Greta Thunberg: "Germany is really embarrassing itself right now."

No Future For Migrants with Fridays For Future

Richtig stolz ist Fridays for Future auf Deutschland. Auf dieses Wahnsinns Turn-Out am vergangenen Sonntag, den 21. Januar 2024, auf der Anti-AfD-Demonstration vor dem deutschen Bundestag. 350.000 Menschen seien zusammengekommen, um gegen die AfD zu demonstrieren, verkünden sie. Ganz betrunken vor stolz brüllen sie ihren entschiedenen Widerstand gegen den Faschismus immer wieder durch ihre Lautsprecher und Megaphone. Der helle Wahnsinn sei das, so wunderschön sei das, dieses bunte, vereinte Deutschland. Alle, zusammen, gegen den Faschismus. Und noch einmal: Alle, zusammen, gegen den Faschismus! „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ lassen sie die Menge rufen.

Und weil’s doch so schön war, diese Gemeinschaftlichkeit, legen sie noch einen drauf. Sie haben sich nämlich heute etwas ganz besonders ausgedacht. Sie waren richtig kreativ, im Vorlauf zu dieser wundervollen, antirassistisch-antifaschistischen Demonstration. Ein völkisches Kinderlied haben sie umgedichtet, für diesen Volksaufstand gegen den Faschismus. Ein Lied, das ausschließlich weiße, deutsche Teilnehmer*innen kennen dürften. Aber das ist ja in Ordnung. Schließlich waren ja auch hauptsächlich weiße, deutsche Demonstrant*innen vor Ort. Das Volkslied „Hajo, spann den Wagen an“, offen gestanden weder massen- noch demonstrationstauglich, dichteten sie um in „Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden, wehrt euch.“

Protest: Viel zu spät

Dieser Moment ist schon etwas peinlich, verdeutlicht er doch, wie aus der Zeit gegriffen, gestrig, wie Deutschland – mal wieder – viel zu spät gemeinsam gegen den Faschismus auf die Straße zieht. Was während der Anti-Atom-Kraft Bewegung in einer Prä-Migrationsgesellschaft vielleicht noch funktioniert haben mag, klingt heute altbacken. Kaum jemand der hauptsächlich weißen Teilnehmenden singt mit. Aber sie sind trotzdem schon irgendwie stolz auf sich, auf diesen Moment der Nostalgie. Auf dieses deutsche Volkslied aus Kindertagen. Darauf, dass sie am heutigen Tag so mutig, so vereint, so entschieden völkische Kinderlieder trällernd gegen die Abschiebepläne und Ausgrenzungsphantasien der AfD vor dem Bundestag protestieren. Es wäre niedlich, wenn es nicht so abstrus wäre.

Die Organisator*innen der Demo, allen voran Fridays for Future, sind so stolz auf ihren Mobilisierungserfolg gegen den Faschismus hier im Land, dass sie ganz vergessen haben, auf den massiven, strukturellen und gesellschaftlichen Rechtsruck hinzuweisen, der sich über die letzten drei Monate in der deutschen Gesellschaft ausgebreitet und weitgehend verselbstständigt hat. Auch der weitgehend salonfähige Rassismus, der sich durch die Politik der regierenden Ampel-Koalition, Polizeibehörden und sämtliche Institutionen hindurchzieht, wird nur minimal thematisiert, geschweige denn problematisiert. Der vorrangig anti-arabische Hass, dem sich palästinensische, arabische und muslimische, POC, BPOC und Sinntize und Romanji, migrantisierte und rassifizierte Menschen seit Anfang Oktober 2023 zunehmend verselbstständigendem, erschreckendem Ausmaß ausgesetzt sehen, findet keine Erwähnung. Aber er schlägt sich dennoch um so wuchtiger Bahnen, in Taten, mitten auf der Demonstration gegen jeden Rassismus und den Faschismus der AfD.

Antiarabischer Rassismus

Warte, nein, sie haben es überhaupt nicht einfach vergessen. Fridays for Future Deutschland möchte davon aktiv nichts wissen. Deswegen hat sich die deutsche Fridays-for-Future-Delegation auch von Gretha Thunberg und Fridays for Future International distanziert. Schließlich ist Deutschland ganz entschieden solidarisch mit Israel. Auch die AfD ist solidarisch mit Israel. Natürlich ist auch Fridays For Future solidarisch mit Israel. Wenn also palästinensische Aktivist*innen mit Palästina-Flaggen und Kufiye dem Aufruf zu einer antifaschistischen Demonstration folgen, um gegen einen Genozid zu demonstrieren, der den Kulminationspunkt rassistischer Entmenschlichung darstellt, werden sie von deutschen, weißen Antifaschist*innen angegriffen, als fehl am Platz und nicht zugehörig adressiert.

Das habe mit diesem Thema nichts zu tun, heißt es dann. Sie störten nur, heißt es dann. Dabei machen die palästinensischen Aktivist*innen nichts weiter, als ihr grundgesetzliches Recht auf Meinungsfreiheit zu nutzen. Sie verbalisieren ihre Wut gegen eine Regierung, die von der regierenden Ampel aktiv unterstützt und vor internationalen Strafgerichtsprozessen verteidigt wird. Eine Regierung, deren regierende Koalition im Kern ihrer Ideologie der Ideologie der AfD in jederlei Hinsicht das Wasser reichen kann. An der sich die AfD sogar ein Vorbild für eine militarisierte, ethnisch rein gewaschene, fein separierte, weiße Gesellschaft nimmt.

Bereits auf dem Weg zur Demonstration vor dem Bundestag werden mehrere Aktivist*innen des Palästina-solidarischen Blocks, ausgestattet mit Palästina-Flaggen, Kufiye und Schildern, von anderen Teilnehmenden der Anti-AfD-Demonstration noch vor Beginn der Demo ausdrücklich von der antirassistischen Demonstration ausgeladen: „Ihr habt dort nichts verloren! Ihr gehört nicht zu einem Anti-AfD-Protest! Terroristen! Hamas-Anhänger! Mörder!“ Sie weisen die rassifizierten und migrantisierten Aktivist*innen, die weitgehend in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, dass sie nicht zu Deutschland gehörten, dass sie raus aus Deutschland sollten. Einer dieser, in Deutschland aufgewachsenen Aktivisten erzählt mir, er und seine Freunde und Verwandten seien von Demoteilnehmenden geschubst, getreten, angeschrien und teilweise sogar bespuckt worden. Sie lassen sich nicht von der Teilnahme abhalten. Als sie sich gemeinsam, als Block, bei der Kundgebung vor dem Demonstrationsmarsch in die Menge der Teilnehmenden stellen, werden sie von mehreren Teilnehmer*innen angefeindet, sie nähern sich wiederholt dem Block. Sie wollen den Palästina-Block nicht dabeihaben.

Die Palästina-solidarischen Aktivist*innen sollen sich verpissen, heißt es. Sie hätten hier nichts zu suchen, heißt es. Sie gehörten nicht zur Demonstration, sie gehörten nicht zu Deutschland. Teilweise werden die arabisch gelesenen Aktivist*innen sogar physisch angegriffen. Ein älterer Herr schreckt nicht davor zurück, eine arabisch-gelesene Frau regelrecht zu schubsen und schütteln. Die Ordner*innen auf der Demo, deren Aufgabe es ist, bei Konflikten und Unruhe unter Teilnehmenden einzuschreiten und mediativ zu intervenieren, sind von den Übergriffen auf migrantisierte Teilnehmende offensichtlich überfordert. Teilweise versuchen sie zu vermitteln, teilweise ignorieren sie die Übergriffe einfach. Die gesamte Gemengelage übersteigt offenbar den klar abgesteckten Rahmen der kognitiven Dissonanz weißer, deutscher linker Aktivist*innen, die teilweise verstohlen und ratlos zuschauen, sich größtenteils aber einfach wegdrehen. Sie wollen zuhören, wie die Redner*innen „alle, zusammen, gegen den Faschismus“ aufrufen. Ohren zu, Augen zu, schweigen und ignorieren. Das hat sich seit jeher bewährt. Das hat in Deutschland in prekären Situationen schon immer am meisten geholfen. Den weiß-gelesenen Deutschen, zumindest.

Alle gegen den Faschismus und gegen Palästinasolidarität

Während also „alle, zusammen, gegen den Faschismus“ brüllen, nähern sich Polizeibeamte unkommentiert von umstehenden, deutschen Antifaschist:innen dem Palästina-Block. Von hinten, von vorne, von der Seite. In geschlossenen Trupps schneiden sie eine Schere mitten durch den Block und teilen den Aktivist*innen und Ordner:innen mit, man übernehme jetzt die Situation. Die teils überforderten Ordner:innen wiederum weisen die Polizei darauf hin, dass sie dafür zuständig seien, für die Sicherheit auf der Demonstration zu sorgen. Auch sie werden von der Polizei ignoriert.

Der Demonstrationsmarsch beginnt. Allerdings werden die Teilnehmenden des Pro-Palästina-Blocks davon abgehalten, sich der Demo anzuschließen. Polizeibeamte haben sich an die Fersen der Aktivist*innen geheftet. Sie umkreisen sie, stellen sich vor ihnen in einer Reihe auf und hindern sie am Vorankommen. Die Aktivist*innen arbeiten sich bis zur Brücke hinter dem Bundestag über der Spree vor. Hier verstellt ein Einsatzwagen der Polizei den Palästina-solidarischen Aktivist*innen den Weg. Es heißt, die Brücke sei zu voll. Die Brücke war menschenleer. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein Zweifel daran, dass die Polizei nicht möchte, dass sich der Palästina-Block an der Demonstration gegen den Faschismus der israelsolidarischen AfD beteiligt. Auch die machtlosen Ordner*innen der Demonstration bestätigen dies. Die Aktivist*innen weichen dem Einsatzwagen aus, und stolpern eine enge, vereiste und rutschige Treppe, die zur Spree runter führt, entlang. Die Polizei rennt den Aktivist*innen hinterher, überholt sie. Kesselt sie von vorne ein. Hindert sie daran weiterzulaufen, und den Demonstrationszug einzuhalten. Es ist dunkel, es ist glatt. Die Situation ist nicht ungefährlich, auf Glatteis direkt am Ufer der Spree entlang.

Entsolidarisierung

In Hör- und Sichtweite marschieren die weißen, deutschen Demonstrant*innen am eingekesselten Palästina-Block vorbei. Sie schauen verstohlen zu der von Polizisten eingekesselten Menge rüber. Laufen weiter, wollen den Anschluss nicht verlieren. Am Ende ist es offiziell: Fridays For Future hat auf einer Demo gegen Rassismus die in Deutschland am meisten ausgegrenzte, kontinuierlich zum Schweigen gebrachte und von Rassismus, Repression und Diskriminierung betroffene Diaspora-Community und deren Mitstreiter*innen einfach links liegen gelassen und der Polizei ausgeliefert. Um ungestört, alle, zusammen, gegen den Faschismus demonstrieren zu können. Sie haben nicht gewartet, sie haben sich nicht für die weitgehend arabisch und muslimisch gelesenen Aktivist*:innen eingesetzt und sich nicht vor den übergriffigen Polizisten dafür eingesetzt, an der Demonstration teilzunehmen.

Folglich sehen sich Teilnehmende des Palästina-Blocks also gezwungen, eine eigene Demonstration spontan anzumelden, um sich aus der Einkesselung der Polizei zu befreien. Geht nun mal nicht anders. Deutsche, antifaschistische Linke möchten nun mal doch nicht alle, zusammen, gegen den Faschismus auf die Straße gehen. Manche sollen bitte alleine, verlassen, gegen den virulenten Faschismus demonstrieren. Mittlerweile fragt sich, gegen welchen Faschismus sie hier eigentlich demonstrieren? Die mittlerweile großzügig genehmigte Palästina-gegen-die-AfD-Demo darf weiterziehen, bis zur Friedrichsstraße. Flankiert von der Polizei. Teilnehmende werden rassistisch von Passant*innen angegriffen. Die Polizei, der Freund und Helfer, interveniert, und unterstützt die rassistischen Passant*innen. Wenigstens darauf ist Verlass.

Aber wir wollen auch das Gute im Schlechten sehen. Hauptsache ist doch, die Organisator*innen von Fridays for Future können ihren Mobilisierungserfolg auf Social Media feiern. Das waren nämlich so viele Menschen, auf der Demonstration, twittern sie später auf Instagram und X-Twitter. So viele, dass die Polizei ganz überfordert gewesen und wohl teilweise ein bisschen unverhältnismäßig gehandelt habe: „Manche Gruppen wurden daran gehindert, an der Demonstration teilzunehmen, obwohl wir Veranstalter:innen anderes abgesprochen hatten“. Das nicht „manche Gruppen“, sondern eine einzige an der Teilnahme gehindert wurde: überflüssiges Detail. Die eine Gruppe unter „manchen Gruppen“ wird auch nicht näher benannt. Nach wie vor Schweigen über Palästina.

Deswegen wird die Kommentarfunktion der Kommentarspalten, die näher auf die Charakteristika der Gruppe eingehen, und den darin offenbarten Rassismus von Fridays for Future im Umgang mit „manchen Gruppen“ offenlegen, auch auf Weiteres direkt gesperrt. In Deutschland schweigt man über Palästina. Kein Wort darüber, dass „manche Gruppen“ laut Ordner*innen und Polizei genau eine Gruppe von Menschen meint. Eine Gruppe von Menschen, die schon seit Monaten, mitunter auch von Luisa Neubauer, dem Gesicht von Fridays for Future Deutschland, aktiv ausgecancelt wurde. Eine Gruppe, die ganz oben auf der Liste der Deportationspläne der AfD stehen würde, gegen die heute Abend vor dem Bundestag demonstriert wurde. Eine Gruppe, die unter der Politik der regierenden Ampel-Koalition bereits von Abschiebung bedroht wird und die vorderste Zielscheibe des anti-arabischen Rassismus der deutschen Gesellschaft darstellt.

Und die AfD ist noch nicht einmal an der Regierung. Eines ist aber bereits vor der Bundestagswahl mehr als deutlich geworden: Wer Fridays for Future als Freunde hat, braucht keine Nazis mehr!

Ein Artikel von Emily Weingarten, Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost

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2 Antworten

  1. Liebe Emily Weingarten,

    Ihr Artikel hat mich erschüttert bis in den Knochenmark. Ich muß heulen!
    Danke für den präzise auf den Punkt gebrachten Kommentar!!

    Als ich von dieser Demo erfahren habe, hatte ich gemischte Gefühle, die ich selbst nicht verstehen konnte.
    Ich bin doch gegen Faschismus, hab selbst noch Sprüche gegen AfD auf meinen Transpis geschrieben. Und doch war es mir nicht danach, sich dieser Demo anzuschließen. Hinterher war ich froh, auf mein Bauchgefühl zu hören. Froh, mehrere kritische Artikeln zu finden, denen ich zustimmen konnte. Aber erst aus Ihrem Artikel hab ich erfahren, wie schlimm es wirklich war und ist. Danke nochmal!

    Ich befürchte sehr dunkle Zeiten für uns. Wir bleiben aber standhaft, wie schon immer in der Geschichte.
    Ich wünsche Ihnen viel Kraft!

    Liebe Grüße
    Beata Pląskowska

  2. Sehr geehrte Frau Weingarten,
    ich war in Berlin nicht dabei, aber ich bezweifle aus gutem Grund, dass auf den aktuellen Anti-AfD-Demos vor allem „Linke“ und Klimaschützer unterwegs waren und sind. Es sei denn, Sie zählten bürgerlich Liberale schon zu den Linken.

    Das von Ihnen beanstandete Lied gehört zum traditionellen Repertoire der 70er und 80er Jahre. Ob es nun um AKWs, Atomraketen oder Berufsverbote ging. Immer wurde „Wehrt Euch, leistet Widerstand…Schließt Euch fest zusammen!“ gesungen. Und daran haben sich die Älteren halt erinnert:-). Im Übrigen hätte man damals in so einer Situation nicht von Barrikaden gesungen, sondern „Haut sie fest zusammen!“. Aber heute sind Demonstranten(m/w/d/s) nun mal friedlicher:-).

    Ich möchte Sie auch bitten, zwischen Rassismus und falsch verstandener „Israel-Solidartät“ zu unterscheiden. Wir haben in Deutschland eine von interessierter Seite aufgehetzte Öffentlichkeit, weit in ansonsten antirassistische Kreise hinein(!), die jegliche ernsthafte Kritik an der Besatzungs- und Siedlungs-Politik des israelischen Staates nach Möglichkeit im Ansatz bekämpft.

    Weil Sie auf diese Differenzierung verzichten, geht Ihr wichtigstes Argument in Ihrem Beitrag fast unter: Die Grundsätze der Politik des israelischen Staates entsprechen eher den Vorstellungen der AfD als den von den Demonstranten propagierten Idealen. Das kann man nicht laut genug betonen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Wilfried Schollenberger

    PS: Seit wann ist Ihre Web-Site eigentlich offline?

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