Die Gelegenheit beim Schopfe packen: Neue linke Mehrheiten für eine sozial-ökonomische Wende

Der Volksmund kennt viele bildhafte Formulierungen, in denen altes Wissen gespeichert ist. Eine davon lautet: Die Gelegenheit beim Schopfe packen. Beim Schopfe packen – dieses Sprachbild geht zurück auf eine Figur aus der Mythologie: Kairos, den griechischen Gott des richtigen Augenblicks. Dieser Gott mit Flügeln hat vorn im Gesicht eine Haarlocke, sein Hinterkopf hingegen ist kahl. Wer also die Gunst der Stunde nutzen möchte, muss im richtigen Moment zupacken. Wer zu lange zögert und infolgedessen zu spät zugreift, bekommt nur den haarlosen Hinterkopf zu fassen, greift also ins Leere.

Warum dieser Ausflug in die griechische Mythologie? Nun, weil die fortschrittlichen Kräfte hierzulande vor der Herausforderung stehen, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und zwar spätestens bei den kommenden Bundestagswahlen. Anders ausgedrückt stehen sie auch vor der Gefahr, den günstigen Augenblick ungenutzt verstreichen zu lassen und am Ende mit leeren Händen dazustehen.

Wahlen ohne Titelverteidigerin

Die kommenden Bundestagswahlen werden die ersten Wahlen seit langem ohne Titelverteidigerin, denn Angela Merkel tritt nicht wieder an. Deshalb wird die entscheidende Mobilisierungsfrage bei diesen Wahlen lauten: Was folgt auf die GroKo? Diese Frage kann sich oberflächlich zuspitzen auf ein personelles Kopf-an-Kopf-Rennen, zum Beispiel Merz oder Habeck beziehungsweise AKK oder Scholz? Oder es gelingt eine Auseinandersetzung darum, welchen Kurs dieses Land einschlagen wird. Drei Entwicklungspfade sind dabei vorstellbar: erstens, autoritärer Kapitalismus, also die Verbindung von Konservativen und völkischer Rechten. Zweitens, ein modernisierter Neoliberalismus mit grünem Anstrich, der die Probleme nicht angeht, auch wenn er frisch daher kommt. Parteipolitisch steht dafür in Frankreich Macron, hierzulande und in Österreich: Schwarz-Grün. Und drittens, eine sozial-ökonomische Wende. Nur eine solche grundlegende Wende kann Krisen wie die Klimakrise, die militärischen Eskalationen, den Rechtsruck und die soziale Spaltung nachhaltig entschärfen. Dies erfordert Druck aus der Gesellschaft, von Bewegungen, Gewerkschaften und letztlich auch Regierungsmehrheiten links der Union. Ich bin überzeugt: Wir müssen den Kampf um neue linke Mehrheiten für eine sozial-ökonomische Wende aufnehmen. Dabei geht es nicht um Macht als Selbstzweck, sondern um einen Pfadwechsel.

Epochenumbruch und New Deal

Aufbruch und Apokalypse liegen heute nahe beieinander. Die Situation, mit der wir konfrontiert sind, lässt sich in ihrem ganzen Ausmaß nur historisch begreifen. „Das Alte liegt im Sterben, das Neue ist noch nicht geboren, es ist die Zeit der Monster“ – mit diesem bekannten, ihm zugeschriebenen Satz[1] hat der linke Theoretiker Antonio Gramsci vor Jahrzehnten schon einmal einen großen Übergang, einen Epochenbruch beschrieben: Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ging es um den Übergang vom Manchester-Kapitalismus zu seiner fordistisch regulierten Variante. Diese gewaltige Transformation brachte Weltkriege hervor, ließ weltweit eine gewaltige Arbeiter*innenbewegung wachsen und führte zu Revolutionen wie in Russland.

Eine „Antwort“ auf die damalige Neuformierung war die Barbarei des deutschen Faschismus, eine andere Antwort dagegen Franklin D. Roosevelts „New Deal“. Damit wurde in den USA der 1930er Jahre auf eine neue sozialpolitische Einbettung des Marktes gesetzt. Angetrieben von sozialen Kämpfen stellte Roosevelts Ansatz das gesellschaftliche Entwicklungsmodell auf neue Füße.

In ihrem neuen Buch „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ beschreibt die Journalistin und Aktivistin Naomi Klein die verblüffenden Folgen von Roosevelts Initiative:

„Im Jahrzehnt des New Deals fanden mehr als 10 Millionen Menschen eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst, ein Großteil der ländlichen Gebiete wurde erstmals ans Stromnetz angeschlossen, hunderttausende Häuser wurden errichtet, 2,3 Millionen Bäume gepflanzt, achthundert neue staatliche Parks geschaffen, und es entstanden im Auftrag der öffentlichen Hand hunderttausende Kunstwerke.“[2]

Diese Tradition zeitgemäß weiterentwickelnd fordern heute verschiedene fortschrittliche Kräfte von US-amerikanischen Demokrat*innen um Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders bis hin zur britischen Labourpartei einen Green New Deal. In diesen Konzepten geht es um einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft, um Investitionen in den Klimaschutz sowie in soziale Sicherheit. Im angelsächsischen Raum beinhaltet der Green New Deal den Bruch mit dem Neoliberalismus, die Stärkung öffentlichen Eigentums sowie die Einbettung der Wirtschaft. Insofern handelt es sich beim Green New Deal um einen weitreichenden Umbau der Wirtschaftsweise. Naomi Klein beschreibt ihn dementsprechend als „Generalüberholung des Betriebssystems“.[3] Im Deutschen hingegen klingt der Begriff „Deal“ in vielen Ohren eher nach einem harmlosen Kompromiss, ja nach einer Art Mauschelei. Diese sprachliche Assoziation wird dem Inhalt der Konzepte von Ocasio-Cortez und Labour wahrlich nicht gerecht. Aber ich nehme dieses sprachliche Vermittlungsproblem ernst und spreche deshalb von der sozial-ökonomischen Wende, um das Zukunftsprojekt zu beschreiben.

Das Richtige nicht nur wollen, sondern auch umsetzen wollen.

Linke legen Wert auf eine klare Haltung. Und ohne einen moralischen Kompass gibt es in der Tat keine gute linke Politik. Wer immer nur versucht, medial anschlussfähig zu sein, kann schnell den gesellschaftlichen Anschluss verpassen. Zugleich reicht es längst nicht mehr aus, wenn Linke nur benennen, was ist beziehungsweise was falsch läuft. Eine Linke auf der Höhe dieser Zeit muss mehr denn je im Marxschen Sinne „Kritik im Handgemenge“ leisten. Sie muss mehr wollen, als das Richtige zu sagen – sie muss es auch umsetzen wollen. Sie muss Regierung wagen.

Kipppunkte

Die Zeit drängt, nicht nur in der Klimafrage. Mehrere gesellschaftliche Kipppunkte rücken schnell näher. Veränderungen also, die, wenn sie einmal eingetreten sind, unumkehrbare Folgen haben könnten. Das heißt, wir müssen vorher dagegenhalten. Wir müssen also tatsächlich mehr wagen, damit wir nicht alles riskieren angesichts der vier großen Gefahren: militärische Eskalation, Klimakrise, autoritäre Wende und soziale Spaltung. Und diese Gefahren verstärken und bedingen sich gegenseitig. Dringlichkeit besteht erstens angesichts militärischer Eskalationen. Es sind Konflikte, die uns nicht nur grausame Nachrichten nach Hause liefern, sondern etwa durch Waffenexporte auch von „zu Hause“ mitbefördert werden. Es sind Konflikte, die in bestürzender Weise der oben benutzten Formulierung der „Zeit der Monster“ entsprechen: Die alte Weltordnung existiert nicht mehr, eine neue, vor allem eine bessere, ist noch nicht erkennbar. Internationale Abkommen werden gekündigt und mit ihnen auch ein Stück globaler Verbindlichkeit.

Die Dringlichkeit des Klimaschutzes ist in aller Mund. Einmal geschmolzene Gletscher lassen sich nicht einfach wieder vereisen, darum besteht in der ökologischen Frage höchster Handlungsbedarf. Aber man darf nicht dem Irrtum erliegen, deshalb die Dringlichkeit der sozialen Frage geringer zu schätzen, nach dem Motto: Den Kampf gegen die Armut können wir auch noch in zehn Jahren beginnen, da brennt nichts an. Die Folgen sozialer Spaltung können für Menschen und Demokratien nicht weniger zerstörerisch sein als die Treibhausgasemissionen für das Klima. Auch die soziale Spaltung kann einen Kipppunkt erreichen. Der lässt sich zwar bisher nicht so leicht messen wie ein steigender Meeresspiegel, aber ohne eine handlungsfähige öffentliche Infrastruktur, ohne gute Bildung, Mobilität, soziale Teilhabe, Gesundheit und Pflege zerfällt die Gesellschaft. Kurzum: Klima- und Gerechtigkeitskrise hängen zusammen und bedrohen die universelle Idee der Menschenwürde.

Kairos, der Gott des günstigen Augenblicks, lässt grüßen: Wenn wir zu lange warten, um die Weichen anders zu stellen, greifen wir ins Leere. Schlimmer noch, wir verpassen den Zeitpunkt, an dem ein Umsteuern noch möglich war, an dem unser Handeln noch einen Unterschied gemacht hätte.

Eine politische Ökonomie des Gemeinsamen

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, hat Albert Einstein einmal formuliert. Deshalb müssen wir raus aus der Defensive. Es geht ums Ganze – um eine andere politische Ökonomie. Das autoritäre Staatsprojekt der Rechten lässt sich nur mit einer anderen Wirtschaftspolitik besiegen. Weil nur diese wirklich etwas gegen Klimakrise, soziale Spaltung, Demokratieabbau und militärische Eskalationen bewirkt. Das heißt: Es gilt, der entfesselten Ökonomie mit einer neuen Idee des Wirtschaftens entgegenzutreten.

Katja Kipping (Foto: Linke NRW/ flickr.com/ CC-Lizenz)

Umverteilen und Regulieren sind unverzichtbare Instrumente für eine Einbettung der Wirtschaft. Doch es geht um mehr. Es geht darum, solidarische Ökonomie, gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, Commons und Kooperativen zu fördern und die Demokratisierung der Wirtschaft voranzubringen. Dabei kann es besonders wirkungsvoll sein, die Regulierung der profitorientierten Konzerne und Förderung von gemeinwohlorientierten Formen zu kombinieren.

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Macht von Facebook und Co. zu brechen, kann nur gelingen, wenn wir Alternativen fördern, während wir gleichzeitig knallhart regulieren. Zum einen brauchen gemeinwohlorientierte Netzwerkalternativen öffentliche Förderung, zum Beispiel durch einen Innovationsfonds, auch damit sie breiter bekannt werden. Zum anderen brauchen viele die Gewissheit, dass sie bei einem Umzug in ein anderes Netzwerk trotzdem noch Kontakt zu ihren Freunden halten können. Hier setzt dann die Regulierung an. Per Gesetz könnte das Recht auf Interoperabilität, also das Recht die eigenen Daten und Verbindungen von einem Netzwerk in ein anderes mitzunehmen, durchgesetzt werden.

Solidarische Ökonomien können von einer Regierung behindert – oder eben gefördert werden. Zuständige in Behörden und Jobcentern könnten beispielsweise Menschen, die eine Kooperative gründen wollen, dafür freistellen und sie mit sozialen Garantien unterstützen. Die schlechte andere Möglichkeit wäre, diese Menschen weiter nach Hartz-IV-Manier zu schikanieren und sie in Maßnahmen zu zwingen, wenn die angestrebte Kooperative nicht gleich genügend Profit abwirft. Regierungen könnten in den Richtlinien zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen Formen solidarischer Ökonomie begünstigen und damit für Rückenwind sorgen. Auch hier gilt: Es ist nicht egal, wer mit welchen Zielen regiert.

Um es zusammenzufassen: Bei der sozial-ökonomischen Wende geht es um beides: um mehr und um weniger als Kapitalismuskritik. Um weniger, weil die konkreten Schritte jetzt notwendigerweise unter dem Anspruch seiner Überwindung bleiben werden. Und um mehr, weil diese Reformen Teil eines Prozesses zur Stärkung von Produktions- und Eigentumsformen sind, die über den Kapitalismus hinausweisen und ein postkapitalistisches Morgen ermöglichen.

Sackgasse Schwarz-Grün

Aber wäre Schwarz-Grün nicht auch eine Option, zumindest um die Klimafrage anzugehen? Schön wär‘s. Die erste schwarz-grüne Regierungskoalition in Österreich gibt einen Vorgeschmack darauf, wofür Schwarz-Grün stehen kann. Für etwas mehr Klimaschutz nehmen die dortigen Grünen sowohl die autoritäre Abschottungspolitik wie die neoliberale Wirtschaftspolitik der rechtskonservativen ÖVP in Kauf. So lässt sich weder das Klima noch die Demokratie schützen – von einem sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaftsweise ganz zu schweigen.

Und selbst wenn die Grünen hierzulande gegenüber der Union mehr rausholen als in Österreich, gilt: Ein moderierendes „Weiter-so“ löst nicht die Probleme, die sich in den vielfältigen Krisen unserer Zeit zeigen. Auf einem solchen Weg würden die systemischen Ursachen unangetastet bleiben. Und die aktuellen Herausforderungen werden so nicht in dem dringend nötigen Maße bearbeitet. Das aber ist eine Voraussetzung dafür, den Rechten beizukommen. Wenn die fortschrittlichen Kräfte nicht die systemischen Ursachen in Angriff nehmen, fällt es den Rechten leichter, weiter die Pose der „Systemkritik“ einzunehmen – was sie letztlich noch stärkt.

Wirksamer Klimaschutz geht nur mit Mitte-Links und einer starken Linken, denn er erfordert erstens die Bereitschaft, sich mit Konzernen anzulegen. Immerhin gehen zwei Drittel aller CO2-Emissionen auf das Konto von 100 großen Konzernen. Wenn sich die Menschen zwischen ihren materiellen Sorgen am Monatsende und der Angst vor dem Weltende entscheiden müssen, wird nichts Gutes dabei herauskommen. Damit Klimaschutz auch nachhaltig Rückhalt in der Bevölkerung hat, muss er, zweitens, Hand in Hand mit mehr sozialem Schutz gehen. Auch das kann nur mit Regierungsmehrheiten links der Union gelingen.

Um diese Mehrheiten zu ermöglichen, müssen sie denkbar und mit Hoffnung verknüpft werden. Dabei gilt es, jene zu begeistern, die schon Lust auf Veränderung haben. Und jene zu erreichen, denen das heute noch Sorgen macht, weil Veränderung für sie bisher hieß, etwas zu verlieren – den Job oder die Sicherheit oder die Anerkennung.

Vielfalt als Stärke

Wie der historische New Deal unter Roosevelt seinerzeit handelt es sich bei der sozial-ökonomischen Wende um ein mehrdimensionales Unterfangen, das nicht von einem Akteur allein zu bewerkstelligen ist. Vielmehr weist das Unterfangen selbst vielfältige Zugänge auf.

Erst im Zusammenspiel der verschiedenen Kompetenzen und gesellschaftlichen Verankerungen kann eine derart große Aufgabe gelingen. Um es an einem Beispiel zu illustrieren, das für eine Zusammenarbeit der drei Parteien links der Union spricht: die Energiewende. Klar ist, konsequenter Klimaschutz gelingt nur mit einem raschen Ausbau erneuerbarer Energien. Die Kompetenz der Grünen und ihres Umfelds bei der Förderung von erneuerbaren Energien ist bekannt. Nun besteht aber leider die Gefahr, dass der Ausstieg aus der Kohle zum sozialen Bumerang wird, der den rechten Klimaleugnern noch mehr Wähler*innen in die Arme treibt. Um das zu verhindern, müssen wir den Wandel mit sozialen Maßnahmen wie Beschäftigungs- und Einkommensgarantien für die bisher in der Kohlegewinnung Beschäftigten flankieren. Hier sind die gewerkschaftliche Verankerung der SPD und die Verankerung der LINKEN im Osten wichtig. Zudem muss verhindert werden, dass höhere Heiz- und Stromkosten dazu führen, dass Ärmere zum kollektiven Frieren im Dunkeln verurteilt sind. Hier kommt die soziale Kompetenz der LINKEN ins Spiel, die dazu bereits Konzepte vorgelegt hat. Und last but not least: Energiewende heißt auch, dezentrale Lösungen zu stärken. Schließlich sollen nicht neue Energiemonopole und damit neue Abhängigkeiten entstehen. Dafür ist pragmatische Umsetzungskraft vor Ort ebenso nötig wie die Bereitschaft, sich mit den großen Energiekonzernen anzulegen. Auch dabei ist die Verschiedenheit der drei Parteien links der Union hilfreich – so sie denn zusammen ihre Wirkung entfalten.

Insofern beinhalten neue linken Mehrheiten auch das Angebot einer Versöhnung: Lasst uns nicht immer nur darüber reden, was die Klimaaktivistin, den Kohlekumpel und die Rentnerin trennt. Lasst uns darüber sprechen, was sie verbindet. Reden wir über unsere unterschiedlichen Erfahrungen, weil wir von den Perspektiven der anderen immer etwas lernen können – und diese von uns. Begreifen wir unsere Unterschiedlichkeit als einen Vorteil.

Raus aus der Ohnmachtsfalle

Eine gute Forderung haben – das ist wichtig, aber es genügt heute nicht mehr. Die notwendigen Schritte müssen auch gegangen, die richtigen Ziele verfolgt werden. Jahrelang waren die Kritik am Neoliberalismus und die Mobilisierung gegen seinen Zeitgeist eine zentrale Funktion der Linken. Das wird so bleiben, doch in dieser offenen Situation müssen wir darüber hinausgehen.

Die Folgenlosigkeit linken Protestes ist selbst zu einem Symptom der postdemokratischen Entleerung geworden. „Jetzt hab ich euch so oft gewählt und Hartz IV gibt es immer noch“, höre ich beim Wahlkampf auf der Straße. Oder im tiefsten Sächsisch: „Ihr habt ja leider ooch nüscht zu melden.“ Zwar glauben uns die meisten, dass wir wirklich etwas ändern wollen, aber sie bezweifeln, dass wir es können. Sie haben einfach zu oft erlebt, dass eine Mehrheit im Bundestag gegen Anträge der Linksfraktion stimmte. Das ist nicht nur schlecht für wichtige Forderungen, die so auf der Strecke bleiben. Es liegt etwas Fatales darin: Gerade bei den Entrechteten wächst dadurch das Ohnmachtsgefühl. Und dieses Gefühl spielt den Rechten in die Hände, weil sie es umleiten in ein Treten nach unten, gegen andere.

Die Situation ist offen

Was folgt auf die Krise des Neoliberalismus? Die Situation ist offen. Wir können Zeitzeugen von sich verschärfenden Krisen bis hin zum Klimakollaps und hin zu Barbarisierung werden. Oder wir werden Akteure der Verbesserung und gehen die Ursachen der Krisen an und stellen dem entfesselten Markt eine neue Ökonomie des Gemeinsamen entgegen.

Was folgt auf Angela Merkel? Auch hier ist die Situation offen. Möglich sind neue Gesichter, die letztlich weiter den alten Wegen folgen und damit die Krisen verschärfen. Möglich sind aber auch neue linke Mehrheiten und damit eine Alternative, die ernst macht mit einer Politik des Friedens und des Klimaschutzes, damit wir alle eine Zukunft haben. Eine Regierungsalternative, die damit beginnt, alle vor Armut zu schützen und die Mitte besserzustellen. Neue linke Mehrheiten stellen der radikalisierten Rechten die Kraft der Solidarität entgegen. Auf dass alle ohne Angst anders sein können und zugleich das Gemeinschaftliche wachsen kann.

Natürlich: Es geht nicht um einen Sprint, sondern um einen Marathonlauf. Aber auch der muss irgendwo beginnen. Die nächsten Bundestagswahlen sind ein richtiger, vielleicht auch der letzte Startpunkt dafür – zumindest unter den Bedingungen einer Demokratie, wie wir sie kennen. Kairos lässt grüßen. Wir sind nicht perfekt vorbereitet. Aber angefangen wird immer mittendrin.

Von Katja Kipping erschien am 17. Februar beim Argument Verlag die Flugschrift Neue linke Mehrheiten – Eine Einladung. Bestellbar unter: https://argument.de/produkt/katja-kipping-neue-linke-mehrheiten/.


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[1] Ins Deutsche übersetzt schrieb Antonio Gramsci tatsächlich: »Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.« (Gefängnishefte, H. 3, §34). Im italienischen Original heißt es an dieser Stelle »fenomeni morbosi«, was vermutlich zu einer Fehlübersetzung geführt hat.

[2] Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Hoffmann und Campe 2019. S. 46.

[3] ebenda. S. 43.

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