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Scheindebatten, AfD und Antimuslimischer Rassismus

Am Donnerstag, den 16.01.20 fand im Studierendenhaus der Goethe Uni Frankfurt eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Verschleierung: Modeaccessoire, ein religiöses Symbol oder politisches Instrument“ statt. Eingeladen zu der u. A. vom AStA organisierten Veranstaltung waren Naïla Chikhi (Terre des Femmes), Uwe Paulsen (Grüne) und die ehemalige Schulleiterin Ingrid König.

Die Moderation hatte die AStA-Referentin für Politische Bildung, Fatma Keser. Wir als Studis gegen rechte Hetze organisierten eine Protestaktion. Es wurden Plakate mit Zahlen und Fakten zu antimuslimischen Angriffen hochgehalten und Statements verlesen.

Wenn man eine Message aus allen veröffentlichten Artikeln über die Protestaktion herausziehen müsste, wäre es definitiv die folgende Aussage von Frau Chikhi: „Wie kann man protestieren wollen und gleichzeitig so sprachlos bleiben?“[1]. Mit viel Verwunderung und zugegeben etwas Amüsement lasen wir die zahlreichen Artikel über unsere vermeintliche Sprachlosigkeit. Naïla Chikhi hat sehr wohl eine Antwort auf ihre Frage bekommen, warum wir nicht bis zur Diskussionsrunde am Ende gewartet haben. Ihr wurde mehrfach gesagt, dass die Teilnahme an der Diskussionsrunde für uns ausgeschlossen war, da dies eine Legitimierung der Podiumsdiskussion von unserer Seite bedeutet hätte. Es wurde mehrfach betont und war auch in unserer Stellungnahme zu lesen, dass wir die Veranstaltung an sich in Frage stellen. Wir glauben, dass solche Scheindebatten zu einem Anstieg an Ausgrenzung und Stigmatisierung von Muslimen führen und so den Nährboden für antimuslimischen Rassismus bereiten. Frau Chikhi versucht hier bewusst, ein Bild zu zeichnen von „Studierenden, welche weder Austausch von Argumenten noch Reflexionsfähigkeit“ gelernt hätten, um uns und unsere berechtigte Kritik an dieser einseitigen und symbolpolitisch beladenen Veranstaltung zu diskreditieren. Um dieses Argument baute sie bereits ihre erste heroisierende Selbstinszenierung auf und versicherte, dass sie sich nicht einschüchtern lassen und ihr ganzes Leben weiter machen werde. Laut FAZ-Bericht wolle sie notfalls auch bis Mitternacht bleiben, damit “die nicht denken, sie hätten gewonnen”.[2]

Zunächst einmal ist es eine wichtige und gleichzeitig erschreckende Beobachtung, dass unsere friedlich geplante Protestaktion in den Medien als Gewaltakt dämonisiert wird. Wie ein roter Faden zieht sich immer wieder dieselbe irreführende Schlagzeile durch die vermeintlich breite deutsche Medienlandschaft: „Kopftuchkonferenz endet in Schlägerei“.[3] Wie bereits in unserer Pressemitteilung geschildert, wurde eine unbeteiligte Person aus dem Publikum angegriffen, weil sie den Protest filmte. In einem Welt-Interview betont Chikhi, dass der Angreifer „autorisiert war, das Hausrecht zu wahren“ und nur versucht habe, eine „Kopftuchtragende“ daran zu hindern, weiter zu filmen. Warum der „autorisierte Mann“ unter all den Personen im Raum, welche den Protest aufnahmen, gerade die Frau mit Kopftuch ins Visier nahm, sei mal dahingestellt. Übrigens entschuldigte sich dieser, nachdem ihm klar wurde, dass eine Anzeige wegen Köperverletzung gegen ihn gestellt wurde. Die Gewalt ging also nicht von den Protestlern aus, welche angeblich „die Faust nicht mehr in der Tasche halten konnten“.[4]

Des Weiteren hieß es in einigen Zeitungen, die Protestler hätten erst mit Eintreffen der Polizei beruhigt werden können. Die Polizei, welche von den Veranstaltern, also prinzipiell dem Asta in das Studierendenhaus gerufen wurde, traf ein, als sich der Raum schon längst wieder beruhigt hatte. Das war auch der Grund, weshalb die Polizei keine Notwendigkeit für das Verhängen eines Hausverbotes sah. Wichtig zu benennen ist hier, dass das Studierendenhaus eigentlich als polizeifreies Gebäude gesehen wird und der Asta strikt gegen die Präsenz der Polizei in diesem Gebäude sein müsste. Die deutsche Presse hätte, anstatt Falschinformationen  zu verbreiten, lieber die Gewalt gegen eine Muslima anprangern sollen. Ihr Schweigen darüber kommt einer Legitimation dieser Gewalt gleich.

Der lauteste Zuspruch für die Veranstaltung kam wie bereits erwartet von rechts. Alice Weidel twitterte mit Bezug auf den Protest, dass „linken Demokratiefeinden endlich das Handwerk gelegt“ werden müsse. Auch auf offiziellen AfD-Seiten wurde die Veranstaltung hochgelobt und unter den jeweiligen Posts wurden wieder hunderte von rassistischen Kommentaren generiert. Kommentare von „Zurück in dein Land“ bis hin zu „Exmatrikulation der Beteiligten“ waren zu lesen.

Oft liest man auch so wenig geistreiche Kommentare wie „Muslime sind keine Rasse, also gibt es keinen Antimuslimischen Rassismus“. Wir halten es deshalb für notwendig, die Definition und Wichtigkeit dieses Begriffes zu unterstreichen. Rassismus wurde lange Zeit biologisch definiert. Heute wird dagegen Kultur rassifiziert, indem man so tut, als seien kulturelle Eigenheiten biologisch bedingt. Laut Etienne Balibar kann beobachtet werden, dass viele der aktuellen Formen von Rassismus nicht mehr biologisch argumentieren. Diese bezeichnet er als differentialistisch oder auch als neo- oder kulturrassistisch. „Die ‚Rasse‘ des ‚Rasse-Rassismus‘ werde durch Kultur und Religion ersetzt, funktioniere aber nach dem gleichen Muster“[5].

Iman Attia argumentiert damit, dass „Rassismus ein soziales und gesellschaftliches Machtverhältnis“ sei und sagt folgendes über dessen Funktion:

 „Rassismus homogenisiert Gruppen („alle gleich“), essentialisiert („weil ihre ‚Rasse‘, Ethnie, Kultur, Religion so ist“), dichotomisiert („anders als wir“) und hierarchisiert (‚un-/emanzipiert‘, ‚ir-/rational‘, ‚unter-/entwickelt‘,‚un-/zivilisiert‘) vermeintliche oder tatsächliche Differenzen zwischen Menschen.“[6]

Laut Attia findet dieser Otheringprozess bezogen auf antimuslimischen Rassismus statt und führt zur Rassialisierung von Muslimen. So würden „Muslime“ als eine Gruppe dargestellt, die sich von „Deutschen“ unterscheidet. Sie kritisiert zum Beispiel die empirische Studie von Wilhelm Heitmeyer, welche die Frage aufwirft, ob „Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ soll, weil diese Fragestellung suggerieren würde, dass Muslime grundsätzlich keine Deutschen sein könnten. Atilla erläutert die Konsequenzen dieses Vorgangs wie folgt:

 „Im Zuge der Rassialisierung werden Deutsche als nicht-muslimisch und Muslime_innen als nicht-deutsch hervorgebracht. Geopolitische Grenzen und religiös-kulturelle Identitäten werden als eng aufeinander bezogen und jeweils einheitlich und rein konturiert, als Muslim_innen Markierte zu Fremden gemacht, um ihre Diskriminierung in einer sich als egalitär verstehenden Gesellschaft zu rechtfertigen“.[7]

Wieso es wichtig ist, den real existierenden antimuslimischen Rassismus beim Namen zu nennen, erläutert sie am Beispiel des Mordes an Marwa el-Sherbini. Der Mörder Wien war in der Lage, ein Messer in den Gerichtssaal zu schmuggeln und hat el-Sherbini mit 18 Messerstichen umgebracht. Schon zuvor beleidigte und bedrohte der Mörder Marwa als „Islamistin“ und „Terroristin“ und adressierte sie dabei als Muslima. Seinen Aussagen bei der Strafverfolgungsbehörde war zu entnehmen, dass er Muslime für keine „richtigen Menschen“ halte und „Menschen nach ihrer Rasse“ unterscheide. Medien und Politik sahen in dem Fall zunächst nur einen außer Kontrolle geratenen und emotionalisierten Streit, aber als klar wurde, dass hier mehr als unhöfliches Verhalten vorlag, wurde von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Obwohl der Täter offenkundig das Muslimischsein als Motiv benannte, wurde die antimuslimische Dimension weder von Medien noch von Politik benannt. Laut Atilla haben diese Missdeutungen des Motivs folgenden Grund gehabt:

„Die wiederholten Missdeutungen erklären sich vor dem Hintergrund der Alltäglichkeit und der Hegemonie der Haltung des Täters: Gerade weil seine antimuslimische Einstellung so weit verbreitet ist und als normal gilt, wird sie nicht als Rassismus wahrgenommen. Weil die antimuslimischen Äußerungen nicht als Rassismus gehört werden, steht dieser nicht zur Disposition“[8].

Anknüpfend an Etienne Balibars Thesen erklärt Moustafa Bayoumi, dass Religion und Kultur an „Rasse“ gebunden und als determinierende Merkmale angesehen würden, welche nicht verändert werden könnten. [9]

Ein Gastbeitrag von Jasmine S.


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[1]  https://www.welt.de/debatte/plus205129536/Eklat-an-Uni-Frankfurt-Ich-fragte-ob-ich-nicht-muslimisch-genug-sei.html

[2] https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/goethe-uni-frankfurt-kopftuch-debatte-endet-in-schlaegerei-16585977.html

[3] https://www.welt.de/debatte/plus205129536/Eklat-an-Uni-Frankfurt-Ich-fragte-ob-ich-nicht-muslimisch-genug-sei.html

[4] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/akademischer-faustkampf-eine-frankfurter-podiumsdiskussion-endet-als-schlaegerei-16587232.html

[5] https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick042018.pdf

[6] https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick042018.pdf

[7] Attia, Iman (2013): Privilegien sichern, nationale Identität revitalisieren. In: Journal für Psychologie 21, H. 1 (auch online unter www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/258/289

[8] Attia, Iman/Shooman, Yasemin (2010): „Aus blankem Hass auf Muslime“. Zur medialen Rezeption des Mordes an Marwa el-Sherbini in deutschen Printmedien und im deutschsprachigen Internet. In: Hafez, Farid (Hrsg.): Jahrbuch für Islamophobieforschung 2010. Innsbruck: Studienverlag. S. 23–46

[9] Bayoumi, Moustafa (2006): Racing Religion. In: The Centennial Review 6, H. 2, S. 267–293

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