Österreichs Neo-Kanzler Christian Kern will die „Asyl-Sonderverordnung“ bereits Anfang September mit dem Koalitionspartner ÖVP umsetzen und Flüchtlinge direkt an der Grenze abweisen. Helfen wird das vor allem dem blauen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer.
Vor fast genau einem Jahr, am 27. August 2015, entdeckten Polizisten auf der Autobahn A4 bei Parndorf 71 tote Flüchtlinge in einem Kühllaster. Die Tragödie holte letztlich auch die Politik ein – zu einem Zeitpunkt, als sich bereits hunderttausende Menschen freiwillig in der Flüchtlingshilfe engagierten und tausende Schutzsuchende begannen, die Mauern der „Festung Europa“ einzureißen. Die österreichische Regierung wich dem Druck aus und öffnete die Grenzen.
Tausende Solidarische helfen heute noch immer in den unzähligen Asylunterkünften, bieten Sprachkurse an und gestalten Freizeitprogramme für Asylwerber_innen. Allerdings hat die Regierung eine Kehrtwende gemacht. Keine der beiden Regierungsparteien hat dem Druck von rechts etwas entgegenzusetzen.
Die rot-schwarze Koalition ließ die ersten Menschen mit Hercules-Militärflugzeugen deportieren und setzte damit eine ewige FPÖ-Forderung um. ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz preschte mit dem Vorschlag vor, Internierungslager nach australischem Modell im Mittelmeer zu errichten. Jetzt will der neue Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), der von nicht wenigen Linken viele Vorschusslorbeeren erntete, Obergrenzen für Zuwanderung mittels „Notverordnung“ bereits Anfang Septemberumsetzen und Massenabschiebungen nach Ungarn ermöglichen.
Syrische Hölle
Kern und den Machthabern in der Europäischen Union (EU) geht es darum, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten – Menschen, die allen Grund zur Flucht haben. Weltweit sind nach dem Bericht „Global Trends for displacement in 2015“ der Flüchtlingsorganisation UNHCR 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht. Der syrische Bürgerkrieg ist die Hauptursache für Flucht und Vertreibung aus dem Nahen Osten und Nordafrika: 4,9 Millionen wurden zu Heimatlosen innerhalb Syriens und 6,6 Millionen Menschen mussten das Land verlassen.
Schon bei den ersten Protesten griff das Regime von Bashar al-Assad zu einer besonders perfiden Methode: Die Sicherheitskräfte schossen mit scharfer Munition in die Menge, dann entführte die gefürchtete Geheimpolizei die Verwundeten aus den Spitälern, erschoss sie oftmals sofort und folterte Angehörige. Robin Yassin-Kassab und Leila Al Shami dokumentieren in ihrem Buch „Burning Country“, dass das Regime seine Luft- und Raketenangriffe auf die Infrastruktur der befreiten Zonen konzentrierte: auf Schulen, Märkte, Krankenhäuser, Wohnhäuser und öffentlichen Plätzen.
In Flucht getrieben
Im August 2013 verübte das syrische Militär auf Ghouta, einen großen Vorort östlich von Damaskus, eine koordinierte Serie von Giftgasangriffen mit Sarin. US-Präsident Barack Obama, der noch kurz zuvor gedroht hatte, dass der Einsatz von Giftgas das Überschreiten einer „roten Linie“ bedeuten würde, hatte angekündigte Maßnahmen ausbleiben lassen. Damit hat die riesige Fluchtwelle begonnen, da die Bevölkerung einsehen musste, dass sie im Kampf gegen Assad völlig allein gelassen wurde, während das Regime Unterstützung von Russland, Iran und der Hisbollah bekam. Ohne diesen Beistand hätte das Regime vielleicht schon 2014 den Kampf gegen die Aufständischen verloren.
In das Vakuum, das Assads Bomben in den befreiten Zonen geschaffen haben, konnte sich der „Islamische Staat“ (IS) etablieren. Offiziell bekämpfte eine von den USA-geführte Allianz mit den Golfstaaten den IS. Tatsächlich bombardierten sie fast immer andere islamistische Milizen und die Truppen der Freien Syrischen Armee (FSA), die gegen IS und die Truppen des Regimes kämpfen – ein wichtiger Faktor, warum viele Menschen jede Hoffnung verloren und die Flucht ergriffen haben. Die meisten Flüchtlinge erzählen, dass die Unmöglichkeit ihren Kindern eine Chance auf Bildung und ein Leben in Sicherheit zu bieten, sie zur Flucht trieben.
Rassismus der Mitte
Die Türkei nimmt mit 2,5 Millionen Menschen die meisten syrischen Flüchtlinge auf, gefolgt vom Libanon mit 1,1 Millionen und Jordanien mit 600.000 Schutzsuchenden. Nur drei Prozent aller syrischen Flüchtlinge (170.000 Menschen) schafften es in die größeren europäischen Länder Deutschland und Schweden. Ende Juni saßen 57.000 Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern in Griechenland fest, das dank der eisernen Faust der EU-Sparpolitik kaum Aussicht auf eine Zukunft in Würde bieten kann.
Wir sollten uns keinen Sand in die Augen streuen lassen und weiterhin für die Rechte von Flüchtlingen streiten, Kerns Vorstöße zurückweisen und die FPÖ bekämpfen.
Dieser Artikel von Davon Albrich erschien zunächst auf linkswende.org.