Skandalgeschichte PKW-Maut – Darum haben wir Strafanzeige gegen Verkehrsminister Scheuer erstattet

Hunderte Millionen Euro in den Sand gesetzt, Tricksereien bei der Auftragsvergabe, gegen Haushaltsrecht verstoßen und schließlich vor dem höchsten EU-Gericht verloren. Die CSU-Schnapsidee einer „Ausländermaut“ ist mit Karacho zum Totalschaden geworden. Politische Konsequenzen gibt es bislang indes keine.

Das Debakel um die PKW-Maut wird lange in Erinnerung bleiben. Viele Amtsträger haben sich schon verzockt, wenige dabei aber eine derartige Ignoranz an den Tag gelegt wie Andreas Scheuer. Der CSU-Politiker aus Passau hat nun einen Skandal zu verantworten, der gegenwärtig einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und – nach einer Strafanzeige von Fabio De Masi und mir – auch die Staatsanwaltschaft beschäftigt.

Es begann mit der CSU-Forderung nach einer „Ausländermaut“ im Bundestagswahlkampf 2013. Fahrzeughalter ohne deutsche Kennzeichen sollten für die Nutzung der deutschen Autobahnen zur Kasse gebeten werden. Nach einem faulen Kompromiss zwischen CDU, CSU und SPD landete er schließlich im Koalitionsvertrag. Die Maut wurde – nun „Infrastrukturabgabe“ genannt – zur Bedingung der bayrischen Unionsbeteiligung und die Sozialdemokraten stimmten letztendlich zu.

Bereits damals gab es juristische Zweifel, dass eine solche Maut, die im Kern nicht alle, sondern nur auswärtige Nutzer der deutschen Autobahnen betreffen sollte, nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Auch die Koalitionäre wussten das, denn die Bedenken der Fachleute waren hinlänglich bekannt. Eine PKW-Maut für EU-Bürger, aber nicht für deutsche Bürger, stellt nach europäischem Recht eine Diskriminierung dar. Scheuers Vorgänger Alexander Dobrindt verhandelte daher mit der Europäischen Union einen alternativen Vorschlag aus. Die PKW-Maut sollte formell für alle eingeführt werden, die deutschen Autofahrer dann aber über eine Senkung der KfZ-Steuer kompensiert werden. Im Wahlkampf 2017 und während der Koalitionsverhandlungen konnte die CSU daher so tun, als handele es sich um ihre Ausländer-Maut. Gleichzeitig konnte sie aber vor Gerichten und Parlamenten spitzfindig argumentieren, dass diese mit dem EU-Recht ja vereinbar sei. Sie war es nicht.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages warnte bereits im Jahr 2017, dass es sich bei der Kombination aus Maut für alle einerseits und Kompensation für Inländer andererseits um eine sogenannte „mittelbare Diskriminierung“ handele, die nach EU-Recht ebenfalls untersagt ist. Scheuer, damals noch CSU-Generalsekretär, beschimpfte daraufhin die Gutachter: „Bei so viel fachlicher Ignoranz muss man die Frage nach dem Sinn des Wissenschaftlichen Dienstes stellen“.

Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Scheuer schließlich Verkehrsminister. Gemeinsam mit der Großen Koalition ignorierte er weiter alle Warnungen und machte sich an die Umsetzung des Projekts. Das weitere Verfahren entwickelte sich zu einem Krimi, der zu unserer Strafanzeige gegen den Minister führte. Am 30. Dezember 2018 vergab er den Auftrag, eine diskriminierende PKW-Maut umzusetzen, an die Firmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom. Sie waren am Ende des Vergabeverfahrens als einzige Bieter verblieben. Inzwischen wurde bekannt, dass es zwischen Scheuer, seinen Spitzenbeamten und Vertretern beider Firmen zu mehreren Nach-Verhandlungen kam. Sie dienten dazu, das Angebot „günstiger“ für den Bund zu machen. Das ursprüngliche Angebot war um eine Milliarde Euro zu teuer. Vor diesem Hintergrund wurde unter anderem der LKW-Maut-Betreiber „Toll Collect“ verstaatlicht, um einen Teil der Aufgaben und Kosten zu übernehmen. Anschließend legten die beiden Firmen ein überarbeitetes Angebot vor, den anderen Bietern wurde nicht die Gelegenheit gegeben, ihres zu überarbeiten. Der Bundesrechnungshof rügte klare Verstöße gegen das Haushalts- und Vergaberecht.

Nach Informationen der Berliner Zeitung wäre zudem eine korrekt durchgeführte Wirtschaftlichkeitsberechnung zu dem Ergebnis gekommen, dass es für den Staat günstiger gewesen wäre, die PKW-Maut in eigener Hand zu betreiben, anstatt dafür Private zu engagieren. Ihnen wurde nach Recherchen des Nachrichtenmagazins „Frontal 21“ eine irre hohe Rendite von 23,8% zugesichert.

Zudem verdichten sich die Hinweise darauf, dass vor allem Scheuer auf eine schnelle Vertragsunterzeichnung drängte und das ausstehende Urteil vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht mehr abwarten wollte. So kam es, wie es kommen musste: Der EuGH fällte am 18. Juni 2019 das folgenschwere, aber vorhersehbare Urteil. Diese PKW-Maut verstößt gegen geltendes EU-Recht, weil sie Bürger anderer EU-Staaten diskriminiert. Die getrickste Ausländer-Maut ist damit vom Tisch – nicht jedoch die Verträge, die Scheuer entgegen jeder Warnung unterzeichnet hatte.

Denn CTS Eventim und Kapsch TrafficCom hatten mit dem Minister einen rund zwei Milliarden schweren Deal ausgemacht. Sie beharren nach dem EuGH-Urteil auf den Gewinn, den sie sich versprochen hatten. Skandalöserweise hat das Verkehrsministerium im Vertrag zugesichert, dass die Betreiber als „Entschädigung“ nahezu den vollen unternehmerischen Gewinn über die gesamte Laufzeit fordern können, wenn der Vertrag aufgrund des EuGH-Urteils gekündigt werden muss. Die beiden Firmen fordern 580 Millionen Euro und streiten darüber jetzt mit dem Bund in einem aufwändigen und langwierigen Schiedsverfahren, das vor einem teuren privaten Schiedsgericht enden könnte. Hinzu kommen bereits erfolgte Ausgaben in einem mindestens hohen zweistelligen Millionenbetrag. Diesen Schaden verantwortet Verkehrsminister Scheuer.

In der viel zu langen Reihe von CSU-Verkehrsministern, die seit über 12 Jahren nun fester Bestandteil der Regierungen von Angela Merkel sind, sticht Scheuer damit unrühmlich hervor. Denn eigentlich hätte auch er genug zu tun: Öffentlicher Nahverkehr, Bahn- und Breitbandausbau sind nur drei der Bereiche in denen es große Infrastrukturprobleme und einen hohen Investitionsbedarf gibt. Wie bereits seine Vorgänger, kümmert sich Scheuer nicht um eine dringend notwendige sozialökologische Verkehrswende. Zusätzlich hat er seinen Maut-Amigos nun auch noch einen Auftrag zum Schaden der Allgemeinheit zugeschustert. Minister sind schon für weniger zurückgetreten. Unsere Strafanzeige liegt seit November 2019 bei der Staatsanwaltschaft in Berlin.

Ein Beitrag des Bundestagsabgeordneten Victor Perli.


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