Neue Allianz für einen Systemwechsel

DIE LINKE darf sich nicht vor der Diskussion um eine Regierungsbeteiligung drücken, denn die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler sind hoch. Doch für den dringend notwendigen sozialen und ökologischen Richtungswechsel braucht es mehr als rechnerische Mehrheiten in Meinungsumfragen.

Woche für Woche erstellen verschiedene Institute mittels der Sonntagsfrage („Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, …“) repräsentative Umfrage zur Parteienpräferenz der Bevölkerung in Deutschland. Nur in einer einzigen Umfrage eines einzigen Meinungsforschungsinstituts kamen Grüne, SPD und DIE LINKE in diesem Jahr zusammen auf die Hälfte der Stimmen: Am 29. Februar 2020 ermittelte Forsa, dass 24 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Grünen, 16 Prozent für die SPD und 10 Prozent für DIE LINKE stimmen würden.

Trotz dieser ernüchternden arithmetischen Ausgangssituation muss sich DIE LINKE mit der Frage nach einer Beteiligung an einer Koalitionsregierung im Bund befassen. Die Wählerinnen und Wähler erwarten von einer linken Partei, dass sie konkrete Veränderungen herbeiführt und zu diesem Zweck dort, wo es möglich ist, auch regiert, um ihre Kernprojekte durchzusetzen. Der soziale und ökologische Systemwechsel ist eines dieser Projekte.

Der Plan eines sozialen und ökologischen Systemwechsels bietet das Potential, bereits in der Gesellschaft vorhandene politische Ansätze, Traditionen und Bewegungen miteinander zu verbinden. Er knüpft an bestehende Auseinandersetzungen und Kämpfe an und bündelt Kräfte. Sozialistische Transformation kann entstehen, wenn Menschen beginnen, für ihre Interessen gemeinsam einzustehen und dafür zu kämpfen. Denn man darf darauf vertrauen, dass sie nach weitergehenden und grundsätzlichen Lösungen suchen werden, zumindest dafür offen sind. Der soziale und ökologische Systemwechsel ist eine attraktive Perspektive für diesen Suchprozess.

Nun bemängelt zwar manche und mancher, es handele sich dabei zu sehr um ein Regierungsprojekt, mangele an Kapitalismuskritik, die Systemfrage werde vernachlässigt. Doch die Systemfrage ist keine rhetorische Angelegenheit. Revolutionäre Prozesse entstehen aus der Praxis der Menschen, in historischen Ausnahmesituationen, aus realen Klassenkämpfen. Nur wenn es gelingt, eine überwältigende Mehrheit der Menschen zu überzeugen, zu begeistern und zu mobilisieren, hat ein erneuerter demokratischer Sozialismus Aussicht auf Erfolg.

Im Staat verdichten sich Kräfteverhältnisse

Die Diskussion in der gesellschaftlichen Linken um den Staat und damit ums Regieren hat eine lange Tradition und ist durch viele Missverständnisse und Illusionen geprägt: Einerseits dass der Staat nur ein neutrales Instrument sei, das es zu erobern gelte. Anderseits dass der Staat nur ein Instrument von Kapital und Konzernen sei. Aber in der Nachkriegszeit konnte die Sozialdemokratie bemerkenswerte Reformen des Sozialstaates durchsetzen, weil die Gewerkschaften stark und die Wachstumsraten hoch waren. Andere sozialstaatliche Reformen, etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder der arbeitsfreie Samstag, wurden durch Streiks gegen den Widerstand von Unternehmerverbänden und Teilen des Staats durchgesetzt. Sie wurden erst tariflich erkämpft und dann in Gesetze gegossen.

Der Staat ist weder neutral noch das Zentrum der Macht. In ihm verdichten sich Kräfteverhältnisse. Die Macht, die sich im Staat verdichtet, liegt ebenso in den Ministerien, bei der Zentralbank, in staatlichen Institutionen, bei Polizei und Militär. Der Staat ist das Feld, auf dem sich vorrangig die Kapitalinteressen organisieren, um Produktions- und Forschungskosten zu drücken und neue Märkte zu erschließen. Auch die Interessen von Beschäftigten und anderer Gruppen werden aufgegriffen, wenn sie sich organisieren. Arbeitszeitverkürzung und gebührenfreie Bildung etwa sind Ergebnisse gesellschaftlicher Kämpfe.

Das Parlament beschließt die Gesetze, ist aber nicht das alleinige Zentrum der Entscheidung. Wer jedoch im Parlament sitzt, ohne die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse mitzudenken und die eigenen Kräfte zu organisieren, wird keine Siege erringen können. Werden allerdings wichtige Forderungen nicht in Gesetze gegossen, kann in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gewonnenes Terrain schnell verloren gehen. Wird die Wirtschaft nicht verändert und ökonomische Macht nicht beschränkt, schlägt sie schnell um in politische Macht.

Für DIE LINKE müssen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse deshalb den Ausgangspunkt in der Diskussion um eine Regierungsbeteiligung bilden. Man stelle sich deshalb für einen Augenblick vor, Grüne, SPD und DIE LINKE berieten in Koalitionsverhandlungen ernsthaft über die Einführung einer Vermögenssteuer. Die gesellschaftliche Mobilisierung der Kapitalverbände, getragen von einer geschlossenen Front von CDU, CSU, FDP und AfD und angefeuert von der Springer-Presse, wäre enorm. Eine linke Regierung wäre in einer solchen Situation angewiesen auf gestärkte Gewerkschaften, Sozialverbände und Bewegungen, die sie solidarisch unterstützen und bei Bedarf auch unter Druck setzen. Auch die Zustimmung durch die Mehrheit der Bevölkerung sowie eine einflussreiche linke Gegenöffentlichkeit wären unabdingbar. Um den dringend notwendigen sozial-ökologischen Systemwechsel voranzubringen, braucht es also eine organisierte Gegenmacht. Schließlich geht es nicht um Spiegelstriche in Koalitionsverträgen, sondern um einen grundlegenden Richtungswechsel.

Kampf um soziale und ökologische Hegemonie

In der aktuellen Verfassung von Grünen und SPD ist nicht zu erwarten, dass mit ihnen ein sozialer und ökologischer Systemwechsel zu realisieren ist. Spätestens seit die rot-grüne Bundesregierung mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer die Agenda 2010 und das Hartz-Regime beschlossen hat, gibt es in Deutschland auch kein linkes Lager der Parteien mehr. DIE LINKE kann sich nicht damit begnügen, ihre politische Bedeutung nur aus der Beteiligung an einer Bundesregierung herleiten oder sich lediglich als Regierungspartei im Wartestand präsentieren. Die einseitige Fokussierung auf die Beteiligung an einer Bundesregierung kann dazu führen, den Aufbau gesellschaftlicher Hegemonie zu vernachlässigen. Aber auch die Ablehnung von Regierungen aus Prinzip führt in die Sackgasse, wenn sie sich auf den Radikalismus der Worte und Programme beschränkt und außerstande ist, Durchsetzungsmacht für konkrete Verbesserungen zu organisieren.

Für DIE LINKE stellt sich die Aufgabe, eine linke, soziale und ökologische Hegemonie in der Gesellschaft zu befördern. Sie muss als treibende Kraft auftreten und gesellschaftliche Auseinandersetzungen für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel voranbringen. In einigen Aspekten gibt es Übereinstimmungen in den Anhängerschaften von Grünen, SPD und DIE LINKE und breite gesellschaftliche Zustimmung, beispielsweise für die Besteuerung der Vermögenden und für  armutsfeste Renten. Mein Ziel ist es, parteiübergreifend und gemeinsam mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften daran zu arbeiten, dass eine gesellschaftliche Allianz für einen sozialen und ökologischen Systemwechsel, für einen linken Green New Deal entsteht. Diese Allianz sollte sich dann auf verbindliche Einstiegsprojekte verständigen, die eine linke Regierung mindestens auf den Weg zu bringen hat, und die Umsetzung dieser Projekte mit Kampagnen begleiten.

Für DIE LINKE gelten selbstverständlich die im Erfurter Programm beschlossenen Haltelinien. An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, werden wir uns nicht beteiligen. Doch damit sollte sich DIE LINKE nicht begnügen. Die Vielfachkrisen des Kapitalismus machen einen grundlegenden sozialen und ökologischen Systemwechsel buchstäblich zur Überlebensfrage. Es geht um einen grundlegenden Richtungswechsel.

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