Sahra Wagenknecht - Das Aushängeschild der Linkspartei

Sahra Wagenknechts konservative Utopie

Der  „Antikapitalismus“ Sahra Wagenknechts und ihre saalfüllenden Auftritte werden hier und da als Argument genommen, sie als gute Vertreterin der Anliegen der Linken zu verteidigen. Achtzig Prozent Übereinstimmung selbst schärfster linker Kritiker von Wagenknecht vermutet Florian Wilde in seinem Artikel „Die Linke ist mehr als Wagenknecht“. Vielleicht – aber was genau ist ihr „Antikapitalismus“? In ihrem neueren Buch „Reichtum ohne Gier“ hat sie dargelegt, „wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“.

Vieles darin ist eine Beschreibung der Symptome der heutigen kapitalistischen Wirtschaft, zu der sich zustimmend nicken lässt – ja, so ist es. Wer nach dem Wort „Klasse“ sucht, findet es dreimal in dem gesamten Buch: vierte Klasse in der Schule, neue Klasse von Geräten, Erste-Klasse-Flug. „Anti“ findet sich einmal, als „Anti-Trust-Gesetz“.

In gewisser Hinsicht ist das symptomatisch für Wagenknechts Ansatz, da sie den Hauptkonflikt in der heutigen Gesellschaft nicht zwischen Kapital und Arbeit sieht. Sie sieht ihn zwischen dem Übel der Internationalisierung von Wirtschaftsprozessen versus wirtschaftlich steuerndem Nationalstaat,  zwischen „innovativem Unternehmertum“ und der Geißel der „leistungslosen Monopolisten, die selbst nichts produzieren“, aber „abzocken“, sowie einem Bankensystem, das ein Monopol auf die Kreditvergabe und somit die Förderung oder Nichtförderung des Unternehmertums habe.

In Anlehnung an die Occupy-Parole „Wir sind die 99 Prozent“ spricht sie von den 1 Prozent Reichen und den 99 Prozent, die für dieses 1 Prozent arbeiten müssen. Das nennt sie „Wirtschaftsfeudalismus“, den es abzuschaffen gelte, um die „Märkte vor dem Kapitalismus“ zu retten.

Diese eingedampfte Vorstellung von Kapitalismus als einem modernen Feudalsystem, das es wie den historischen Feudalismus zu überwinden gilt, um in die goldene Ära eines freien, kleinteiligen Unternehmertums einzutreten, hat mit der marxistischen Theorie null und nichts zu tun.

Marx‘ Kapital

Für Karl Marx war Kapital und Kapitalismus nie eine unkontrollierte Summe von Geld in der Hand von Monopolisten oder Großbankern, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, das auf der Grundlage der Trennung der Arbeiterinnen und Arbeiter von ihren Produktionsmitteln entsteht.  In den „Theorien über den Mehrwert“ aus den 1860er Jahren schrieb Marx:

„Produktiv von Wert ist das Kapital nur als Verhältnis, sofern es als Zwang über die Lohnarbeit sie zwingt, Surplusarbeit zu arbeiten, oder die Produktivkraft der Arbeit anstachelt, um relativen Mehrwert zu schaffen.“

Kapital im eigentlichen Sinn entsteht erst, wenn es sich bei der ge- und verkauften Ware um Arbeitskraft handelt. Diese Lohnarbeit bestimmt die Produktionsverhältnisse, wie sie dem Kapitalismus eigen sind. Das Kapital ist aufgrund der Ausbeutung von Lohnarbeit die Anhäufung von Mehrwert, der Geld- und/oder Warenform annimmt und/oder die Form von Produktionsmitteln. Und dieses Kapital „agiert“ zur weiteren Akkumulation, zum „sich selbst verwertenden Wert“, wie Marx schrieb. Der Motor dieses Prozesses wird die Konkurrenz der Kapitalien. Bei „Strafe des Untergangs“ müssen sie ihre Produktionsmethoden beständig revolutionieren, um den Ausbeutungsgrad und die Profite zu steigern. Durch diesen Druck werden die Produzenten gezwungen, sich als Kapital zu verhalten.

Dem entgehen weder die Konzerne noch Start-ups, Klein- oder Mittelunternehmen. Die Gründer der in den 1970er Jahren in der BRD sprießenden selbstverwalteten Betriebe mussten das sehr schnell feststellen. Viele gingen angesichts des Konkurrenzdrucks auf dem Markt unter, andere mussten sich in ihrer Struktur denen üblicher kapitalistischer Unternehmen anpassen. Auch die aus dem linken Protestmilieu entstandene, anfangs kollektiv geführte Tageszeitung taz ist heute ein hierarchisch aufgebautes Unternehmen, in dem die Geschäftsführung die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und den Einsatz der Arbeitskräfte besitzt.

Die Lohnarbeit hat eine weitere Implikation: Die Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter wird in immer größeren Betrieben zusammengefasst, sie werden kollektiv ausgebeutet und können nur als Kollektiv Widerstand leisten. Dadurch kommt ihnen im kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess eine besondere Rolle zu, die des „revolutionären Subjekts“, das eben dieses System auch stürzen kann.

So weit das kleine abc der marxistischen Theorie über den Kapitalismus.

Armut, Reichtum, Widerstand

In seinen Notizen zu „Theorien über den Mehrwert“ beschäftigte sich Marx auch mit Jacques Necker, dem französischen Bankier und Finanzminister unter Ludwig XVI. kurz vor der Französischen Revolution. Necker hatte in seinen wirtschaftspolitischen Schriften bereits den „Reichtum der nicht arbeitenden Stände – Profit und Rente“ aus der Mehrarbeit hergeleitet. Allerdings hielt Marx kritisch fest, Necker interessiere sich nicht „für die Verwandlung der Arbeit selbst in Kapital und die Akkumulation des Kapitals durch diesen Prozess“, sondern vielmehr für „die allgemeine Entwicklung des Gegensatzes von Armut [die arbeitet, um zu leben] und Reichtum [der nicht arbeitet]“.

Das tut auch Sahra Wagenknecht. Bei ihr wird Kapital zu einer äußeren Kraft, indem sie Lohnarbeit von ihrer Beziehung mit Kapital trennt. Das ist nichts Ungewöhnliches in bürgerlicher Wirtschaftstheorie. Die revolutionäre Seite des Marxismus geht dabei logischerweise und gewollt unter: die Vorstellung von einer Klasse der Arbeiterinnen und  Arbeiter als kollektiver Produzent des Reichtums, die sich selbst emanzipiert, indem sie in einem Akt des Umsturzes kollektiv die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel übernimmt.

Es gibt aber auch unterhalb eines revolutionären Umsturzes eine reformistische Seite, den „Kampf zwischen Kapital und Arbeit und seine Resultate“, für höhere Löhne, für die Verringerung des Arbeitstags, den „Widerstand  gegen die Gewalttaten des Kapitals“. Marx warnt gleichzeitig davor, „die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe [zu] überschätzen“. Aber würden die Arbeiterinnen und Arbeiter „in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen“.  Die Arbeiterklasse „sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: ,Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!‘, sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: ‚Nieder mit dem Lohnsystem!‘“

An anderer Stelle betont Marx ebenfalls, dass selbst bei Streiks, die auf eine geringe Umverteilung zielen, „ihre moralischen und politischen Auswirkungen im Auge behalten“ werden müssen, weil die Arbeiterklasse hierbei zu einem politischen Subjekt wird, das tendenziell die bürgerliche Ideologie untergraben kann.

Foto: DIE LINKE. NRW, flickr

Die Befreiung der „echten Unternehmer“ vom Kapitalismus 

Aber selbst die Orientierung auf den alltäglichen Widerstand fehlt komplett bei Wagenknecht. Sie schlägt also keinen Kampf um die Krumen, die dem System abzutrotzen sind, keine reformistische Bewegung, schon gar nicht eine revolutionäre Perspektive im Sinne eines Marx und Engels, einer Luxemburg, eines Lenins vor. Der „Antikapitalismus“ beschränkt sich an den besten Stellen also auf die Beschreibung des Status quo, wie es inzwischen einige getan haben, diese häufig aber mit sehr viel kämpferischem Impetus wie im Jahr 2010 der Franzose Stéphane Hessel mit seinem Manifest „Empört euch!“.

Stattdessen will sie die „echten Unternehmer“ vom Kapitalismus befreien. Denn die „echten Unternehmer“, die noch „einen persönlichen Bezug zur Firma und zur Produktion“ haben, seien keine wirklichen Kapitalisten. Sie sorgten „gemeinsam mit ihren Beschäftigten für wirtschaftliche Dynamik, Innovation und gute Produkte“. Zu einer „gerechten ökonomischen Ordnung“ zählt sie die „Freiheit unternehmerischer Initiative“, einen nicht profitorientierten kleinteiligen Finanzsektor, sozial verantwortungsvolle Unternehmen, in denen die „Erträge gerecht und leistungsorientiert“ verteilt werden, Demokratisierung des Zugangs zu Kapital, damit „fähige Gründer mit tragfähigen Ideen […] eine Chance bekommen“.

Sie schöpft hierbei vor allem aus den Schriften Alexander Rüstows, der dem Staat die Rolle zuwies, die „freiheitliche Marktwirtschaft“ zu garantieren und die Monopolbildung zu verhindern. Bezüglich des Sozialstaats sprach er im Jahr 1932 von „jener Wehleidigkeit, mit der heute fast jeder Interessent erwartet, dass auf jedes Wehwehchen, und sei es noch so klein, sofort von öffentlicher Hand ein möglichst großes Pflaster geklebt wird, ein Pflaster, das letzten Endes aus unserer Haut geschnitten werden muss“.

Letztendlich hängt Wagenknecht einer konservativen Utopie nach: einem gezähmten Kapitalismus, einer mehr oder weniger statischen Gesellschaft, in der die Dynamik auf das Klein- und Mittelunternehmertum beschränkt bleibt und „Gier“ von „Reichtum“ gelöst ist.

Lob des Katholizismus

Das ist der Kern ihrer Position, auch wenn sich in dem Buch jede Menge Widersprüche und eigenwillige Geschichtsinterpretationen finden. Dazu gehört die Behauptung, „religiöse Ächtung kommerzieller Tätigkeit hat es dem katholischen Adel in Frankreich oder Spanien erschwert, seinen Reichtum mit ähnlicher Hemmungslosigkeit unter Ausnutzung frühkapitalistischer Methoden zu mehren, wie dies seine calvinistischen oder puritanischen Standesgenossen in den Niederlanden oder England getan haben“. Die von dem katholischen Adel gepressten Bauern, die in Spanien vertriebenen Mauren, die verfolgten Juden und niedergemetzelten Ureinwohner Latein- und Südamerikas konnten zweifellos ein Lied von der Hemmungslosigkeit und Grausamkeit und materiellen Gier des Katholizismus singen, so wie die protestantischen Hugenotten, die in Frankreich von der katholischen herrschenden Klasse verfolgt wurden.

Die Tatsache, dass der Katholizismus aufgrund der historischen Entwicklung enger mit Landbesitz, Kirchen- und Klosterland und Bauernausbeutung verbunden war, und der Protestantismus ideologischer Ausdruck eines aufstrebenden Bürgertums, macht Ersteren nicht besser. Die katholischen Fugger in Augsburg wurden im ausgehenden Mittelalter Finanziers des Vatikans. Die Bewegung der Wiedertäufer wurde in einer konzertierten Aktion der katholischen und protestantischen Bischöfe blutig niedergeschlagen.

Nach dem Lob des Katholizismus gibt es schließlich noch einen Satz in Wagenknechts Werk, der sehr stutzig macht: Unter der Zwischenüberschrift „Master of the Universe“ heißt es, der „Gründer der Rothschild-Banken-Dynastie, Meyer Amschel Rothschild“, der von 1744–1812 gelebt hat, habe gesagt: „Gib mir die Kontrolle über das Geld einer Nation, und es interessiert mich nicht, wer dessen Gesetze macht.“ Weltherrschaft, Geld, Jude wird hier völlig unnötig als Assoziation angeboten.

Dazu kommt, dass dieses Zitat historisch nicht belegt ist. Und dass Wagenknecht solch ein angebliches Rothschild-Zitat ungeprüft verwendet, ist mehr als fahrlässig. Zum ersten Mal scheint es Rothschild von Gertrude M. Coogan 1935 in ihrem Buch „The Money Creators“ zugeschrieben worden zu sein. Die römisch-katholische Coogan ist besessen von der Vorstellung einer unkontrollierten „privaten“ Geldschöpfung durch Institutionen wie die (jüdischen) Rothschild-Banken. Sie sieht in der Federal Reserve (kurz Fed) eine „private“ Bank. Sie würfelt die „Internationalen Geldschöpfer“ mit den „Bolschewisten“ zusammen.

All das findet sich in der Ideologie der rechten „Verschwörungstheoretiker“ und als Versatzstücke bei den Nationalsozialisten wieder – die Weltverschwörung der Juden bringt den Bolschewismus – und nach Coogan auch den Faschismus und Ghandiismus und New-Dealismus als „Spielarten von Sozialismus“ hervor, die „alle aus derselben internationalen Quelle stammen“. Diese Versatzstücke waren auch der Leim des rechten „Friedensmahnwachen“ im Jahr 2014, bei dessen Kundgebungen unter anderem gegen die „Fed (eine private Bank)“ gewettert wurde, die von verkappten Holocaustrelativierern organisiert waren und die einige prominente Mitglieder der Linkspartei glaubten progressiv umdeuten zu können.

Mit Florian Wilde stimme ich überein, dass wir den Wahlkampf für die Partei Die Linke führen müssen. Wagenknecht ist dabei keine Hilfe, weder ihr angeblicher Antikapitalismus noch ihre Haltung zu den Flüchtlingen, die sie von diesem Land fernhalten will.

Wir sollten uns auf die reformistische Tradition des Arbeitskampfs, die linke Position der Verteidigung der Schwachen – also gerade auch der Flüchtlinge – wie sie unter anderem Katja Kipping formuliert, beziehen und eine Debatte über den Kapitalismus führen, die wirklich über ihn hinausführen kann und ihn nicht nur nach der Fantasie von einem freien, kleinen Unternehmertum zu zähmen versucht. Das Jahr 2017 ist auch eins der Erinnerung an den ersten kollektiven Umsturz des Kapitalismus und die Machtergreifung der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Russischen Revolution. Den Artikel könnt ihr euch samt Quellen hier herunterladen.

Edit: Ursprünglich war im Artikel die Rede vom Friedenswinter. Eigentlich war jedoch die Friedensmahnwache gemeint, das wurde im Artikel geändert

 

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22 Antworten

  1. Marx ist veraltet. Gut,daß sie nicht mit <kommunismus droht. Auch darf sie nicht zu radikal illusorisch rüber kommen, wenn sie viele Stimmen bekommen will, damit sie was erreichen kann.
    Für mich ist sie die einzige Politikerin, die eine klare Ansage gegen Krieg und Militarismus macht. Und wahrscheinlich schafft sie es , viele Menschen dazu zu bringen dieses System als nicht Gottgegeben anzunehmen. Die restliche Politik in der Regierung ist ja eh nur Humbug, aber sie bringt wenigstens ein paar gute Ideen unter die Leute. Na und eigentlich sollten doch
    alle Leute die Linke wählen zur nächsten Wahl, wer für eine der anderen Parteien stimmt,stimmt für Krieg und macht sich mitschuldig bei dem was kommen wird.,

    1. Wagenknecht bezieht sich aber unter anderem auf Marx – und das zu Unrecht. Gegen Krieg und Militarismus haben schon viele argumentiert, aber in SWs Buchs geht es darum gar nicht. Das System nahmen und nehmen auch viele als nicht gottgegeben hin, sie wissen nur oft nicht, wie sie sich dagegen wehren können. Wenn Gewerkschaften Standortpolitik betreiben (statt also den Kampf für Lohnerhöhung, gegen Entlassungen etc. zu führen, die Interessen der Beschäftigten dem Erhalt von Betrieben zu opfern), wenn Regierungen, an denen die „Roten“ beteiligt sind, kommunalen Bestand verkaufen, aus Tarifgemeinschaften austreten, Streikbewegungen nicht unterstützen, weil sie plötzlich mit den „Realitäten“ eines Landeshaushalts konfrontiert sind, desorientieren sie Widerstand (so wie wohl nur Rot-Grün Hartz IV und andere Schweinereien durchsetzen konnten, weil die Gewerkschaften nicht gegen „ihre“ Regierung antreten wollten). Wir benötigen jedenfalls eine andere Antwort als Freiheit für Kleinunternehmen. Bei SW findet sich keine Orientierung für den Aufbau sozialer Bewegungen oder gar die Unterstützung von Klassenkampf – also Solidarität mit und Hilfe beim Aufbau von Streikaktionen zum Beispiel.

  2. Na herrlich! Spannend, wie sich die Linke selbst zerlegt. Nach den letzten Meinungsumfragen erhält die Linke bei der Sonntagsfrage sage und schreibe 3 (drei!) Prozent weniger Wählerstimmen.
    Das haben wir Genossen wie Nünning, Kipping (Indianername:“Die vom Ehrgeiz zerfressende“, Wawzyniak (Indianername: „Die von hinten schießende“) zu verdanken.
    Oh Oskar, warum kehrst du nicht in die Bundespolitik zurück? Notfalls mit einer anderen Partei!

    1. Wieso zerlegt sich die Linke, wenn eine Debatte über die Ziele und die Taktik geführt wird? Das sollte ein produktiver Prozess sein. Oder geht es darum, unkritisch anzunehmen, was Sahra Wagenknecht sagt und schreibt?

    2. Oh Manfred, warum bist Du so ein Untertan, der starke Führer braucht?

      „Notfalls mit einer anderen Partei“ – er macht ja schon fleißig Werbung für diese andere Partei. 😛

  3. Ich behaupte: Ob Wagenknecht sich auf Marx bezieht, aber nicht dessen Kommunismus propagiert, ob sie ungeprüfte Zitate verwendet oder den Katholizismus lobt, interessiert den Wähler nicht. Der Wähler möchte keine Aufrüstung, keinen künstlichen Konflikt mit Russland, eine bessere Vertretung der Interessen der „kleinen Leute“, Investitionen in Bildung und Infrastruktur statt in Bankenrettung und Rüstungsindustrie. Diese Wünsche artikuliert Wagenknecht. Wenn die Linke gewählt werden will, täte sie gut daran, sich an die Interessen dervon ihnen angeblich vertretenen Klientel zu orientieren, anstatt sich in linksintellektuellen Haarspalterein zu verzetteln.

    1. Das klingt so, als ob nur Sahra Wagenknecht diese Positionen formuliert. Das ist aber nicht der Fall, und wenn es so wäre, bräuchten wir nicht Mitglied einer Partei Die Linke zu sein, sondern nur einen Fanclub für Sahra aufzubauen.
      Ihre wirtschaftspolitischen Positionen finde ich absolut nicht überzeugend und nicht links. Dazu kommt, dass sie glaubt, mit Zugeständnissen an die „Kritik“ einer humanen Flüchtlingspolitik der AfD Wähler abspenstig machen zu können. Sie grenzt sich von wirtschaftspolitischen Positionen der AfD ab, aber nicht von ihrem manifesten Rassismus und den Bestrebungen, aus der AfD eine faschistische Partei zu machen. Das führt den Rechtsradikalen Stimmen zu.
      Und dann ist noch die Frage, auf welcher Grundlage wir WählerInnen (nicht DEN Wähler) gewinnen wollen. Wollen wir eine Linke der Solidarität mit Unterdrückten, Ausgegrenzten, Ausgebeuteten oder Anpassung an eine Stimmung der Entsolidarisierung?
      Und als Letztes die Frage Russland: Frieden mit Russland ist kein Selbstzweck. Wenn Trump sich mit Russland (also Putin) verständigen will, dann schwebt ihm eine imperialistische Achse gegen China vor. Putin ist kein Repräsentant der Russischen Revolution von 1917 und eines Umsturzes des kapitalistischen Systems durch eine Räterepublik, also einer Sowjetunion im eigentlichen Sinne. Putin beseitigt die geringen Instrumente bürgerlicher Demokratie, steht für die Verfolgung von Menschen, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften leben wollen, und hat sich auch noch mit der Russisch-orthodoxen Kirche verbündet.
      Wir brauchen eine linke Politik sozialer Bewegungen in den Betrieben und auf der Straße. Wir brauchen den Kampf gegen die Formierung einer faschistischen Partei, also der AfD – zum Beispiel indem wir gegen den Bundesparteitag der AfD am 22./23. April in Köln demonstrieren. Und wir brauchen die Solidarität mit Flüchtlingen ebenso wie mit Hartz-IV-Empfängern, Niedriglöhnern, rassistisch Diskriminierten, als gleichgeschlechtlich Lebende Diskriminierten, religiös Diskriminierten. Das – finde ich – ist keine linksintellektuelle Haarspalterei, sondern die Essenz von links.

      1. Sehr geehrte Frau Nünning,

        im Herzen ein linker Liberaler, möchte ich mich für Ihren Artikel, aber auch für diese Antwort sehr bedanken.
        Gerade die überdeutliche Komplizenschaft vieler Linker, besonders von Frau Wagenknecht mit dem autoritären System Putins macht es mir leider unmöglich, die Linke für wählbar zu halten. Ich habe allzu oft das Gefühl, dass der Antiamerikanismus Wagenknechts so stark ist, dass er alle anderen politischen Ziele der Linken überlagert oder sogar preisgibt. „Putin dieskriminiert Homosexuelle? Egal, solange er gegen die USA auftritt!“ Das scheint das entscheidende Motiv zu sein. Wer soll da glauben, dass der Kampf für Menschenrechte mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis?
        Und die Linke-Fraktion duldet es – mehr als Gegrummel ist nie zu hören.

        Ich danke Ihnen daher für die deutliche und fundierte Kritik.

        Schade, dass Sie damit eine absolute Minderheit in der Partei abbilden.

        Freundliche Grüße,
        Jan Schneidereit

  4. Dass Sahra Wagenknecht in ihrem Buch nicht die klassische marxistische Grundsatzkritik am Kapitalismus entwickelt und dass der Bezug auf die arbeitende Klasse als antikapitalistisches Subjekt gelinde gesagt schwach ausgeprägt ist, trifft zu. Dafür entwickelt sie, und das ist ihr erklärtes Ziel, eine Kritik am Kapitalismus, in dem sie seine/die bürgerliche eigene Rechtfertigungideologie mit derRealität und den krassesten Seiten des Kapitalismus konfrontiert und in einer Weise zelegt, die v.a.Leute ansprechen und überzeugen soll, die nicht sowieso den Kapitalismus ablehnen oder bewusst auf der Seite der Lohnabhängigen stehen. Sie konzetriert ihr Kritik gegen die obersten, mächtigsten Gruppen der kapitalistischen Klasse, die Oligarchie. Die Absätze wo Nünning sie mit antijüdischer Verschwörungstheorie zusammen bringt, sind schlicht bösartiger Stuß, Schwachsinn.

    1. Dass Sahra in ihrem Buch einen Ordoliberalismus vertritt, ist ja keine ganz neue Erkenntnis. Diese Position gibt nur überhaupt keine Orientierung für linke Politik, nicht einmal für engagierte Gewerkschafter. Was die antijüdische Verschwörungstheorie betrifft, hat Sahra diesen Passus über „Master of the Universe“ und Rothschild nun mal in ihr Buch geschrieben. Warum hat sie es getan? Es gibt von der Theorieseite nichts für uns her, legt aber eine falsche Fährte. Und das ist fahrlässig, wie ich in dem Artikel auch geschrieben habe.

  5. Sehr geehrte Frau Nünning,

    Danke für die Ausführungen!
    Ihre Kritik ist recht verständlich, und es ist klar, was Ihnen am Diskurs von Frau Wagenknecht nicht gefällt.

    Sie haben aus den wenigen Kommentaren herausgelesen, dass allerdings Marxismus nicht mehr „zieht“, und Wähler eher an verwässerte, domestizierte inhalte und Programme reagieren.

    Seien Sie ausnahmsweise ungenau und lassen Sie doch die marxistische Theorie!
    Es könnte eine Intuition dahinter stecken, dass vom Marxismus nichts Grossartiges zu erwarten ist!

    Ich lese aus Ihren Worten auch heraus, dass Ihre Kritik vom marxistischen Handbuch völlig gerechtfertigt ist, aber Sie daraus keine neuen Vorschläge vorlegen können.

    Sie kennen die Geschichte mit dem gordischen Knoten, oder?
    Wäre es für Sie akzeptabel, wenn man für die Zähmung des Kapitalismus keinen Marxismus bräuchte, und es nur von einer Korrektur der Funktionalität der Demokratie abhängt?

    Ich will Sie nicht beleidigen, aber wir haben nur ein Leben, und die meisten Menschen befinden sich in einer Sackgasse.
    Das Mindeste ist, sich selbst, das selbst Gelernte zu relativieren; die Möglichkeit zu akzeptieren, dass Jahrzehntelange Beschäftigung mit einer Lösung nicht unbedingt verschwendete Zeit ist, sondern der Schärfung der eigenen Analysefähigkeit gedient hat.

    Ich will keine Geheimnistuerei machen.
    Was würden Sie sagen, wenn man NUR die Wahlgesetze korrigieren müsste, um den Kapitalismus kontrollieren zu können?

    1. In gewissem Sinne will ich auch keine neuen Vorschläge vorlegen, sondern auf eine sozialistische Tradition verweisen, die für Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung steht. Ein Wahlgesetz zu ändern, ändert nichts an den Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft, nämlich: Wer kontrolliert die Produktionsmittel und welche Institutionen sichern diese Kontrolle ab? Wollen wir eine solidarische Gesellschaft, die von unten nach oben aufgebaut ist, oder eine unsolidarische, spaltende, imperialistische, kriegführende Gesellschaft, die von oben nach unten aufgebaut ist?
      Wer in einem Betrieb arbeitet, weiß, wie undemokratisch es dort zugeht, wie Mittel verschwendet werden (zum Beispiel für Gerichtsprozesse gegen den Betriebsrat) und wie KollegInnen gegeneinander ausgespielt werden.
      In der Geschichte finden wir so viele Beispiel für Klassenbewegungen von unten, in denen die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Betriebe besetzt haben, ihre Vertretung wählten, sich landesweit vernetzten. Und alle bringen sehr viel mehr Kompetenz mit als eine angeblich notwendige Geschäftsführung oder eine Partei, die meint, in die Regierung streben zu müssen.

  6. Richtige Kritik- doch was hilfts?

    Ich teile die richtige Kritik an Wagenknechts Thesen, die rein reformerische Inhalte haben.
    Aber: Den Arbeitern kommt, laut Nünning, „im kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess eine besondere Rolle zu, die des „revolutionären Subjekts“, das eben dieses System auch stürzen kann.“

    Die Theorie ist schon richtig, doch die Praxis zeigt, dass ein breites Klassenbewusstsein der Arbeiter nicht zu finden ist. Da sie einerseits durch ihre Arbeit und den damit verbundenen immer mehr zunehmenden Arbeitsdruck kaum in der Lage sind, ein Buch zu lesen, ohne nach drei Seiten einzuschlafen.

    Und weil sie zum anderen durch die geschickte Manipulation von Medien und Staat seit der Schule mehrheitlich ihr Los als Lohnarbeiter, „Arbeitnehmer“ genannt, akzeptieren. Es lebt sich scheinbar ganz gut mit billigen Spielzeugen, TV- Konsum und einer insgesamt bunten Warenwelt, so dass von „revolutionären“ Subjekten kaum die Rede sein kann. Welcher Arbeiter liest Marx?

    Es bleibt den Intellektuellen vorbehalten, sich zu bilden. Doch diese Bildung zu vermitteln, gegen den täglichen Mainstream, das eben gelingt ihnen so gut wie gar nicht. Zumal nur sehr wenige Intellektuelle eine marxistische Bildung haben. So wird das also nichts mit der Revolution. Eher feiern Rechtsparteien Erfolge, wie man derzeit überall in Europa beobachten kann.

    1. Um noch etwas aus der Schule des Marxismus zu plaudern, spricht Marx ja von einer Arbeiterklasse „an sich“ und „für sich“. Mit der Enstehung des Proletariats, der Masse der „doppelt freien“ LohnarbeiterInnen, entsteht objektiv eine Klasse, die das System stürzen kann. Wie sie sich subjektiv wahrnimmt, ist eine andere Frage. Und die Ideologieproduzenten dieser Klassengesellschaft tun alles dafür, dass sie die Verhältnisse für alternativlos hält. Aber da sie sich täglich in dem Widerspruch befindet, kollektiv Produzentin all der Waren, der Maschinen, der Häuser, des Reichtums der Gesellschaft zu sein, ohne darüber entscheiden zu können, ob etwas oder was und wozu es produziert wird, rebelliert sie auch immer wieder dagegen – mit Warnstreiks, Vollstreiks, manchmal mit nicht von der Gewerkschaftsbürokratie gerufenen Streiks (den „wilden“) und manchmal mit Betriebsbesetzungen, Barrikadenbau und Rätebildung.
      „An sich“ besteht sie, solange sie sich nicht organisiert, „für sich“, wenn sie als Klasse zu handeln beginnt. Die Russische Revolution begann nicht, weil alle Arbeiterinnen und Arbeiter Marx und Lenin gelesen hatten und sich dachten, jetzt müssten sie mal nach Lehrbuch kämpfen (wobei die Marxisten ja auch kein Lehrbuch dafür hatten, erst 1905 bekamen sie eine Vorstellung von der Selbstorganisation in Form der Räte). Aus dem Widersprüchen, die diese kapitalistische Gesellschaft produziert, sind immer wieder auch revolutionäre oder fast revolutionäre Bewegungen entstanden – Deutschland, Frankreich 68, Portugal Mitte der 70er, Iran Ende der 70er, Ägypten 2011. Wohin sie gingen und warum, ist dann noch eine eigene Debatte wert.

  7. gute Frau Nünning, 1.) bevor sie hier wieder wertvolle Streiter der Linken niedermachen, geben Sie erst mal neue eigene Konzepte zum Besten wie Wirtschaft und Geldwesen besser gestaltet werden kann, der gebändigte Kapitalismus sprich die soziale Marktwirtschaft ist momentan die einzige Möglichkeit auf mehr soziale Gerechtigkeit, dies ist auch keine Utopie, das gab es nämlich schon, mit der Verhinderung von Freihandelsverträgen vor allem der Konzernparalelljustiz und der wesentlich stärkeren Regulierung des Bankensystems, z.B. dahingehend das Banken nur echtes Kapital verleihen dürfen, wäre schon viel bewirkt. 2.) Unterlassen sie bitte Difamierungsversuche, ob die Kaptitalverteilung 99 zu 1 %, diese ist unstrittig, oder der ewig unsägliche Bezug auf die Rechtsradikalen, ist unsachlich, die Wirtschaftstheorien der Frau Wagenknecht haben nun wirklich null mit dem neoliberalem Gedankengut der AfD zu tun, weiterhin sollte ein Staat Einwanderung gestalten, das tun andere Staaten auch: Kanada, Schweden, Schweiz usw. das hat mit Rassismus nichts zu tun. 3.) wenn Sie in Umbruchszeiten ihr Heil darin finden die Geschlossenheit der Linken zu torpedieren, die gegenüber Merkel dringend notwendig ist, ebenso wie um die SPD auf sozialen Kurs zu bringen, sind sie vielleicht nur ein trojanisches Pferd? – also entweder Konstruktives oder einfach mal die (ruhig sein, Änderung der Redaktion).. Danke!

    1. Als „gute Frau“ sehe ich mich eher nicht. Mir liegt an einer streitenden, aber solidarischen Auseinandersetzung, wenn es Differenzen in der Linken gibt. Ich will nur auf den einen Punkt eingehen: die 1:99.
      „Wir sind die 99 Prozent“, wie es aus der Occupy-Bewegung in den USA kam, ist sicher eine sehr plakative und griffige Parole. Ich finde sie aber falsch, weil in den 99 Prozent plötzlich alle Klein- und Mittelunternehmen, die 20, 100 oder gar 200 Beschäftigte ausbeuten, enthalten sind, alle „Gründer“, die PraktikantInnen ohne Entgelt oder Leute mit Eingliederungshilfe vom Arbeitsamt oder 1-Euro-„Jobber“ ausbeuten, alle privaten Arztpraxen mit ihren unterbezahlten Helferinnen und Helfern und so weiter, und so weiter. Ich sehe nicht, dass wir Herz-, Kopf und Hand solidarisch mit „unserem Unternehmen“ gegen die 1 Prozent irgendwie außerirdisches Finanzkapital angehen. Es gibt Antikapitalismus von rechts, der uns nicht nur nicht weiterbringt, sondern gerfähliches Fahrwasser ist.

  8. Die Kritik ist richtig und natürlich ist es illusorisch, den Kapitalismus wieder in ein nationales Fahrwasser bringen zu wollen. In einem Produktionsprozess, wo über 40% aller Autoteile eben nicht national hergestellt werden, sondern aus allen Weltteilen eingeflogen werden, hat der national beschränkte politische Rahmen kaum noch Einfluss – um von der Finanzindustrie einmal ganz zu schweigen. Das gilt auch für Küchengeräte und Handys etc.
    Aber – der Konkurrenzdruck ist damit nicht beseitigt und auch das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate drückt weiterhin auf die Konzerne. D.h. man braucht einen kontinentalen Ordnungsrahmen, damit die Belegschaften nicht weiter unter die Räder kommen.. Und hier hat m.E. die PdL bisher nicht geliefert.
    Weshalb nicht eine kontinentale Kampagne für einen kontinentalen Mindestlohn? Weshalb nicht eine kontinentale Kampagne für ein europäisches Arbeitsgesetz? Weshalb nicht für eine europäische Investitionskontrolle? Damit nimmt man dem aufkeimenden Nationalismus, der die Sehnsucht zu „vergangenen Zeiten“ als Lösung propagiert schnell den Wind aus den Segeln und hätte die europäische Linke an solch einem Europakonzept gearbeitet, wären Brexit und die Kolonialisierung Griechenlands evtl verhindert worden. Es gibt ein Europa, das weit älter und ernsthafter ist als das EU-Gebilde. Ich betrachte S.W. s Beitrag als einen ersten Debattenaufschlag innerhalb der Linken um mal zu klären, wohin man eigentlich will? Weshalb nicht ein alternatives Konzept in die Debatte einbringen und damit die Diskussion vertiefen und bereichern? Marxismus muss die besseren Angebote in der aktuellen Auseinandersetzung einbringen, sonst wird er steril…

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