Andrej Hunko im Gespräch mit Guaido

Mich kritisieren die Unterstützer des Putschversuchs in Venezuela – Im Gespräch mit Andrej Hunko

In Venezuela versucht die rechte Opposition gegen den Präsidenten Maduro zu putschen. Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken, war vor kurzem in Venezuela und hat sich sowohl mit Maduro, als auch mit dem Oppositionsführer Guaido getroffen, wir haben mit ihm gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Du bist vor kurzem aus Venezuela wieder gekommen, was war der Anlass deiner Reise?

Andrej Hunko: Vor gut drei Monaten hat ein Umsturzversuch Form angenommen, der in der Geschichte seinesgleichen sucht. In offener Missachtung des Völkerrechts stützt ein gutes Viertel der UNO-Staaten einen selbsternannten Präsidenten, um eine unliebsame Regierung aus dem Amt zu drängen. Die USA sind maßgeblicher Drahtzieher bei diesem Versuch eines Regime-Changes, ebenso stützen ihn viele rechtsregierte Staaten Lateinamerikas und die meisten Mitglieder der EU. Auch die Bundesregierung mischt fleißig mit.

Begleitet wird dies wie üblich von einer medialen Darstellung der Krise in Venezuela, die von Einseitigkeit, Halbwahrheiten und Falschdarstellungen geprägt ist. Aus diesem Grund wollte ich nach Venezuela reisen, um mir ein eigenes Bild von der Lage zu machen und mit allen Seiten zu reden.


Die Freiheitsliebe: In den Medienberichten heißt es in Venezuela gäbe es weder Strom, noch Wasser oder Nahrung, konnte sich dieser Eindruck auf deiner Reise bestätigen?

Andrej Hunko: Die humanitäre Lage ist ohne Zweifel schwierig. Allerdings lässt sich dies nicht verallgemeinern.Wenn man beispielsweise durch Caracas läuft, hat man nicht unmittelbar den Eindruck einer humanitären Krise. Es gibt Lebensmittel in den Supermärkten, die aber sehr teuer sind. Die Hyperinflation ist eines der größten Probleme im Alltag der Menschen. Die Regierung verteilt subventionierte Lebensmittel, von denen ein Großteil der Bevölkerung profitiert. Dennoch reicht dies nicht, um Notlagen zu vermeiden. Das Gesundheitssystem ist in einem kritischen Zustand, es fehlt an vielem.

Im Zuge der aktuellen Konfrontation und insbesondere seit den großen Stromausfällen Ende März hat sich die Lage weiter verschlechtert. Immer wieder kommt es zu Stromausfällen bzw. zu Rationierungen, weil das Stromnetz weiterhin labil ist. Besonders im Bundesstaat Zulia, an der Grenze zu Kolumbien, ist die Versorgung mit Strom katastrophal. Diese Probleme ziehen andere nach sich. So muss das Trinkwasser für Caracas aus dem tiefer gelegenen Umland auf ca. 800 Meter gepumpt werden. Fällt der Strom länger aus, dann bleibt auch das Wasser weg. Krankenhäuser, die nicht mit ausreichenden Notstromaggregaten ausgerüstet sind, können nicht angemessen arbeiten. All dies erschwert den Alltag der Menschen ungemein und hat teilweise dramatische Konsequenzen.

Die Freiheitsliebe: Was sind die Ursachen der realen Mängel?

Andrej Hunko: In der Deutung ist die Gesellschaft ähnlich gespalten, wie politisch. Die Regierung macht fast ausschließlich andere für die Probleme verantwortlich. Sie beklagt seit Jahren einen Wirtschaftskrieg gegen das Land, verweist auf die Rolle der Privatunternehmen und auf die Sanktionen der USA. Im Zusammenhang mit den Stromausfällen macht sie Cyberangriffe und Sabotage verantwortlich. Für die Opposition ist all dies vorgeschoben. Ihrer Ansicht nach ist allein die Regierung schuld, weil sie eine falsche Wirtschaftspolitik betrieben habe, die Infrastruktur nicht ausreichend instandgehalten habe und korrupt sei. Manche machen auch den Sozialismus verantwortlich. Dieses letzte Argument ist absurd, denn Venezuela ist eine kapitalistische Rentenökonomie mit all ihren Problemen geblieben. Mit Sozialismus hat das nicht viel zu tun.

Ich denke, dass die Ursachen vielschichtig sind. Die Sanktionen der USA sind real und haben seit August 2017 die ohnehin schon schwierige Lage weiter verschärft. Das Ende Januar verhängte Öl-Embargo hat diesen Prozess beschleunigt und wird voraussichtlich katastrophale Konsequenzen für die Bevölkerung haben. Ein kürzlich erschienener Bericht des US-amerikanischen Centre for Economic and Policy Research (CEPR) ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sanktionen schon jetzt für mehrere zehntausend Tode verantwortlich sind, weil sie den Zugang zu Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischen Material erschweren. Nach dem vorerst gescheiterten Putschversuch scheint es die Strategie der USA zu sein, Venezuela wirtschaftlich zu strangulieren und so die Menschen gegen die Regierung aufzubringen. Diesen Effekt kann man nicht ignorieren, wenn man über die Probleme Venezuelas spricht.

Aber die Sanktionen sind nur ein Teil. Sie haben eher bestehende Probleme verschärft, als sie zu verursachen. Politische Entscheidungen der Regierung bzw. das Ausbleiben von Entscheidungen haben in den letzten Jahren maßgeblich zur Entfaltung der wirtschaftlichen Krise beigetragen. Hier ist zuallererst die Währungs- und Wirtschaftspolitik zu nennen, aber auch die weitverbreitete Korruption ist ein Riesenproblem.

Hinzu kommen strukturelle Probleme, die die venezolanische Wirtschaft und Gesellschaft seit Jahrzehnten durchziehen und die unter Chávez und dann Maduro nicht gelöst wurden. In gewisser Hinsicht sind die wirtschaftlichen Probleme Ausdruck des Endes des zweiten Erdölbooms in der venezolanischen Geschichte. Im Gegensatz zum Beginn der 1980er Jahre kommen aktuell aber noch die politische Polarisierung, die institutionelle Krise und die Intervention von außen hinzu, die sich im Machtkampf der Staatsgewalten ausdrückt. All dies macht die Krise so komplex und Lösungen schwierig.

Die Freiheitsliebe: Wie war die Stimmung als du da warst? Trifft das von Medien gezeichnete Bild der Ablehnung Maduros zu?

Andrej Hunko: Es stimmt, dass der Zuspruch zu Maduros Politik im Zuge der Krise stark zurückgegangen ist. Aber dies hat sich nicht eins zu eins in eine Zustimmung zur Opposition übersetzt. Das ursprüngliche Projekt der Bolivarischen Revolution hat nach wie vor eine beachtliche Basis. Es sieht eher so aus, als sei das mittlere Lager größere geworden, das sich weder mit der US-gestützten und radikalisierten Opposition identifiziert, noch mit Maduro. Die Opposition hat eine breite Unterstützung, aber was seitens der Regime-Change-Anhänger völlig unterschätzt wird, ist die nach wie vor starke soziale Basis des Chavismus. Auch wenn viele Kritik an der Regierung haben, stellen sie sich gegen die laufende Intervention von außen. Dass diese – durchaus kritische – Unterstützung immer wieder unterschätzt wird, ist einer der Gründe für das Scheitern aller bisherigen Umsturzversuche.

Die Freiheitsliebe: Du hast auf deiner Reise sowohl Maduro als auch Guaido getroffen, welchen Eindruck haben dir die Treffen vermittelt?

Andrej Hunko: Vor allem die krasse Gespaltenheit der politischen Lager. Je nachdem mit welcher Seite man redet, bekommt man völlig unterschiedliche Realitäten vermittelt, die sich nur schwer versöhnen lassen. Darauf muss es jedoch im Endeffekt ankommen, um ein Gewaltszenario zu vermeiden. Ich habe sowohl Maduro als auch Guaidó auf die Möglichkeiten eines Dialogs zur Lösung der politischen und institutionellen Krise angesprochen. Im Moment sind die Fronten aber extrem verhärtet und die jüngsten Ereignisse deuten eher in Richtung einer weiteren Eskalation.

Das Grundproblem ist, dass es in der Vergangenheit schon verschiedene Anläufe für einen Dialog gab, die aber nie wirklich erfolgreich waren. Zuletzt hatte es Ende 2017 Gesprächen in der Dominikanischen Republik gegeben, bei denen es um die Präsidentschaftswahlen ging, die dann schließlich im Mai 2018 stattgefunden haben. Es gab schon fast eine Einigung, aber in letzter Minute brach die Opposition die Gespräche ab.

Derzeit gibt es zwei Formate, die im Zuge der jüngsten Krise entstanden sind. Mexiko und Uruguay haben den sogenannten „Mechanismus von Montevideo“ ins Leben gerufen, den auch Bolivien und die Karibik-Staaten (Caricom) unterstützen. Er sieht einen Prozess ohne Vorbedingungen an, an dessen Ende auch Neuwahlen stehen können. Er wird aber von Guaidó abgelehnt, der auf dem Rücktritt bzw. Sturz Maduros beharrt. Die EU wiederum hat die „Internationale Kontaktgruppe“ gegründet. Sie will aber explizit nicht vermitteln, sondern nur den Weg zu Neuwahlen unterstützen. Das wiederum lehnt Maduro ab.

Maduro sagte, dass er offen für einen Dialog mit der Opposition sei. Er befürchtet aber, dass die Opposition die Gespräche wie vor einem Jahr wieder auf Druck der USA abbrechen könnte. Das Guaidó-Lager sieht Gespräche im Moment nur als Taktik der Regierung, um Zeit zu gewinnen.

Am Ende ist auch wichtig, wie sich die internationale Politik gegenüber Venezuela entwickelt. Derzeit dominiert eine Herangehensweise, die den Konflikt weiter anheizt, statt nach Lösungen zu Suchen. Dies wird, genauso wie die Sanktionen und militärische Interventionsdrohungen, die innenpolitische Lage in Venezuela nur weiter verhärten. Letzteres wird sogar von moderaten Teilen der Opposition so gesehen.

Die Freiheitsliebe: Du wurdest, obwohl du beide getroffen hast, kritisiert, worauf berufen sich deine Kritiker?

Andrej Hunko: Es ist schon reichlich absurd. Ich habe mich mit um die 30 Menschen aus allen politischen Lagern zu Gesprächen getroffen, darunter neben Regierung und Opposition auch Menschenrechtsorganisationen, humanitäre Hilfsorganisationen, die katholische Kirche, Wissenschaftler, Basisaktivisten und linke wie rechte Kritiker der Regierung. Als sich die Möglichkeit ergab, auch mit Guaidó und Maduro zu sprechen, habe ich diese nicht verpassen wollen. Jetzt kritisieren mich diejenigen, die völkerrechtswidrig einen Putschversuch in Venezuela unterstützen, dass ich mit Maduro gesprochen habe. Just der Kollege Wadephul von der CDU, der sich in den Medien deswegen aufgeplustert hat, hatte sich noch ein paar Tage zuvor mit Vertretern aus Saudi-Arabien getroffen und über die gute Zusammenarbeit gefreut. Das Wort Doppelmoral trifft es wohl am besten.

Die Freiheitsliebe: Welche Erwartungen hast du nach deiner Reise an die Bundesregierung?

Andrej Hunko: Die Bundesregierung hat sich in der Venezuela-Frage völlig verrannt. Anscheinend hat sie wirklich geglaubt, dass Maduro nach Guaidós Selbstproklamation binnen kurzer Zeit aus dem Amt wäre. Anders kann ich mir die Annerkennungspolitik gegenüber Guaidó nicht erklären. Sie ist nicht nur offensichtlich völkerrechtswidrig, wie auch die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages bestätigt haben. Sie stellt die Bundesregierung auch vor ganz konkrete Schwierigkeiten. Denn wie soll sie weiter mit der Regierung Maduro umgehen, die die Macht hat, wenn sie ernsthaft den Mythos aufrechterhalten will, Guaidó sei der Präsident Venezuelas?

Die bisherige Politik der Bundesregierung hat den Konflikt in Venezuela mit verschärft. Dabei hätte Deutschland, dessen Bild in Lateinamerika bei Weitem nicht so negativ ist, wie das der USA, eine durchaus gute, vermittelnde Rolle spielen können. Ich fordere von der Bundesregierung ein, diesen Fehler einzugestehen und die Anerkennung Guaidós zurückzunehmen. Stattdessen sollte sie sich klar gegen die Interventionspolitik stellen und die katastrophalen Folgen der Sanktionen für die Menschen in Venezuela anerkennen, um sich als glaubwürdige Vermittlerin einer Verhandlungslösung anzubieten. Ich befürchte aber, dass sie diese Chance vorerst verspielt hat.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.


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