von Garry Knight from London, England (Jeremy Corbin) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Porzellanregion in Scherben: Was ist los in Stoke-on-Trent?

Neuwahlen in Stoke-on-Trent: während antimigrantische Hetze in den Medien der rassistischen Ukip Partei zu einem Sieg verhelfen könnte, fehlt der Labour-Partei bislang ein antirassistisches Alternativprogramm, und noch einiges mehr.

Labour hat Probleme in Stoke-on-Trent: die rassistische Ukip (UK Independence Party) wird alles tun, um am 23 Februar den Sitz im House Of Commons-Parlament für Stoke Central zu erobern, der seit 1950 von Labour besetzt ist. (Zu den Neuwahlen kam es, weil der bisherige Abgeordnete Tristram Hunt – wahrscheinlich wegen Differenzen mit Labour Leader Jeremy Corbyn – die Partei verlassen hat, um einen lukrativen Posten als Direktor des Londoner Victoria and Albert Museum anzunehmen. -AdÜ) . Viele befürchten, dass Ukip sehr gut abschneiden wird, vielleicht sogar die Wahl gewinnt. Antirassistische Aktivisten versuchen mit aller Macht, Ukip aufzuhalten. Am vergangenen Sonntag verteilten sie Flyer, am darauffolgenden Montag demonstrierten sie bei einer Wahlveranstaltung gegen den Ukip-Kandidaten Paul Nuttall, der zugleich auch Vorsitzender seiner Partei ist, und seinen ebenfalls anwesenden Vorgänger Nigel Farage.
Labour kämpft um den Erhalt des Postens, und konzentriert sich dabei vor allem auf die Verteidigung der staatlichen Gesundheitsbehörde NHS (National Health Service). Nuttall hatte in einem inzwischen gelöschten Blogeintrag die Privatisierung der NHS gefordert: „Ich gratuliere der Koalition dafür, dass sie ein wenig Privatisierung in die überlastete NHS eingebracht hat“.

Nuttall hofft, angesichts der antimigrantischen Stimmung im Land und dem hohen Anteil von Brexit-Befürwortern in Stoke, dass seine Partei Labour als „die patriotische Stimme der arbeitenden Bevölkerung“ ablösen wird. Es ist gut möglich, dass sich dieser antimigrantische Rassismus auch in Stoke zeigen wird – und dass Ukip davon profitiert. 2009 hatte die rechtsextreme British National Party (BNP) mit ähnlich rassistischer Rhetorik neun Sitze im Stadtrat gewonnen. Tatsächlich gibt es einige, die sich von der herrschenden Klasse einreden lassen, dass die Einwanderer für die Probleme der Region verantwortlich seien.

Allgegenwärtiger Rassismus?

Andrew ist einer von ihnen – und er denkt, dass Ukip gute Aussichten auf einen Sieg hat:

„Dies ist eine Arbeitergegend, und ich glaube, dass sich die öffentliche Meinung geändert hat. Das grösste Problem ist, man geht durch die Stadt und sieht kaum noch Menschen von hier. Vielen gefällt es nicht, dass wir so viele Zuwanderer haben.“

Jason Hill, Labour-Mitglied und Antirassismusaktivist, engagiert sich in der North Staffordshire Campaign Against Racism And Fascism (Norscarf) gegen Ukip. Er sagt: „I denke, Ukip ist gefährlich. Wir wären nicht da draussen im Widerstand, wenn es nicht so wäre. Stoke ist einer der Wahlkreise, in dem die BNP vor einigen Jahren starken Zulauf hatte. Antimigrantische Rhetorik gibt es hier also schon länger.“

Viele Politiker – ob Labour oder Ukip – und ein Grossteil der Medien stellen Stoke als einen Ort dar, an dem wirklich alle etwas gegen Einwanderer haben. Doch auf den Strassen von Hanley (eine Stadt im Bereich Stoke-on-Trent Central) zeigt sich ein differenzierteres Bild. Labour-Ratsmiglied Michelle sagte im Gespräch mit Socialist Worker: „Einwanderung ist nicht das Problem — und Stimmungsmache gegen Migranten sollte nicht das Ziel der Labour Party sein. Das Problem ist, dass uns die Mittel fehlen. Ich arbeite in der Lokalpolitik, und wir haben einfach zu wenig Geld.“ Carlos, auch aus Stoke, sagte uns „Ich finde nicht, dass die Zuwanderer das Problem sind. Ich sehe unser Problem in den Kürzungen bei den Stadtfinanzen. Sie verkaufen unseren Wohnraum für wenig Geld an Privatpersonen, wie soll die Stadt dann an Einnahmen kommen? Es geht ihnen nur um schnellen Gewinn. Wie können die Migranten das Problem sein? Wenn sie für geringere Löhne arbeiten, liegt das Problem dann nicht bei den Arbeitgebern? Es ist falsch zu sagen, das sie es sind, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen.“

Der Ausstieg aus der EU wird allgemein als Kritik an der Einwanderungspolitik erklärt. Aber nicht alle, die für ‚Leave‘ gestimmt haben, sind Rassisten. Mark McEvoy lebt in Stoke und hat für ‚Leave‘ gestimmt. Doch ihm ging es nicht um Immigration — er war einfach der Meinung, das System funktioniert nicht. „Die Leute denken, wer für den Brexit ist, ist gegen Migranten,” sagte er uns. “Aber das eine hat mit dem Anderen nichts zu tun. Wenn es einem schlecht geht, dann geht es einem schlecht. Die EU-Gesetze sind einfach Schrott. All diese dummen Verordnungen saugen unserer Wirtschaft das Blut aus, das ist das Problem in diesem Land.“

Arbeitslosigkeit und Armut

Um herauszufinden, was hinter Labours Schwierigkeiten in Stoke steckt, müssen wir uns erst einmal fragen, was der wirkliche Grund für die vielen ‚Leave‘-Wähler in der Region ist. Nach Erkenntnissen der Resolution Foundation wurde vor allem in Gegenden mit hohem Arbeitslosenanteil für den Brexit gestimmt und Stoke-on-Trent Central hat mit den höchsten Arbeitslosenanteil in Grossbritannien.

Andrew, er ist um die 50, hat vor ein paar Jahren seine Arbeit verloren und muss jetzt zwei Teilzeitjobs machen. Arbeitslosigkeit ist ihm ein wichtiges Anliegen — und er glaubt nicht, dass Ukip da etwas ändern wird. „Wir brauchen Arbeitsplätze in der Region — wir haben alles verloren. Wir haben den Stahl verloren, wir haben die Kohlenminen verloren, all die Keramikmanufakturen sind ins Ausland abgewandert. (Die Gegend um Stoke-on-Trent war traditionell für ihre Keramikerzeugnisse bekannt, die Region wird auch ‚The Potteries‘, ‚Die Töpfereien‘, genannt, AdÜ) Meine grösste Sorge ist, dass es, falls Ukip gewählt wird, in der Region gar keine Investitionen mehr geben wird. Wir werden eine Geisterstadt werden. Es ist schrecklich, was gerade geschieht.“

Ukip würde die Arbeitslosigkeit nur zu gerne mit Migranten in Verbindung bringen. Doch abgesehen von der Tatsache, dass bislang noch keine einzige Studie einen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Einwanderung feststellen konnte, ist der Migrantenanteil von Stoke nicht höher als in vielen anderen Städten. Viele haben aus Protest gegen das Establishment für den Brexit gestimmt. Und Labour musste in Stoke als Teil dieses Establishments einige Schläge einstecken. Andrew fühlt sich von Labour nicht einfach nur ignoriert oder im Stich gelassen. „Ich fühle mich verraten,“ sagt er. Die Situation in Stoke ist zweifellos verfahren und kompliziert. Es ist schwer zu sagen, wohin die Wähler gehen werden. Einige, wie Andrew, Mark und Helena werden ohne grossen Enthusiasmus für Labour stimmen.

Protest gegen Sozialabbau und Rassismus?

Protest gegen Kürzungen – (Bild Socialist Worker)

Andere, wie Haroon, werden vielleicht gar nicht mehr wählen. „Normalerweise gehe ich wählen, aber heutzutage ist das System kaputt,“ sagte er uns. „Ich stimme mit keinem von denen überein. Ich habe immer für Labour gestimmt, aber ehrlich gesagt sind die wie alle anderen.“Die reale Gefahr ist, dass noch viele mehr sich zu Ukip hingezogen fühlen. Diese Kombination aus Frust, Gleichgültigkeit und Rassismus ist genau das toxische Millieu, in dem Ukip sich wohlfühlt. Die Labour-Partei kann nur gedeihen, wenn sie eine positive Alternative anbieten kann, die bei der Arbeiterklasse Resonanz findet und die Migrationsmythen widerlegt. Es ist richtig, die Erhaltung der NHS zu thematisieren, doch ohne eine klare Position gegen Rassismus wird sie keinen Erfolg haben. Die Wähler könnten leicht dazu verleitet werden, den Ursprung für die Krise der NHS im ‚Gesundheitstourismus‘ oder der ‚Unzahl von Migranten‘ zu sehen. Verteidigung der NHS, Verteidigung der Migrantenrechte, klassenkämpferische Inhalte wie der Mindestlohn von 10 Pfund, und ein Brexit, von dem die Arbeiterklasse etwas hat: all diese Inhalte gehören zusammen. Und doch ist Labour im offiziellen Wahlkampf bislang überhaupt nicht auf den Rassismus von Ukip eingegangen.

Wenn Labour MPs sich gegen das Recht der Arbeiter aussprechen, sich frei in Europa zu bewegen, geben sie den Lügen Raum, von denen Ukip lebt. Jeremy Corbyn wurde zum Parteivorsitzenden, indem er sich radikal von der Politik des Establishments lossagte. Labour braucht für Stoke ein klassenbewusstes and antirasisstisches Programm. Deshalb ist es so wichtig, dass Norscarf und andere Gruppen wie zB Stand Up To Racism, weiterhin Ukips Rasissmus öffentlich machen. Eine ähnliche antifaschistische Kampagne konnte vor einigen Jahren schon die BNP erfolgreich aus der Lokalpolitik vertreiben. Ein Sieg für Ukip am 23 Februar in Stoke könnte eine bedrohliche Realität werden, umgekehrt wäre aber eine Niederlage ihres Vorsitzenden ein schwerer ideologischer Rückschlag.

Allgegenwärtige Kürzungspolitik

Der Stadrat von Stoke, bis 2015 fest in Labour-Hand, hat die Kürzungen der Tory-Regierung mitgetragen. Stoke-on-Trent Centrals MP — der gutbürgerliche Tristram Hunt, dessen Rücktritt der Auslöser für die Zwischenwahlen ist — hat nicht den Eindruck vermittelt, dass er viel dagegen getan hätte. Als Labour die Mehrheit verlor, ergriff eine Koalition von Ukip und Tories, angeführt von den „City Independents,“ die Macht. Die Independents entstanden als eine Alternative zu Labour, vereinen aber verschiedenste Strömungen. Sie unterstützen Nuttall zwar nicht, doch obwohl die Führung aus Ex-Labour Mitgliedern besteht, gibt es in ihren Reihen auch vormalige Ukip und BNP Mitglieder – und sie haben die strenge Sparpolitik weiter fortgesetzt. Als Teil der geplanten Kürzungen soll eine Million Pfund bei Stokes Children’s Centres (Eine Einrichtung, die zB Familienberatung, Kindertagesstätten und Jugendarbeit anbietet -AdÜ) eingespart werden, indem 61 Arbeitsstellen gestrichen werden – als Resultat werden soziale Angebote wegfallen und Einrichtungen geschlossen werden. Dies ist ein weiterer Angriff auf die Arbeiterklasse in Stoke; Eltern und Ehrenamtler protestierten im Januar gegen die Sparpläne.

Labour Staträte, darunter Lokalvorstand Mohammed Pervez, beteiligten sich an den Protesten. Er sagte Socialist Worker, dass Labour in seiner Amtszeit „Kinderzentren verteidigt“ hätte. Gleichzeitig räumte er ein, dass Labour den Vorsitz im Stadtrat unter Anderem aufgrund der „Kürzungen von 130 Millionen Pfund, die die Tory-Regierung beschlossen hatte. Das wurde uns aufgezwungen. Wir hatten keine Wahl“ sagte Pervez. „Wenn wir diese schwierigen Entscheidungen nicht getroffen hätten, wäre die Stadt bankrott gegangen.“ Mark McEvoy hat für solche Aussagen kein Verständnis. „Als Labour noch die Mehrheit hatte, wollten sie die Kinderzentren schliessen, und es waren die Tories, die sich dagegen gestellt haben“ so Mark. „Aber sobald die Tories und die Independents gewählt wurden, war das mit das Erste, was sie getan haben. Egal für wen man stimmt, es ist immer dasselbe.“

Helena, die ehrenamtlich in einem Kinderzentrum arbeitet, sagt: „Man bemerkt im ganzen Land eine Veränderung. Die Menschen haben genug davon, dass nie wirklich etwas getan wir.“ Für Helena liegt das eigentliche Problem darin, dass kein einziger Abgeordneter – nicht einmal der von ihr gewählte Tristram Hunt – an den Problemen der einfachen Leute Interesse zeigt.

Der Artikel erschien im Socialist Worker und wurde von Hannes Busch aus dem Englischen übersetzt.

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