Seehofers Verunglimpfung der Migration als „Mutter aller Probleme“, erhielt zurecht heftigen öffentlichen Widerspruch. Schaut man sich an, wie in Mannheim die Entwicklung des Stadtteils Neckarstadt-West verhandelt wird, scheint es so, als sei Seehofers fremdenfeindlicher Ausfall auch an dieser Stelle geistiges Allgemeingut der Rechtfertigungslogik geworden.
Die Neckarstadt-West in Mannheim ist ein innenstadtnahes Viertel mit etwa 22.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wie vergleichbare Stadtteile in anderen deutschen Großstädten zog auch die Neckarstadt-West – mit den ehemals im Vergleich niedrigen Mieten – ökonomisch schwächergestellte Menschen an. Arbeiterinnen und Arbeiter mit und ohne Migrationshintergrund, später Studierenden, Künstlern und Künstlerinnen zogen in den Stadtteil. Nach dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien zur EU im Jahr 2007 zogen auch verstärkt Migrantinnen und Migranten aus Südosteuropa in die Neckarstadt-West.
Seit einigen Jahren vollziehen sich dort parallel zwei Prozesse. Zum einen sind deutliche Mietsteigerung und umtriebige „Aufwertungsaktivitäten“ von Stadt und Immobilien-Haien zu verzeichnen. Gleichzeitig werden soziale Probleme, die zweifellos im Stadtteil existieren, verstärkt in den Vordergrund gezerrt. Schon lange vor einem reißerischen TV-Beitrag der Sendung 37 Grad beobachteten die Mannheimerinnen und Mannheimer, wie die Stadt scheinbar Teile ihrer Stadtplanung in die Hände der Gentrifizierer übergeben hat, die dutzende Häuser in dem Viertel kaufen und nun ihren erworbenen „Gestaltungsspielraum“ nutzen wollen.
Seit der Ausstrahlung des ZDF-Beitrags, der mit rassistischen Zuschreibungen der dort lebenden Menschen den Stadtteil als No-Go-Area verunglimpft, ist die Diskussion wieder hochgekocht. Es zeigt sich ein Bilderbuch Prozess der Gentrifizierung. Bei dem vor allem arme Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte in extrem prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen aus ihren Vierteln gedrängt werden.
Gentrifizierer als die neuen Sozialarbeiter
Lange wurde der Stadtteil samt all seinen Problemen und Herausforderungen von der Stadt vernachlässigt. Prekäre Wohnverhältnisse, Menschen, die als Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten in noch prekäreren Arbeits- und Wohnverhältnissen ausgenutzt werden, Drogenhandel und auch Prostitution prägen das Stadtbild. Die Frage nach dem Grund für solch prekäre Verhältnisse werden nicht gestellt. Die lukrativen Lösungsvorschläge stehen in der Kritik.
Die Neckarstadt-West ist ein abgeschriebener Stadtteil in dessen baufälligen Häusern nur noch lebt, wer unbedingt muss. Schuld an diesen Zuständen ist angeblich die Migration vor allem die aus Südosteuropa, so die Logik der Investorinnen, Investoren und einiger Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Doch zum Glück präsentieren sie „Lösungen“ für die gesellschaftlichen Probleme, die arbeitsteilig angegangen werden können. Während ein – in Mannheim – berüchtigter Immobilien-Hai etwa 50 Häuser kauft, oberflächlich saniert und die Miete kräftig erhöht, machen sich andere Gedanken um Aufwertung und Steigerung der Aufenthaltsqualität im Viertel.
Dabei verläuft dieser, wie jeder andere Gentrifizierungsprozess, immer nach den gleichen Mustern ab. Es soll in diesen Vierteln endlich mal Sicherheit und mehr Ordnung gebracht werden. Und wer bringt diese?! Nicht die Stadt, sondern die Investoren. Die Argumentation der „ Aufwertungslogik“, die versichert, mehr Sicherheit zu bringen, spielt immer nur denen in die Hände, die ihre Häuser dort teuer vermieten können oder neues Business in den Stadtviertel aufwerten können. So ehrlich muss man schon sein:
Die Lebensrealität der Investoren, nicht die der Menschen vor Ort, wird aufgewertet.
Spitze des Eisberges in Mannheim ist noch ein gemeinsames Papier, welches eine „Westwind“ genannte Initiative verabschiedet hat. Darin schwingt sich ein Bündnis aus Grünem Stadtrat, einigen Gastronomen und der Immobilienwirtschaft selbst zu Stadtplanern auf. Die Neckarstadt-West soll ein hippes Ausgehviertel werden. Die offensichtliche ökonomische Motivation der Akteure, wird, wie in anderen Städten auch, durch den Hinweis auf die Aufhebung der katastrophalen Zustände kaschiert.
Der Neubau eines Bistros am Neckar – bei dem die Stadt großzügig öffentlichen Raum zur Verfügung stellt – wird mit Erhöhung der Sicherheitslage und, ernsthaft, mit dem Schutz von Frauen vor Vergewaltigungen begründet. Der Grüne Stadtrat rät Gentrifizierungsgegner via Facebook statt gegen neue Cafés lieber gegen, Zitat, „osteuropäische Wuchervermieter, die Familien im Dreck leben lassen“, vorzugehen. Und die Immobilienspekulanten werben damit, viel für den Stadtteil zu tun und angebliche baufällige Problemimmobilien in geregelte Mietverhältnisse zu überführen.
Hier schließt sich der Kreis: Die Gentrifizierer bieten angebliche Lösungen für Probleme, die im Vorfeld wirkmächtig inszeniert und überspitzt wurden und die in erster Linie allzu lange vernachlässigt wurden. Migrantinnen und Migranten werden in diesem Prozess als Sündenböcke inszeniert, obwohl Sie an vielen Stellen diejenigen sind, die als erste „Opfer der Verdrängung“ werden.
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