Strategiefrage DIE LINKE: Selbstermächtigung vs. Stellvertretung

Um es mal „im Klartext“ zu schreiben: Bei der „Debatte“ in der LINKEN geht es im Kern um zwei Aspekte, die sich mit den inhaltlichen Themen vermischen: Was für eine Partei wollen wir eigentlich sein? Und die Frage wer den Ton angibt, die Fraktion oder die Partei? Migration, Sammelbewegung und Co. vermischt sich mit diesen zwei strategischen Fragen.

Natürlich spielt die Positionierung zur Migration eine bedeutende Rolle, doch häufig ist der Auslöser für die Empörung die Art und Weise, wie zum Beispiel Gysi, Lafontaine und Wagenknecht mit der Partei kommuniziert: Über die Medien. Desweiteren wir die Debatte auch davon beeinflusst, dass sich verschiedene Teile der Partei ihre eigenen Pfründe bzw. Plätze sichern wollen, doch das möchte ich zunächst in den Hintergrund stellen. Wir sollten die Debatte also vom Personal entkoppeln und grundsätzlich diskutieren.

Was für eine Partei wollen wir?

Da gibt es zu einem all jene, die sich eine sozialdemokratische Partei nach dem Vorbild der deutschen SPD der 60er bis vielleicht 80er Jahre wünschen. Also eine Partei, die maßgeblich auf Parlamente setzt, um mit „guten Wahlergebnissen“ stellvertretend für die Menschen zu handeln. die dann den Sozialstaat ausbaut und ein wenig freundlicher im Ausland auftritt. Diese Position gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen und daher auch mal mehr oder mal weniger auf Parlamente und Wahlen fixiert sowie auch mal mehr oder weniger auf Klassen orientiert.

Auf der anderen Seite steht die Idee der sozialistischen Mitmachpartei. Eine Formation, die von unten bestimmt und aufgebaut ist und ihren Fokus auf die Selbstermächtigung ihrer Mitglieder setzt. Die klassenorientiert ist, sich in soziale Kämpfe einmischt, in Bewegung bleibt und dem Prinzip Straße – Parlament – Straße folgt. Eine, die zentral auf Selbstermächtigung setzt: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“ – Karl Marx und Friedrich Engels

Beide Varianten könnte man im Folgenden noch verfeinern und stärker ausführen, denn es gibt nicht nur diese zwei Fundamental Positionen, sondern verschiedenen Abstufungen davon. Aber im Grunde sind es diese zwei Tendenzen und um den Text nicht ausufern zu lassen, werde ich mich darauf beschränken. Und der Bundesparteitag, aber auch das „Verhalten“ vieler junger Genoss*innen, hat meiner Meinung nach gezeigt: Sie wollen sich nicht auf solches „Stellvertreter-Spielchen“ einlassen. Die meisten neuen Mitglieder, aber auch etliche langjährige Mitglieder, sind eingetreten, um diese Welt, ihre Stadt, das Land zu verändern. Und das ist auch gut so. Self-Empowerment müsste das A und O in der Parteistrategie sein: „Es rettet uns kein höh’res Wesen,kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“ – Aus der Internationalen

Primat der Partei vs. Fraktionsdominanz

Wackelt der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund? Sozialistische Parteien haben sich in ihrer Geschichte nicht selten selbst aufgefressen, in dem die „allmächtigen“ und mit viel Geld ausgestatteten Fraktionsapparate Stück für Stück die Kontrolle über die Politik der Partei übernahmen. Diese passten sich im Laufe der Jahre an kapitalistische Realpolitik an. Die Anpassungstendenzen des Parlamentarismus lassen sich durch die Geschichte an fast allen sozialistischen Parteien durchdeklinieren: der SPD, der PS, der Labourparty usw.

Jedoch ist dies kein historischer Automatismus. Es gibt Parteien, wie die Bolschewisten, aber auch die frühe KPD, die sich durch das Primat der Partei und die klare Begrenzungen der Befugnisse von Fraktionen, eine lebendige und demokratische Parteistruktur erhalten konnten. Doch dies ist nicht leicht und erfordert den täglichen Kampf, denn demokratische Strukturen und Debatten ergeben sich nicht von alleine.

Parlamentsfraktionen haben dutzende oder hunderte Mitarbeiter*innen, sie verfügen über eine große mediale Präsenz, die stärker ist als die der Partei. Und im Gegensatz zum Großteil der Parteimitglieder arbeiten sie nicht ehrenamtlich. Mit einem solchen Apparat, kann man in die Partei hineinwirken und für die „eigenen Positionen“ der Fraktion bzw. seiner Abgeordneten kämpfen. Um dieser Entwicklung vorzubeugen, muss man sich ihrer zunächst bewusst sein.

Auch bei uns ist es nicht selten so, dass anstelle von Parteitagsbeschlüssen, das Wahlprogramm oder sonstigen aus der Partei hervorgehenden Beschlüssen, die Fraktion eigenmächtig handelt. Da wären abweichende Abstimmungen zur geltenden Beschlusslage bei Themen wie der Vernichtung syrischen Giftgases, abweichende Positionen zu Migration, das lange festhalten von Gysi an einer One-Man Fraktionsspitze, der Israelantrag (in Teilen) usw. Nicht umsonst haben die Delegierten auf dem Bundesparteitag noch einmal bekräftigt, dass sich Parteivorstands- und Fraktionsmitglieder in ihrer Tätigkeit an Beschlüsse der Partei halten müssen. Insgesamt vermengen sich die Frage des Antirassismus, der offenen Grenzen, der Migration und mehr mit den Fragen nach dem Primat der Partei und der Parteistruktur bzw. –Aufbaus.

Das heißt nicht, dass man Abgeordneten ihre Meinung verbietet, aber diese könnten sie ja innerhalb des Diskurses der Partei zum Ausdruck bringen. Als Abgeordnete haben sie im Rahmen der Beschlusslage der Partei zu agieren. Ansonsten sind sie als Ratsmitglieder, Landtags-, Bundestags- oder Europaabgeordnete eine Fehlbesetzung. Oder um es anders Auszudrücken: Diese Partei sind 62.000 und nicht 7 Europa-, 69 Bundestags- und 157 Landtagsabgeordnete.

Was tun?

Keine der genannten Entwicklungen und Optionen sind Automatismen. Wie und in welche Richtung sich die Partei schlussendlich entwickelt hängt von gesellschaftlichen Kräften und Verhältnissen ab, aber auch davon, wie sich ihre Mitglieder und Aktiven verhalten. Die Politik der Fraktion direkt zu beeinflussen, ist aus der Parteibasis oder einer SDS Gruppe heraus schwierig. Trotzdem sollten wir als Mitglieder jederzeit Rechenschaft von unseren Abgeordneten verlangen und sie auch kritisieren, sollten sie vom beschlossenen Positionsrahmen abweichen.

Gleichzeitig müssen wir dem Prinzip der Selbstermächtigung Taten folgen lassen: in den Kreisverbänden in denen wir aktiv sind können wir Kerne lebendigen Parteilebens aufbauen. Mit Aktiventreffen, Ortsverbänden und Basisorganisationen die von uns mitgeprägt werden, verändert sich auch die Art und Weise wie die Partei auftritt. Wöchentliche Treffen, lebendige politische Diskussionen und regelmäßige Aktivitäten bis hin zu Kampagnen die vor Ort durchgeführt werden. Die Pflege- und Mietenkampagne der Bundespartei bietet dafür eine perfekte Möglichkeit: konkrete Ziele, die die Mitglieder selbst mitbestimmen und gestalten können. Dabei gibt es ein breites Repertoire an Aktionsformen: Pflegestammtische, Streikinterventionen, Organizing in Kiezen und vieles mehr. Wer eine lebendige Partei möchte, die dem Prinzip Straße – Parlament – Straße folgt, der muss für sie kämpfen, neue Mitglieder einbeziehen und Selbstermächtigung fördern.

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Eine Antwort

  1. Die Einordnung der aktuellen Debatte in einen vorgeblich typischen Kampf zwischen Fraktionen und Parteibasis, unter Nennung diverser historischer Beispiele, ist vielleicht etwas kurz gesprungen. Es gibt da noch Aspekte, die ganz anderen Zusammenhängen unterliegen.
    1. wäre da der Umgang mit Wahlen und Wählern. Die Frage ist, ob es eine belastbare Argumentation gibt, die es erlaubt explizit inhumane oder antihumanistische Stimmungen aufzugreifen, „weil man sonst nicht, oder weniger als möglich, gewählt würde“? Das beantworten nicht wenige Genoss*innen in der Partei und ohne parlamentarisches Mandat klar mit „Ja“.
    2. ist die Frage, wie dominant ein Prominentenstatus werden darf und ab wann er mehr Schaden als Nutzen stiftet, ebenfalls sehr unterschiedlich beantwortet.
    3. es ist ein fundamentaler Unterschied, ob eine Moralisch begründete Herleitung als „dumm“ und „naiv“, oder gar, garnicht zulässig definiert werden kann, oder ob das die Grenze allgemeiner Zivilisiertheit bereits überschreitet.

    Mindestens diese drei Aspekte spielen prominente Rollen im akuten Konflikt, haben jedoch nichts, bzw. nur marginal, mit einer Fraktions – Parteibasis Dichotomie zu tun. Wenn ich die Facebookaccounts der schrillsten Poster anschaue, kann ich, in nicht wenigen Fällen, eine dumpfe Neigung zur Personalisierung und groben Vereinfachung der strittigen Fragen erkennen. Auch das hat nichts mit dem Erklärungsmuster zu tun.

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