Ferat Ali Kocak (l.) und Bernd Riexinger in Berlin Anfang März 2018. Auf Ferat Kocak und seine Familie wurde Anfang 2018 ein Brandanschlag verübt, bei dem nur durch Zufall niemand ums Leben kam.

Aktionsplan gegen Rechts!

Auf die Betroffenheit über den rechtsextremen Anschlag von Halle muss Entschlossenheit zum Handeln folgen.

Vergangenes Jahr habe ich Ferat Ali Kocak, einen jungen Genossen aus Berlin-Neukölln, getroffen. Kurz zuvor war auf ihn und seine Familie ein Brandanschlag verübt worden. Mutmaßlich Neonazis hatten ihm tagelang nachspioniert und dann des Nachts sein Auto angezündet, das neben dem elterlichen Schlafzimmer in einem Carport parkte. Im allerletzten Moment entdeckte er den Brand und konnte verhindern, dass die Flammen aufs Wohnhaus übergriffen. Andernfalls wäre er oder eines seiner Familienmitglieder möglicherweise eine weitere Nummer auf der Liste der von Rechtsextremen getöteten Menschen geworden.

169 Frauen und Männer wurden laut Medienrecherchen in Deutschland zwischen 1990 und 2017 von Neonazis erschossen, verbrannt, erstochen oder zu Tode geprügelt. Das Bundesinnenministerium, das eine andere Definition für rechte Gewalt nutzt, führt 83 Menschen auf, die von Rassisten getötet wurden. Beide Zahlen machen deutlich: Die auf jeden rechtsextremen Anschlag folgende Erzählung vom Einzeltäter führt in die Irre.

Auf Worte folgen Taten

Stephan B., der den Terroranschlag in Halle begangen hat, mag allein gehandelt haben, oder auch nicht. Er hat aber nicht allein gedacht, sich nicht allein radikalisiert und nicht allein gehasst. Seine abscheuliche Tat entstand auf dem Boden langjähriger unbehelligter Hasskommunikation, und sie richtete sich an ein Publikum, das solch furchtbaren Morden applaudiert. Erst vor einer Woche, am Tag der Deutschen Einheit, skandierten militante Rechte gegenüber Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten in Berlin: „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“. Es hatte keine Konsequenzen.

Es muss klar sein, dass aus Worten, die jeden Tag in Internetforen, in Chatgruppen, an Stammtischen und in rechten Szenetreffs geäußert werden, Taten geworden sind. Nicht zum ersten Mal, und – so muss man befürchten – nicht zum letzten Mal. Neu ist nur, dass eine Partei der geistigen Brandstifter, bei der menschenfeindliche Hetze nicht nur ein gelegentlicher rechtspopulistischer Ausflug ist, sondern Programm und Methode, in allen deutschen Parlamenten sitzt.

In den letzten Wochen und Monaten haben die Morde in Kassel und Halle, beide fremdenfeindlich und antisemitisch motiviert, die Öffentlichkeit bewegt. Es reicht jedoch nicht, nach jedem Anschlag erneut aufzuschreien und die Unmenschlichkeit des Täters anzuprangern. Die Bedrohung muss endlich im vollen Umfang anerkannt und auf allen Ebenen bekämpft werden. Und zwar auch dann, wenn die Kameras sich wieder abgewandt haben. Auf die Betroffenheit muss die Entschlossenheit zum Handeln folgen. Dass die Bundesregierung nun ein Programm zur Bekämpfung des Antisemitismus präsentiert, ist begrüßenswert, zumal darin auch Vorschläge aufgegriffen werden, die die Linke seit Langem unterbreitet. Doch das im Innenministerium entwickelte Programm reicht bei Weitem nicht aus. Es braucht einen Aktionsplan gegen rechts mit konkreten und überprüfbaren Maßnahmen.

Kampf den rechtsextremen Netzwerken im Staat

Erstens müssen die Sicherheitsbehörden die rechte Szene endlich ernsthaft in den Fokus nehmen. Hierzulande existieren seit Jahren vielfältige rechtsextreme Netzwerke und ideologische Vorfeldorganisationen, teilweise tief verwurzelt bei Polizei und Bundeswehr. Sie müssen stärker beobachtet werden. Rechtsverstöße müssen konsequent geahndet und kriminelle Vereinigungen effektiv verboten werden. Das bedeutet auch, dass Volksverhetzung im Rahmen öffentlicher Aufmärsche nicht mehr ungestraft bleiben darf. Die mannigfachen Waffenfunde zeigen, dass die Entwaffnung der militanten Neonazi-Szene überfällig ist. Auch muss auf rechtsextreme Aktivitäten der Entzug des Waffenscheins folgen. Kriminelle rechtsextreme Vereinigungen müssen effektiv verboten werden. Der Fahndungsdruck auf die rund 500 per Haftbefehl gesuchten Rechtsextremen muss endlich erhöht werden.
Zweitens muss der Unterwanderung staatlicher Strukturen durch Rechtsextreme mittels unabhängiger Ermittlungsstellen begegnet werden. Rechtsextreme Netzwerke innerhalb staatlicher Organe wie Polizei, Bundeswehr oder Grenzschutz stellen ein großes Problem dar. Aber nur auf eine Polizei, die selbst frei von rechten Verstrickungen ist, ist im Kampf gegen kriminelle Rechtsextreme Verlass. Dazu kann eine Einrichtung beitragen, die ohnehin überfällig ist: eine unabhängige Ermittlungsstelle, die unter anderem Anzeigen gegen Polizistinnen und Polizisten nachgeht.

Drittens muss sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass ein wesentlicher Teil des Nährbodens für rechte Propaganda im Alltag gebildet wird. Die AfD, als parteipolitischer Ausdruck des Rechtsrucks in Deutschland, befeuert diese Tendenz. Es braucht als Gegengewicht überzeugende Konzepte, die demokratische Bildung, Verständnis und Toleranz auch in Umfeldern stärken, in denen diese Werte immer weniger selbstverständlich sind.

Antifaschistische Arbeit als politischer Alltag

Als ich Ferat Kocak damals traf, sagte er, dass er Angst habe, aber trotzdem entschlossen sei, den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus fortzusetzen. Kürzlich, Mitte Oktober, sprach er bei der Gedenkveranstaltung auf dem Berliner Bebelplatz anlässlich des Anschlags auf die Synagoge und der Morde in Halle. Nachdem er den Opfern und ihren Angehörigen gedacht hatte, erinnerte er daran, dass die Täter, die seine Familie und ihn angegriffen hatten, bis heute nicht ermittelt sind. Das bestärkt mich in meiner Forderung nach einem Aktionsplan gegen rechts.

Als Partei die Linke werden wir jedem Fall rassistischer, antisemitischer und nationalistischer Positionen klar entgegentreten, nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in den Stadtteilen, an den Stammtischen und in den Betrieben.  Antifaschistische Arbeit muss selbstverständlicher Teil des politischen Alltags aller demokratischen Kräfte sein: Kein Fußbreit – gemeinsam gegen rechte Hetze und Gewalt!


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