Dem karibischen Land wurde es nie erlaubt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Geschichte der gewaltsamen Interventionen der USA und des Westens sind für die heutige Krise verantwortlich, schreibt Yuri Prasad.
Der Karibikstaat Haiti steckt in einer massiven politischen Krise. Diese ist das direkte Ergebnis jahrhundertelanger imperialistischer Interventionen – und eines globalen Systems, das auf Verarmung aufgebaut ist. Banden, die größtenteils aus der ärmeren Bevölkerung bestehen, jedoch von Teilen der haitianischen Reichen geführt werden, fordern den Sturz des amtierenden Premierministers und Präsidenten Ariel Henry.
Sie haben die Kontrolle über einen Großteil der Hauptstadt Port-au-Prince übernommen, einschließlich der Flughäfen, und sind in zwei Gefängnisse eingedrungen, um Insassen freizulassen.
Unter der Führung von Jimmy „Barbecue“ Cherizier haben die bewaffneten Gruppen Tausende von Menschen vertrieben und viele weitere getötet und verletzt. Henry ist jedoch nicht besser. Seine Herrschaft war für die meisten Menschen eine Katastrophe.
In einem der ärmsten Länder der Welt hat sich die Armut weiter verschärft, der Staat steht nun kurz vor dem Zusammenbruch. Mittlerweile leiden rund 217.000 Kinder an Mangelernährung, ein Anstieg von 61 Prozent seit 2020.
Henry kam nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moise im Jahr 2021 ins Amt. Der Westen hatte seinen Aufstieg an die Macht eingefädelt und so hatte er bis vor wenigen Tagen sowohl die volle Unterstützung der Vereinigten Staaten als auch der Vereinten Nationen (UN).
Jetzt, wo klar wird, wie wenig Unterstützung Henry hat, zieht sich die „internationale Gemeinschaft“ still und leise zurück, während Henry sich in Puerto Rico versteckt. Kenia hatte sich bereit erklärt, 1.000 Polizisten zu entsenden, um Henry in seinem Kampf gegen die Banden zu unterstützen – obwohl die Polizisten weder Französisch noch haitianisches Kreolisch sprechen.
Andere afrikanische Staaten waren bereit, diesen Plan mit eigenen Truppen zu unterstützen. Kanada und die USA finanzierten den Deal mit 200 Millionen Pfund. Beide Länder akzeptieren nun jedoch, dass Henry Geschichte ist, und fordern ihn auf, zurückzutreten und Neuwahlen einzuleiten. Das geplatzte Abkommen ist nur die jüngste Episode der westlichen Einmischung.
1994 entsandten die USA 20.000 Soldaten nach Haiti im Rahmen einer Operation zur „Wiederherstellung der Demokratie“. Ziel war es, Jean-Bertrand Aristide nach einem Militärputsch wieder an die Macht zu bringen.
Die USA kündigten an, Aristide wieder ins Amt zu bringen, wenn er seine antiimperialistischen Versprechen fallen lasse. 2004 unterstützte sie dann einen erneuten Putsch gegen ihn.
Es folgte mehr als ein Jahrzehnt ausländischer Interventionen. Während UN-Soldaten in Haiti stationiert waren, verübten sie schreckliche Misshandlungen. Sie lockten Hunderte von Frauen und Mädchen inmitten der fortschreitenden Armut mit dem Versprechen von Lebensmitteln und Medikamenten und vergewaltigten sie.
Die Truppen aus aller Welt brachten auch die Cholera nach Haiti und töteten so 2010 – dem Jahr, in dem sich ein tödliches Erdbeben ereignete – mehr als 10.000 Menschen.
Die Verteidiger des Imperialismus wenden sich schnell dem Rassismus zu, um ihre Aktionen zu rechtfertigen. Sie beharren darauf, dass Haiti, wenn es sich selbst überlassen würde, in weiterem Chaos versinken würde.
Doch auf Schritt und Tritt ist es dieses verrottete System, das das Land verarmen lässt und die Bedingungen für einen Bürgerkrieg schafft. Der Imperialismus hat dazu geführt, dass es Haiti nie erlaubt war, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln.
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Banden arbeiten für die Reichen, nutzen jedoch das Leid der Menschen zur Rekrutierung
Westliche Medien versuchen nicht wirklich zu erklären, was hinter Haitis Banden steckt. Stattdessen sagen sie uns, dass sie ein Ausdruck der „gewalttätigen Kultur“ des Landes seien.
Tatsächlich sind die Banden ein relativ junges Phänomen und mit dem politischen Establishment verbunden, das der Westen aufgebaut hat. Die jetzigen Banden sind in der Regel mit zwei Gruppen verbunden, G-Pep und G9, die sich gegenseitig um die Kontrolle über Port-au-Prince bekämpft haben.
Sie gingen aus rivalisierenden Teilen des Establishments hervor, die Privatarmeen aufbauen wollten. So gründete Aristide in den frühen 1980er Jahren bewaffnete Gruppen namens Chimeres, bevor er die Präsidentschaft gewann, um an die Macht zu kommen und seine Bewegung vor Repression zu schützen.
Mit der Unterstützung von Aristide übernahmen diese Banden die Kontrolle über ganze Gemeinden und versuchten zunehmend, nach ihren eigenen Bedingungen zu operieren.
Sie spiegelten zum Teil den Hass der Bevölkerung auf die Polizei und die Armee wider. Nachdem er in seiner zweiten Amtszeit als Präsident die haitianische Armee aufgelöst hatte, strömten ehemalige Soldaten in bewaffnete Gruppen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Jovenel Moise kam 2017 mit Hilfe von G9-nahen Banden an die Macht. Moise versicherte seinen Unterstützern die Unterstützung der Armee bei den Massakern, die sie dann verübten.
G9 arbeitete für Moïse als private Sicherheitstruppe. Er wurde 2021 von ausländischen Söldnern ermordet. Seither haben sich die Beziehungen zwischen den Banden und ihren einstigen politischen Herren gelockert, nun kämpfen nun zunehmend nach ihren eigenen Bedingungen.
Die Macht, die sowohl Politiker als auch der Westen fürchten
Arbeiter und Arme sind die einzige Kraft in Haiti, die das Land sowohl den imperialistischen Handlangern als auch den Banden entreißen könnten.
Ein Aufstand im Jahr 2019 hat gezeigt, was eine solche gemeinsame Aktion bewirken kann. Aus den ärmsten Vierteln erhob sich eine Massenbewegung, die den Rücktritt von Präsident Jovenel Moise wegen Korruption forderte.
Ein Gerichtsverfahren enthüllte, dass er und seine Minister von Venezuela geschenkte Entwicklungskredite in Millionenhöhe gestohlen hatten. Dies löste eine Welle der Wut auf den Straßen aus, Polizeistationen wurden niedergebrannt und Geschäfte und Banken geplündert.
„Seit zwei Jahren hat Jovenel versprochen, unsere Teller zu füllen. Aber ich kann keine Lügen essen“, sagte der Demonstrant Josue Louis-Jeune und schlug mit einem Löffel auf eine Metallplatte.
„Dieser Präsident ist nichts weiter als ein Lügner“, sagte er. „Er muß gehen.“ Die Polizisten schlugen mit scharfer Munition zurück, konnten den Aufstand aber nicht niederschlagen – Moise wurde wenig später tot aufgefunden. Haitis Arme brauchen wieder den Geist des Jahres 2019.
Der Artikel von Yuri Prasad ist zuerst erschienen am 12.03.2024 bei Socialist Worker.