NAO-Aufruf zur Griechenland-Demo in Berlin

Über Märchenerzähler und Legendenbildner in der Griechenlandfrage

Die Niederlage der SYRIZA-Regierung hat die Linke in ganz Europa vor die Frage gestellt, wie es weitergehen soll. Dabei kommt die Niederlage von SYRIZA nicht überraschend, denn die griechische Regierung hat nicht ernsthaft über Alternativen zum jetztigen System und der EU disktuiert. Eine Linke, die gewinnen will, muss sich allerdings klar sein, dass das nicht im Rahmen der europäischen Union geht, mein Michael Prütz von der Neuen Antikapitalistischen Organisation.
Die Aufrufe, Schäuble und Merkel zu stürzen, sind genauso zahlreich wie erfolglos. Sie sind schon deswegen erfolglos, weil der ostdeutsche Teil der Linken jetzt mal sechs Wochen auf der Datsche verbringt, und der eher subkulturell geprägte Teil der westdeutschen Linken von Festival zu Festival reist und sicherlich nicht für „große“ Politik ansprechbar ist. Zeit also, innezuhalten, und mit einigen Märchen aufzuräumen, die es im Moment in der deutschen Linken über die Politik von Syriza gibt.

Das erste Märchen ist die These, dass die Syriza-Regierung nur eine taktische Niederlage erlitten hätte, die schon in Kürze von einer Offensive abgelöst werden kann. Ein Staat, der durch das dritte Memorandum, das Tsipras unterschrieben hat, auf den Status einer Halbkolonie zurückgeworfen wird; ein Staat, der sein gesamtes Vermögen an die Gläubiger verscherbeln muss und der eine Bevölkerung in Demoralisierung und Ratlosigkeit zurück lässt; diesen Staat und seine Regierung als nur taktisch auf dem Rückzug zu sehen, ist blind und fahrlässig oder beides. Für den historisch Interessierten erinnert das alles an die Äußerungen von Ernst Thälmann auf der letzten Zentralkommittee-Sitzung der KPD im Februar 1933, als er Hitlers Sieg für nicht endgültig hielt und schon in Kürze mit der Offensive des revolutionären Proletariats rechnete. Diese feige Kapitulation der Tsipras-Leute vor den Forderungen der Gläubiger ist eine strategische Niederlage aller Linken in Europa und wird auch in anderen Ländern deutliche Auswirkungen haben. Jeder vernunftbegabte Mensch in Europa wird sich fragen: Wieso soll ich rebellieren und eine andere Politik wählen, wenn das Ergebnis schlimmer ist, als das, was ich vorher hatte.
Die nächste Verteidigungslinie der Märchenerzähler ist die angebliche Alternativlosigkeit der Tsipraschen Entscheidung, das neue Memorandum zu unterschreiben. Tatsache ist, dass es vermessen wäre, von Deutschland aus konkret alle Alternativen aufzuzeigen, die Tsipras gehabt hätte, Tatsache ist aber auch, dass Syriza in der gesamten Zeit ihrer Regierung nicht daran dachte, Alternativen zu denken, geschweige denn vorzubereiten. Tsipras und seine Freunde haben wirklich geglaubt, dass sie im Rahmen der EU-Institutionen Kraft ihrer Argumente Veränderungen herbeiführen können. Welche Naivität und Blindheit bringt diese Leute dazu, nach dreißig Jahren neoliberaler Politik der EU auf Veränderungen durch Worte zu setzen? Nebenbei sei bemerkt, dass auch im Inneren Griechenlands Syrizas Politik gegen Oligarchen und andere Kapitalisten eher nicht stattgefunden hat, beziehungsweise bestenfalls mit dem Mikroskop zu sehen ist.

Und munter weiter geht es mit den Legenden und Märchenerzählungen: Wir hier in Deutschland dürfen der Tsipras-Regierung keine „Zensuren“ geben, weil wir ja selber hier nichts auf die Reihe kriegen. Dieses Argument ist insofern bemerkenswert, weil es jeder Erfahrung der Linken und der Arbeiterbewegung seit hundert Jahren widerspricht. Lenin hat die deutschen Sozialdemokraten kritisiert, Luxemburg hat Lenin kritisiert, Tito hat Stalin kritisiert, Mao Tse Tung hat Moskau kritisiert – Kritik an den Entscheidungen des jeweiligen anderen ist ja gerade das Lebenselixier einer Linken, die sich entwickeln will und die nicht auf dem Stand nationaler Borniertheit verharren will. Gerade weil wir in Europa leben, kann eine europäische Linke nur entstehen, wenn sie sich kritisiert und gegenseitig befruchtet. Ernster zu nehmen ist schon das Argument, dass die Linke hierzulande wenig bis nichts auf die Reihe kriegt, um ihre eigenen Herrschaftsverhältnisse zu verändern. Aber bevor man anfängt, die eigenen Herrschaftsverhältnisse zu verändern, muss doch erstmal Klarheit darüber hergestellt werden, mit welchem Gegner oder Feind man es überhaupt zu tun hat. Bodo Ramelow, der hochgepriesene Ministerpräsident der Linkspartei in Thüringen, sah als wichtigstes Ergebnis der Übereinkunft zwischen Tsipras und der EU an, dass die Eurozone nicht auseinander gefallen sei. Genau das ist der springende Punkt: Linkspartei und andere glauben, dass die Eurozone in ihrer jetzigen Verfasstheit durch ein wie auch immer geartetes Wunder zu reformieren sei, und dass im Rahmen dieser Institutionen eine andere Politik möglich sei. Im Rahmen dieser Institutionen ist aber keine andere Politik möglich, was das griechische Beispiel jetzt ja gerade bewiesen hat. Solange also die Feindbestimmung nicht klar ist und solange es für einen großen Teil der Linken wichtig ist, dass die EU als Europäische Union zusammenbleibt, solange kann es ja wohl auch keinen gemeinsamen Kampf zum Sturz von wem auch immer geben.

Die Illusion einer reformerischen Veränderung der europäischen Institutionen setzt sich nun fort, in dem manche sagen, man müsse nun auf einen Wahlsieg von Podemos in Spanien setzen, die dann den Griechen zu Hilfe kommen würden. Das Problem ist bloß, dass Podemos die Wahlen in Spanien nicht gewinnen wird, und nur an eine Regierung kommen würde, wenn sie zusammen mit den Sozialdemokraten regieren – und genau diese Sozialdemokraten verlangen als Preis einer Regierungsbeteiligung die Anerkennung eben dieser europäischen Institutionen. Der Einbruch bei den Wahlumfragen von Podemos nach der griechischen Kapitulation zeigt eben genau die Wechselwirkung zwischen den Ereignissen in einem Land und den Menschen in anderen Ländern. Eine alternative Strategie der griechischen Regierung hätte sicherlich große Probleme für die Bevölkerung in Griechenland selber gebracht. Das Ergebnis einer solchen Strategie ist nicht klar, sie hätte aber auf jeden Fall eines geschafft: Die EU in ihrer jetzigen Verfasstheit in eine tiefe Krise zu stürzen, und der Ausgang dieser Krise wäre absolut offen gewesen. Und das ist doch das, was wir wollen. Wir wollen die Auflösung der EU als kapitalistische Profitmaschine zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Auf die Kräfteverhältnisse zurückkommend ist also erstmal klar zu machen, um was es sich bei der EU handelt. Dies ist überhaupt die Voraussetzung, um einen ernsthaften politischen Kampf zu gewinnen. Jeder, der sich mit den Dingen befasst, weiß, dass die Solidarität mit Griechenland in Deutschland sehr schwer zu organisieren ist und sicherlich im Moment nur eine Minderheit erreichen kann. Das wäre nicht schlimm, wenn wenigstens die Linke in ihrer ganzen Breite sich dieses Themas annehmen würde, denn immerhin hat die Linkspartei in Deutschland 65000 Mitglieder und dreieinhalb Millionen Wählerinnen und Wähler, und es gibt zehntausende von außerparlamentarischen Aktivisten, die in verschiedenen politischen Feldern engagiert sind. Tatsache ist aber auch, dass jetzt auf dem Höhepunkt der griechischen Krise, sich bestenfalls 8 – 10000 Menschen in die Solidaritätsarbeit eingebracht und öffentliche Aktionen durchgeführt haben. Dies ist das Ergebnis eines langjährigen Verfalls strategischer Diskussionen in der Linken, die sich in ihrem außerparlamentarischen Flügel schon lange mehrheitlich mit subkulturellen Minderheitsthemen beschäftigt, und die in ihrem parlamentarischen Flügel, also der Linkspartei tief in die Verwaltung des kapitalistischen Systems verstrickt ist. Jedes außergewöhnliche Ereignis, wie die Ereignisse in Griechenland, bringt diese Leute völlig durcheinander.

Statt also moralisierend anklagend die herrschende Politik zu bejammern, wäre es wichtig, eine strategische Debatte zu beginnen – darüber, was eine wirkliche Linke will und wie sie es durchsetzen kann. Ob diese Debatte wirklich beginnt, weiß ich nicht, ich sehe eher schwarz.

Ein Gastbeitrag von Michael Prütz, von der „Neuen Antikapitalistischen Organisation“ (NaO Berlin).

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4 Antworten

  1. „…Dies ist das Ergebnis eines langjährigen Verfalls strategischer Diskussionen in der Linken,…“ Wahrscheinlich ist es auch einfacher in der Opposition zu sein. Ich war immer begeistert von Sarah Wagenknecht, aber nachdem ich ihr Gespräch mit Richard David Precht gesehen hatte, war ich enttäuscht. So sprachlos hatte ich sie noch nie gesehen. Die Linken haben auch keinen Plan B. Hier kann ich nur auf die
    wissensmanufaktur.net verweisen, die haben einen. Und wer sich das sehr aufschlussreiche Gespräch ansehen möchte – etwas Zeit einplanen, dauert 43 min.
    https://www.youtube.com/results?search_query=precht+wagenknecht

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