Sahra Wagenknecht - Das Aushängeschild der Linkspartei

Sahra Wagenknecht – Gerechtigkeit durch Wettbewerb?

In der bürgerlichen Presse hoch gelobt, in der Linken kritisiert: Das neue Buch der promovierten Volkswirtin und führenden Politikerin der Linkspartei Sahra Wagenknecht wird kontrovers diskutiert. Tatsächlich enthält es viele interessante kapitalismuskritische Details – doch die Gesamtanalyse hat Schwächen. Von Thomas Walter

In „Reichtum ohne Gier“ stellt Sahra Wagenknecht ein Wirtschaftsmodell mit ehrgeizigen Zielen vor. Sie fordert eine „moderne Wirtschaftsordnung, (…) in der Eigentum tatsächlich nur noch durch eigene Arbeit entstehen kann (…) und in der (…) leistungslose Einkommen der Vergangenheit angehören.“ Ihre Vision klingt verlockend: „Niemand wäre mehr in der Lage, von fremder Arbeit und zulasten anderer reich zu werden. (…) Unsere Gemeinwesen wären wieder demokratisch gestaltbar.“ Wagenknecht will keinen Kapitalismus und keine Ausbeutung mehr.

Folgerichtig beginnt die Analyse mit Marx. Dessen Profittheorie beschreibe „korrekt“, weshalb Gewinn möglich ist, so Wagenknecht. Wenn abhängig Beschäftigte nur für einen Teil ihrer Arbeitszeit bezahlt werden, schaffen sie während der restlichen Zeit Mehrwert für die Kapitalisten. Das ist die Grundlage des Gewinns.

Ausbeutung und freier Wettbewerb

Im Folgenden weicht die Autorin aber von Marx ab. Sie behauptet, Ausbeutung würde auf diese Weise nur „möglich“ und realisiere sich erst dadurch, dass Konzerne den freien Wettbewerb manipulieren. Nach Marx ist das jedoch nicht nur „möglich“, sondern im Kapitalismus ist das so. Kapitalisten besitzen die Fabriken, während die Arbeiterinnen und Arbeiter nur ihre Arbeitskraft haben. Um von etwas leben zu können, müssen sie diese an die Kapitalisten verkaufen. Kapitalisten kaufen die Arbeitskraft nur unter der Bedingung, dass für sie ein Mehrwert herausspringt, unbezahlte Mehrarbeit. Andernfalls bleiben die Arbeiter eben arbeitslos. Marx folgerte daraus, dass die Arbeiterklasse die Kapitalisten enteignen und die Fabriken und damit die Produktion gemeinschaftlich unter eigene Kontrolle bringen müsse, um ihre Ausbeutung zu beenden.

Wie kann das aussehen? Soll Planung Märkte ersetzen? Müssen Bestandteile des Kapitalismus auch in einem Sozialismus oder Kommunismus fortbestehen? Im „Kommunistischen Manifest“ scheinen Marx und Engels noch von Märkten, Geld und Preisen auszugehen. So schlagen sie eine monopolistische Nationalbank mit Staatskapital und eine „starke Progressivsteuer“ vor. Auch der britische Marxist Alex Callinicos hält es in seinem „Anti-Kapitalistischen Manifest“ für möglich, dass „Preise und Geld weiterhin eine Rolle als bequemes Zahlungsmittel spielen“. Callinicos betont freilich die Unterordnung der Märkte unter demokratische Entscheidungsprozesse. Das sei dann keine Marktwirtschaft mehr: „Die Übel des Kapitalismus können nur überwunden werden, wenn der Markt nicht gerettet, sondern ersetzt wird.“

Wagenknecht folgt der bürgerlichen Theorie

Im Gegensatz dazu lobt Wagenknecht in ihrem Buch ausdrücklich „echten Markt“ und „echten Wettbewerb“ als Schlüssel für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung. Wie kommt sie dazu?
Bei Marx hat die Form der Konkurrenz auf den Arbeits- und Gütermärkten des Kapitalismus keinen grundsätzlichen Einfluss auf die Ausbeutung. Es gibt Ausbeutung, gleichgültig, ob die Arbeiterinnen sich in Gewerkschaften organisieren, ob auf den Gütermärkten viele (Polypol) oder wenige (Oligopol) Unternehmen miteinander konkurrieren oder gar nur ein Kapitalist (Monopol) herrscht. Bei Wagenknecht hingegen kann Ausbeutung nur von der Möglichkeit zur Wirklichkeit werden, wenn die Konkurrenz, der „Wettbewerb“, eingeschränkt wird. Sie folgt der bürgerlichen Theorie, wonach ausreichend Wettbewerb dafür sorgt, dass die Unternehmen sich die Profite gegenseitig wegkonkurrieren. Im Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte zahlen die Unternehmen hohe Löhne und im Konkurrenzkampf um Kunden senken sie die Preise. Gestört wird diese heile Welt ohne Profite von Konzernen, die künstlich den Wettbewerb verhindern. Sie vertritt hier die Linie der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft. Diese haben nicht nur vor der Macht des Staats, sondern auch vor der Macht der Konzerne gewarnt.

Wagenknecht konstruiert gemäß dieser Analyse eine Welt, in der privatwirtschaftliche Großkonzerne abgeschafft sind. Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) gehören aber für sie nicht zum Kapitalismus. KMUs machen keine großen Gewinne. Zwischen ihnen herrsche ja Wettbewerb. Wagenknechts steile These lautet: „Langfristig gibt es im harten Wettbewerb auf einem offenen Markt keinen Grund, weshalb ein Unternehmer mehr als seine eigene unternehmerische Leistung bezahlt bekommen sollte.“

KMUs sind keine idyllischen Inseln

Sie folgt hier einer Ideologie, die Marx im dritten Band des Kapitals kritisiert. Im „Hirnkasten“ des Unternehmers (und offensichtlich auch in Wagenknechts) kann die Illusion entstehen, dass Unternehmer eine Art Arbeiter höherer Qualität seien. Es gibt einfache Arbeiter, Facharbeiter, Meister und eben auch die leitenden Unternehmer. Dann gibt es auf der Gegenseite das Geldkapital mit seinem „leistungslosen Kapitaleinkommen“, das Wagenknecht vom „dauerhaften Gewinn“ der Konzerne unterscheidet. Solche Unterschiede können für eine marxistische Analyse sinnvoll sein, doch ändert dies bei Marx nicht den Klassencharakter des Kapitalismus. Die „fungierenden Kapitalisten“, die also in einem Unternehmen eine Aufgabe erfüllen, gehören genauso zur Kapitalistenklasse wie die Eigentümer des Geldkapitals. So sind KMUs keine idyllischen Inseln. Gerade weil sie in der Konkurrenz um ihr Überleben kämpfen müssen, nimmt die Ausbeutung dort für die Arbeiterinnen oft schlimmere Formen an als in manchem Großkonzern.

Kann sich nun ein KMU im Wettbewerb nicht halten, wird es in Wagenknechts Modell in eine „Mitarbeitergesellschaft“ umgewandelt. Diese werden, ähnlich heutigen Genossenschaften oder Kooperativen, von den Beschäftigten selbst geführt. Bei größeren Mitarbeitergesellschaften sollen Vertreter der Kommunen oder der Länder mit entscheiden.

Kooperativen, Selbstverwaltung und Konkurrenz

Karl Marx, Philosoph und zeitloser Vordenker des Sozialismus. Foto: Martin Dudenhöffer

Marx erörtert die Kooperativen der Arbeiter und die Aktiengesellschaften der Kapitalisten im dritten Band des Kapitals. Die Entwicklung der Produktivkräfte innerhalb des Kapitalismus führt zu kollektiven Unternehmensformen, eben den Kooperativen und Aktiengesellschaften. Einerseits betrachtet Marx diese als „Übergangsformen“ auf dem Weg zu einer sozialistischen Produktionsweise. Andererseits können auch die Kooperativen innerhalb des Kapitalismus den „Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital“ nur innerhalb des Betriebs aufheben. Gesamtwirtschaftlich betrachtet müssen sie „natürlich überall (…) alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren“.

Die Erfahrung mit dem jugoslawischen Modell der Arbeiterselbstverwaltung hat denn auch gezeigt, dass selbstverwaltete Betriebe unter dem Konkurrenzdruck des Markts kapitalistischen Unternehmen ähnlich werden. Die von den Arbeitern gewählten Unternehmensleitungen müssen Arbeitszeiten verlängern und Löhne drücken, sollen die Unternehmen „wettbewerbsfähig“ bleiben. Die Unternehmensleiter verwandeln sich im Konkurrenzkampf der Betriebe untereinander früher oder später in Kapitalisten.

Zwischen Gemeinwohl und Selbstausbeutung

In Südeuropa gibt es mehr Kooperativen als in Deutschland, oft mit linkem Anspruch. Dort zeigt sich die Schwierigkeit, dass diese Kooperativen das Lohnniveau der Arbeiterinnen in den herkömmlichen kapitalistischen Betrieben drücken. Um auf dem kapitalistischen Markt konkurrenzfähig zu bleiben, betreiben die Kooperativen Selbstausbeutung. Es mag sein, dass eine Kooperative aus jungen Idealisten, die von Luft und Liebe leben, sich am Markt halten kann. Für die Beschäftigten in den herkömmlichen kapitalistischen Betrieben wird es so aber schwerer ihre Lohnforderungen durchzusetzen.

Wichtige Wirtschaftsbereiche schließlich – zum Beispiel Telekommunikation, Soziales, Finanzwesen, Großindustrie – will Wagenknecht weder Privatkapitalisten noch Mitarbeitergesellschaften anvertrauen: „Gemeinwohlgesellschaften“, die nicht gewinnorientiert arbeiten, sollen einen öffentlichen Versorgungsauftrag erfüllen. Die Autorin übersieht hier, dass auch solche sogenannten gemeinnützigen Unternehmen dazu neigen, versteckt Profit zu machen,  beispielsweise in Form von höheren Managergehältern.

Letztlich lässt Wagenknecht die Rolle der Märkte und des Wettbewerbs offen. Die KMUs konkurrieren untereinander. Aber wie konkurrieren Mitarbeitergesellschaften, bei denen Kommunal- und Landesvertreter mit bestimmen? Was passiert, wenn eine Mitarbeitergesellschaft aus Konkurrenzgründen von Bonn nach Hamburg umziehen will, der Gemeinderat von Bonn dies aber untersagt? Und kann hier der Senat von Hamburg mitreden? Gibt es übergeordnete Stellen?

Wagenknecht drückt sich vor wichtigen Fragen

Foto: Nicole Teuber

In gewisser Hinsicht wirken Wagenknechts Vorschläge radikal. Konzerne werden abgeschafft und durch selbstverwaltete oder Gemeinwohlgesellschaften ersetzt. Für die Deutsche Bank, so Wagenknecht, gibt es in ihrem Modell keinen Platz. Man könnte ihr unterstellen, dass ihre Taktik darin besteht, viel von Markt und Wettbewerb zu reden, dann aber Institutionen vorzuschlagen, die eben dies wieder in Frage stellen. Wenn an Schlüsselstellen der Wirtschaft die „öffentliche Hand“ mitbestimmt und Schlüsselindustrien dem „Gemeinwohl“ anvertraut werden, dann bleibt ja vom Markt nicht so viel übrig. Wagenknecht erklärt aber nicht, was sie mit Öffentlichkeit oder „öffentlicher Hand“ meint.
Bleibt außerdem die Frage, wie sie ihr Projekt gegen Widerstände (zum Beispiel der Deutschen Bank) durchsetzen will. Dazu schreibt sie nichts. Vielleicht ist es ihre Hoffnung, dass die Lektüre ihres Buchs viele Menschen überzeugt und diese die Linkspartei in die Parlamente wählen. DIE LINKE setzt dann das Wagenknecht-Modell um. Der Putsch gegen Chiles sozialistischen Präsidenten Salvador Allende im Jahr 1973 ist allerdings ein klassisches Beispiel dafür, wie die herrschenden Mächte mit einer demokratisch gewählten Regierung umgeht, die ihre Interessen gefährdet.

Insgesamt hinterlässt das Buch den Eindruck, dass Wagenknecht sich vor wichtigen Fragen drückt: Sie will sich nicht festlegen. Selbst ihre eigenen Vorschläge sind nicht zu Ende gedacht. Es gibt keine Abgrenzung zwischen „Markt“ und „Öffentlichkeit“. Öffentlichkeit wird nicht näher bestimmt. Indem sie die Klassengegensätze des Kapitalismus nicht anspricht, weckt sie Illusionen. Sie kennt keine Arbeiterklasse als entscheidende Kraft, die mit ihren Kämpfen – dabei können linke Parteien unterstützen – den Kapitalismus überwinden kann. Ihr Buch ist zu konfus, um für politisches Handeln eine Orientierung bieten zu können.

Der Beitrag erschien im Magazin „Marx21“.

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Eine Antwort

  1. Karl Marx ist schon lange tot und die Versuche, seine Analysen in Gesellschaftsform zu gießen, sind gescheitert. Der Kapitalismus hat zwar bisher überlebt, hat sich durch seine Tendenz zur Kartellisierung bzw. Monopolisierung selbst die breite gesellschaftlich Akzeptanz untergraben. Er muss ständig reformiert und an neue Gegebenheiten angepasst werden, wenn er im Gegensatz zu Kommunismus/Staatswirtschaft überleben soll. Frau Wagenknecht beteiligt sich an dieser konzeptiinellen Diskussion – wie Müller-Armack und auch Erhard nachvdem 2..Weltkrieg.

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