbst, wobei sie den Armeen von drei starken Weltmächten großen Schaden und Verluste zufügten: Britanniens, Frankreichs und Spaniens.

Alleine diese Tatsache widerlegt die vorherrschende geschichtliche Darstellung, die Abschaffung der Sklaverei sei vornehmlich dem moralischen Kreuzzug einer wohlwollenden Mittelklasse zu verdanken. In ganz Frankreich wurde der Hass gegen die Adelsherrschaft der Hautfarbe von den Bürgern unterstützt, indem Zucker und Kaffee boykottiert wurden. Die Befreiung war eine Leistung der Sklaven selbst, bei der sie von einem objektiven Dasein als Gesellschaftsschicht zu einer subjektiven Kraft wurden, die das Schicksal von drei Kontinenten formte. Die haitianische Revolution strahlte weiter in das revolutionäre Frankreich hinein: Neben der Abschaffung der Sklaverei wurde die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ebenfalls gesetzlich verboten. Kurz bevor er an Bord des Schiffes ging, das ihn ins Gefängnis bringen sollte, sagte L’Ouverture: „Indem ihr mich stürzt, schneidet ihr nur den Stamm des Freiheitsbaumes der Schwarzen in Saint-Domingue zurück. Aber er wird wieder von den Wurzeln sprießen, denn diese sind zahlreich und tief.“ Es sollte noch 150 weitere Jahre dauern, bis die Wurzeln der Freiheit wieder sprossen, in Form einer Bürgerrechtsbewegung von schwarzen Arbeitern, die den nächsten Kampf für Gleichberechtigung und Menschenrechte führten.

Der Artikel von Raj Perera erschien im Socialist Review und wurde von Linda Conrad ins Deutsche übersetzt.

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